Dienstag, 16. Juni 2009

Goethe, Darwin und Lefebvre

von Reinhold Leinfelder, 16.6.2009

Artikel auf den Webseiten des Goethe-Instituts

Das renommierte deutsche Goethe-Institut hat das Thema Evolution und Religion ebenfalls längst entdeckt. Schon lange vor dem Beginn des Darwin-Jahrs 2009, im Dezember 2007 begann es mit einem Artikel zum Thema "Arche Noah statt Beagle? Evolutionstheorie, Kreationismus und Bildung" von Dirk Lammers, in dem insbesondere auf die Verbreitung des Kreationismus in Deutschland eingegangen wurde (> siehe hier)

Im Oktober 2008 folgte ein Artikel zum "Verhältnis von Glaube und Wissenschaft" von Richard Lamers, in dem unterschiedliche persönliche Auffassungen zur Vereinbarkeit von Religion und Wissenschaft dargestellt werden (> siehe hier)

Ein aktueller Artikel (Mai 2009) von Roland Detsch greift nochmals das Thema Kreationismus in Deutschland auf ("Zum Teufel mit Darwin? Kreationismus in Deutschland" (> siehe hier). Hier geht es zum einen um den aktuellen Stand der Planungen des "biblischen Disneylands" namens Genesis-Park. Dem Besucher soll hier die Schöpfungsgeschichte u.a. durch den Turms zu Babel, einen glasüberdachter Garten Eden, die Altstadt von Jerusalem oder Himmel- und Höllebahn sprich"wörtlich" näher gebracht werden. (> Details siehe auch hier). Bisher ist dies am massiven Widerstand der evangelischen Landeskirche von Baden-Württemberg gescheitert. Nun wird Berlin oder München erwogen. Bislang allerdings gibt es den mit 500.000 Quadratmeter geplanten "Erlebnispark" jedoch nur digital, immerhin in 3D-Modellen (> Webpage des Genesis-Land)

Der eindeutigen Position der Evangelischen Landeskirchen und der EKD gegen Kreationismus stteht allerdings die Vereinigung Evangelischer Freikirchen (VEF) entgegen, die besser als Evangelike Kirchen zu bezeichnen wären. Ihr gehören etwa 260.000 Gläubige an. Roland Detsch berichtet, dass sich die VEF zwar angeblich klar vom Fundamentalismus der US-amerikanischen Evangelikalen distanziere, "nicht aber vom kreationistischen Gedankengut und seinen bildungspoltischen Forderungen". Der Beauftragte der VEF, Peter Jörgensen sagt: „Vertreter der Evolutionstheorie, aber auch des Intelligent Design und des Kreationismus haben ihren Platz in den Freikirchen“, Detsch erwähnt die 70 Bekenntnisschulen, die es in Deutschland (darunter auch in Berlin gibt, > "Ach Du lieber Darwin" berichtete) und geht näher auf zwei Kreationisten mit akademischen Titeln ein, Werner Gitt (> siehe hier) sowie Siegfried Scherer, zwei besonders sichtbare Protagonisten der evangelikalen Studiengemeinschaft "Wort und Wissen"
(> zum Artikel).


Neues von den Lefebrveisten

Aber nicht nur die Evangelische Kirche hat Probleme mit kreationistischen Evangelikalen. Die Priester-Bruderschaft St. Pius X. in Nachfolge ihres Gründers Marcel Lefebvre, die ja nach wie vor Bestandteil der katholischen Kirche ist, gibt diesbezüglich auch keine Ruhe. "Ach Du lieber Darwin" dokumentierte vor kurzem, dass die Webseiten der Pius-Bruderschaft ein erzkreationistisches Video bewarben, welches jedoch nach dem Skandal der Holocaust-Leugnung von den Webseiten verschwand (> siehe hier).

So findet sich auf den aktuellen Webseiten der deutschen Pius-Bruderschaft zwar unter anderem einen Artikel, in dem es um den Urknall geht und bei dem folgendes behauptet wird "Man sieht auch: Die katholische Kirche stellt sich nicht gegen die wissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse. Die Kirche betont auch immer: Der Glaube widerspricht niemals der Vernunft! Die Kreationisten, die es vor allen in manchen evangelikalen Kreisen gibt, halten sich dagegen exakt an den wörtlichen Verlauf des Schöpfungsberichtes und nutzen ihn als wissenschaftlichen Bericht. Hier war die katholische Kirche schon immer zurückhaltender und freier. So warnt bereits der hl. Augustinus seine Gläubigen, den christlichen Glauben nicht durch eine unhaltbar buchstäbliche (äußerliche) Deutung des Schöpfungsberichtes dem Spott der Ungläubigen auszusetzen." (> zum Artikel)

Aber es gibt auch solche Fundstücke: Im Artikel "Die ganze Wahrheit" stehen Dinge wie "Kann man vernünftigerweise annehmen, daß ein solch kompliziertes Gebilde durch Zufall entstanden ist, daß mehrere tausend Zufälle in der Ursuppe glücklich zusammengetroffen sind? Wenn man auf einer einsamen Insel einen Fotoapparat fände, würde auch niemand auf die Idee kommen, daß dieses Gerät durch eine glückliche Abfolge von Zufällen ganz von allein entstanden sein könnte. Wieviel komplizierter aber als ein Fotoapparat ist eine primitive Zelle!" oder "Auch die Theorie, eine Art von Lebewesen habe sich aus einer anderen durch zufällige Mutationen entwickelt (Evolutionstheorie), erweist sich bei näherem Hinsehen als barer Unsinn. Zunächst einmal müßte es dann eine Fülle von Übergangsformen von einer Art zur anderen geben. Tatsache aber ist, daß solche Übergangsformen praktisch völlig fehlen. Sodann ist klar, daß für die Entwicklung beispielsweise eines neuen Organes Hunderte und Tausende von Mutationen notwendig wären, die alle gleichzeitig zusammentreffen müßten, damit das neue Organ einigermaßen funktionsfähig sein könnte."
Das könnte direkt aus der Kreationistenbibel des Islamisten Harun Yahya s(> siehe hier) stammen. So geht es dann den ganzen Artikel weiter (> zum Artikel).

Besonders ärgerlich sind Passagen in einer Kritik der Pius-Bruderschaft zum Film Religulous. Es sei ihnen (und anderen) selbstverständlich unbenommen, diesen Film zu kritisieren. Bedenklich ist jedoch, dass von der Bruderschaft zwar (zu Recht) klargestellt wird, der Film verwechsle Fehler des Kirchenpersonals mit der christlichen Religion (Zitat: "Die Lehre auf der einen Seite und die Schwäche des 'Bodenpersonals' darf nicht verwechselt oder vermischt werden"), dass jedoch dieser Differenzierung dann wieder ein Pauschalressentiment gegen den Islam entgegensteht und das auch noch mit pseudotheologischen Biologismen vermischt wird (Zitat: "Der Film enthält auch eine Kritik am Islam. Diese Kritik ist zweifellos gerechtfertigt, da diese Religion der Vernunft widerspricht, wie Papst Benedikt in seiner berühmten Regensburger Rede deutlich zu machen versuchte. Der Koran ruft im Gegensatz zum Christentum zur Gewalt statt zur Feindesliebe auf und die Frau ist weniger wert als der Mann. Im Christentum ist die Frau gleichwertig mit dem Mann, aber Mann und Frau haben verschiedene Aufgaben (was die Biologie bereits deutlich vorprägt) und das unterscheidet sie.") (> zum Artikel).
Sieht fast so aus, als wolle man die Holocaust-Leugnung nun mit einem Angriff auf den Islam wettmachen? Allerdings ist schon länger bekannt, dass die Bruderschaft nicht nur antisemitisch, sondern auch islamfeindlich ist.
Die katholische Kirche wäre m.E. gut beraten, die Pius-Bruderschaft komplett auszuschließen, das würde ihren Anspruch, dass Glaube und Vernunft vereinbar seien, doch deutlich unterstreichen. Vernünftig ist an den Haltungen der Pius-Bruderschaft nämlich überhaupt nichts.


Und was war nun mit Goethe?

Also gut, hier noch ein Fundstück: "Ahnte Johann Wolfgang von Goethe von der Evolution? " Studentin Edda Afeld von der Uni Bielefeld schreibt hier zu Goethes naturwissenschaftlichen Forschungen zum Zwischenkieferknochen:
"1784 stand noch in seinem Manuskript zum Zwischenkieferknochen: 'Welch Kluft zwischen dem osse intremaxillari der Schildkröte und des Elefanten! Und doch läßt sich eine Reihe Wesen dazwischen stellen, die beide verbindet'. Zwei Jahre später überarbeitete Goethe noch einmal sein Manuskript. Er strich das Wort 'Wesen' und ersetzte es durch 'Formen'. Viel später behauptete der Dichter, er wäre allein aus seinem Glauben an die Kontinuität in der Natur auf diese Entdeckung gestoßen und nicht durch Zufall und Nachdenken. Noch im Dezember des Jahres `84 schrieb er an einen Freund, daß er es unterließe, einige Gedanken zu schreiben, weil er 'nicht zu früh durch hypotetische Behauptungen verdächtig' werden wollte. Denn Goethe war sich damals sicher, daß 'man nämlich den Unterschied des Menschen vom Tier in nichts einzelnem finden könne. Vielmehr ist der Mensch aufs nächste mit den Tieren verwandt'.

(Der Artikel gibt ausschließlich die Meinung des Verfassers wieder)
(Abbildung aus http://www.uni-bielefeld.de/biologie/Studenten/Schaedel/zwischenkiefer.html)

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