Montag, 28. Oktober 2013

Darwins Erbe für die Zukunft

von Reinhold Leinfelder

Darwins Rolle als Gründungsvater einer modernen Evolutionstheorie ist in den Wissenschaften unbestritten. Wohl weniger bekannt ist, dass der große Wissenschaftler damit auch eine „angewandte Biologie“ mit begründete, die es so vor ihm nicht gab. Vor Darwin bezogen sich angewandte Aspekte im Wesentlichen auf die Heilkunde, auf Genussmittel und die Ernährung.

Einige Beispiele hierzu seien genannt:

Die Atoll-Entstehung nach Charles Darwin aus dem Jahre 1842

Darwins frühe Untersuchungen zu Korallenriffen stimulierten nicht nur seine deutlich später formulierten Gedanken zur Evolutionstheorie, sondern können auch als Meilenstein für geobiologische Forschung betrachtet werden. So formulierte er in seiner - in wesentlichen Zügen bis heute gültigen - Atoll-Theorie das Wechselspiel zwischen relativen Meerespiegeländerungen, Gesteinsabtragung und biologischem Gesteinsaufbau. Hier bewies er bereits Gespür für die Bedeutung ökosystemarer Dienstleistungen, denn wesentliche Aspekte des durch Riffwachstum gewährleisteten Küstenschutzes, aber auch die Bedeutung der Korallenriffe für ihre biologische, durch den Menschen nutzbare Vielfalt gehen auf ihn zurück.

Ebenso mag Darwin als Begründer der Bodenkunde angesehen werden. Sein spätes Buch zur Bedeutung der Regenwürmer für die Humusbildung ist ein weiteres Beispiel für sein Erkennen ökosystemarer Dienstleistungen. Das Buch wurde ein Bestseller und räumte mit der Vorstellung, Regenwürmer seien Schädlinge, ein für alle Mal auf.

Eher anekdotisch bekannt ist die Tatsache, dass auch der Staub auf der Beagle das wissenschaftliche Interesse des Forschers weckte. Darwin schickte Staubproben ans Berliner Naturkundemuseum, wo Ehrenberg erkannte, dass hier eine große Mischung an Kleinstlebewesen und mineralischen Komponenten verschiedenster Herkunft gemeinsam versammelt waren. Von besonderem Interesse ist, dass manche dieser Proben erst 2008 geöffnet wurden und noch keimfähiges Material enthielten. Darwin lieferte uns also nicht nur eine Hochsee-Atmosphärenprobe aus dem Jahr 1832, sondern legte zusammen mit Ehrenberg wiederum Grundlagen für ein Verständnis der Atmosphäre als großen globalen Mixer, eine Erkenntnis, ohne die die heutige Diskussion zu globalen Klimaschutzmaßnahmen gar nicht möglich wäre.

Auch die moderne Biodiversitätsforschung wäre ohne Darwin undenkbar. Die Untersuchung der Artenvielfalt durch Darwin war einerseits die Grundlage für seine Evolutionstheorie, andererseits wurden die durch ihn erkannten Selektions- und Adaptationsmechanismen zum Schlüsselfaktor für die Vorhersage der Auswirkungen menschengemachter Eingriffe und damit für zukünftige Biodiversitätsentwicklungen sowohl in natürlichen als insbesondere auch den dominierend menschengemachten Lebensräumen. Mehr denn je wird hier die Evolutionstheorie auch in Zukunft der Klebstoff für das Verständnis um dynamische Vorgänge und Reaktionen in der belebten Umwelt sein.

Darwin war übrigens keinesfalls ein Sozialdarwinist; der teilweise Missbrauch seiner Theorie zu biologistischen Begründungen untragbarer Politiken geht nicht auf ihn zurück. Zwar legte Darwin mit seinem Spätwerk zu den Gemütsbewegungen bei den Menschen und Tieren etliche Grundlagen für das moderne Fach der evolutionären Psychologie, es war ihm jedoch immer bewusst, dass das menschliche Verhalten besonders stark auch durch die kulturelle Entwicklung geprägt war. Ein aus heutiger Sicht menschenunwürdiges Experiment erlebte Darwin hierbei direkt mit: den „geglückten“ Versuch seines Kapitäns, den sozialisierenden Einfluss der Gesellschaft an Jemmy Button („Jim Knopf“), einem einheimischen Feuerländer zu untersuchen. Die große Frage, zu welchen Anteilen der Mensch durch sein biologisches und kulturelles Erbe sowie seine Gesellschaft geprägt ist und welcher Anteil davon unter welchen Situationen dominiert, trieb also auch schon Darwin um. Die differenzierte Beantwortung dieser Frage ist vermutlich zukunftsentscheidend, denn heute geht es nicht nur darum, gesellschaftliche Prozesse zu verstehen, sondern das Wissen einer Wissensgesellschaft auch im globalen Maßstab in notwendige Handlungen umzusetzen. Um Akzeptanz- und Legitimationsverhalten und damit die Umsetzbarkeit von Verhaltensänderungen hin zu einer nachhaltigen Nutzung unserer Erde über die Generationen hinweg besser zu verstehen, werden Hirnforschung, Soziobiologie, aber auch Psychologie, Soziologie und andere Kulturwissenschaften eng zusammenarbeiten müssen. Die notwendige integrierte interdisziplinäre und transdisziplinäre Zusammenarbeit dazu gibt uns das Erbe Darwins als Zukunftsaufgabe ebenfalls mit auf den Weg.

Dies ist eine stark gekürzte Fassung des Artikels "Leinfelder, R. R. (2013): Nachwort: Darwins Erbe für die Zukunft,  in:  Wrede, P. & WREDE, S. (eds), Charles Darwin Die Entstehung der Arten, kommentierte und illustrierte Ausgabe, S. 538-545, Weinheim (Wiley-VCH Verlag)". > Buchwebseite des Verlags 
Sie erscheint demnächst zusätzlich auf einer Konferenz-Webseite mit Beiträgen rund um das Buchthema.


Freitag, 12. Juli 2013

Kreationismus 2005-2009

Kurzhinweis: meine damals umfassende Liste zu Berichten kreationistischer Aktivitäten (ab 2005, geschlossen am Ende von 2009) ist wieder online, vielleicht ist dies ja für manche Recherchen hilfreich: >> www.palaeo.de/edu/Kreationismus

Freitag, 28. Juni 2013

Adam, Eva und der Stegosaurus

aus der FAZ vom 22.06.2013 (von Julia Kern)

Gott schuf die Welt in sechs Tagen, am siebten ruhte er. Was die meisten Christen als Metapher verstehen, nehmen Kreationisten wörtlich. Und lehren es an privaten Bekenntnisschulen.

Reinhard Junker war noch niemals in New York. Oder auf Hawaii. Der Mann mit der Föhnfrisur und dem verschmitzten Lächeln war überhaupt noch nie in den Vereinigten Staaten, erst recht nicht in Petersburg, Kentucky. Dabei ist die Welt dort genau so, wie sie ihm gefällt, auf den 70.000 Quadratmetern des „Creation Museum“: Gott schuf die Erde und all ihre Bewohner in sechs Tagen. Ausstellungsstücke zeigen Kinder, die mit Dinosaurierbabys spielen - bis die Sintflut kam und die Dinosaurier auf der Arche keinen Platz fanden. Für die Macher des „naturkundlichen Erlebniscenters“ ist die Welt wenige tausend Jahre alt und Evolution atheistische Ideologie.
Auch Reinhard Junker nimmt die Schöpfungsgeschichte der Bibel wörtlich. Er ist Kreationist, und gemeinsam mit Gleichgesinnten bemüht er sich, diese Vorstellung von der Entwicklung der Welt auch in Deutschland weiterzuverbreiten. Nicht nur im privaten Wohnzimmer oder im freikirchlichen Gemeindehaus, sondern auch in Klassenzimmern.  ..... > den ganzen Artikel lesen

Donnerstag, 13. Juni 2013

Neue Aufklärung? Neue Bücher zur Beziehung von Evolution, Kultur und Geist



In der Printausgabe von DIE ZEIT vom 6.6.2013 findet sich eine Besprechung des neuen Buchs von E.O. Wilson durch den Biologen, Philosophen und Autoren Andreas Weber mit dem Titel "Eine neue Aufklärung". Da diese Besprechung leider nicht online ist nachfolgend einige Auszüge.

"Wilsons neues Buch 'Die soziale Eroberung der Erde. Eine biologische Geschichte des Menschen' ist so etwas wie die Vorbereitung einer Kulturtheorie. Aber anders als die Soziobiologie oder die vom Harvard-Psychologen Steven Pinker vorangetriebene »Evolutionspsychologie« versucht Wilson das nicht, indem er genetische Module für diese oder jene Eigenschaft sichtet (etwa für einen »Sprachinstinkt« oder für künstlerische Ausdrucksfähigkeit) und Kultur zu einem »Nichts als Gene« macht. Vielmehr argumentiert er, dass Homo sapiens kaum das Resultat einer Selektion sein kann, die ein Gemisch von jeweils einzelnen »erfolgreichen« egoistischen Genen hervorgebracht hat. Unsere seelischen Eigenschaften, meint Wilson, ließen sich gerade nicht Stück für Stück auf ihre Nützlichkeit zurückführen – wie das populäre Magazine ja seit 30 Jahren immer wieder gern in den Märchen vom ewig hungrigen,ewig geilen Urmenschen nacherzählen. 



Vielmehr macht Wilson zwei gegenläufige Arten von Selektionsdruck aus, die geradewegs zur Janusköpfigkeit der Spezies Mensch führen: Einige unserer
Eigenschaften – unsere Zahmheit, unsere Fähigkeit zur Kooperation, das lebenslange Lernen – sind dem Überleben in der Stammesgruppe geschuldet. Andere aber, wie unser Streben nach Freiheit, doch auch Egoismus und Gier, folgen dem Selektionsdruck auf Individuen, möglichst stabil zu sein. Wilsons Fazit: Die Stammesgeschichte »machte einen jeden von uns halb zum Heiligen und halb zum Sünder«. Die Evolution schuf zwei Herzen in unserer Brust. Und wie diese in Einklang zu bringen sind, so Wilsons geradezu faustische Biologie, ist nicht mehr Sache der evolutionären Anlagen, sondern der Kultur. »Unsere Art ist kein Homo oeconomicus«, schreibt er eindringlich.
....


Gleichwohl wurde die Brisanz von Wilsons Umkehr außer in Fachkreisen kaum wahrgenommen. Dort aber sind jetzt die Gräben tief. Richard Dawkins, Erfinder des »egoistischen Gens« und Lehrstuhlinhaber in Oxford, fühlte sich von Wilsons Wende so provoziert, dass er eine Schmähschrift veröffentlichte – unter dem Titel E. O. Wilsons Abstieg. Dawkins schreckte nicht davor zurück, zur Verstärkung seiner Argumente Dutzende Kollegen zu nennen, die des Amerikaners späte Umkehr angeblich alle für pures Plemplem halten. Dieser konterte selbstbewusst: »Wenn Wissenschaft immer noch durch Meinung der Mehrheit entschieden würde, wären wir über Scheiterhaufen und die Phlogiston-Lehre nicht hinaus.«"
(Ausschnitt aus Andreas Webers Artikel in DIE ZEIT 24/2013, S. 51)


Andere Rezensionen zum Buch fallen weit weniger freundlich aus. So schrieb Felix Eckhardt (Jurist, Philosoph und Soziologe) in der Süddeutschen Zeitung vom 9.4.2013

"... Seltsame Blüten treibt das als naturwissenschaftlich präsentierte Bemühen, alles in einfache und quantifizierbare Begriffe zu bringen, wenn Wilson meint, menschliche Charaktere anhand von fünf banalen Grundeigenschaften wie extrovertiert versus introvertiert beschreiben zu können. Dass ein solcher Ansatz in der Anwendung von relativ willkürlichen Einschätzungen abhängt und überdies grob unterkomplex ist, scheint ihm nicht in den Sinn zu kommen.
  Hier wie auch sonst öfter merkt man, dass Wilson letztlich Experte für die biologische Evolution von Insekten ist. Der umfassende Beitrag diverser Geisteswissenschaften dazu, was Individuen sowie den kollektiven sozialen Wandel antreibt, ist ihm offenbar weitgehend unbekannt. All dies müsste aber bekannt sein, um den Anteil evolutionärer Prägungen nicht zu überschätzen.
  Ebenso versteht Wilson wie viele die Sein-Sollen-Scheidung nicht. Er realisiert also nicht, dass Erklärungen zum Zustandekommen von Wertvorstellungen nichts darüber aussagen, ob diese ethisch gerechtfertigt sind oder nicht. Erklären kann man im Leben vieles, vielleicht sogar fast alles. Doch selbst wenn Kriege und Gewalt – so Wilson – evolutionsbiologisch mitbedingt wären, würde das rein gar nichts darüber besagen, ob sie zu begrüßen oder zu verurteilen sind. Deshalb ist auch Wilsons Anspruch abwegig, die Ethik zu revolutionieren. Selbst wenn es zuträfe, dass Altruismus evolutionsbiologisch als Gruppenegoismus entstanden ist, dann beweist das nicht, dass eine universale Ethik falsch ist. Es würde lediglich zeigen, dass es der Universalismus in der praktischen Durchsetzung nicht leicht hat. Das allerdings trifft in der Tat zu. ...."
Diese Rezension ist über Bücher.de komplett aufrufbar (Reiter Rezensionen anklicken).

Helmut Mayer rezensierte bereits am 11.2.2013 im Feuilleton der FAZ. "Der Perlentaucher" schreibt dazu: "Echte Ameisenmühe gibt sich Helmut Mayer mit diesem Buch des berühmten Ameisenforschers E. O. Wilson. Interessiert ob Wilsons Versuch, seine Liebe zu den Insekten mit einem biologisch geerdeten Menschheitsbild zusammenzudenken, liest Mayer los - und muss leider feststellen, dass Wilsons Konzept der Gruppenselektion (anstelle der individuellen) nicht zieht. Schlimmer aber scheint ihm, dass der Autor sich darum nicht schert und stattdessen munter in der Erdgeschichte herumspringt, um seine Idee von der Rückführung alles Guten in uns auf gruppenselektive Vorgänge ins rechte Licht zu rücken. Für Mayer eine Evolutionstheorie der fantastischen, der autistischen Art.
Der FAZ-Artikel kann kostenpflichtig hier nachgelesen werden.

Mal sehen wie die Diskussion weitergeht. Andreas Weber meinte ja, dass "Wilson ... am Ende seines Buchs nichts weniger als eine neue Aufklärung" ausrufe. Die anderen sehen das offensichtlich nicht sofort so.

Zu einem ähnlichen Thema äußert sich nun auch der US-Philosoph Thomas Nagel. In seinem neuen Buch "Mind and Cosmos" bezweifelt er laut einer Rezension von Malthe Lemming unter dem Titel "Linker US-Philosoph sägt am Darwinismus" im Cicero auch die Möglichkeiten der Evolutionstheorie und postuliert sogar teleologische Antriebe: "Sie [die Evolutionstheorie] sei zwar nicht falsch, aber ungenügend. Die „ganze Wahrheit“ werde von ihr nicht erfasst. Denn die im Prinzip ziellose Abfolge von Mutation und Selektion könne nicht ausreichend erklären, wie aus anorganischem organisches Leben entstand, aus einfachen Systemen komplizierte wurden und Instinkt in Verstand und Bewusstsein mündete.„Organismen wie die unseren haben nicht einfach nur zufällig Bewusstsein.“ Die Lehre Darwins müsse folglich ergänzt werden durch teleologische Hypothesen, oder anders gesagt: einer „kosmischen Prädisposition der Entstehung von Leben, Bewusstsein und den Werten, die sich davon nicht trennen lassen“. Teleologie meint in diesem Zusammenhang: Dinge geschehen auch, weil sie auf dem Weg zu einem Ziel liegen. ..."

Klar dass die Intelligent Designer da bereits jubeln. Und Lemming weiter: "„Mind and Cosmos“ ist weit davon entfernt, ein schlüssiges Alternativkonzept zum psychophysikalischen Reduktionismus und zur Evolutionslehre zu liefern. Die Provokation des Buches liegt eher in der scharfsinnigen Problematisierung des vorherrschenden naturwissenschaftlichen Weltbildes. Nagel gibt keine Interviews. Vielleicht soll sein jüngstes Werk eine Art Vermächtnis sein. Am Schluss prognostiziert er: „Ich gehe jede Wette ein, dass der gegenwärtige Konsens (in Bezug auf materialistischen Neo-Darwinismus) in ein oder zwei Generationen lächerlich erscheinen wird – obwohl er natürlich ersetzt werden könnte durch einen neuen Konsens, der sich erneut als ungültig erweist.“
Ist dies eine revolutionäre These? Oder halt auch ein "Alterswerk"? Das Entscheidende wäre Methoden zu finden, um dies untermauern bzw. falsifizieren zu können. Wishful thinking allein reicht sicherlich nicht.

Ich bin gespannt, ob es hier zu konstruktiver Dialogbereitschaft kommen wird oder ob wir zunehmend auf eine  aus manchen Geisteswissenschaften heraus resultierenden Wissenschaftsfeindlichkeit gegenüber den Naturwissenschaften zusteuern, so wie sie laut eines anderen, etwas glossenartigen ZEIT-Artikels von Harald Martenstein in manchen Bereichen der Gender-Forschung heute üblich sei: Zitat aus diesem Artikel: "Das Feindbild der meisten Genderforscherinnen sind die Naturwissenschaften. Da ähneln sie den Kreationisten, die Darwin für einen Agenten des Satans und die Bibel für ein historisches Nachschlagewerk halten. "Naturwissenschaften reproduzieren herrschende Normen." – "Naturwissenschaften konstruieren Wissen, das den gesellschaftlichen Systemen zuarbeitet." – "Der Objektivitätsanspruch der Wissenschaft ist ein verdeckter männlicher Habitus." – "Naturwissenschaft und Medizin haben eine ähnliche Funktion, wie die Theologie sie einst hatte". Von solchen Sätzen wimmelt es in den Einführungen. Irgendwie scheint Genderforschung eine Antiwissenschaft zu sein, eine Wissenschaft, die nichts herausfinden, sondern mit aller Kraft etwas widerlegen will. Aber wenn Wissenschaft immer interessengeleitet ist, was vermutlich stimmt, dann gilt dies wohl auch für die Genderforschung." (> zum ganzen Artikel)

Ich kann aus eigener Erfahrung unterstreichen, dass es neben Genderforschung noch ganz viele anderen Bereiche gibt, wo Ultra-Konstruktivisten den Naturwissenschaften vorhalten, auch ihre Ergebnisse und Analysen seien sowieso nur Kopfgebilde. Aber bleiben wir noch kurz beim Thema Gender: Vielleicht halten wir uns bei diesem Thema momentan an ein differenziertes Interview mit der Psychologin Doris Bischof-Köhler (Autorin des Standardwerks "Von Natur aus anders") von der LMU (in der ZEIT 24/2013, leider nicht online):

Zum einen: "Wenn man als empirische Wissenschaftlerin sozialisiert ist, hat man gelernt, Spekulationen nicht für bare Münze zu nehmen, nur weil sie originell klingen. Man bemüht sich, das Regulativ der empirischen Kontrolle zu respektieren, auch wenn es den Erwartungen widerspricht. Die Genderbewegung hat, soweit ich erkennen kann, kein Interesse an Objektivität. Hier scheint ein konstruktivistisches Weltbild vorzuherrschen, dem zufolge so etwas wie eine objektive Wirklichkeit, die es zu erforschen gilt, nicht existiert. Faktizität und Fantasie verschmelzen auf eine Weise, in der ich nicht recht mitdenken kann."

Aber auch:  Frage: "Wenn die Genderforschung zu utopisch ist – ist die Evolutionsbiologie zu affirmativ? Einige Unterschiede zwischen Mann und Frau, die man mal für unumstößlich hielt, sind verschwunden. Dass Frauen Auto fahren, als Ärzte arbeiten, Hosen tragen, unverbindlichen Sex haben – das war unvorstellbar und ist heute selbstverständlich. "
Antwort B-K: "Ich teile durchaus das Missfallen an so leichtfertigen Essays à la »Einparken« und »Zuhören können«...aber es ist unfair, wenn dergleichen als repräsentativ für die evolutionsbiologische Argumentation angeführt wird. Natürlich gibt es zeitbedingte Gewohnheiten, die sich ändern. Die zentralen Differenzen – der unterschiedliche Umgang mit Konkurrenz zum Beispiel, von dem ich gesprochen habe – werden sich aber nicht so einfach in Luft auflösen.
"

Wer noch etwas mehr wissen will, wie Naturwissenschaften funktionieren, dem kann ich Lewis Wolperts Buch "Unglaubliche Wissenschaft" empfehlen. Schon ein bisschen betagt, aber immer noch spannend. Vielleicht ist es ja auch ein "Alterswerk" dieses bekannten Biologen, der sich Zeit seines Lebens offensichtlich des öfteren über Ultrakonstruktivisten und bestimmte philosophische Sichtweisen geärgert hat.  Die Kernthese seines etwas anderen wissenschaftsphilosophischen Buches "Vieles an der Logik der (Natur-)Wissenschaften leuchtet uns nicht ein, weil sie dem alltäglichen Denken, dem Common Sense, zuwiderläuft und unseren Intuitionen hohnspricht" Oder kurz gesagt: "Der Radfahrer bleibt im Sattel, aber er weiß nicht warum" (und braucht es auch nicht zu wissen, um durch's Leben zu kommen) (aus dem Klappentext des Buchs. > Hier einige Kurzkritiken)

Mein kleines Zwischenfazit: Es gibt ein bekanntes Zitat eines berühmten Evolutionsforschers: (T. Dobhzansky), der sehr zutreffend meinte: "Nichts in der Biologie macht Sinn außer im Licht der Evolution" (siehe dazu auch > hier). Über die Veränderung dieses Satzes durch einen anderen Evolutionsbiologen zu "Nichts in den Geisteswissenschaften macht Sinn außer im Licht der Biologie" war ich damals nicht sehr angetan. Nun scheinen wir umgekehrt soweit, dass doch auch viele GeisteswissenschaftlerINNEN direkt oder indirekt behaupten, dass nichts in den Naturwissenschaften Sinn mache außer vielleicht im Licht der Geisteswissenschaften. Das alles ist nicht sehr hilfreich für wissenschaftlich zu bearbeitende Themen, die immer komplexer werden und interdisziplinär-systemischen Zugang notwendig haben. Wollen wir hoffen, dass Natur- und Geisteswissenschaften weiter und wieder besser ins konstruktive Gespräch kommen und dabei insbesondere die Möglichkeiten,  Grenzen und Kooperationsfähigkeit ihrer jeweiligen Ansätze gewinnbringend miteinander diskutieren. Erfreulicherweise gibt es auch dafür viele positive Beispiele.

Kleiner Nachtrag vom 16.6.2013: Ich hatte das Vergnügen auf einem dieser positiven Beispiele in den letzten beiden Tagen dabei sein zu dürfen: Die Tagung "Culture and the Anthropocene), veranstaltet vom Rachel Carson Center und dem A.v.Humboldt Transatlantic Network in the Environmental Humanities. Viel gegenseitig gelernt. Das Programm gibt es > hier.




Sonntag, 14. April 2013

Debatte um Kreationismus an Bekenntnisschulen

Foto: picture alliance / Mary Evans Pi, aus DIE WELT
Vor kurzem hatte ich ein Gespräch mit dem Journalisten Matthias Kamann zum Thema Kreationismus an deutschen Schulen, daraus resultierten Zitate (von mir freigegeben) in einem Artikel der letzten Freitag in DIE WELT, Berliner Morgenpost und Hamburger Morgenpost im politischen Teil der Zeitungen sowie zusätzlich als online-Version erschien, und für einigen Wirbel sorgt. Interessant sind auch die Internet-Reaktionen darauf, die - neben viel Zustimmung und "Teilen" des Artikels auf verschiedensten Webseiten und in Facebook - auf typische Muster der Ablehnung weisen. Grund genug, eine kleine Doku als Blogeintrag zu verfassen.






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Hier der Einstieg zum Artikel in DIE WELT (vom 11.4.2013):

"Debatte um Kreationismus an Bekenntnisschulen (von Matthias Kamann)

Mehr als Philosophie? Der Verband evangelischer Bekenntnisschulen will die Naturwissenschaften für religiöse Deutungen öffnen. Wissenschaftler, evangelische Kirche und Schulministerien sind alarmiert.
Reinhold Leinfelder ist kein Gegner des Glaubens. Der Professor für Paläontologie und Geobiologie an der Freien Universität Berlin plädiert für konfessionellen Religionsunterricht. Und obwohl er in seiner Zeit als Generaldirektor des Berliner Naturkundemuseums (2006 bis 2010) viel mit bibeltreuen Gegnern der Evolutionstheorie stritt, sagt der 56-Jährige: "Gegen eine geeignete Behandlung der biblischen Schöpfungslehre im Schulunterricht ist nichts einzuwenden."
Scharf aber kritisiert er eine "Stellungnahme" zu "Evolution und Schöpfungslehre", die auf der Homepage des Verbandes Evangelischer Bekenntnisschulen (VEBS) steht. Hier würden "Schüler in grotesker Weise falsch über das Wesen der Wissenschaft unterrichtet", sagte Leinfelder der "Welt".
" ... >> zum ganzen Artikel

Neben vielen zustimmenden Kommentaren finden sich in der WELT.de-Version auch viele ablehnende Kommentare. Die Kommentarfunktion wurde nach kurzer Zeit von der WELT-online Redaktion geschlossen. Einige Beispiele im Nachfolgenden.

Kommentar-Typus: Religion ist insgesamt Ausdruck von Blödheit:

User "Gesunder Menschenverstand":  "Gegen eine geeignete Behandlung der biblischen Schöpfungslehre im Schulunterricht ist nichts einzuwenden."
Ab da kann man eigentlich nur noch den Kopf schütteln. Religiöse Lehren haben in einem säkularisierten Land nichts, aber auch garnichts im öffentlichen Raum verloren. Sinnvoll wäre es anstatt von Religionsunterricht, verpflichtend für alle ein Fach gemischt aus Ethik und Philosophie einzuführen."

Kommentar-Typus: Evolution ist Religion:

User "Terms": "Wenn die Evolutionstheorie als Theorie gelehrt würde, wäre das in Ordnung. Wird sie aber nicht. Die Evolution wird gewöhnlich als Tatsache dargestellt. Auch von Wissenschaftlern. Dieses Verhalten ist unwissenschaftlich und Folge von Eitelkeit oder einer Weltanschauung, die ohne "Evolution" nicht auskommt. Wo ist dann der Unterschied zu "Glauben"?"

User "Matti": "Es ist interessant mit welchem talibanisch missionarischem Eifer die Evolutionsgläubigen die Wissenschaft für ihre Ideologie mißbrauchen. Keine Fakten, keine "missing links", wie von Darwin vorhergesagt, nichts, was auf Evolution auch nur im Entferntesten hindeutet, aber dogmatisch an dieser Hypothese festhalten.
Vielleicht sollte man mal ein kleines update machen und die Relativitätstheorie in die biblische Schöpfungsgeschichte mit einbeziehen. Dann ist der Schöpfungsbericht der Bibel nähmlich hoch wissenschaftlich. ..."

Kommentar-Typus: Klimawissenschaften sind Religion:

User "Real Tritium": ""Der Verband evangelischer Bekenntnisschulen will die Naturwissenschaften für religiöse Deutungen öffnen" Na und?
Das machen die Grünen doch schon Jahrzehnte lang.
Oder will jemand ernsthaft behaupten, die Weltuntergangspropezeiungen von der Klima-Hölle und all der andere Unfug hätten was mit Wissenschaft zu tun? Richtig. "The Church of Global Warming" ist schon längst in Schulen aktiv."

User "Real Tritium": "...Märchenfilmen wie z.B. 'Eine unbequeme Wahrheit' von Al Gore.
Was die Grünen da machen ist von viel grösserer Relevanz als dieses absolute Nischenprodukt 'Kreationismus' denn die Grünen fordern unverholen den 'Gottesstaat', in dem alle gezwungen werden, den einen alleinseigmachenden Öko-Katechismus zu befolgen."

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Auf dem Blog der deutschen Brights-Gruppe wurde der Artikel der WELT ebenfalls gepostet. Auch hier z.T. erwartbare Kommentare:

Kommentar-Typus: Wer Religion nicht komplett ablehnt ist ein Religiot

User "Rolo": "So langsam sollte sich der Prof. mal entscheiden. Scheinbar weiß er nicht so genau, was er eigentlich will ? (Ist allerdings typisch für gebildete Religioten.)"

Immerhin verteidigt mich User (und Blogbetreiber) "Nickpol": @Rolo, wenn du Reinhold Leinfelder meinst irrst du gewaltig, er ist kein Religiot. Ich sags mal mit Vollmer: "Gerhard Vollmer: Da Naturalisten die Existenz Gottes nicht voraussetzen wollen oder sogar bestreiten; müssten sie somit in der beschreibenden oder der erklärenden Ebene stecken bleiben und dürften niemals zur Formulierung oder gar zur Begründung von Normen kommen."

Rolo entgegnet: "@Nickpol. Warum hat er dann nichts gegen die biblische Schöpfungslehre und das sie Schülern weiterhin untergejubelt werden soll ? Seine Entscheidung sollte zugunsten des menschlichen Verstandes, nicht zur Unterstützung der Verbreitung von steinzeitlichen Ammenmärchen erfolgen. Da wünschte ich mir eine konsequentere Einstellung. "

Tja, das kenne ich noch aus dem Darwin-Jahr, damals hatte mir die Giordano-Bruno-Stiftung die Halbierung Darwins vorgeworfen. Natürlich will ich nicht, dass die biblische Schöpfungslehre den Schülern "untergejubelt" wird, gar noch im Biologieunterricht. Nein, die biblische Schöpfungsgeschichte ist eine wortgewaltige Sinn-Metapher, deren Behandlung im Religionsunterricht sicherlich Sinn machen kann, sofern auch dort klar gestellt wird, dass sie eben kein naturwissenschaftlicher Bericht ist.

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Das Christliche Medienmagazin Pro, herausgeben von dem aus aus der ehemaligen  "Konferenz evangelikaler Publizisten (KEP") hervorgegangenen "Christlichen Medienverbund KEP e.V." berichtet ebenfalls umfassend. Diese Berichterstattung ist betont unaufgeregt, aber nichts destoweniger mit den von mir kritisierten Empfehlungen des Verbandes Evangelischer Bekenntisschulen (VEBS) konform gehend. Subtil werden Verteidigung mit Angriffen verbunden. Einige Beispiele (Zitate kursiv, meine Kommentare Normalschrift):

"Der Text stammt vom Theologen und ehemaligem Gymnasiallehrer für Biologie und Mathematik Reinhard Junker. Er ist Geschäftsführer der Studiengemeinschaft Wort und Wissen, welche die auf der Bibel gründende Schöpfungslehre den Aussagen der Evolutionstheorie gegenüber stellt. Die Mitglieder sind der Meinung, dass die heute noch bestehende Monopolstellung der Evolutionslehre beim derzeitigen Stand der Forschung mit wissenschaftlichen Argumenten nicht zu rechtfertigen ist."

Hier erscheint Pro wichtig, herauszustellen, dass Reinhard Junker auch Biologe ist. Das ist durchaus legitim. Forschend war er in der Biologie allerdings meines Wissens nicht aktiv (die in den Organen von Wort und Wissen erschienenen Artikel kann ich nicht als biologische Forschung bezeichnen). Ansonsten wird bekräftigt, dass die Evolutionslehre gleichberechtigt einer (biologisch angesehenen) Schöpfungslehre gegenübergestellt werden müsste und dass die Evolutionslehre wissenschaftlich nicht begründbar sei. Was für diese Einschätzung spricht wird natürlich nicht angegeben, denn es würde ja auch nicht standhalten.

"Die Naturwissenschaft hat hier die Rolle des Indizienlieferanten. Indizien  sind in der Regel aber nicht eindeutig. Eine Offenheit für verschiedene Deutungen ist daher gefordert.“ Eine übernatürliche Schöpfung wird als Ausgangspunkt für die Deutung naturwissenschaftlicher Daten deklariert. Weiter fordert Junkers Schrift die sachgemäße Darstellung der Evolutionstheorie im Unterricht. „Dabei soll den staatlichen Bildungsplänen Rechnung getragen werden“, betont die Empfehlung für die Schulen. „Ziel ist, den Schülern ein eigenes Urteil zu ermöglichen auf der Basis einer ausgewogenen Darstellung der biblischen Zusammenhänge einerseits und der naturwissenschaftlichen Daten und Theorien andererseits.“ Betont wird zudem eine „unideologische Vorgehensweise“. Das solle jedoch in beide Richtungen gelten: „Der prinzipielle Ausschluss von anderen Antworttypen als Evolution, also die Festlegung auf Evolution, ist Ausdruck einer Ideologisierung.“"

Hier geht es zunächst weiter mit der subtilen Diskreditierung der Naturwissenschaften, sie wird auf einen Indizienlieferanten reduziert. Die Deutung, also die wissenschaftliche Theorie sei dann offen zu halten. Eine übernatürliche Schöpfung sei also damit  automatisch eine wissenschaftliche Theorie, in die dann die naturwissenschaftlichen Daten eingefügt werden. Von auf Daten basierender Hypothesenbildung, Test dieser Hypothese mit weiteren Daten, Erweiterung der Hypothese und weiterer Hypothesen zu einer wissenschaftlichen Theorie unter Test der Kompatibilität aller Daten mit diesen Hypothesen, weiterem Test mit verschiedensten Methoden ist nichts zu hören, all diese wichtigen Methoden der Wissenschaft werden einfach ausgeblendet. Übrigens begann Darwin mit einer derartigen Überlegung, er war ja vor seinen Studien streng religiös und meinte, den Gottesbeweis aus den Biodiversitätsdaten gewinnen zu können. Er merkte allerdings recht bald, dass man nicht mit einer glaubensbasierten, vorgegebenen Theorie ("Physikotheologie") arbeiten kann - der Ausgang ist bekannt...
Extrem kritisch ist zu bewerten, dass dann die Schüler angeblich selbst entscheiden sollen, ob naturwissenschaftliche Theorien oder schwurbelige pseudowissenschaftliche Thesen, zu denen sinngebende Glaubensinhalte pseudowissenschaftlich und natürlich ungerechtfertigterweise zweckentfremdet werden, richtiger seien. Das ganze soll dann auch noch unideologisch sein, sehr interessante Position...

"Wissenschaft sei nicht bloß eine „Philosophie, eine Art Weltanschauung“, wie von Junker behauptet, und es könne keine „Harmonisierungsmöglichkeiten“ zwischen Wissenschaft und religiösen Anschauungen geben. Denn Wissenschaft und Religion seien „zwei völlig unterschiedliche Kategorien, die nicht dasselbe beschreiben“, fuhr Leinfelder fort. „Wenn die Evolutionstheorie bestimmte Phänomene nicht erklären kann oder Lücken in der Befundlage feststellt – was zum täglichen Brot der Wissenschaft gehört –, dann muss weiter geforscht, müssen die Hypothesen überprüft werden. Es besteht aber keinerlei Anlass, den Glauben in die Lücken springen zu lassen.“ Junker hat in früheren Texten für „Wort und Wissen“ bereits zu diesem Vorwurf Stellung bezogen.
... die Argumentation lautet umgekehrt: Weil zuerst dem biblischen Schöpfungszeugnis geglaubt wird, stellt sich als zweites die Frage, ob und wie Gottes Schöpfungshandeln an den Dingen erkennbar ist, die er durch sein Wort, durch Kraft, Weisheit und Einsicht geschaffen hat.“ Viele Phänomene könnten „besser verstanden werden, wenn man einen Schöpfer annimmt, als wenn es nur ungerichtete Naturprozesse gäbe.“ ... Auch eine mögliche Kritik hat Junker in seinem Text antizipiert. In seiner VEBS-Empfehlung schreibt er: „In der Öffentlichkeit wird behauptet, eine kritische Behandlung von Evolutionstheorien und die Erörterung von Schöpfungs-Alternativen sei gefährlich. Diese Gefahr wird oft nicht konkretisiert, wenn doch, wird eine Wissenschaftsfeindlichkeit von Evolutionskritikern und Befürwortern der biblischen Schöpfungslehre behauptet.


Das meiste hierzu ist oben bereits gesagt. Nochmals: so herum ist es keine Wissenschaft: Die Bibel als Test für naturwissenschaftliche Theorien zu nehmen ist geradezu grotesk. Wenn es nicht passt, ist es nicht mehr wissenschaftlich, dann versteht man es eben besser, wenn man einen Schöpfer annimmt. Die Unterstellung, dass nie konkretisiert würde, warum es gefährlich sei, Schöpfungs-Alternativen im Biologieunterricht zu behandeln, ist natürlich ebenfalls gegenstandslos. Bei mir ist dies z.B. Thema von sehr vielen Publikationen und Stellungnahmen, Herr Junker braucht nur diesen Blog zu durchsuchen (siehe auch Links unten) oder in mein Literaturverzeichnis zu schauen. Auf den Punkt gebracht: zur Lösung unserer gesellschaftlichen und umweltrelevanten Probleme benötigen wir eine Wissensgesellschaft, hierzu ist es notwendig, zu verstehen wie Wissenschaft funktioniert, was sie leisten kann und was nicht. Eine Beliebigkeit, wie etwa der verständliche Wunsch lieber keine ungerichteten Naturprozesse zu haben, ist eben nicht mit Wissenschaft vereinbar und damit kontraproduktiv für das Verständnis von Wissenschaft. Gefährlich ist diese Argumentation eben auch, weil sie ein "entweder-oder" herbeiredet, am Ende der Abwägung im Unterricht wird zu entscheiden sein - entweder Wissenschaft oder Glaube haben recht. Dass beide parallel bestehen können, sofern sich beide auf ihre Zuständigkeiten zurückziehen - Wissenschaft zur funktionellen Erklärung der Natur, Religion oder Philosophie für Sinnfragen, die über naturwissenschaftliche Erklärungen hinausgehen - wird mit einer kreationistischen Sicht unterbunden. Kreationismus greift damit insbesondere eine moderne Theologie an.

"Auch die Senatsverwaltung für Bildung in Berlin, wo es eine VEBS-Mitgliedschule gibt, sieht jene „Ausführungen zur Evolution und Schöpfungslehre an christlichen Bekenntnisschulen als durch das Gesetz gedeckt“ an."

Das ist allerdings für mich kaum verständlich. Die Corrie-ten-Boom-Realschule hatte über viele Jahre ihr entsprechendes kreationistisches Konzept für den Biologieunterricht, ganz im Sinne der VEBS-Stellungnahme auf ihrer Webseite (inzwischen verschwunden). Mir ist vollkommen unverständlich, wie diese Schule staatlich anerkannt sein kann. Ich bin gerade deshalb für freiwilligen staatlichen Religionsunterricht, damit fundamentalistischen Strömungen Einhalt geboten werden kann, dass ausgerechnet in Berlin kreationistischer Einfluss im Biologieunterricht möglich ist, ist mir nicht nachvollziehbar.

>> zum gesamten Artikel im Christlichen Medienmagazin Pro

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Fazit: nix Neues auf der Bühne. Die deutschen Kreationisten bauen mit subtilen Methoden, aber dennoch vehement auch ihren Einfluss im Schulunterricht weiter aus, die zuständigen Behörden verstehen teilweise gar nicht, worum es geht, eine differenzierte Meinung, die für diejenigen, denen Religion sinnstiftend durch das Leben hilft und die dennoch mit der wissenschaftlichen Tatsache der Evolution keine Probleme haben, resultiert in Prügel von mehreren Seiten, sowohl von Ultraatheisten, für die Religion die Wurzel fast aller Übel darstellt und denen ich daher nicht weit genug gehe (- es gibt natürlich auch sehr viele Atheisten, die selbstverständlich akzeptieren, dass es auch Agnostiker und aufgeklärte Religiöse gibt und geben darf - ), und die Kreationisten, die teils subtil, teils vehement (siehe zitierte Kommentare) gegen die Wissenschaft schießen. Auch meine frühere Einschätzung, dass es durchaus Beziehungen zwischen der Argumentation von Evolutionsleugnern und Klimaleugnern gibt (wobei die Gruppen häufig nicht übereinstimmen und auch die Interessenlagen durchaus unterschiedlich sind), ist wohl wieder einmal substanziiert worden.

Abschließend noch ein paar ausgewählte Links zu früheren Beiträgen aus diesem Blog zum Thema:

>> Glauben und Naturwissenschaft - ein Schülerartikel
>> Buch: Darwin und kein Ende
>> Nun auch noch Biodiversitätsskeptiker?
>> Evolution und Klima - Skeptiker überall
>> Darwin und Weltbilder ein Jahr später - gibt es ein Fazit (zum Darwinjahr 2009)?
>> Adam, Eva und die Evolution - Kreationismus auf dem Vormarsch
>> Darwin - verbannt, missbraucht, halbiert, vergöttert?
>> Jede Menge Eigentore - das muss man doch mal aufschreiben!
>> Kreationisten und Schildkröten
>> Leitplanken für den Werteunterricht
>>So zitieren Kreationisten - Archaeopteryx und Jura-Korallen
>> Wir sind kein reiner Zufall – oder doch? Zur Sprachverwirrung zwischen Naturwissenschaftlern und Theologen
>> Einladung an kreationistische Schule zu einem Besuch des Museums für Naturkunde
>> Instrumentalisierung von Darwin durch religionskritische Stiftung?
>> Die Evolutionstheorie im Jahre 200 nach Darwin
>> Fossiler Schlangenfund bestätigt die Kreationisten?

Damit wird es für diejenigen, die damit Schwierigkeiten haben, hoffentlich möglich sein, meine Positionen einzuschätzen. Das eine oder andere hätte ich heute vielleicht anders geschrieben, vielleicht hat sich auch meine Meinung dazu teilweise modifiziert. Dennoch stehe ich selbstverständlich zu allen Beiträgen.

Nachtrag vom 16.4. Stellungnahme der EKD mit sehr deutlicher Distanzierung.















Freitag, 12. April 2013

Server down

--- in eigener Sache ---

Wir hatten einen Servercrash, wodurch etliche Angebote vorübergehend nicht mehr erreichbar waren. Inzwischen ist vieles auf einen neuen Server umgezogen, so dass alle Angebote wieder funktionieren sollten, dies betrifft insb.
www.reinhold-leinfelder.de
www.riffe.de
www.palaeo.de, u.a. mit
www.palaeo.de/kreationismus
www.palaeo.de/jrp
www.palaeo.de/edu

Allerdings ist palaeo.de/tv nach wie vor nicht erreichbar (denn die Fülle der dort abgelegten Videos passt nicht auf den neuen Serveranteil. Wir werden dieses Angebot entsprechend umbauen, dabei die Filme in youtube einstellen, aber dies wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen).
Ähnliches gilt für
www.palaeo.de/multimediakurs , der ebenfalls einfach zu umfangreich ist.

Vielen Dank für Ihr Verständnis

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Unfortunately, the following services are presently not available owing to a server crash.

www.palaeo.de (incl. all subservices such as  www.palaeo.de/edu, palaeo.de/jrp palaeo.de/riffschulbuch or www.palaeo.de/kreationismus)

We are working on a solution, which will take some time though (due to adapting all web services and shifting them to another university server).

(www.riffe.de as well as www.reinhold-leinfelder.de have been fixed up meanwhile and are again available)

Many thanks for your understanding.


Reinhold Leinfelder,  12. Juli 2013

Mittwoch, 6. Februar 2013

Adnan Oktar ist wieder da

Adnan Oktar, aka Harun Yahya ist u.a. ein türkischer Fundamentalkreationist, der u.a. durch seinen "Atlas der Schöpfung" bekannt wurde. Dieser Blog hat umfassend über seine früheren Aktivitäten berichtet (z.B. hier, hier oder hier. Zwischenzeitlich schien es stiller um ihn geworden zu sein, aber weit gefehlt, hier ist er wieder. Näheres dazu im nachfolgenden Artikel:


aus DIE WELT vom 5.2.2013

Mit Busen und Blondinen gegen Darwin
Im türkischen Sender "A9 TV" wird die Evolutionstheorie widerlegt


Von Til Biermann

Sex sells! Darauf setzt Senderchef Adnan Oktar, um seine kruden Ideen zu verbreiten

Vier stark geschminkte, großbrüstige Wasserstoffblondinen sitzen in einer Talkshow. Sie wollen in gebrochenem Deutsch beweisen, dass Charles Darwin mit seiner Evolutionstheorie Unrecht hatte. Es ist ein besonders bizarres Beispiel aus dem Reich der religiösen Propaganda: Schöpfungstheorien werden so vom türkischen, seit 2011 bestehenden Satelliten- und Streaming-Sender "A9 TV" westlich verpackt an die Gläubigen gebracht – auf Türkisch, Englisch, Französisch, Deutsch, Russisch und Aserbaidschanisch. Der dazugehörige Youtube-Kanal "Yaratilistr" verzeichnet fast 20.000 Abonnenten und über 67 Millionen Videoaufrufe.

So sitzen dann jene Damen vor goldverzierten Tapeten und lesen ihr Gespräch vom Teleprompter ab. Moderatorin Merve – pinke Lippen, schwarzer Lidschatten, gelb untermalte Augenbrauen – erklärt dann zum Beispiel: "Wir alle wissen, dass es Leute gibt, die sagen, dass alle lebendigen Dinge auf der Erde, also das Universum, die Sterne, Berge, Bäume, Fische, Insekten, Vögel, durch Zufall ins Dasein geriet."

Didem liest mit ihren tiefroten Lippen und großen grünen Augen hochkonzentriert das Fazit ab: "Jeder, der vernünftig und gewissenhaft nachdenkt, ohne sich von einer vorgefassten Meinung beeinflussen zu lassen, wird sofort erkennen, dass der Mensch und die anderen Lebewesen nicht das Werk eines Zufalls sein können." ....
(> weiterlesen im Originalartikel)
(> oder hier zur bebilderten Version)

Dienstag, 5. Februar 2013

Transformations-(R)Evolution

Hier ein Hinweis auf unser demnächst erscheinendes Comic-Buch. Es handelt von geologischer, biologischer und kultureller Evolution, insbesondere aber von der nächsten großen (R)Evolution, der Großen Transformation zur Nachhaltigkeit.

aus http://www.die-grosse-transformation.de:


Das Erscheinen unseres Buchs rückt immer näher! Am 1.3. 2013 werden wir es in Berlin vorstellen. Hier die Ankündigung gemeinsam mit dem Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) und dem Verlag Jacoby & Stuart:

Der Comic "Die Große Transformation" basiert auf dem WBGU-Gutachten „Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“. In neun Episoden thematisieren die Mitglieder des WBGU als Comic-Helden die Große Transformation zur klimaverträglichen, nachhaltigen Gesellschaft. Das Buch ist Teil eines vom BMBF geförderten Kommunikationsprojekts zur Bewertung alternativer Wissenstransferansätze für komplexe Zukunftsthemen.

1. März 2013, 12.30–13.30 Uhr 

Deutsches Theater (Saal), Schumannstraße 13a, 10117 Berlin


Programm

  • Begrüßung
  • Grußwort: Wilfried Kraus, Leiter der Unterabteilung Nachhaltigkeit,
    Klima, Energie im BMBF
  • Edmund Jacoby, Verlagsleiter: zum Buch
  • Vorstellung des Comic durch die WBGU-Mitglieder Reinhold Leinfelder,
    Stefan Rahmstorf und Jürgen Schmid
  • Fragen und Antworten
Neben den Herausgebern werden auch Vertreter des Illustratorenteams anwesend sein.

Anschließend Imbiss

Anmeldung erforderlich unter: http://www.wbgu.de/anmeldung-comic-2013/

A. Hamann, C. Zea-Schmidt, R. Leinfelder (Hrsg.)(2013)
Die große Transformation Klima – Kriegen wir die Kurve?
144 Seiten, € 14,95,  ISBN 978-3-941087-23-1
www.die-grosse-transformation.de

> Weitere Infos zum Buch siehe hier.