Samstag, 7. März 2009

Einladung an kreationistische Schule zu einem Besuch des Museums für Naturkunde

Nachdem wir im letzten Beitrag davor warnten, Darwin für polemische Religionskritik zu instrumentalisieren, beschäftigen wir uns heute wieder mit der Gegenseite. Auch wenn die FAZ heute in einem Beitrag vom atheistischen Berlin sprach, gibt es nämlich mitten in Berlin auch Kreationismus im schulischen Biologieunterricht. Inzwischen mehrfach durch die Medien erwähntes Beispiel sind die "Freien Evangelischen Schulen Berlins" (FESB).

Die Schulen werden laut Angaben auf ihrer Webseite (vom 7.3.09) "von einem gemeinnützigen Verein getragen, dem entschiedene Christen angehören, die aus verschiedenen evangelischen Gemeinden der Landeskirche, Freikirchen und christlichen Gemeinschaften kommen. Der FESB e. V. ist ein als gemeinnützig anerkannter Verein. Er ist konfessionell und parteipolitisch ungebunden. Der Verein ist Gründungsmitglied des 'Verbandes der Evangelischen Bekenntnisschulen in Deutschland e. V.' (VEBS). Weiterhin ist der FESB e. V. Mitglied in der 'Association of Christian Schools International' (ACSI), über die Partnerschaften zu Schulen im Ausland entwickelt werden." Die Schule bekennt sich zur > "Glaubensbasis der Evangelischen Allianz von 1972" und zitiert daraus u.a.folgendes "Die Bibel. Wir bekennen uns zur göttlichen Inspiration der Heiligen Schrift, ihrer völligen Zuverlässigkeit ..... "

Besonders aufschlussreich sind jedoch die Schulkonzeptionen der beiden von der FESB betriebenen Schultypen (Grundschule und Realschule). Schauen wir uns die Realschulkonzeption an. Sie gilt für die bislang einzige Realschule der FESB, der Corrie-ten-Boom-Realschule Prenzlauer Berg und stammt aus dem Jahr 1993. Sie ist jedoch auch heute (am 7.3.09) noch als gültige Konzeption auf dem Netz. Zitieren wir ein paar Passagen aus Teil 5 (Anhang) (Zitate wieder in blauer Schrift):

"Deutsch (Literaturunterricht): Die Aufklärung
Das Grundanliegen der Aufklärung ist, dem Menschen mit Hilfe der Vernunft zum Ausgang aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit zu verhelfen. Damit ist eine Kritik sowohl an allen autoritätsbezogenen Denkweisen als auch insbesondere am christlichen Offenbarungsglauben verbunden. .... Im Rahmen der Aufklärung ist insbesondere zu fragen, welche negativen Ergebnisse sie neben den unbestrittenen Verdiensten gezeitigt und in welche neuen Abhängigkeiten sie den Menschen geführt hat, statt ihm die ersehnte Freiheit und das erhoffte Glück zu bringen."
....
Geschichte: Kriege und Revolutionen
Im Geschichtsunterricht ist es bei der Erarbeitung historischer Zusammenhänge wichtig, die Welt nicht so erklären zu wollen, als gäbe es Gott nicht. ... Die großen Züge der Weltgeschichte sind vorgezeichnet und in den prophetischen Büchern der Bibel offenbart, was allerdings rückblickend weit besser verstanden werden kann als vorausschauend. Dennoch erkennt der gläubige Leser, wie sich Gottes Offenbarungen über kommende und gehende Weltreiche bisher erfüllt haben. Auch diese Zusammenhänge sollen dem Schüler deutlich gemacht werden. .... Es soll eine Erweiterung des Geschichtswissens um die biblische Sicht von den Weltgeschehnissen erreicht werden.
...

Biologie: Evolutionslehre
Die These von der Evolution vom Einzeller oder gar der leblosen Materie zum Menschen ist wissenschaftlich nicht verifizierbar. Sie ist vielmehr sowohl aus wissenschaftlichen als auch aus theologischen Gründen in ihrem Ausschließlichkeitsanspruch abzulehnen. Die Schüler sollen befähigt werden, den Modellcharakter der Evolutions-, aber auch der wissenschaftlichen Schöpfungslehre zu erkennen und Vorzüge und Nachteile wissenschaftlich redlich zu diskutieren, aber auch die Einsicht gewinnen, dass eine Höherentwicklung im Laufe der Zeit mit der Bibel unvereinbar ist, da nach ihrem gesamten Zeugnis das erste Menschenpaar unmittelbar aus Gottes Hand hervorging und die ursprünglich sehr gute Schöpfung erst mit dem Sündenfall schweren Schaden erlitt. "

Es soll hier nicht generell in Frage gestellt werden, was auf den FESB-Webseiten im > Leitbild geschrieben steht. So findet sich etwa: "Wir nehmen unsere Verantwortung solidarisch im freiheitlichen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat wahr. Dabei ist uns die Wahrung der Menschenwürde ein zentrales Anliegen. Wir treten friedfertig für die christlichen Grundlagen und Werte unserer Kultur zur Förderung des Einzelnen und der Gesellschaft ein." Auch ist vieles, was ansonsten in der Schulkonzeption steht, durchaus positiv und soll hier keinesfalls kritisiert werden (ich empfehle das Durchlesen des gesamten Konzeptes)

Dennoch kann an der kreationistischen Ausrichtung im Biologieunterricht dieser Schule und an der Behandlung einer kruden kreationistischen pseudowissenschaftlichen "Schöpfungslehre" nach dem oben geschilderten kein Zweifel bestehen. Dieser Gegensatz ist sehr bedauernswert.

Die Schule ist nach eigenen Angaben eine staatlich anerkannte Schule in freier Trägerschaft. In den Schulkonzeptionen von Grund- und Realschule steht: "Die Kosten für den Betrieb der Schule werden durch Senatszuschüsse, Schulgeld und Spenden aufgebracht. ...."

Die Schulkonzeptionen der FESB-Schulen sind schon seit etlichen Jahren frei übers Web zugänglich. Der Blogautor hat bereits seit März 2008 in öffentlichen Vorträgen auf die pseudowissenschaftlichen kreationistischen Inhalte hingewiesen (siehe z.B. hier). Viele Zeitungen, darunter Sueddeutsche.de erwähnten kurz vor Darwins Geburtstag die kreationistischen Aktivitäten der FESB. Die Financial Times Deutschland berichtete am 18.2.09 unter dem Titel "Darwin muss nachsitzen" ausführlich über diese Schule. Die zuständlige Schulaufsicht Pankow hat danach eine Überprüfung zugesichert.

Nochmals: es geht es hier nicht um eine pauschaule Negativbeurteilung dieser Schule. Die Schule verheimlicht ihre Ausrichtung nicht, zumindest wenn man sich die Mühe macht, in den Webseiten der FESB zu stöbern, denn alle hier wiedergegebenen Informationen stammen aus diesen Webseiten. Allerdings erfordert das Herausfinden dieser Informationen schon etwas Arbeit, und keinesfalls kann man sich alleine nach der ebenfalls zum Download angebotenen, professionell und ansprechend gestalteten Elternbroschüre richten. In dieser Broschüre wird zwar kurz auf die zu Grunde gelegte Glaubensbasis der Evangelischen Allianz per Link verwiesen, aber ansonsten geht es um Töpfern, Erlernen von Problemlösungen, Sprachreisen und andere schulische Aktivitäten. Auf Erziehung zum Klimaschutz wird sogar ganz besonderer Wert gelegt, was sehr anerkennenswert ist.

Kein Wort gibt es in der Elternbroschüre allerdings zur Behandlung einer kreationistischen Schöpfungslehre im Biologieunterricht der FESB. Dies versteckt sich wohl im letzten Satz der folgender Passage (S. 7 der > Elternbroschüre): "Die Freien Evangelischen Schulen Berlin unterliegen der staatlichen Schulaufsicht, die von den zuständigen Schulräten der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport und der Abteilung Bildung der Bezirksämter ausgeübt wird. Sie kommen all den Aufgaben nach, welche auch die staatlichen Schulen erfüllen. Die Lehrer unterrichten und beurteilen auf der Grundlage und nach den Vorgaben des Berliner Schulgesetzes und der Rahmenpläne sowie der Konzeption der FESB. Die Unterrichtsinhalte werden nicht verkürzt, sondern um die christliche Bewertung derselben erweitert behandelt."

Die ebenfalls in der Broschüre genannten Schülerzahlen zeigen, dass die Beliebtheit der Schule stark ansteigend ist. Und auch hier sei nochmals klar gesagt: es liegt in der Verantwortung der Eltern, ihren Kindern eine ihnen geeignet erscheinende private bzw. kirchliche Schule auszuwählen, sofern diese staatlich anerkannt ist (wie es bei der FESB ja tatsächlich ist). Dies alles sei hier natürlich nicht in Frage gestellt. Jedoch erscheint es äußert befremdlich und m.E. nicht mit den Rahmenschulplänen vereinbar, wenn in staatlich anerkannten Schulen im Biologieunterricht unwissenschaftliche kreationistische Pseudotheorien behandelt werden. Auch die Ausrichtung des Geschichtsunterrichts sowie von Teilen des Deutschunterrichts erscheint zumindest nach der Schulkonzeption bedenklich, da möglicherweise nicht mit der wissenschaftlichen Ergebnislage vereinbar. Insgesamt ist die Gefahr, dass im Schulunterricht der FESB explizitite Wissenschaftsskeptik geweckt wird, da sich gemäß Schulkonzept wissenschaftliche Ergebnisse offensichtlich an der völligen Zuverlässigkeit der Bibel orientieren müssen, sicherlich nicht von der Hand zu weisen.

Gerade wenn die Schule ihr Engagement für den Klimaschutz hervorhebt, sollte ihr besonders klar sein, dass Klimaänderung und andere Umweltänderungen wiederum Selektion und Aussterben oder aber auch Anpassung hervorrufen, also evolutionäre Prozesse geradezu auslösen.

Auch wenn ich diesen Eintrag als Privatperson schreibe, kann ich als Leiter des Berliner Museums für Naturkunde Berlin den Biologieklassen der FESB-Realschule gerne eine persönliche Führung zu Evolution und evolutionäre Reaktion auf Umweltveränderungen durchs Museum anbieten. Vielleicht mag ja auch eine Online-Präsentation des Blogautors zum Thema "Wir sind kein reiner Zufall - Evolution und Kreationismus" hilfreich sein. Die Präsentation findet sich unter
www.palaeo.de/edu/kreationismus/stellungrl/evolution_und_kreationismus

FAZIT: Naturkundemuseen haben eine schöne, aber nicht immer ganz einfache Aufgabe: wir sind selbstverständlich für alle Interessierten da und versuchen alle Besucher dort abzuholen, wo sie derzeit stehen und von wo wir sie gerne auf unsere Reise zur wissenschaftlichen Erkenntnis mitnehmen. Oberstes Ziel ist es aber deshalb auch, für die Akzeptanz von Wissenschaft zu werben und unwissenschaftliches Vorgehen deutlich als solches kenntlich zu machen, dazu haben sich die deutschen Naturkundemuseen anlässlich des Darwin-Jahrs verpflichtet. Sehr geehrte FESB-Schulleitung, Lehrer, Schüler, Eltern, Schulaufsicht und Kirchen - ich meine schon, dass wir dies gemeinsam hinbekommen könnten. Sind wir einfach, im Sinne des oben gezeigten Cartoons, "a bit more explicit". Dazu lade ich Sie ein.

Reinhold Leinfelder, 7.3.09

cartoon © Sidney Harris, used with permission


5 Kommentare:

  1. Bravo!
    Da zeigt mal jemand Zivilcourage!
    Die Politik hat dieses Thema ja in Deutschland bisher herrlich verschlafen!

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  2. rinozeroce@yahoo.de26. August 2009 um 14:40

    Kirche ist Opium für's Volk und sollte als solches nicht für sich beanspruchen sich über wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse hinwegzusetzen.

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  3. Irgendwann werdet ihr Narren erkennen, daß ein Leben ohne Gott (YHWH) Konsequenzen nach sich bringen wird. Vielleicht nicht heute, vielleicht nicht morgen, aber schon bald. Ich verweise nur auf Herrn Einsteins 4-Möglichkeiten nach dem Tod. :-)

    Wir leben NOCH in der Zeitepoche der Gnade - Nutzt sie!

    Shalom :-)

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    1. Lieber FESB-Schüler, bitte einfach dieses Blog aufmerksam lesen. Nirgendwo hab ich geschrieben, dass sich Wissenschaften und Glauben ausschließen würden, siehe auch die neue Umwelt-Enzyklika des Papstes. Die Bibel darf halt nicht als wissenschaftliches Buch missverstanden werden. Wissenschaft beschreibt und erklärt Dinge nach wissenschaftlichen, objektiven und ggf. falsifizierbaren Kriterien, kann aber philosophische Sinnfragen letztendlich nicht beantworten. Dazu sind Philosophie und ggf. auch Religion zuständig.

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  4. Lieber Herr Leinfelder, seien Sie ruhig weiter skeptisch, was die Schule betrifft, aber haben Sie auch ein bißchen mehr Vertrauen in die Eltern der Schüler! Ich kann Ihnen versichern, es ist nicht leicht, überhaupt einen Platz dort zu bekommen und man muß auch einiges zahlen, daß das Liebste, was wir Eltern haben dort zur Schule gehen darf.
    Und die Schule ist in vielerlei Hinsicht wirklich gut und engagiert. In mancher Hinsicht wird man als Eltern nie zufrieden sein. Aber dafür ist man ja Mutter oder Vater und kann durchaus korrigierend eingreifen. Also: Weder überlassen wir die sexuelle Aufklärung unserer Kinder noch die übrige Aufklärung über das, was richtig und falsch ist, allein irgendeiner Schule, auch nicht der FESB. Wer an Gott als einen Magier glauben will, der mag das tun. Wir und unsere Kinder tun das nicht. Aber wir entscheiden auch über die Zeit, wann wir Ihnen mitteilen, daß die Bibel auch nur von Menschen aufgrund ihrer damaligen Vorstellungswelt geschrieben wurde und nichtsdestoweniger immerwährende Glaubenswahrheiten neben überholten, für den Glauben bedeutungslosen, pseudo-wissenschaftlichen Schilderungen enthält. Alles klar?
    Trotzdem danke für den Hinweis.

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