Samstag, 31. Januar 2009

Weitere bemerkenswerte Artikel zu Darwin

Es ist erfreulich, dass immer wieder sehr lesenswerte Artikel rund um Darwin und die Evolutionstheorie erscheinen. Ohne irgendeinen Anspruch auf Vollständigkeit seien heute als besonders lesenswert genannt:

Der zaghafte Revolutionär. Von Christopher Schrader, Süddeutsche Zeitung, 31.1.2009.
Ein sehr dichter, dennoch sehr gut geschriebener Übersichtsartikel zu Darwin, dem Darwinjahr, den Inhalten der Evolutionstheorie von Darwin bis heute, sowie dem was andere z.T. daraus machten bzw. darin sahen (Spencer, Kreationisten etc.).

Nachtrag: Der Artikel ist nun online verfügbar. Er ist Teil eines Spezials der Süddeutschen Zeitung zum Thema "200 Jahre Darwin", wozu auch nachfolgender Artikel gehört

Der echte Darwin. Warum Evolution nicht im Widerspruch zur Religion steht.
Von Patrick Illinger, Süddeutsche Zeitung, 31.1.2009.
Aus dem Text: "... Mit Skepsis ist daher Extremisten beider Fraktionen zu begegnen. Den Darwinisten, wenn sie so wie der Brite Richard Dawkins meinen, aufgrund naturwissenschaftlicher Erkenntnisse die Existenz Gottes widerlegen zu können. Und den Kreationisten, weil sie krampfhaft versuchen, Gott in ein Korsett zu zwängen, das für einen allmächtigen Schöpfer zu klein ist. Gott steht als Verborgener jenseits unserer Fassungskraft, erkannte schon im 15. Jahrhundert der Philosoph und Theologe Nicolaus Cusanus."

Soweit das Zitat. Das kann man eigentlich nur mit einem Zitat des Kirchenvaters Augustinus aus dem Jahre 408 ergänzen:
"„Durch Einsicht oder Erfahrung kann man sehr sichere Erkenntnis über die Erde erfahren, und über den Himmel oder aus was die Welt sonst besteht. Auch über die Bewegung, Drehung ja selbst die Größe und die Entfernung der Sterne, über Finsternisse, Jahreszeiten, die Natur der Tiere, Früchte oder Steine - und dazu muß man gar kein Christ sein.
Allerdings ist es wirklich schändlich und schädlich wenn ein Christ (...) über diese Dinge Unsinn erzählt weil das angeblich so in der christlichen Überlieferung stehe“.

Auch Patrick Illinger geht es darum, den Evolutionswissenschaften keinen Schaden zuzufügen, denn wir benötigen sie mehr als je zuvor, um die natürlichen Ressoucen nachhaltig nutzen zu können. Zitat: "Das Wissen um die Dynamik im Überlebenskampf der Arten sollte uns helfen, die Spezies Mensch mit dem Lebensraum Erde in Einklang zu bringen. Die hemmungslose Ausbeute natürlicher Ressourcen und die Vernichtung der Lebensräume anderer Arten wird sich auf Dauer nicht als Überlebensvorteil der Spezies Homo sapiens erweisen. Diese aus der Evolutionslehre folgende Eisicht macht die Entdeckungen des Charles Darwin so wertvoll."

(den ganzen Artikel von P. Illinger lesen)


Erwähnt werden soll auch die lesenswerte Rezension der nun verfügbaren deutschen Übersetzung des Dawkins-Buchs "Geschichten vom Ursprung des Lebens. Eine Zeitreise auf Darwins Spuren." von Matthias Glaubrecht in DIE WELT vom 31.1.09. Siehe hier.

Freitag, 30. Januar 2009

Ach Du lieber Darwin! - Aktion Mensch

"Die Gesellschafter", eine Initiative der "Aktion Mensch" veröffentlichten heute einen Kommentar des Blogautors.


Ach Du lieber Darwin!
(von Reinhold Leinfelder)

Vor 200 Jahren wurde er geboren, vor 150 Jahren hat er seine bahnbrechende Theorie veröffentlicht und immer noch gibt es Kontroversen um die Evolutionstheorie und, damit häufig verbunden, um Charles Darwin.

Das Darwin-Jahr 2009 hatte einen fulminanten Medienstart. Ob aber Darwin gefallen würde, was ihm heute so alles unterstellt wird, darf bezweifelt werden. Je nach Medienautor war er Genie, Revolutionär, Zweifler, Ideenklauer, Kaplan des Teufels, Gott-vom-Schöpferthron-Stoßender, überzeugter Atheist, Sterbebett-Wiederchrist, stiller Denker, gewiefter Taktiker oder Sozialdarwinist. Erfreulicherweise gibt es aber auch viele sehr informative neue Artikel zu Darwin, die uns den Menschen, dessen Theorie, deren Entwicklung bis heute und deren Relevanz für morgen fundiert näher bringen. Das lässt hoffen. Vielleicht ist also alles Überzogene nur der Vielzahl der Artikel geschuldet, und manche versuchen nur etwas plakativer, etwas lauter zu sein?

Leider nicht ganz. Tatsächlich wird die Evolutionstheorie nach wie vor und sogar wieder zunehmend angefeindet, und zwar von den so genannten Kreationisten, welche die Bibel wörtlich auch als Wissenschaftstext auslegen. Hier muss man sich positionieren, was Evolutionsbiologen, Paläontologen, Museen, Akademien, ja auch die großen Kirchen kräftig tun, denn gerade letztere haben längst verstanden, dass sich diese pseudowissenschaftlichen Angriffe insbesondere gegen moderne Kirchen richten. Allerdings scheint eine nicht ganz kleine Gruppe von Evolutionsbiologen dies nicht verstehen zu wollen. Sie benutzen die Debatte um den Kreationismus, um pauschale Religionskritik zu üben, Motto: wer denken kann, braucht keine Religion. Wer das meinen mag, soll ruhig, aber was hat die Evolution damit zu tun? Die Evolutionswissenschaften kümmern sich nämlich um das: »Wie funktioniert Evolution, welche Prozesse sind beteiligt, wie kommen biologische Anpassungen zustande?«

Was Evolution für einen Sinn macht, kann keine Naturwissenschaft beantworten. Gleichermaßen ehrenhaft, wenn man überzeugter Atheist ist oder einem anderen Glauben folgt, in beiden Fällen kann man diese sinngebenden Weltanschauungen aber nicht mit den Naturwissenschaften begründen, bloß als naturwissenschaftliches Protokoll darf man die Bibel eben nicht sehen.

(... weiterlesen)

Sonntag, 18. Januar 2009

Darwin als Familienmensch sowie Darwin und Spencer

Heute weisen wir auf zwei weitere empfehlenswerte aktuelle Zeitungsartikel hin:

Charles Darwin, der Familienmensch, von Petra Werner, die einen erfreulich unaufgeregten Artikel in der WELT veröffentlicht hat. Der Artikel ist ein Auszug aus ihrem am 20.1.2009 erscheinenden Buch
„Darwin. Die Entdeckung des Zweifels“, Osburg Verlag.

Peter Markl schreibt in der Wiener Zeitung über "Zurüstungen für das Darwinjahr" und geht dabei auch auf das Verhältnis von Spencer und Darwin ein. Spencer gilt als Begründer des "Sozialdarwinismus".


Charles Darwin, Fotografie von
J. Cameron, 1869. Foto: Wikimedia



Leseproben:

Charles Darwin, der Familienmensch
Von Petra Werner , DIE WELT, 14. 01. 2009

Hinter dem überlebensgroßen Naturforscher verbarg sich ein sensibler Mann, der lange um seine Tochter trauerte. Er war oft unpässlich und führte darüber Tagebuch. In seinen Briefen gab es melodramatische Floskeln, die als Abschied interpretiert werden konnten. Darwin zauderte , die Evolutionstheorie zu veröffentlichen.
"Ein wichtiger Grund für den Erfolg war der mäßige Umfang, den ich Wallace verdanke. Wäre er nicht gewesen, hätte ich mir Zeit gelassen und das Buch („Die Entstehung der Arten “) wäre vier- oder fünfmal dicker geworden und niemand hätte es gelesen.“ Dieser Satz Charles Darwins markiert das Ende seines Gewissenskampfes. Der Schock hatte ihn 1858 getroffen, als er an einem Junitag den Brief eines Kollegen geöffnet hatte. Wallace, der von einer Insel im Malaiischen Archipel schrieb, hatte seinem Brief einen Essay beigelegt. (weiterlesen)


Zurüstungen für das Darwin-Jahr
von Peter Markl, Wiener Zeitung, 17.01.2009

Der große englische Naturforscher gilt auch 200 Jahre nach seiner Geburt noch als der Begründer des "Darwinismus" – zu Unrecht, wie sich bei genauer Betrachtung seines Denkens zeigt.

Die Evolutionstheorie, so hat Jaques Monod schon vor langem konstatiert, ist eine besondere Theorie. Auch deshalb, weil sie unter den großen Theorien der Naturwissenschaften "die einzige ist, von der jedermann glaubt, dass er sie versteht". Er meinte damit "Philosophen, Sozialwissenschafter und so weiter. In Wirklichkeit aber verstehen die Evolutionstheorie sehr wenige Leute und das gilt selbst für die Evolutionstheorie, so wie Darwin sie zu seiner Zeit formulierte, und noch mehr für das Verständnis der Evolutionstheorie, das uns heute in der Biologie möglich ist." In derselben Vorlesungsreihe – den 1973 in Oxford gehaltenen "Herbert Spencer Lectures" – hat Karl Popper noch auf eine andere Besonderheit der Evolutionstheorie hingewiesen, die besonders oft zur Komponente einer Ideologie umfunktioniert worden ist. Popper erinnerte daran, dass große wissenschaftliche Revolutionen auch zu "ideologischen" Revolutionen beitragen können. Es war ihm wichtig zu betonen, dass er mit dem bewusst vage gewählten und viele Aspekte ansprechenden Begriff "Ideologie" Vermutungen, Glaubenssätze oder Haltungen meinte, die auch Naturwissenschafter – zum Guten oder Schlechten – stark beeinflussen oder sogar inspirieren können. Wenn eine neue naturwissenschaftliche Theorie zu einer Komponente in einem neuen Weltbild wird, dann bekommt sie eine neue Rolle: sie hat dann die Funktion, die Ideologie zu stützen.Die naturwissenschaftliche Theorie wird dadurch allerdings nicht selbst schon zur Ideologie, denn immer noch unterscheidet sie sich von einer durch Ideologie geprägten Vermutung ganz entscheidend dadurch, dass sie durch empirische Prüfung widerlegt werden kann. Die Evolutionstheorie ist geradezu der Prototyp einer solchen naturwissenschaftlichen Theorie – immer wieder Versuchen ausgesetzt, in verschiedenen Ideologien – wie Sozialdarwinismus oder Materialismus – eine Funktion zugewiesen zu bekommen.

(weiterlesen)


Donnerstag, 15. Januar 2009

Expedition zu Charles Darwin quer durch Deutschland im Darwinjahr 2009

14.1.2009, Pressemeldung:

Welchen Zugang zu Charles Darwin hätten Sie gerne? Darwin als Zoologe, Botaniker, Geologe, Paläontologe, Evolutionsbiologe, Darwin und seine Lieblingstiere? Alle diese Facetten und viele weitere bieten Ausstellungen und Veranstaltungen der "Deutsche Naturwissenschaftliche Forschungssammlungen" (DNFS, www.dnfs.de), dem Zusammenschluss der großen deutschen naturkundlichen Forschungsmuseen, im Darwinjahr 2009.
Die Veranstaltungen präsentieren Charles Darwin als vorbildlichen Wissenschaftler, der zuerst Fakten sammelte, Beobachtungen machte, Ideen daraus entwickelte, diese durch Versuche und Beobachtungen prüfte und verfeinerte und dann seine wissenschaftlichen Theorie daraus entwickelte. Den Veranstaltern ist
es dabei wichtig klarzustellen, dass sie für eine authentische Wissenschaftsvermittlung, gegen Pseudowissenschaften oder eine Überinterpretation naturwissenschaftlicher Ergebnisse stehen.

Zentraler Teil der deutschlandweiten Erkenntnisreise ist ab 12. Februar 2009 die große Sonderausstellung im Museum für Naturkunde Berlin ("Darwin - Reise zur Erkenntnis"), die insbesondere die Beagle-Reise thematisiert, aber auch die neuen Ausstellungen des Museums zur Evolution mit einbezieht. Wer die Beagle-Reise räumlich und zeitlich fortsetzen will, sollte ab 30. September in das Staatliche Museum für Naturkunde in Stuttgart fahren und sich die Sonderausstellung "Der Fluss des Lebens - 150 Jahre Evolutionstheorie" ansehen. Optischer Mittelpunkt der Ausstellung wird ein begehbarer Nachbau der MS Beagle sein.
Begleitend zu dieser speziellen Kooperation gibt es viele andere Ausstellungen, wie etwa die Sonderausstellung "Darwin und die Entstehung der Arten" ab 13. Februar im Zoologischen Forschungsmuseum Alexander Koenig (Bonn), welche die Entstehungsgeschichte der Evolutionstheorie in Darwins Biographie und Tierpräparate der Arten, die dabei eine Rolle spielten, thematisiert. Auch Botanische Gärten bieten Veranstaltungen an, z.B. in Berlin ab 12. Februar die Sonderausstellung "Wege zu Darwin - Pflanzen, Mannigfaltigkeit, Evolution". Das detaillierte Programm gibt es im Veranstaltungskalender der DNFS zum Darwinjahr unter www.darwinjahr2009.de.

Wer es gar nicht mehr erwarten kann, muss nicht bis zu Darwins Geburtstag am 12. Februar warten:
Schon am 15. Januar eröffnet das Museum für Naturkunde Berlin das Darwin-Jahr der DNFS mit der Gastausstellung "Wege zum Menschen: Hominiden Evolution" (Leihgabe des Hessischen Landesmuseums Darmstadt) sowie dem Vortrag von Generaldirektor Reinhold Leinfelder ""Evolution und Kreationismus. Zur
Wahrnehmung der Evolutionstheorie in der heutigen Zeit" in der Urania.

Fotos zu den Ausstellungen des Museums für Naturkunde Berlin (Darwin und Hominiden) sowie das Pressematerial erhalten Sie unter: http://download.naturkundemuseum-berlin.de/presse/Darwin
Fotocredit: wenn nicht anders angegeben "Museum für Naturkunde, Berlin"

Fotos zu den Veranstaltungen aus den oben aufgeführten Institutionen erhalten Sie unter:
http://download.naturkundemuseum-berlin.de/presse/Darwin
Fotocredit: wie angegeben
Für weitere Fotos wenden Sie sich bitte an die entsprechenden Pressestellen der Museen.

Kontakt Museum für Naturkunde Berlin:
Dr. Gesine Steiner, Öffentlichkeitsarbeit, Tel. +49(0)30 2093 8917 Fax. +49(0)30 2093 8914
e-mail gesine.steiner@museum.hu-berlin.de; www.naturkundemuseum-berlin.de

(Meldung in idw)

Donnerstag, 8. Januar 2009

Über Regenwürmer, Lummerland und Schimpansenbild ... I think

Wer war Darwin? Wir werden hier nicht versuchen diese Frage zu beantworten, denn Presse und Buchhandel bis hin zum Fernsehen haben sich ja im Vorfeld und zu Beginn des Darwinjahrs förmlich überschlagen, um uns endlich zu sagen, wer Darwin wirklich war. Überaus interessante Beiträge sind darunter, aber ein einheitliches Bild ergibt sich nicht, sondern alles pendelt, etwas überspitzt gesagt (aber nicht, wenn man die Beitragsüberschriften nimmt) irgendwo zwischen folgenden Interpretationen:
Darwin war je nach Autor ein Genie, Revolutionär, Zweifler, Ideenklauer, Kaplan des Teufels, Mörder des Schöpfungsglauben, überzeugter Atheist, Sterbebett-Wiederchrist, Stiller Denker, gewiefter Taktiker, Sozialdarwinist, ja laut taz sogar der Ideengeber der Geschlechterklischees. Etliche gute Artikel und Serien wurden in den ersten beiden Blogs ja bereits angegeben (was nicht bedeutet, dass es nicht viel weiteres Interessantes gäbe); wühlen Sie einfach in unseren am Ende und seitlich angegebenen Links.

Heute wollte ich Sie schlicht auf drei Artikel hinweisen und diese etwas kommentieren.

1) Die Jungle World publizierte heute eine gekürzte Fassung eines früheren Radiobeitrags von Cord Riechelmann: Titel "Kein Platz für Gott. Sechs Thesen zum Kampf ums Dasein."

Im Artikel geht es zuerst sehr lange um Sozialdarwinismus, unter anderem auch um die Rolle von Haeckel, der Darwin diesbezüglich besonders missbraucht habe. Riechelmann weist aber auch auf die Notwendigkeit der Trennung von wissenschaftlicher Leistung und Haeckels dogmatischem Ideologismus hin, wenn er schreibt: "Es wäre allerdings genauso fatal, Haeckel mit Begriffen wie »Sozialdarwinist«, »Rassist« oder »Nationalist« – das alles war er auch – abzutun und die Beschäftigung mit seinen Arbeiten einzustellen. Entrüstung hilft in diesem Fall wenig und erklärt nichts. Zu immens war und ist die Wirkung seiner populärsten Werke, des 1899 erschienenen Bandes »Die Welträtsel« und der »Kunstformen der Natur«."

Weiterhin geht Riechelmann auch auf die denkwürdige, prozessartige Streitsitzung vom 30. Juni 1860 in Oxford ein. Hierzu schreibt er u.a.: "Wichtig sind in dem Streit ganz andere Begebenheiten. Darwin hatte in der »Entstehung der Arten« den Menschen ganz ausgeklammert, Huxley hatte aber im Prozess überhaupt keine Schwierigkeiten, sich in einer Abstammungsreihe mit Affen zu sehen. Das ist eine wesentliche Radikalisierung der Darwinschen Lehre, und sie betrifft genau den Teil der Evolutionstheorie, der zum Ende des 19. Jahrhunderts »anthropopo­litisch«, wie der Wissenschaftshistoriker Hans Jörg Rheinberger es nennt, wirksam wurde und zum Beispiel in den Äußerungen Haeckels die kolonialistisch-rassistische Ausformung bekam, die dann auch geschichtlich relevant wurde."

Dann diskutiert der Autor aber auch die selektive Kraft von Schönheit (ua. auch von der Schönheit des artbildenden Gesangs bei Spottdrosseln) sowie die Frage, ob ganz Neues wirklich allein durch Mutationen entstehen kann. Riechelmann schreibt hierzu u.a.: "Die Evolutionstheorie hat nämlich tatsächlich Schwierigkeiten, zum Beispiel die 40fache Entstehung des Auges im Tierreich widerspruchs­frei zu erklären; oder die Existenz von Erscheinungen ohne naturgeschichtliche Vorläufer, wie die der Augenflecken bei Schmetterlingen, aus den Darwinschen Mechanismen von Mutation und Selektion herzuleiten. Wie das Neue in die Welt kommt, das, weil es keine Vorläufer hat, nicht ab­geleitet werden kann, ist mit Darwin nicht zu erklären. Die Naturgesetzlichkeit, wie sie Darwin im Zusammenspiel von Mutationen und natürlicher Auslese bestimmt, lässt am Ende das Neue doch als Vorbestimmtes erscheinen. Sich verändern, also mutieren, kann nur das, was schon da ist." Lieber Herr Riechelmann, ich bin doch eigentlich ein großer Fan Ihrer Artikel, aber "Vorbestimmtes" oder "Ändern kann sich nur das, was schon da ist"?? Da werden sich nicht nur die Kreationisten freuen, sondern da hilft wohl auch nicht, dass sie insbesondere den nichtreligiösen Antidarwinist Vladimir Nabokov zitieren. Nabokov und Sie trauen dem Baukastensystem Evolution und v.a. der geologischen Zeit wohl einfach zu wenig zu, auch wenn Sie sicherlich Recht damit haben, dass sich nicht immer nur das Adaptierteste durchsetzt, sonder nur das besonders Ungeeignete negativ selektiert wird und ein "spielerisches" Element im Sinne der Wahrscheinlichkeitsregeln, also des "Gesetzes der großen Zahlen" eine Rolle spielt. Dass dies eher gemeint ist, ergibt sich aus der nächsten Passage Riechelmanns, wieder bezugnehmend auf Nabokov: "Oder ein anderer Schmetterling imitiert ein Blatt und sieht nicht nur genauso aus wie das Blatt, sondern täuscht durch Schattierungen auch noch Raupenfraß vor. Viele Imitationen haben etwas Unnötiges, übertreffen sie doch das Unterscheidungsvermögen ihrer Fressfeinde bei weitem. Nur mit 'natürlicher Auslese' und dem 'Kampf ums Dasein' lassen sich viele Erscheinungen in ihrer Aufwendigkeit nicht erklären. Neben den Begriff des Nutzens muss noch ein Prinzip des zweckfreien Spielens treten. Nabokov will die schöpferischen Kräfte des Lebens geltend machen. Die Augenflecken der Schmetterlinge haben keine Vorläufer. Und das heißt: Es gibt eine Entwicklung neuer Formen jenseits der Darwinschen Mechanismen von Mutation und Auslese. Darwin selbst hätte diese Folgerungen im Unterschied zu vielen seiner Epigonen nicht bestritten."
Lieber Herr Riechelmann, einigen wir uns darauf, dass die Auslese eben nicht streng preußisch-ordentlich vorgeht, sondern oft auch sehr "tolerant" ist, Variables zulässt, sozusagen spielerisch, welches später als Präadaptation verfügbar ist und dann doch plötzlich preussisch-korrekt positiv selektiert wird? Wir haben ja soo viel Zeit, tausende, ja Millionen von Jahren, da ist es einem schon mal zum Spielen ...

Riechelmann leitet mit den Nabokov-Passagen zu Darwins Spätstudium der Regenwürmer über. Das ist nun wieder überaus pfiffig, denn hier entzieht Riechelmann nun der sozialdarwinistischen Vergewaltigung Darwins den letzten Rest der Rechtfertigung. So schreibt er: "Darwin hat mehrere Experimente zu diesem Verhalten gemacht, die ihn zu dem Schluss gelangen ließen, dass Intelligenz auch bei niederen Würmern vorhanden sei. Intelligenz bei Regenwürmern zu entdecken, das ist Ende des 19. Jahrhunderts – und auch heute noch – entschieden antidarwinistisch. Ge­sellschaftlich war der Darwinismus am Ende des 19. Jahrhunderts rechts in den Dienst der um einen Platz an der Sonne kämpfenden Kolonialmächte getreten und links in die Idee des Fortschritts integriert worden. Man muss sich nur der anfangs zitierten Passagen Haeckels vom nie­deren Stand der »Australneger« bei den Hunden erinnern, um zu sehen, wie weit Darwins Vorstellung von intelligenten Würmern sich vom damals gängigen Darwinismus entfernt. Der Idee der höher schreitenden Entwicklung entzieht er mit der Entdeckung der Intelligenz bei niederen Würmern den biologischen Grund. Das heißt, für Darwin gibt es im Regenwurmbuch keine Linie mehr von dummen niederen Tieren zu geistig hochstehenden Menschen." Da hat Riechelmann Recht, aber das hätte eigentlich jeder schon bei Betrachtung der berühmten "I think"-Skizze Darwins verstehen können. Aber die war wohl nicht künstlerisch genug...

2) Wenn Ihnen dieser gesellschaftliche Einblick in die Zeit Darwins zu unbehaglich war, wie wäre es zur Entspannung (aber dennoch sehr spannend) mit der völlig unerwarteten Einsicht in die Britische Gesellschaft zur Zeit Darwins und danach durch Julia Voss? (dieser Artikel wurde früher schon weiter unten angesprochen, war aber falsch verlinkt, deshalb nochmals hier:
Jim Knopf rettet die Evolutionstheorie (von Julia Voss, FAZ, 18.12.08)



3) Wir wollen ja ausgewogen sein, und der oberste Artikel erschien doch sehr gottlos (eigentlich vor allem in der Überschrift). Wie wäre es deshalb - angeregt von diversen Artikeln mit Titeln wie "Der den Mensch zum Affen machte" - mit der Frage, wie dies eigentlich die bekannteste Menschenaffenforscherin der Welt, Jane Goodall sieht. Welches Menschenbild hat sie denn? Hierzu empfehle ich ein Interview im Cicero.
Darwins narzisstische Kränkung, Interview mit Jane Goodal, Cicero, November 2008.

Hier ein paar Auszüge: "
Ich glaube an Charles Darwins Erkenntnisse über die Evolution der Natur. Für mich bedeutet das aber nicht, dass dadurch die Existenz Gottes in irgendeiner Weise infrage gestellt wird. .... Ich sehe keinen Konflikt zwischen Wissenschaft und Religion. ..... Affen sind nicht unsere direkten Vorfahren. Affen und Menschen haben denselben Vorfahren, von da aus haben wir uns verschieden entwickelt. .... Aber mit unserem Hirn sind wir, anders als die Affen, in der Lage, Konflikte ohne Gewalt zu lösen."

Und nun die zwei Gretchenfragen: a) Was macht uns zu Menschen? Goodall: "
Die Sprache, mit der wir moralische Entscheidungen treffen können. Damit überlassen wir uns nicht dem bloßen Instinkt." b) Was sind die Unterschiede zwischen Menschen und Schimpansen? Goodall: "Es ist die Fähigkeit, diskutieren und über abstrakte Dinge sprechen zu können, die nicht real existieren, sondern vor unserem geistigen Auge stehen. Diese Befähigung ist es, durch die sich unser Intellekt so explosionsartig weiterentwickelt hat."

Hmm, I think....

Ihr Reinhold Leinfelder

PS: Ach so, Unsere Eingangsfrage - Wer war Darwin? Ja, dazu werden wir uns schon noch näher auslassen, aber eben auf andere Weise - Seien Sie gespannt auf viele Ausstellungen rund um Darwin, näheres siehe www.darwinjahr2009.de sowie demnächst auch hier.

Sonntag, 4. Januar 2009

Videointerviews mit deutschen Kreationisten

Auch wenn es eigentlich zu viel der Ehre ist, aber eigene Anschauung ist das beste Heilmittel. Nachfolgend finden Sie deshalb zwei Beispiele deutscher Kreationisten in Videos.

1. Werner Gitt, Dipl.-Ing. Das Video finden Sie in "Bibel-TV", 2007
Rezension zum Buch von W. Gitt (2004): Am Anfang war die Information.

2. Reinhard Junker, Geschäftsführer der evangelikalen Studiengemeinschaft Wort + Wissen, in Bibel-TV vom 19.8.2008, in youtube abgelegt.
Einen ZEIT-Artikel von 2006 u.a. zu Wort+Wissen finden Sie hier.


Sollten Sie tatsächlich durch irgendeines der sogenannten Argumente gegen die Evolutionswissenschaften verunsichert sein, empfehle ich das Lesen der in den vorherigen Blogs zitierten Artikel und insbesondere rege Teilnahme an den Veranstaltungen zum Darwinjahr.


Die Argumentation in den verlinkten Interviews ist zwar absolut unwissenschaftlich, aber immerhin nicht aggressiv. Extrem aggressive Machwerke sind hingegen die Bücher und Produktionen des Fundamentalkreationisten Adnan Oktar aka Harun Yahya. Der 8 kg schwere Band 1 seines sog. "Atlas der Schöpfung" wurde in Europa Zig-Zehntausendfach kostenlos verschickt (auch das Museum für Naturkunde Berlin bekam unaufgefordert mehrere 10er Exemplare - Rücksendung war wegen Versands über eine Briefkastenfirma nicht möglich) und ist auch im Internet kostenlos als pdf erhältlich, inzwischen gibt es bereits mehrere Folgebände.

Wenn Sie es sich wirklich antun wollen, hier ein 50-minütiges Video mit dem Titel "Das Unglück, das der Darwinismus über die Menschheit brachte." (als da laut Yahya wären: Nationalsozialismus, Stalinismus, Terrorismus etc.). Sollte als abschreckendes Beispiel genügen.
Rezensionen zum "Atlas der Schöpfung" z.B. in der WELT, in der Süddeutschen oder in der NZZ.
Weitere Beispiele zu Kreationismus in Deutschland finden Sie u.a. in unserem Pressespiegel.
Ihr R. Leinfelder

Lesenswertes Wissenschaft-Spezial in der FAS vom 4.1.09

Nachdem die Frankfurter Allgemeine Zeitung bereits mitten im Dezember ein Darwin-Spezial anbot (, welches in FAZ-online verfügbar ist und um ältere Artikel ergänzt wurde) und DIE ZEIT in der Silvesterausgabe Darwin mit einer bemerkenswerten Sonderbeilage und einem sehr schönen Seite 1-Bild dankte (ebenfalls z.T. online verfügbar), hat heute die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung noch eins draufgelegt. Im "Wissenschaft-Spezial" gibt es viele sehr lesenswerte Artikel, die jedoch (noch?) nicht frei online erhältlich sind:

In einem erfrischenden Artikel zu "Darwins Finken" weist Richard Friebe erfreulich offen darauf hin, dass sich (leider) jeder seinen eigenen Darwin zurechtbastelt (Zitat "Neben dem Darwin als Genie mit der plötzlichen Einsicht auf den Inseln ist auch ein Ideen klauender Darwin zu haben, auch einer, der ständig an seiner Theorie zweifelt und dazu geprügelt werden muss, sie zu veröffentlichen. Oder wie wäre es mit einem Darwin, der auf dem Totenbett zum Bekenntnis zu Gott als Schöpfer zurückgefunden hat? Oder einem sozialdarwinistischen Darwin?") Ansonsten finden sich spannende Artikel zum heutigen Stand der Evolution. Gut lesbar behandelt werden insbesondere Augenevolution, Genetik, Mutationen, Superorganismen, Koevolution, Selektion und Epigenetik:
  • Finken lügen nicht (von Richard Friebe): Manches an dem, was wir über Darwin zu wissen glauben, ist zu schön, um wahr zu sein. Die Galápagos-Finken zum Beispiel waren ihm ziemlich egal. Trotzdem wurden sie zu Kronzeugen seiner Theorie. >> online-Version vom 5.1.09
  • Beweis mir Darwin (von Jörg Albrecht): Nur wenigen Naturforschern ist es widerfahren, dass ihr Werk in den Rang einer Weltanschauung gehoben wurde. Und nur wenige wissenschaftliche Veröffentlichungen dienten 150 Jahre später noch zur Grundlage von Debatten. Charles Darwin, der Übervater der Biologie, ist in jeder Hinsicht die Ausnahme. Zweihundert Jahre nach seiner Geburt prägt sein Name immer noch die Auseinandersetzung um die wahre Natur des Lebens.
  • Wer Augen hat, zu sehen...: Die Entstehung der Lichtsinnesorgane war beileibe kein Wunder (von Georg Rüschemeyer) >> online-Version vom 9.1.09
  • Spielen mit Molekülen: Der Rohstoff des Lebens ist reine Chemie. Die Evolution hat daraus Information gemacht, die immer wieder neu sortiert wird (von Sonja Kastilan)
  • Schwankendes Glück: Mutationen sind Zufall. Das lässt sich sogar beweisen (von Jörg Albrecht)
  • Alles, was sie geben können: Ameisen dienen ihrem Staat - und damit sich selbst als Teil eines Superorganismus (von Georg Rüschemeyer); >> online-Version vom 6.1.09
  • Die Welt will betrogen sein: Die Koevolution von Pflanzen und Insekten ist eine Erfolgsgeschichte - mit Tücken (von Miriam Ruhenstroth)
  • Formenwahn und Mittelmaß: Wie sich Landschnecken auf den Bahamas vor der Auslese drücken (von Miriam Ruhenstroth)
  • Sex und Verfolgung: Auf Trinidad kann man der Evolution bei der Arbeit zuschauen (von Jörg Albrecht); >> online-Verson vom 6.1.09
  • Erwirb es, um es zu besitzen: DNA ist nicht alles. Manchmal können auch Umwelteinflüsse vererbt werden (von Sonja Kastilan)
  • Ornament ist kein Verbrechen: Wer angibt, hat die besten Partnerchancen (von Richard Friebe)


Aber die Artikel des FAS-Specials sind allesamt empfehlenswert. Bleibt nur zu hoffen, dass Sie die Ausgabe von heute (4.1.09) noch auftreiben oder dass die Artikel noch kostenlos in faz.net freigegeben werden.

Ihr R. Leinfelder

(Nachtrag vom 9.1.09: tatsächlich sind mehrere der o.a. Artikel inzwischen frei als Online-versionen verfügbar, z.T. unter anderer Überschrift und ggf. als verlängerte Version. Die Links wurden oben nachgetragen. Am 9.1.09 schaltete die FAZ auch weitere Artikel zum Thema online, die z.T. früher publizierte Print-Versionen darstellen. Sie finden diese und obige auch
>> hier aufgelistet.

Sie können auch über unten stehendes Clipboard nach diesen Artikeln suchen.

Samstag, 3. Januar 2009

Willkommen im Darwin-Jahr

Auf dieser Seite können Sie, je nach Zeitverfügbarkeit, Folgendes erwarten:
  • Zusatzinformationen und Kommentare zu speziellen Veranstaltungen der Deutschen Naturkundemuseen und ihrer Partner im Darwinjahr
  • persönliche Kommentare und Diskussionsbemerkungen des Blogautors sowie eventueller Gastautoren rund ums Thema Evolution und Darwinjahr
  • Spezielle Hinweise auf besonders bemerkenswerte Presse- und Medienbeiträge.
  • Clips weiterer Pressemeldungen zum Durchsuchen und Schmökern. Hierzu bieten wir Ihnen ein öffentliches Presseclipalbum. Das Clipalbum können Sie auch mit dem Widget am Ende dieser Seite durchsuchen.
Im Darwin-Jahr wird der Pressespiegel zu Kreationismus unter www.palaeo.de/edu/kreationismus nur untergeordnet weitergeführt. Statt dessen werden wir ausgewählte Pressemeldungen auch zu diesem Thema hier aufführen.

Bereits jetzt am Anfang des Darwin-Jahres zeichnet sich ab, dass Charles Darwin für oder gegen alles und jedes herhalten muss, ach Du lieber Darwin!

Beim Start ins Darwin-Jahr fielen mir wegen ihrer erfrischenden Sichtweisen u.a. folgende beiden Artikel auf, die ich gleich einmal sehr empfehlen kann:
  • Die ZEIT vom 31.12.08: Danke Darwin, von J. Neffe, siehe hier
  • FAZ vom 16. 12.08: Jim Knopf rettet die Evolutionstheorie, von Julia Voss (und weitere Artikel in derselben Ausgabe), siehe hier
    (Link nun wieder ok)
Oder schmökern Sie einfach in den nebenstehenden aktuellen Google-News zu Darwin.


Viel Spaß beim Schmökern!
Reinhold Leinfelder

(RL ist Leiter des Konsortiums "Deutsche Naturwissenschaftliche Forschungssammlungen", Generaldirektor des Museums für Naturkunde Berlins und Professor für Paläontologie und Geobiologie, er gibt hier jedoch seine rein persönlichen Meinungen wieder, es sei denn es ist bei den einzelnen Einträgen anders angegeben)