Montag, 23. Februar 2009

Die Evolutionstheorie im Jahr 200 nach Darwin

Auszüge aus dem Leitartikel in "Politik und Kultur - Zeitung des Deutschen Kulturrates", 02/09 (März/April 2009). >> ganzen Artikel lesen (S. 1 und 2)

23.2.2009: Am 12. Februar jährte sich der zweihundertste Geburtstag des großen Naturforschers Charles Darwin, am 24. November 1859 wurde sein Weltbild prägendes Werk „Über die Entstehung der
Arten“ publiziert. Im Unterschied zu vielen anderen Themenjahren, die wegen ihres inflationären Charakters oft kaum wahrgenommen werden, startete die Berichterstattung zum Darwin-Jahr schon mit deutlichem Vorlauf. Unzählige Medienbeiträge und neue Darwin-Bücher wurden zwischenzeitlich publiziert. Verglichen mit dem Darwin-Jahr war sogar die Berichterstattung zur vorjährigen großen deutschen UN-Konferenz zur Biologischen Vielfalt kaum wahrnehmbar, obwohl dort wesentliche, uns alle angehende Zukunftsfragen verhandelt wurden. Nun, die Titel der Medienberichte weisen schon auf den Grund der geschärften Darwin- Wahrnehmung hin: Darwin war, je nach Lesart, sowohl genialer Geist und Revolutionär unseres Weltbildes wie auch Gotteslästerer, Kaplan des Teufels und natürlich vor allem derjenige, der den Mensch angeblich zum Affen machte. Es ging also damals, aber offensichtlich auch immer noch heute um unser Menschenbild. Wer lässt sich schon gerne zum Affen machen?


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Tatsächlich sind die Evolutionswissenschaften deshalb immer noch Anfeindungen ausgesetzt. Immerhin, laut einer Science-Umfrage aus dem Jahre 2006 liegen wir mit 75% Akzeptanz der Evolutionswissenschaften auf Platz 10, USA mit nur 40% auf dem 33. Platz direkt vor Schlusslicht Türkei. Heureka! Aber auch bei uns gibt es keinen Grund zur Entwarnung.

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Immerhin, die großen Kirchen haben längst erkannt, dass die vom Kreationismus ausgehende Gefahr weniger die Naturwissenschaften als vielmehr sie selbst gefährdet.
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Allerdings kann der Skandal um die Ex–Exkommunizierung der Lefebvre-Sekte wieder denjenigen Argumente liefern, welche die katholische Kirche als ewig gestrig ansehen, denn erst seit auch die deutschen Pius-Brüder wieder im Fokus stehen, haben sie ein sehr ärgerliches Kreationistenvideo von ihren Webseiten entfernt.

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Dass Naturwissenschaften und Gottesglaube sich nicht ausschließen, sehen allerdings nicht alle so.
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Wie es nicht DIE Religion gibt, gibt es auch nicht DEN Atheismus. Eine Bewegung im gedanklichen Gefolge von Dawkins nennt sich „neue Atheisten“, manche bezeichnen sich auch gerne auch mal „Antitheisten“ oder sogar als„Krawallatheisten“. Diese „neuen Atheisten“ behaupten, dass die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse eindeutig einen Monismus belegen, bei dem kein Platz für eine abgetrennte geistige, gar transzendentale Ebene bliebe. Während methodischer Naturalismus natürlich die einzig mögliche Arbeitsweise in den Naturwissenschaften darstellt, ist ein ontologischer Naturalismus mit Allerklärungsanspruch allerdings eine Glaubensangelegenheit, selbstverständlich vertretbar, nur missionarisch sollte er eben nicht daher kommen und kausal aus den Naturwissenschaften ableitbar ist er auch nicht. Bedenken dürfen deshalb durchaus erlaubt sein, wenn ein modernes naturwissenschaftliches Weltbild in einen „Universaldarwinismus“ transformiert wird, aus dem auch noch, mit wissenschaftlichem Anspruch ein „evolutionärer Humanismus“ abgeleitet wird. Hierbei sei der biologische Eigennutz ein grundlegendes Prinzip auch des menschlichen Lebens, der Mensch kenne kein Gut und Böse, und Moralisieren sei dem gemäß eher eine Unart. Im Notfall könne man sogar betrügen, stehlen und töten, falls es keine anderen Möglichkeiten gibt, die Ideale der Humanität durchzusetzen. Fragt sich nur wie diese Ideale definiert sind.


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Um in einer globalisierten Welt friedlich zusammenzuleben, müssen wir erforschen, wie biologisches und kulturelles Erbe interagieren, deshalb müssen Naturwissenschaften und Kulturwissenschaften integrativ und eng zusammenarbeiten. Erst dann setzen wir Darwins Erbe wirklich universell und nachhaltig um.


Reinhold Leinfelder

Auszüge aus dem Leitartikel in "Politik und Kultur - Zeitung des Deutschen Kulturrates", 02/09 (März/April 2009). >> ganzen Artikel lesen (S. 1 und 2)

(haben Sie die Objekte auf den Bildern erkannt? Oberes Bild: Makroaufnahme eines angewitterten Ammoniten, mit Blick in den Gehäuseumgang. Unteres Bild: Nahaufnahme eines Nashornkäfers)

Samstag, 21. Februar 2009

Die Geschiche der Evolutionstheorie in aller Kürze

Gastbeitrag von Dr. Martina Kölbl-Ebert, Direktorin des Jura-Museums Eichstätt.

Aus der Rede von Frau Dr. Kölbl Ebert zur Vernissage der Ausstellung „Schöpferische Evolution – Charles Darwin zum 200. Geburtstag“ am 12. Februar 2009 im Jura-Museum Eichstätt.


Liebe Freunde und Förderer des Jura-Museums Eichstätt,

heute vor 200. Jahren wurde Charles Darwin geboren, dessen Forschungsarbeiten zur Biologie und Abstammung unser Weltbild ähnlich nachhaltig beeinflusst haben wie etwa Nikolaus Kopernikus. Die Dauerausstellung des Jura-Museums, wie die eines jeden Naturkundemuseums, ist so durchtränkt von Forschungsergebnissen Darwins und seiner Nachfolger, dass sie ohne diese gar nicht denkbar wäre.

Charles Darwin (1809-1882) wollte eigentlich in Edinburgh Medizin studieren, aber die Operationen, die damals noch ohne Narkose durchgeführt werden mussten, entsetzten ihn zutiefst. Der Vater, ein Arzt, schickte Charles daraufhin zum Studium der Theologie nach Cambridge, wo er dann allerdings an zwei anglikanische Geistliche und Professoren geriet, Adam Sedgwick (1785-1873) und John Stevens Henslow (1796-1861), die ihn in seiner Neigung für Naturkunde bestärkten, die damals als Teil der theologischen Ausbildung gelehrt wurde.
Nach dem Abschluss in Cambridge plante Darwin eine Reise zu den Kanarischen Inseln gemeinsam mit einem Freund, um die dortige Geologie, Fauna und Flora kennen zu lernen. Die Vorbereitungen waren weit gediehen; Darwin hatte u a. einen geologischen Crashkurs durch Sedgwick erhalten, als plötzlich und unerwartet der Freund starb und so der Traum von einer exotischen Reise zusammenbrach.
So kehrte Darwin 1831 nach Hause zurück. Derweil war Prof. Henslow gefragt worden, ob er nicht als Gesellschafter von Kapitän FitzRoy an der Schiffreise teilnehmen wollte. Die Besatzung der „Beagle“ hatte den Auftrag die Küsten Patagoniens, Feuerlands, Chiles, Perus sowie einiger pazifischer Inseln zu vermessen und eine Anzahl von Chronometerstationen rings um die Erde einzurichten.
Henslow, frisch verheiratet und mit einem stabilen Job in Cambridge, konnte sich dies jedoch nicht erlauben und reichte die Einladung an Darwin weiter. Die am Ende fünf Jahre dauernde Reise war das wichtigste Ereignis in Darwins Leben. Als Darwin heimkehrte, hatte er Unmengen Material gesammelt, dessen Auswertung ihn sein Leben lang beschäftigte und unter anderem zu seinen berühmten Büchern „Über die Entstehung der Arten“ (1859) und „Die Abstammung des Menschen“ (1871) führte.
Bereits in den späten 1830er Jahren formulierte Darwin seine Ideen zur Evolution und gemeinsamen Abstammung aller Lebewesen, scheute sich jedoch lange Zeit davor, an die Öffentlichkeit zu treten. Hinzu kamen Gesundheitsprobleme, die Darwins gesamtes weiteres Leben überschatten sollten.
Doch es waren keine verlorenen Jahre. Darwin beschäftigte sich mit der Auswertung seiner Reisemitbringsel, er festigte seinen Ruf als Biologe – galt er doch ursprünglich als Geologe – indem er ein umfangreiches Grundlagenwerk über Seepocken schrieb und er sammelte unzählige Indizien zur Veränderlichkeit von Arten.
Geplant hatte Darwin ein mehrbändiges Werk zur Evolution, politisch schien ihm die Zeit jedoch nie richtig reif. 1858 schließlich erhielt Darwin einen Brief von Alfred Russel Wallace, Forschungsreisender in Malaysia, der Darwin mit Vogelpräparaten für seine Untersuchungen versorgt hatte. Dieser Brief enthielt die Skizze einer Evolutionstheorie. Zu Darwins nicht gelindem Schrecken war sie nahezu identisch zu seinen eigenen Vorstellungen. Der Geologe Ch. Lyell und der Botaniker J. D. Hooker organisierten die gemeinsame Vorstellung der Theorie von Darwin und Wallace am 1. Juli 1858 bei einer Sondersitzung der Linnean Society in London.
Darwin begann daraufhin mit der Arbeit an seinem Buch über die Entstehung der Arten. Wallace hingegen fuhr mit seinen Forschungsreisen fort und publizierte über Biogeographie.
Darwins Buch wurde nicht nur ein Bestseller sondern eines der einflussreichsten naturwissenschaftlichen Bücher aller Zeiten. Dennoch brauchte es Zeit, bis sich Darwins Ideen durchsetzten. Innerhalb weniger Jahrzehnte hatten die meisten Naturwissenschaftler die Realität von Evolution und gemeinsamer Abstammung der Arten akzeptiert. Der Mechanismus der natürlichen Auslese hatte es jedoch viel schwerer. Erst die Entdeckung der Gene und ihrer Mutationen im 20. Jahrhundert machte Natürliche Auslese nicht nur zu einer attraktiven sondern zu einer unvermeidbaren Erklärung.

Weder war Charles Darwin (1809-1882) der erste, der über das Phänomen Evolution nachdachte, noch war mit seinem Buch „Über die Entstehung der Arten“ (1859) das Thema erledigt.
Zu Darwins Quellen gehören die vielen Naturforscher, die seit der Renaissance gelernt hatten, überprüfbares Wissen über Anatomie, die Vielfalt der Lebewesen und die Entwicklungsgeschichte der Erde zusammenzutragen; Wissen, auf das Darwin im 19. Jahrhundert zurückgreifen konnte. Die Paläontologie etwa hatte gezeigt, dass die Lebewelt der Erde über die Jahrmillionen hinweg keine Konstante ist, sondern dass Tier- und Pflanzenformen im Laufe der Erdgeschichte einerseits neu auftraten und andererseits ausstarben.
Einer der ersten, von dem wir wissen, dass er konkrete evolutionäre Gedanken äußerte, war der Comte de Buffon (1707-1788). Wie zahlreiche andere Philosophen der Aufklärung nahm er eine spontane Lebensentstehung aus unorganischer Materie an. Die so entstandenen Lebewesen sollten sich durch Wanderbewegungen ihrer jeweils neuen Umgebung anpassen.
Um 1809 formulierte der sehr viel berühmtere Chevalier de Lamarck (1744-1829) seine Vorstellung von Evolution. Er ging davon aus, dass spontan entstehende primitive Lebensformen im Laufe der Zeit zu komplexeren Formen fortschritten. Er schlug vor, dass sich Körperteile durch Gebrauch und bewusstes Streben vergrößerten oder stärkten, während andere, ungenutzte verkümmerten. Diese veränderten Merkmale sollten sich an die Nachkommen vererben. Lamarcks Vorstellungen parallel verlaufender Entwicklungsreihen blieben bis ins 20. Jahrhundert populär, weil man erst danach zu verstehen begann, wie Vererbung funktioniert.
Als Darwin im Jahr 1859 mit seinem Buch die Biologie revolutionierte, geschah das also nicht aus heiterem Himmel. Vieles vom Rohmaterial für Darwins Theorie war bereits bekannt. Darwins Verdienst war es, zu zeigen, wie alle diese Hinweise die Evolution der Arten aus einem gemeinsamen Vorfahren nahe legten, das Bild des Stammbaums der Wirklichkeit also näher kam als Larmarcks Vorstellungen, und mit der Natürlichen Auslese einen plausiblen Mechanismus vorzuschlagen, der zur Evolution des Lebens führte und führt.
Was die Natürliche Auslese betraf, so hatten sich Darwin wie auch Wallace durch ein bevölkerungspolitisches Buch des anglikanischen Geistlichen Thomas Malthus (1766-1834) inspirieren lassen. Darin warnte Malthus vor einer Bevölkerungsexplosion durch zu zahlreiche Nachkommenschaft. Malthus wies darauf hin, dass es keine Chance gäbe, die landwirtschaftliche Produktion in ähnlichem Maße zu steigern, und dass die Menschen daher um die begrenzten Ressourcen konkurrieren müssten.
Während Darwin einen praktikablen Mechanismus für die beobachtete Evolution vorschlagen konnte, wusste er nicht, warum Nachkommen nicht einfach Kopien ihrer Eltern sind und wie veränderliche Merkmale an die nächste Generation weitergegeben werden konnten.
Erst im späten 19. Jahrhundert wurde der Zellkern entdeckt, der anfärbbare Strukturen enthielt. Diese „Chromosomen“, erkannte man um 1900, waren Träger der Erbsubstanz. Je ein halber Chromosomensatz bekamen die Nachkommen von Vater und Mutter. In dieselbe Zeit fällt die Wiederentdeckung der Mendelschen Regeln, die im Licht der neuen Erkenntnis interpretiert werden konnten. Thomas H. Morgan (1866-1945) entdeckte, wie Erbsubstanz durch äußere Einflüsse wie Röntgenstrahlung etc. mutierte und sich dabei einzelne Merkmale der Tiere änderten. So erkannte er, dass Merkmale durch bestimmte „Gene“ gesteuert wurden.
Etwa zur selben Zeit entwickelten Ronald Fisher (1890-1962), John B. S. Haldane (1892-1964) und Sewall Wright (1889-1988) mathematische Modelle, um die Ausbreitung von Merkmalen in ganzen Populationen zu beschreiben. Es gelang ihnen um 1924 zu zeigen, dass Evolution durch zufällige Mutationen und anschließende Auslese möglich war, ohne die Hilfe imaginärer treibender Kräfte wie sie Lamarck vorgeschlagen hatte.
Der nächste Schritt auf dem Weg zur modernen Synthese der Evolutionstheorie mit der Genetik war die Beantwortung der Frage, was Arten genetisch gesehen sind und wie sie entstehen. In den 1920er Jahren hatten Biologen noch angenommen, dass alle Mitglieder einer Art dieselben Gene besäßen. Theodosius Dobzhansky (1900-1975) entdeckte, dass sich verschiedene Wildpopulationen einer Fruchtfliegenart genetisch teils beträchtlich unterschieden, weil sie nicht im sexuellen Austausch miteinander stehen.
Ernst Mayr (1904-2005) kartierte derweil die Verbreitung von Paradiesvögeln in Südostasien, was sich als unbefriedigend erwies. Mayr erkannte, dass die Schwierigkeit, seine Vögel in „Schubladen“ zu sortieren eine Folge aktuell stattfindender Evolution und Artentstehung war. Variationen bildeten sich in unterschiedlichen Regionen des Verbreitungsgebietes, aber da die Populationen nicht voneinander isoliert waren, bildeten sie ein breites Kontinuum von Formen. 1942 argumentierte Mayr, dass geographische Isolation der wichtigste Faktor der Artentstehung sei. Dies gilt bis heute, auch wenn man mittlerweile weitere Faktoren kennt.
1953 gelang es Francis Crick (1916-2004) und James Watson (*1928) die Struktur der DNA zu entschlüsseln. Damit war erstmals klar, was eine Mutation konkret bedeutete. Nun konnte man auch Verwandtschaftsverhältnisse von Tier- und Pflanzenarten bestimmen, indem man direkt ihrer Erbanlagen analysierte.
Um 1966 entdeckte Lynn Margulis (*1938), dass neue Strukturen und Arten nicht nur durch Mutationen und natürliche Auslese entstehen konnten, sondern dass Zellorganellen der komplexen eukaryoten Zellen – Mitochondrien und Chloroplasten – ursprünglich selbständige Bakterien waren, die mit der Zelle in Symbiose leben.
Stephen Jay Gould (1941-2002) wies 1977 darauf hin, dass geringe Mutationen in Reglergene, die die Feinabstimmung der Embryonalentwicklung regeln, dramatische Auswirkungen auf die Gestalt des erwachsenen Organismus haben. Seither sind zahlreiche Reglergene identifiziert und ihre Wirkung untersucht worden. Insbesondere Christiane Nüsslein-Volhard (*1942) und Eric Frank Wieschaus (*1947) untersuchten Gene, welche im Ei von Fruchtfliegen die Anlage des Körperplans steuern. Sie entwickelten die Gradiententheorie, die darstellt, wie durch Stoffgradienten in der Eizelle und im Embryo die Aktivierung von Genen gesteuert wird, und zeigten Parallelen in der Embryonalentwicklung zwischen Insekten und Wirbeltieren auf.
Die Weiterentwicklung der Evolutionstheorie ist damit aber keineswegs abgeschlossen. Diese fortdauernde Forschung belegt die Nützlichkeit der Theorie, die erlaubt immer neue Fragen über das Was und Wie der Natur zu entwickeln und nach Antworten auf diese Fragen zu suchen.

Vielen Dank an Frau Dr. Kölbl-Ebert für diesen Gastbeitrag!

PS: zum zweiten Teil der Rede

Ausstellung „Schöpferische Evolution – Charles Darwin zum 200. Geburtstag“ vom 13.2.2009 - 10.1.2010 im Jura-Museum Eichstätt. Das Museum gehört zu den "Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns", diese sind Mitglied im Konsortium der "Deutschen Naturwissenschaftlichen Forschungssammlungen, DNFS.
Weitere Informationen zur Ausstellung

Sonntag, 15. Februar 2009

Darwin und der Valentinstag

Natürlich, es war ja zu erwarten gewesen, rund um den Tag der Verliebten, den Valentinstag am 14.2. gab es auch was zu Darwin zu berichten:

Relativ nüchtern und gesellschaftskritisch ging TELEPOLIS-Autorin Maria Benning vor. Sie schreibt heute zum Thema:
Wie der historische Charles Darwin zur Ehe kam. Eine Liebeserklärung als zweispaltige Tabelle.

Aus dem Text: ""Sie sieht wunderschön aus", begeistert er sich. Gemeint ist hier nicht etwa eine Frau, sondern die Beagle, das Schiff, mit dem er auf Weltreise ging. Für Darwin "das perfekteste Schiff, das jemals ein Dock verlassen hat".

Nicht annähernd so viel Leidenschaft bringt Darwin dem weiblichen Geschlecht entgegen: Für Frauen in die Welt auszuschwärmen, liegt ihm fern. Als 1839 endlich eine seine Aufmerksamkeit auf sich zieht, ist es seine Cousine Emma Wedgwood, eine junge Frau aus seinem unmittelbaren Dunstkreis. Darwin schreibt keinen Liebesbrief, er katalogisiert seine Gefühle in einer zweispaltigen Tabelle. Darin vergleicht er die Folgen des Heiratens mit denen des Nicht-Heiratens."
Sie zitiert dann Darwin mit seinem Resumee "Mein Gott, es ist unerträglich sich vorzustellen, dass man sein Leben wie eine geschlechtslose Arbeitsbiene verbringt. Stell dir den ganzen Tag vor in einem schmutzigen Haus. Halte das Bild einer sanften Frau dagegen. Also: Heiraten, heiraten, heiraten. Qed – quod erat demonstrandum.""

Maria Benning resümiert dann selbst:
"Der Werbende – meistens das Männchen – zeigt, dass er sich den Aufwand leisten kann. Das Weibchen hat die Wahl, so steht es in Darwins "Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl" . Wie frei Emma Wedgwoods "Female choice" tatsächlich war, darüber gibt die Ausstellung DARWIN – Reise zur Erkenntnis im Museum für Naturkunde in Berlin leider keine Auskunft." (> ganzen Artikel lesen).

Also, hier ist er doch, der Seitenhieb auf Darwin, ein arger Macho zu sein. Tatsächlich schrieb ja Barbara Dribbusch bereits zum Start des Darwin-Jahrs (am 2.1.09) in der taz, dass kein anderer Forscher die Geschlechterklischees so sehr geprägt hätte, wie Charles Darwin (> Artikel). Darwin schrieb nämlich in seinem Hauptwerk: "
Dabei komme auch die "geschlechtliche Selektion" zum Zuge. Diese sei ein "Kampf zwischen den Individuen des einen Geschlechts, meistens den Männchen, um den Besitz des anderen Geschlechts … Im Allgemeinen werden die kräftigsten, die ihre Stelle in der Natur am besten ausfüllenden Männchen die meiste Nachkommenschaft hinterlassen", so zitiert Dribbusch Darwin.
Darwin hat hier allerdings von Tieren gesprochen, das sollte man nicht vergessen, und erfreulicherweise endet Barbara Dribbusch auch mit der Bemerkung: "Von diesem Schlamassel ahnte Charles Darwin wohl nichts, als er vor mehr als 150 Jahren mit dem Tornister über die Galapagos-Inseln stapfte und dem Gesang der Finkenmännchen lauschte, die damit die Weibchen zu beeindrucken suchten. Er konnte nicht wissen, dass seine Thesen zu den "ewigen" Naturgesetzen auch in der Geschlechterfrage für vielfältige Versuchsanordnungen sorgten. Und sich damit als vielseitig verwendbar erwiesen. Das ist aber keine Frage der Biologie. Sondern eine der Kultur."


Übrigens, auch dies wird von Kreationisten ausgeschlachtet. Nach Harun Yahya, dem Autor des unsäglichen erzkreationistischen "Atlas der Schöpfung" ist ja die Evolutionstheorie nicht nur an Nazionalsozialismus, Stalinismus und heutigem Terrorismus schuld, sondern natürlich auch an der Frauendiskriminierung. Wenn Sie es nicht glauben sollten, schauen Sie hier (enter at your own risk)

Wirklich freundlich, aber vor allem auch gut recherchiert, geht Petra Werner an die Liebesgeschichte Darwins ran. Für die Neue Zürcher Zeitung schrieb sie anlässlich des bevorstehenden Valentinstag einen zum Schmunzeln anregenden Artikel unter dem Titel: "Eine Frau ist besser als ein Hund" - Heiraten war für den jungen Charles Darwin Kalkül und keine Frage der Liebe. Das änderte sich, als er seine Cousine Emma kennenlernte.

Aus dem Text: "Heirate oder heirate nicht – du wirst am Ende beides bereuen, prophezeite Sokrates. Der junge Charles Darwin entschied nüchterner als die meisten Menschen. Nach der Rückkehr von seiner Reise mit der «Beagle» zeichnete er einen horizontalen und einen verti-

kalen Strich und stellte Vor- und Nachteile des Heiratens einander gegenüber.
Die Vorteile klingen auch heute noch überzeugend: Man gewinnt jemanden, der «einen liebt». Auch dass die Frau «den Haushalt führe und weibliche Konversation», die Darwin «chitchat» nannte, sei nicht zu verachten.
Aber auch das Junggesellendasein hatte nach Darwins Ansicht so einiges für sich: «Gespräche mit intelligenten Männern in Clubs» zum Beispiel. Auch werde man «nicht genötigt, Verwandte zu besuchen und sich in jeder Kleinigkeit zu unterwerfen». Ein Junggeselle durfte sich frei fühlen, war für nichts verantwortlich und: Er hatte immer «genug Geld für neue Bücher». Niemand fragt: Wo kommst du her? Weisst du eigentlich, wie spät es ist?
Das klang verlockend, doch am Ende entschied sich Darwin doch für die Liebe. Er wollte nicht als Arbeitsbiene enden – ohne Kinder! Unterleibsmürrisch! Zerfurcht, verwahrlost, ein Gespött der Gassenjungen!"

Allerdings ist eben Theorie nicht automatisch Wahrheit und so wurde der Macho zum liebenden Ehegatten und Vater, als er seine Cousine Emma Wedgwood noch näher kennen lernte und schließlich heiratete. Dass eine gehörige Portion Mutterersatz in dieser Beziehung war - Darwin hatte seine Mutter im Alter von 8 Jahren verloren - wird von Petra Werner jedoch auch eingeräumt. Und irgendwie war ihm seine naturwissenschaftliche Beobachtungsgabe doch immer auch etwas im Wege. Petra Werner schließt ihren Artikel mit der Aussage: "Charles Darwin, so scheint es, sah die Welt vornehmlich mit den beobachtenden Augen eines Naturwissenschafters; als kühler Analytiker beobachtete er sogar, welche Muskeln ein Baby beim Weinen bewegt. Als er in seiner Autobiografie auf sein Leben zurückblickte, räumte er ein, dass er zwar sein Leben der Wissenschaft geweiht habe, wie er es immer erträumt habe, aber sich vorwerfen müsse, seinen unmittelbaren Angehörigen zu wenig Gutes erwiesen zu haben."

Petra Werners Artikel ist leider (noch?) nicht online verfügbar, aber wenn Sie Darwins Liebesleben näher interessiert, werden Sie in Petra Werners lesenswertem Buch "Darwin - Die Entdeckung des Zweifels, Osburg Verlag, 2009" fündig. Dort gibt es ein ganzes, überwiegend schmunzelnd zu lesendes Kapitel zu diesem Thema.

Und noch ein weiterer Hinweis: neben diesen Artikeln sind natürlich rund um Darwins 200. Geburtstag am 12.2.2009 sowie die damit verbundenen diversen Ausstellungseröffnungen und sonstigen Feierlichkeiten viele Presse- und Medienartikel erschienen. Eine kleine Auswahl haben wir dokumentiert. Wühlen Sie doch einfach ein bisschen in unten stehendem Medienclipboard oder in unseren Google-News zu Darwin (siehe rechte Spalte).

Ach so, anlässlich des Valentin-Tags fällt mir noch was von Karl Valentin, dem großen Münchner Volksphilosophen zum Thema Liebe, Altruismus und Soziobiologie ein:
"Der Mensch ist gut, die Leut’ sind schlecht"

Ihr

Reinhold Leinfelder

(Bild aus http://www.ironicsans.com/2008/02/idea_scientist_valentines.html )





Freitag, 13. Februar 2009

Rede zur Eröffnung der Berliner Darwin-Ausstellung

Ansprache des Generaldirektors des Museums für Naturkunde Berlin, anlässlich der Vorbesichtigung der Ausstellung „Darwin – Reise zur Erkenntnis“ am Abend des 11. Februar 2009

Sehr geehrter Herr Staatssekretär Rachel, sehr geehrte... (### Begrüßungsliste ###), liebe Freunde,

herzlich willkommen im Museum für Naturkunde am Vorabend des 200. Geburtstags von Charles Darwin.


Aber mal ehrlich: Weiß man nun eigentlich nicht schon genug über Darwin und seine Evolutionstheorie? Waren die Medien in den letzten Wochen nicht voll davon, gibt es nicht zwei Meter neue Bücher? Wir wissen doch jetzt, dass Darwin Zauderer und Revolutionär, Theologe und Gotteslästerer, Familienmensch und Macho, Geologe und Biologe war, und natürlich auch derjenige, der den Mensch zum Affen machte. Wir wissen, dass er Taubenzuchtversuche durchführte, dass er überlegte, ob es mehr Sinn macht zu heiraten oder doch nur einen Haushund zu haben, und dass er am Schluss neben seiner Frau und seiner Familie vor allem Regenwürmer liebte. Ach ja, und als Augsburger, der die Augsburger Puppenkiste liebt, freut es mich besonders, dass wir nun auch wissen, dass Jim Knopf mit Darwin auf der Beagle war (was man einem wirklichwunderschönen Artikel von Julia Voss entnehmen kann). Eigentlich ist das doch schon mehr als genug, oder?


Nun, diese kleine Überzeichnung zeigt vielleicht schon, wie wichtig es ist, sich Darwin und seiner Evolutionstheorie authentisch zu nähern. Das geht mit gut recherchierten Büchern, Presse- und Medienartikel, aber besonders gut geht es in forschenden Naturkundemuseen.


Wir wollen und können Forschung nämlich besonders authentisch vermitteln, denn für uns sind Ausstellungen schlichtweg ein andersartiges Publikationsformat für Wissenschaft. Wir wollen damit auch den Unterschied zwischen Wissenschaftsgläubigkeit und glaubwürdiger, weil nachvollziehbarer Wissenschaft aufzeigen. In den neuen Konzepten der Naturkundemuseen, und natürlich auch ganz speziell hier im Berliner Museum soll man Wissenschaft erfahren und auch testen können.

Unser Credo ist, dass Ausstellungen funktionieren sollten, wie Forschung funktioniert: unser Publikum soll neugierig werden, fasziniert werden und zwar über den Bezug zu authentischen Objekten. Das Wissen soll man sich selbst erarbeiten und auf Wunsch vertiefen können. Insgesamt wollen wir nicht nur wissenschaftliche Ergebnisse, sondern auch die Gewinnung dieser Ergebnisse, also Forschung selbst nachvollziehbar machen.


Im Falle von Charles Darwin und der Evolutionstheorie erscheint uns dies ganz besonders wesentlich, denn die Evolutionstheorie wird angefeindet und teils zweckenfremdet, seit es sie gibt. Daran hat auch die enorme Weiterentwicklung der Theorie, mit neuen Methoden und vielfältiger Absicherung nichts geändert. Kreationisten und sogenannte Intelligent Design-Anhänger bezweifeln sie nach wie vor und kreieren eigene pseudowissenschaftliche Thesen. Manche gehen sogar soweit, dass sie in der Evolutionstheorie die Wurzel fast aller Übel sehen.


Das alles hat verschiedene Ursachen, aber es liegt sicherlich vor allem auch daran, dass das Menschenbild seit Darwin ein anderes ist und manche sich bis heute damit schwer tun.


Allerdings wurde die Evolutionstheorie auch schon früh in anderer Weise missbraucht, für die Pseudobegründung von Rassenlehre genauso wie die stalinistische Umsetzung der Lehre vom neuen, materialistischen Menschen, und auch der Turbokapitalismus berief sich gerne auf Darwin.


Auch heute gibt es wieder teilweise Überinterpretationen: einseitige, rein biologische Interpretation unseres Menschenbilds und Verhaltens, aber auch wieder Vereinnahmung für ökonomische Konzepte, als ob Darwin die Weltformel gefunden hätte. Das hat er nicht, aber er hat die Biologie revolutioniert, als ob das nicht schon genug für ein Menschenleben wäre!


Zwischenzeitlich haben sich übrigens nicht nur die Evolutionswissenschaften 150 Jahre weiterentwickelt, sondern auch die Theologie, mit Ausnahme kreationistisch religiöser Gruppen.


Damit steht, sofern keine Grenzüberschreitungen gemacht werden, Religion heute nicht mehr gegen Evolution, und aus den Evolutionswissenschaften kann man weder auf die Existenz noch auf die Nichtexistenz eines Gottes schließen, denn beides liegt auf verschiedenen Ebenen.


Das wusste übrigens schon der Kirchenvater Augustinus im Jahr 408 nach Christus, und ich glaube, so manchem sollte man dies ins Stammbuch schreiben:

„Durch Einsicht oder Erfahrung kann man sehr sichere Erkenntnis über die Erde erfahren, und über den Himmel oder aus was die Welt sonst besteht. Auch über die Bewegung, Drehung ja selbst die Größe und die Entfernung der Sterne, über Finsternisse, Jahreszeiten, die Nature der Tiere, Früchte oder Steine - und dazu muß man gar kein Christ sein. Allerdings ist es wirklich schändlich und schädlich wenn ein Christ (...) über diese Dinge Unsinn erzählt weil das angeblich so in der christlichen Überlieferung stehe“.

Auch heute ist Evolution in unserem Leben allmächtig, denn ob es nun evolutionäre Abhärtung unseres Immunsystems ist oder der Heißhunger, der uns ab und an auf Süßes oder Fettes befällt, all dies sind Auswirkungen der biologischen Evolution, denn unser Verhalten ist, im einzelnen noch unerforscht, teils ein Zusammenspiel, teils ein ständiges Hin und Her zwischen biologischer und kultureller Evolution.

Dies wird meines Erachtens eine der besonders faszinierenden Zukunftsaufgaben sein. Wie spielen biologische und kulturelle Evolution zusammen, inwieweit ist die kulturelle Evolution verlängerter Arm der biologischen Evolution, inwieweit ist sie Kontrollmechanismus unseres biologischen Erbes? Und tragen wir wirklich noch soviel biologisches Erbe aus der Steinzeit in unserem Verhalten mit herum, oder gab es nicht doch - worauf neuere Ergebnisse hinweisen - noch einen biologischen Evolutionsschub seit wenigen 10.000 Jahren. Nur durch diesen interdisziplinären Ansatz aus Natur- und Kulturwissenschaften können wir ein realistisches Menschenbild entwickeln.


Aber noch in einem ganz anderen Zusammenhang ist Evolution wichtig. Die heutige Artenvielfalt, von der wir ja auch ökonomisch abhängen, ist natürlich ein Produkt der Evolution. Wir exerzieren derzeit den größten Selektionsversuch, der je stattfand. Nur die Evolutionsforschung wird uns, in Verbindung mit der damit verbundenen taxonomischen und ökologischen Forschung, der Klimaforschung, den Geowissenschaften, aber auch den Geisteswissenschaften ermöglichen, zu bewerten, wie sich unsere biologische Umwelt ändern wird und wie wir die Natur in Zukunft nachhaltig nutzen können. Aber hier muss Erkenntnis, auch weitere Erkenntnis, die wir noch nicht haben, dazu kommen.


Unsere Ausstellung, Darwins Reise zur Erkenntnis, soll natürlich einerseits dazu beitragen, nachvollziehbar zu machen, was Darwin wirklich gemacht hat und wie er es gemacht hat. Sie soll damit aber insbesondere auch ein aktueller Beitrag gegen Wissenschaftsfeindlichkeit sein. Denn wir brauchen Wissenschaftsakzeptanz für die Bewältigung der Zukunft. Dazu bekennt sich übrigens nicht nur unser Haus, sondern gestern veröffentlichten die deutschen Naturkundemuseen und botanischen Gärten eine gemeinsame Verpflichtung zu authentischer Wissenschaft und gegen Wissenschaftsfeindlichkeit.


Dazu bieten wir mit unserer Darwin-Ausstellung eine zweiteilige Reise. Wir fahren erst einmal mit auf der Beagle, also dem ersten Teil der Reise zur Erkenntnis.
Charles Darwin begann seine Reise mit ganz spezifischen Vorstellungen. Er war als Theologe Anhänger der Physikotheologie, die aus der Natur und deren Ordnung und Sinnhaftigkeit die Existenz Gottes ableiten möchte. Er dachte wohl auch bereits an die Veränderlichkeit der Arten, denn vor ihm gab es Lamarck oder seinen Großvater Erasmus Darwin, die bereits in diese Richtung dachten. Er war dann bald besonders beeinflusst von Charles Lyell, dem großen Geologen, der nachwies, dass sich die Geologie in der Regel ebenfalls nicht in Sprüngen, sondern graduell ändert, nämlich durch Sedimentation, Erosion und Untergrundhebungen bzw. Senkungen als wesentliche Prozesse.


Darwin war mit offenen Augen unterwegs und hat Belege und Fakten gesammelt. Immer wieder hatte er Aha-Erlebnisse auf der Reise, aber es gab noch kein ganz großer Durchbruch in Richtung seiner späteren Theorie. Insgesamt hat er über 5000 Objekte gesammelt. An dieser Objektliste orientieren wir uns, wir zeigen über 350 im Beagle-Saal und viele weitere im Evolution-in-Aktions-Saal. Die Objekte stammen von den Originalplätzen, an denen Darwin gearbeitet hat. Wir lassen Darwin, seine Briefpartner und Mitfahrer auf der Beagle ganz authentisch mit Originalzitaten sprechen und als große Highlights haben wir auch Originalobjekte, die Darwin selbst gesammelt hat, darunter ein Originalchronometer (vom Deutschen Technikmuseum in Berlin), vier Gesteinsproben (die erst heute mittag hochbewacht aus Cambridge eintrafen) sowie etliche Originale aus unserem eigenen Bestand, insbesondere Sedimentproben, in denen Darwin Kleinstorganismen vermutete und die er an den Spezialisten für Mikroorganismen am Naturkundemuseum, Christian Gottfried Ehrenberg schickte. Wir zeigen 13 Originalproben, die teils aus vielen Einzelproben bestehen. Als Korallenriffforscher gefällt mir natürlich Korallensand von den Cocos Inseln besonders gut. Sedimentmaterial zwischen Korallenkelchen und natürlich auch der Staub der Beagle sind ebenfalls dabei, aber auch ein Originalzahn eines Mastodon, eines Urelefanten.

Lassen Sie sich bei den an Darwins Stationen aufgesammelten Tieren von Gürteltieren, Riesenfaultieren, Darwin-Nandus, Fliegenden Fischen und Pampashirschen faszinieren!


Im zweiten Teil der Ausstellung verbinden wir unsere Dauerausstellung im Saal "Evolution in Aktion" mit neuen biografischen und weiteren Elementen zu Darwin und seiner Evolutionstheorie. so dass sich die Besucher ein genaueres Bild von Darwin machen können, von seinem Leben in Down und wie er dort gearbeitet hat. Er wertete Material aus, bildete Hypothesen, ließ sich durch andere Theorien, insbesondere einer ökonomischen Theorie anregen, machte Zuchtversuche bzw. berücksichtigte diese, wurde zum Spezialisten für bestimmte Organismengruppen, etwa die Rankenfußkrebse , weil er sich nicht nachsagen lassen wollte, dass er zuwenig von seinem Fach verstünde. So entwickelte er nach und nach seine Evolutionstheorie.
Er wird als zaudernd beschrieben, aber er hinterfragte eben seine Ergebnisse selbst immer wieder, war sich der gesellschaftlichen Relevanz seiner Ergebnisse bewusst, baute in sein berühmtes Buch auch Falsifizierungsmöglichkeiten ein, schlichtweg, er war ein Wissenschaftlervorbild par Excellence.

Darwin hilft uns also in herausragender Weise zu vermitteln, wie Wissenschaft funktioniert oder funktionieren sollte. Authentisch, belegbasiert, hinterfragend, nachvollziehbar, diskussionsfähig und eben ggf. auch falsifizierbar.


Wie es nach Darwin weiterging, wie weit die Evolutionswissenschaften bis heute gekommen sind, kann man sich natürlich bei uns in den weiteren Dauerausstellungen ansehen, man kann aber auch in den Botanischen Garten Berlin-Dahlem gehen und dort Darwin als Botaniker erleben, übrigens mit unserem Darwin-Ticket. Insbesondere kann man nach Stuttgart zu unserem Kooperationspartner am Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart reisen und ich freue mich, dass die Direktorin, Frau Prof. Eder heute auch hier ist. Unsere Reise der Erkenntnis führt also nach Stuttgart weiter, die Beagle schwimmt dorthin auf dem Fluss des Lebens und wird im Herbst, also rund um den 150. Jahrestag der Veröffentlichung Darwins Buch dort im Zentrum einer Ausstellung ankommen, die sozusagen als Fortsetzung der Berliner Ausstellung zeigt, wie es schrittweise mit der Evolutionstheorie weiter geht.


Dies ist eine Novität. Die Naturkundemuseen und Botanischen Gärten haben sich zum Darwinjahr abgestimmt, jeder fokussiert auf andere Zugänge oder Schwerpunkte zu Darwin und der Evolution. Wir wollen eben auch zeigen, dass die Vielfalt der Naturkundemuseen wie die notwendige Vielfalt in einem Ökosystem ist. Sie macht das System robust, eine gewisse Konkurrenz ist zwar vorhanden, insbesondere aber herrscht Kooperation. Würden die meisten Elemente hieraus verdrängt werden, gäbe es einen Kollaps des Systems. Ökosysteme sind aber eben auch dynamisch und optimieren sich. Auch hier sind wir kräftig am Optimieren und Weiterentwickeln.


Sie werden später noch ein paar nähere Erläuterungen durch unseren verantwortlichen Projektleiter, Uwe Moldrzyk zur Ausstellung hören, aber ich möchte nicht schließen, ohne meinen allerherzlichsten Dank an das ganze Ausstellungsteam sowie alle weiteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die seit etlichen Monaten bis heute, bis zu diesem Abend überaus aktiv waren und sind. Es gab noch ganz zum Schluss einige Beinahe-Kataströphchen, aber der Vergleich zum Beinahe-Schiffsbruch der Beagle vor Kap Horn wäre wohl doch zu weit hergeholt. Herzlichen Dank an alle!


Liebe Gäste, genießen Sie heute abend eine schöne Reise der Erkenntnis auf der Beagle und drumherum. Und wenn Sie vielleicht die Erkenntnis mit nach Hause nähmen, dass das Berliner Museum für Naturkunde immer wieder eine Reise wert ist und dass Erkenntnis nicht nur mühsam, sondern auch angenehm daher kommen kann, dann hätten wir schon schon viel erreicht. Vielen Dank.


> Grußwort des parlamentarischen Staatssekretärs Thomas Rachel zu Ausstellungseröffnung

> Ausstellungsfotos
> Videos der Ausstellung


Prof. Dr. Reinhold Leinfelder ist Geologe und Paläontologe, Generaldirektor des Museums für Naturkunde Berlin, Vorsitzender des Konsortiums "Deutsche Naturwissenschaftliche Forschungssammlungen" sowie Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderung.
(Passagen in kleiner Schrift wurden aus Zeitgründen bzw. wegen Abstimmung mit einem weiteren Grußwort weggelassen)

© R. Leinfelder, Feb. 2009, Foto ARD

Dienstag, 10. Februar 2009

Darwin als Vorbild – Naturkundemuseen und Botanische Gärten für wissenschaftliche Authentizität und gegen Wissenschaftsfeindlichkeit


Positionspapier der DNFS zur Evolution anlässlich des Darwin-Jahrs

Anlässlich des 200. Geburtstags von Charles Darwin, der am 12.2.2009 gefeiert wird, verpflichten sich die großen Naturkundemuseen und Botanischen Gärten zur authentischen Vermittlung von Wissenschaft und Forschung sowie zur klaren Positionierung gegen Wissenschaftsfeindlichkeit. Sie wenden sich gegen pseudowissenschaftlichen Kreationismus, aber auch gegen unzulässige Grenzüberschreitungen der Naturwissenschaften. Ziel ist es allen Bevölkerungsgruppen die Faszination der Evolutionswissenschaften zu vermitteln und ihre Bedeutung für die nachhaltige Nutzung der Erde verständlich zu machen.

Charles Darwin selbst dient den Museen und Botanischen Gärten hier als herausragendes Vorbild. So begründet sich sein epochales Werk „Über die Entstehung der Arten“ auf seinen umfassenden, während der Beagle-Reise gemachten Beobachtungen und Aufsammlungen und der daraus abgeleiteten Entwicklung wissenschaftlicher Hypothesen. Diese untermauerte Darwin dann durch Materialauswertung, Zuchtversuche und weitere Beobachtungen. Er testete auch Theorien aus anderen Wissensgebieten und fügte all diese Erkenntnisse zu seiner umfassenden Gesamttheorie der Evolution zusammen. Auch die Veröffentlichung seines Werkes geschah wohlüberlegt und hochprofessionell. So gab Darwin selbst Falsifizierungsmöglichkeiten an und sah mögliche gesellschaftliche Ablehnung voraus. Darwin blieb inhaltlich immer konsequent in seiner Wissenschaft, vermittelte seine Evolutionstheorie jedoch didaktisch sehr gekonnt. Er selbst beteiligte sich auch nicht an den darauf folgenden weltanschaulichen Zuspitzungen und unzulässigen sozialdarwinistischen Verfremdungen seiner Theorie. Er erduldete die damit verbundene Häme und widmete sich den Rest seines Lebens der weiteren Untermauerung seiner Evolutionstheorie, die Dank seines sorgfältigen Arbeitens bis heute in ihren Grundprinzipien Bestand hat.

Weltanschauliche Anfeindungen, Überinterpretationen und Zweckentfremdungen der Evolutionstheorie nehmen auch heute in Deutschland wieder zu. Die Naturkundemuseen und Botanischen Gärten des Konsortiums „Deutsche naturwissenschaftliche Forschungssammlungen“ (DNFS) und ihre Partner verpflichten sich deshalb, die Evolutionswissenschaften so authentisch und nachvollziehbar wie möglich zu vermitteln. Ihre Ausstellungen und Forschungen basieren insbesondere auf wissenschaftlich jederzeit nachprüfbaren Originalobjekten. Insgesamt umfassen die DNFS mehr als 100 Millionen naturkundlicher Objekte, welche die Evolution des Kosmos, der Erde und des Lebens eindrücklich untermauern.

Die moderne biologische Evolutionstheorie ist die derzeit beste und einzige naturwissenschaftliche Erklärung der Entwicklung des Lebens. Unterschiedlichste wissenschaftliche Methoden und Beobachtungen sichern sie ab und entwickeln sie weiter.

Naturwissenschaften beschränken sich jedoch naturgemäß auf das „wie funktioniert die Natur, welche Prozesse sind dafür relevant?“ Sinnfragen können von ihnen nicht beantwortet werden. Sofern keine „Grenzüberschreitungen“ gemacht werden, schließen sich Religion und naturwissenschaftliche Ergebnisse deshalb nicht aus, da sie auf unterschiedlichen Ebenen liegen. Religiöse Elemente können jedoch keinen Platz in einer naturwissenschaftlichen Analyse der Erde und des Lebens haben. Aus diesem Grund lehnt die DNFS kreationistische Ansätze, incl. der Variante des sog. „Intelligent Designs“ kategorisch ab. Kreationismus ist keine Wissenschaft, da seine Postulate weder belegbar noch falsifizierbar sind. Kreationismus ist aber nicht nur wissenschaftsfeindlich, sondern richtet sich auch gegen moderne theologische Auslegungen und versucht gesellschaftspolitischen Einfluss zu erreichen.

Evolution ist ein dauerhafter, auch heute noch anhaltender Prozess, sein Ergebnis ist die auch in Museumssammlungen dokumentierte Vielfalt an fossilen und heutigen Arten. Die Relevanz der Evolutionstheorie für eine nachhaltige Nutzung der biologischen Ressourcen sowie für das Wohl der Menschheit ist nicht hoch genug einzuschätzen.

Die deutschen Naturkundemuseen und botanischen Gärten unterstützen die Erforschung von Evolution durch ihre naturwissenschaftlichen Sammlungen und beteiligen sich umfassend selbst daran. Durch Ausstellungen und weitere öffentlichen Aktivitäten fördern sie aktiv die Darstellung und Vermittlung der Evolution in der Öffentlichkeit. Sie verpflichten sich dabei, zwischen wissenschaftlich abgesichertem Wissen und noch im Stadium der wissenschaftlichen Diskussion befindlichen Aussagen zu unterscheiden, keine unzulässigen weltanschaulichen Schlussfolgerungen aus naturwissenschaftlichen Ergebnissen zu ziehen und die Forschungsmethodik der Evolutionswissenschaften nachvollziehbar und transparent darzustellen.

Gez., Die DNFS-Mitglieder, 10.2.2009

Kontakt: Prof. Dr. Reinhold Leinfelder, Vorsitzender der DNFS, leinfelder(at)dnfs.de
Dr. Gesine Steiner, Pressesprecherin des Museums für Naturkunde, gesine.steiner(at)mfn-berlin.de, Tel. +49-30-2093 8917, Fax +49-30-2093 8914 bzw. Pressestellen der DNFS-Mitgliedsinstitutionen.

Die DNFS und ihre Mitglieder im Web: www.dnfs.de
Veranstaltungen der DNFS und ihrer Partner zum Darwin-Jahr: www.darwinjahr2009.de

Dieses Positionspapier der Deutschen Naturwissenschaftlichen Forschungssammlungen ist verknüpft mit einer Reihe ähnlicher Stellungnahmen, darunter der internationalen Buffon-Erklärung von 93 großen naturkundlichen Einrichtungen, der Erklärung des Internationalen Komitees für Naturkundliche Museen und Sammlungen (ICOM-NATHIST) oder des EU-Museumsnetzwerks ECSITE.
Buffon-Erklärung: http://www.dnfs.de/pdfs/BuffonDeclaration30oct2007.pdf
ICOM-NATHIST Position Statement: http://www.icom-nathist.de/icom/fpe.htm
ECSITE position Statement: http://www.ecsite-uk.net/about/downloads/ecsite-position-statement-on-science.pdf


Die Mitglieder der DNFS umfassen derzeit:
• Botanischer Garten Berlin-Dahlem,
• Forschungsinstitute und Museen Senckenberg-Verbund mit Sitzhaus Frankfurt/M. und weiteren Museen und Sammlungen u.a. in Dresden, Görlitz, Müncheberg,
• Museum für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin,
• Zoologische Sammlungen der Universität Hamburg,
• Staatliche Naturwissenschaftliche Sammlungen Bayerns (mit Botanischem Garten München, Museum Mensch und Natur München sowie acht weiteren Museen)
• Staatliches Museum für Naturkunde Stuttgart,
• Staatliches Museum für Naturkunde Karlsruhe,
• Zoologisches Forschungsinstitut und Museum Alexander Koenig in Bonn,
• Fachgruppe Naturwissenschaftliche Museen im Deutschen Museumsbund (mit ca. 150 weiteren Museen)

Sonntag, 8. Februar 2009

Fossiler Schlangenfund bestätigt die Kreationisten?

(mit Update vom 9.2.2011, am Ende dieses Beitrags)

Die Fachzeitschrift Nature publizierte in ihrer aktuellen Ausgabe (Bd.467, S.715, 2009) einen einmaligen paläontologischen Fund - die längste Schlange, die je gelebt hat, lang wie ein Linienbus, lebte vor 60 Millionen Jahren im auch damals tropischen Kolumbien. Die Medien berichteten fleißig (so z.B. die Süddeutsche Zeitung am 5.2.09,
siehe hier). Sie erhielt von den entdeckenden Paläontologen den Namen Titanoboa cerrenojensis.


(Abb.: Text aus Süddeutsche Zeitung: 13 Meter lang, 1135 Kilo schwer:
So könnte die Titanoboa ausgesehen haben.
Im Hintergrund: ihre Beute. Foto: Jason Bourque, ddp)


Nun feiern die Kreationisten? Wieso denn? Nein, falscher Alarm, noch ist es nicht soweit, sie haben ihre Chance noch nicht erkannt. Aber zeigt der Fund nicht deutlich eine Rückwärtsentwicklung, die so nicht mit der Evolutionstheorie vereinbar ist? Die heutigen Schlangen können doch da nicht mehr mithalten, sind doch viel primitiver, direkt winzig! Und warum? Klar, die Schlange wurde doch in der Bibel verflucht, das ist doch der Beweis dafür!
Sie denken, so schräg können selbst Kreationisten nicht argumentieren? Schön wär's, aber Sie täuschen sich - so etwas gab es durchaus:


"Im April 2006 berichteten Forscher in Nature über ein wichtiges neues evolutionäres Bindeglied, einer Schlange mit Hinterbeinen und Kreuzbein aus der Kreidezeit (Apesteguía und Zaher 2006). Das angebliche Fehlen von Bindegliedern, in diesem Fall also zwischen kreuz- und hinterbeinlosen Schlangen und sonstigen Reptilien, als einer der Hauptansatzpunkte der Kreationisten, wäre also wieder einmal entkräftet.

Aber weit gefehlt! Laut Factum, einem den Kreationisten sehr nahe stehenden Online-Presseorgan, war der Fund nämlich eine Bestätigung kreationistischer Auffassung. Die Argumentation spricht für sich:

"
Die aktuelle Entdeckung entspricht durchaus der Bibel. Denn die Schlange scheint ursprünglich ein komplexer gebautes Tier gewesen zu sein, als sie es heute ist: 'Aber die Schlange war listiger als alle Tiere des Feldes, die Gott der Herr gemacht hatte…' (1. Moses 3,1). Weil der Teufel in Gestalt einer Schlange die Menschen zu Fall brachte, wurde auch sie von Gott mit einem besonderen Fluch belegt. 'Da sprach Gott der Herr zur Schlange: Weil du dies getan hast, so sollst du verflucht sein mehr als alles Vieh und mehr als alle Tiere des Feldes. Auf deinem Bauch sollst du kriechen und Staub sollst
du fressen dein Leben lang!' "

Dies wird dann so kommentiert: "Offensichtlich besaß die Schlange vor dieser Verfluchung einen anderen Körper. Sie hatte Beine, ging aufrecht und zudem war sie intelligenter. Erst später wurde sie zu einem kriechenden Tier. Hieraus könnte man auch ableiten: Die Tatsache einer früher höher entwickelten Schlange spricht gegen die Evolution. Die Entdeckung des Schlangenfossils in Argentinien deutet eher auf eine Rückentwicklung hin." (Zitate aus Factum vom 13. 10. 2006).

Dies zeigt, dass die Ergebnisse sofort wieder passend gemacht werden. Die Schlange war also früher höher entwickelt, denn sie lief ja aufrecht und war damit intelligenter! Dass die arme Schlange nun kriechen muss, ist natürlich ein "Rückschritt", eine Strafe."

Also ich finde schon, dass die neue Riesenschlange zu obiger, in Factum wiedergegebener Argumentation passt. Sie stammt auch noch aus derselben Zeit wie die Schlange mit Hinterextremitäten und Kreuzbein. Verfluchtes Getier, verliert Eure Beine, verliert Eure Größe, in den Staub mit Euch! Gut dass sich die rückentwickelt haben!
Die Bibel ist eben doch ein naturwissenschaftlich exaktes Protokoll!

Oder höre ich da gerade was von Vergewaltigung der Bibel? OK, dann hier doch noch die Fortsetzung des obigen Textauszugs:

"
Von adaptiver Anpassung an eine bis dato wenig genutzte ökologische Nische (insbesondere Jagd auf Singvögel und grabende Kleinnager, die sich zu dieser Zeit besonders entfalteten), hat man wohl noch nie etwas gehört bzw. will es einfach nicht wissen.
Leider machen es einem die Kreationisten mit derart trivialen Pseudoargumentationsketten nicht immer so leicht.
"


Ihr Schlangenfreund
Reinhold Leinfelder


Obige, kursiv dargestellte Textauszüge stammen aus Leinfelder, R. (2007): Der deutsche Kreationismus und seine Rahmenbedingungen aus der Sicht eines Paläontologen.- in: Kreationismus in Deutschland, S. 277-326, LIT-Verlag, Münster (ganzen Artikel lesen? pdf, 3,4 MB)

Klicken Sie auf das obenstehendes blaue Bild, um den Screenshot der FACTUM-Webseite vom Oktober 2006 zu vergrößern). Factum online finden Sie unter http://www.factum-magazin.ch/wFactum_de/

 
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Update
vom 9.2.2011:

Die oben genannte Originalarbeit zur Schlange mit Hinterbeinrelikten lautet:


Apesteguía, S. & Zaher, H. (2005): A Cretaceous terrestrial snake with robust hindlimbs and a sacrum.- Nature, vol. 444, 1037-1040 | doi:10.1038/nature04413
online: http://www.nature.com/nature/journal/v440/n7087/full/nature04413.html



Inzwischen geht ein neuer Fund bzw. dessen Bearbeitung durch die Medien, z.B.: 

Spiegel-online vom 8.2.2011: Forscher entdecken Beine an Urzeitschlange.
http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,744039,00.html


Scinexx, 9.2.2011: Verborgenes Bein einer Ur-Schlange enthüllt
Dreidimensionale Röntgenaufnahmen zeigen erstmals halbreduziertes Hinterbein einer fossilen Schlange. http://www.scinexx.de/wissen-aktuell-12968-2011-02-09.html




etc.
 

Die wissenschaftliche Arbeit aus 2010 lautet:

Alexandra Houssaye (2010): Rediscovery and Description of the Second Specimen of the Hind-Limbed Snake Pachyophis woodwardi Nopcsa, 1923 (Squamata, Ophidia) from the Cenomanian of Bosnia Herzegovina
Journal of Vertebrate Paleontology 30(1):276-279. 2010
doi: 10.1080/02724630903416043



Die aktuelle Arbeit, auf die sich die Pressemeldungen beziehen, lautet:

Houssaye, Alexandra , Xu, Feng , Helfen, Lukas , De Buffrénil, Vivian , Baumbach, Tilo and Tafforeau, Paul 'Three-dimensional pelvis and limb anatomy of the Cenomanian hind-limbed snake Eupodophis descouensi (Squamata, Ophidia) revealed by synchrotron-radiation computed laminography', Journal of Vertebrate Paleontology, 31:1, 2 - 7 
DOI: 10.1080/02724634.2011.539650

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Samstag, 7. Februar 2009

Traurige Zuchthengste, Darwinsche Bärte und Steinzeitmenschen unter uns

Nein, beim Thema Steinzeitmenschen meine ich nicht die Pius-Bruderschaft, da denke ich nur bis zum Mittelalter zurück. Aber dieses ärgerliche Thema lassen wir heute mal weg (jedoch finden Sie ein paar aktuelle Nachträge, etwa zum erforderlichen Wahlverhalten der Katholiken hier).

Aber der Reihe nach:
Es gibt immer noch sehr schöne neue Medienartikel, die uns Neues zu Darwin verraten. So publizierte Julia Voss (- die ja schon faszinierende Zusammenhänge der Evolutionstheorie mit Jim Knopf herstellte -) heute einen spannenden und wiederum neue Facetten von Darwins Leben aufzeigenden Bericht unter dem Titel "Eine Art Versteck" (FAZ, 7.2.09, S. 40, nicht online verfügbar). Im Magazin der heutigen Berliner Zeitung (7.2.09) zeichnet Kerstin Viering unter dem Titel "Der zögerliche Revolutionär" ebenfalls ein differenziertes Bild von Darwin (online siehe hier).
Weitere aktuelle Artikel finden Sie über unsere Google-News-Palette rechts oder unseren Medienclip-Service am Ende dieser Seite.


Besonders erfreulich ist aber, dass die Überzeichnungen Darwins bzw. insbesondere die Überinterpretation der biologischen Evolutionswissenschaften auf andere gesellschaftliche Bereiche zunehmend im Fokus bzw. in der Kritik stehen und dies auch noch überaus lesenswert geschildert wird. Hier einige Beispiele:

DER SPIEGEL bringt in seiner aktuellen Ausgabe (2.2.09, SPIEGEL 6/2009) einen Artikel namens "Im Bann der Steinzeit" von Jörg Blech (Nachtrag: inzwischen online verfügbar). Der Untertitel sagt, worum es genau geht: "Sportwagen, Maßanzüge, Luxusreisen - ist Konsumfreude ein Erbe des Urmenschen? Experten streiten darüber, ob sich der Homo sapiens auch biologisch der modernen Welt angepasst hat." Hier werden aktuelle Ansätze der Übertragungsmöglichkeit soziobiologischer Befunde auf den Menschen umfassend an Hand eingängiger Beispiele diskutiert. Der Autor fasst diesen Teil des Artikels folgendermaßen zusammen: "Das Konsumverhalten ist das neueste Feld, das die sogenannte
Evolutionspsychologie zu erklären versucht. Ob Seitensprung, Eifersuchtsanfall oder Mord - 200 Jahre nach Charles Darwins Geburt macht sie sich immer phantasievoller daran, dessen Theorie von der Evolution auf den menchlichen Geist zu übertragen. Evolutionär verdrahtete Motive steuern dieser Forschergemeinde zufolge das tun und Lassen, das Sinnen und Trachten des modernen Menschen. Letztlich gelte all sein Gebaren nur einem einzigen Zweck: möglichst viele und hochwertige Nachkommen zu zeugen". Danach diskutiert der Autor jedoch die Umstrittenheit dieeser Betrachtungen des menschlichen Verhaltens. "Gerade sein komplexes Gehirn habe es dem Menschen erlaubt, sich von der Biologie zu emanzipieren", so die Gegenseite. Und weiter: ".... wecken auch biologische Befunde Zweifel daran, dass es ausreicht, den Menschen als ein in die Moderne katapultiertes Steinzeitwesen zu verstehen: die Evolution der menschlichen Psyche .... ist weitaus rasanter und vielgestaltiger verlaufen ....., dass dem Menschen durchaus genug Zeit blieb, sich auch biologisch der modernen Welt anzupassen." Verwiesen wird dabei unter anderem auf den Philosophen David Buller, der in der Darwinausgabe von Scientific American schrieb, dass das Feld der Evolutionspsychologie nicht mehr als "großspurige und umfassende Behauptungen über die menschliche Natur für den Massengebrauch" biete (den Artikel gibt es online hier).

Auch Molekularbiologen haben zwischenzeitlich herausgefunden, dass die Evolution das menschliche Erbgut gerade in den vergangenen 10.000 Jahren viel stärker verändert hat als angenommen. Seit 10.000 Jahren verläuft danach die menschliche Evolution schneller als je zuvor, und zwar wohl ca. 100 x schneller, als jemals zuvor in der Geschichte der Menschheit. Der SPIEGEL schreibt "Mit der Erfindung der Landwirtschaft und dem Aufkommen von größeren Siedlungen vor 10.000 Jahren bekamen es die Menschen auf einmal mit vielen neuen Dingen zu tun: mit engen Behausungen voller Fäkalien, ungewohnten Nahrungsmitteln und mit Krankeitserregern, die von Rindern, Schweinen und anderen domestizierten Tierarten übertragen wurden. Wie im Rest des Körpers, so hat die sich schnell verändernde Umwelt auch im Gehirn zu einer Fülle von Anpasssungen geführt. .... Bulller [resumiert, es] sei abwegig zu glauben, dass 'unsere ganzen psychologischen Eigenschaften noch immer an das Leben der Jäger und Sammler im Pleistozän angepasst sind'. ... So weit ist die Psyche evolviert, dass sie sich um den reproduktiven Imperativ nicht weiter zu scheren scheint."
Dieser Artikel ist also erfreulich differenziert und kritisiert die sich auf die biologische Evolution berufenden soziobiologischen Befunde auch aus biologischer Sicht, ohne den großen Einfluss des biologischen Erbes zu negieren.

Eine der "klassisch" soziobiologischen Sichtweisen, die auch nach Meinung des Bloggers viel zu einseitig sind, hat der Spiegel vor kurzem online publiziert: ein Interview mit dem Soziobiologen und Biophilosophen Eckard Voland unter dem Titel "Wir können uns von unseren Genen nicht emanzipieren".

Sehr differenziert ist dann aber wieder ein anderer SPIEGEL-Artikel (vom 26.1.09, 5/2009) von Johann Grolle zum Thema "Suche nach der Menschformel". Dieser spannende Artikel ist inzwischen auch
online verfügbar, daher sei nur kurz darauf eingegangen. Zuerst porträtiert Grolle psychologische Intelligenzversuche mit Schimpansen und Kleinkindern, dann geht es um genetische Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Schimpansen und Mensch, dabei insbesondere um die Rolle des FOXP2-Schaltergens, welches möglicherweise am Sprachvermögen des Menschen beteiligt ist, zum dritten um die Befunde, die sich zur Menschwerdung aus der Paläontologie ableiten lassen, etwa aus dem Zahnschmelz. Prädikat äußerst lesenswert, denn hier wird exemplarisch aufgezeigt, dass auch die biologische Menschwerdung interdisziplinär erforscht werden muss.

Auch im ersten Teil der SPIEGEL-Reihe (19.1.09, 4/2009) hat Johann Grolle eine sehr lesenwerte Übersicht insbesondere zur heutigen Evolutionsforschung geschrieben: "Grammatik des Lebens", ebenfalls inzwischen
online verfügbar.


Genug des SPIEGEL-Lobs, ich hab noch zwei weitere Artikel in meiner heutigen Auswahl:


"Die Verdrehung der Arten". Von Richard Dawid Precht, im SZ-Magazin der Süddeutschen von gestern. Erfreulicherweise auch online. Auch hier sagt der Untertitel alles: "Vor 200 Jahren wurde Charles Darwin geboren - und seit 150 Jahren wird er falsch verstanden: Seine Theorie der natürlichen Auslese war nie dazu gedacht, das Verhalten des Menschen zu erklären. Trotzdem missbrauchen Wissenschaftler und Ideologen sie bis heute dazu." Grundsätzlich recht lesenswert und das zugehörige Bart-Bild ist einfach köstlich (unser Bild oben). Sicherlich auch ein starker Fitness-Vorteil dieses Herrn, wenn ich da an sexuelle Selektion denke.
Ein paar Zitate kann ich mir daraus nicht verkneifen. Wie wäre es mit: "Wer schützt Darwin vor dem tief religiösen Atheisten Dawkins? In seinem Buch über den »Gotteswahn« versucht er auf gleichsam alttestamentliche Weise die Welt zu überzeugen, dass er einen besseren Gott hat als das Christentum oder der Islam, nämlich einen Gott in den Genen: Sie sind allmächtig, allgewaltig und für alles verantwortlich. Ihr Wille geschehe, wie im Tierreich, so im Menschen. " oder:
"Haben meine Gene eine Fehlzündung, wenn ich darauf verzichte, jedes attraktive Weibchen zu begatten, oder wenn ein Weibchen darauf verzichtet, die maximale Anzahl an Kindern zu gebären? Freiwilligen Verzicht auf Paarung und Reproduktion gibt es nicht nur bei Menschen, von Homosexualität bei Menschen und Tieren ganz zu schweigen. "
Und noch eins:
"Das komplizierte Zusammenspiel zwischen Umwelteinflüssen und Erbgut ist noch immer nicht befriedigend erklärt. Noch jubeln die Wissenschaftsressorts der großen Zeitungen und Zeitschriften über jede vermeintlich biologische Erklärung unserer menschlichen Natur und motzen sie zu Realitäten auf. Dass Männer anders denken als Frauen, weil die einen in der Steinzeit Mammuts jagten und die anderen Eintopf kochten, ist inzwischen mehr als ein weitverbreitetes Gerücht. Tatsächlich aber war unsere Gehirnentwicklung lange abgeschlossen, als der erste Homo sapiens seinen Speer auf ein Mammut schleuderte."

Allerdings kann man Precht nicht in allem folgen, insbesondere ist seine Argumentation zum Überleben des Glücklichsten nun wirklich missverständlich. Natürlich kann das "feige Mickermännchen" durch Glück im Unterschied zum alpha-Pavian bei einem Erdbeben zufällig überleben (auch Stürme, Meteoriteneinschläge, Flutwellen, Vulkanausbrüche könnte man da nennen), das alles ist natürlich bekannt, reduziert jedoch die generelle Gültigkeit eines "survival of the fittest" allerdings nun wirklich nicht, so wie man es aus Prechts Artikel verstehen könnte. "Erschreckend unklar" seien viele Details der Evolutionstheorie, schreibt nämlich Precht in diesem Zusammenhang. Dass Details noch unklar sind, hat nichts Erschreckendes, sondern Herausforderndes. Und dass Darwin erst von der "natürlichen Auslese" gesprochen hat und diese später für höhere Wirbeltiere durch die "geschlechtliche Auslese" ersetzt hat, stimmt so auch nicht. Zwar hat Darwin in seinem Buch von 1871 zur Abstammung des Menschen die hohe Bedeutung der sexuellen Selektion für höhere Wirbeltiere herausgearbeitet, dies hat aber die natürliche Selektion nicht ersetzt, sondern ergänzt. So schreibt Darwin zum Beispiel: "Da das Männchen das Weibchen aufzusuchen hat, so braucht es für diesen Zweck Sinnes- und Locomotionsorgane. Wenn aber diese Organe für die anderen Zwecke des Lebens nothwendig sind, wie es meistens der Fall ist, so werden sie durch natürliche Zuchtwahl entwickelt worden sein" (aus Charles Darwin "Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, deutsche Übersetzung der 2. englischen Aufl. von 1874, von 1902, S. 235).

So, zum Schluss noch eine nette Glosse aus der heutigen Berliner Zeitung (7.2.09) . Titel: "Der traurige Zuchthengst" von Maxim Leo. Aus dem Text: "Bisher dachte ich, die unerklärlichen Wege der Liebe würden Mann und Frau dazu bringen, besinnungslos übereinander herzufallen, Kinder zu zeugen und bis ans Lebensende glücklich miteinander zu sein. Jetzt weiß ich, dass es nur um genetische Codes geht. Wenn ich das richtig verstanden habe, verfügen die Frauen über ein Sensorium, das es ihnen ermöglicht, aus einer riesigen Männerherde den herauszupicken, der ihr Erbmaterial optimal veredelt und den Nachkommen eine solide Fortpflanzungsbasis sichert. Das heißt, meine Frau Catherine hat mich nur benutzt, um ihren Genpool aufzumöbeln. Es ging ihr gar nicht um mich. Ich bin nur ein trauriger Zuchthengst, eine Gen-Hure. .... Ich wüsste gern, welche Kriterien Catherine wichtig waren, als sie mich ausgewählt hat. Sieht sie mich eher als Ruderente oder als Graueule?" (
ganzen Artikel lesen)



In diesem Sinne, ach Du lieber Darwin, schönes Wochenende!


Reinhold Leinfelder




Montag, 2. Februar 2009

Berlin übte Humboldt-Forum in der Langen Nacht der Museen - Das Museum für Naturkunde im Zeichen von Kepler, Humboldt und Darwin


Die gesellschaftlich-kulturelle Bedeutung der Langen Nacht der Museen vom 31.1.09 in Berlin am Beispiel des Museums für Naturkunde Berlin.

„Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die Weltanschauung der Leute, welche die Welt nie angeschaut haben“. Dieser Alexander von Humboldt zugeschriebene Ausspruch lag gleichsam als mahnende Herausforderung über dem Thema der vergangenen Langen Nacht „Weltbilder – Weltsichten“. Wo besser als in einer Langen Nacht der Berliner Museen könnte man sich über Weltbilder und Weltsichten so intensiv kundig machen? Von Berlin bis Neuseeland, vom Urknall in die Steinzeit, von den Ägyptern über die Antike nach Preußen, zum Mauerfall bis heute und morgen. Von der Evolution der Kommunikation bis zu Weltsicht der blinden Mitbürger, von Tierstimmen bis zu Jazzmusik.

Anlässe gab es genug, wie etwa die Jubiläen der großen naturwissenschaftlichen Revolutionen: das Jahr der Astronomie, der 150. Todestag Alexander von Humboldts, der 200. Geburtstag von Charles Darwin. Ins laufende Jahr fallen Geburts- und Todestagsjubiläen großer Künstler, wie Joseph Haydn, Friedrich Schiller und Felix Mendelsohn-Bartholdy sowie gesellschaftlichte Gedenkjahren: UN-Jahr der Aussöhnung, 60 Jahre Bundesrepublik Deutschland und 20 Jahre Mauerfall. Evolution von Weltbildern und Weltsichten also auf allen Ebenen, der Kunst und Kultur, der Naturwissenschaft sowie der Politik und Gesellschaft. Wie selten wurde klar, dass heutige Politik nicht ohne das Wissen über den Ablauf der Geschichte möglich ist, dass sich heutige Kunst, Kultur und Technik aus der Tradition, und gerade deshalb auch oft unter Brüchen weiterentwickelt, und dass Naturwissenschaftliche Weltbilder jeweils auch in einem gesellschaftlich-kulturellen Kontext standen und diesen entscheidend mit geprägt haben. Das Museum für Naturkunde fokussierte naturgemäß auf naturwissenschaftliche Weltbilder, die ja auch immer wieder gesellschaftliche Revolutionen, zumindest aber Evolutionen ausgelöst haben. Evolution in Aktion, das Motto der zentralen Ausstellungen des Naturkundemuseums muss eben auch für Weltbilder gelten. Umso wichtiger, dass wissenschaftliche Ergebnisse auch authentisch und unüberpretiert dargestellt werden, damit aus naturwissenschaftlichen Weltbildern keine dogmatischen Ideologien werden, wie dies der spätere Missbrauch von Darwins Evolutionstheorie für sozialdarwinistische Zwecke ja eindrücklich gezeigt hat. Entsprechend unverkrampft und in lockerer Atmosphäre präsentierte das Museum für Naturkunde die naturwissenschaftlichen Beiträge zu den Weltsichten. Auf dem Raumsofa vom Urknall bis ins Museum. Eine Sicht auf die Welt vor 150 Millionen Jahren im Sauriersaal bei jurassischem Abendrot mit Jazzmusik des versierten Dinné-Schäfer Duos und mit animierenden Cocktails mit Namen wie Darwins Inspiration oder Tendaguru Nights. In der Ausstellung Menschwerdung auf Du und Du mit unseren Verwandten Lucy und dem Neanderthaler. Vor den denkmalgeschützten Dioramen eine Weltsicht der 20er Jahre auf die Natur, und natürlich vor und hinter den Kulissen Sichten in den Mikrokosmos, die Welt der Tierstimmen, die Spinnereien des Museums, die fleißigen Wortbürokraten der Insektenforscher und vieles mehr. 6133 Besucher genossen diese Sicht der Welt. Insgesamt sahen rund 30.000 Besucher der Langen Nacht, wie wesentlich es ist, dass naturwissenschaftliche, kulturelle, künstlerische, technische und gesellschaftliche Sichtweisen auf die Welt integriert werden müssen und erst gemeinsam eine zukunftsweisende Sicht der Welt zulassen. Die Lange Nacht war in bester ganzheitlicher wissenschaftlicher Tradition eines Alexander von Humboldts und in bester Bildungstradition eines Wilhelm von Humboldts – mit anderen Worten, alle Museen und all ihre Besucher waren in dieser Langen Nacht ein authentisches und zukunftsweisendes Humboldt-Forum.

Reinhold Leinfelder (für das Museum für Naturkunde)

Prof. Dr. Reinhold Leinfelder ist Generaldirektor des Museums für Naturkunde, Vorstandsmitglied des Landesmuseumsverbands Berlin und Vorsitzender des Konsortiums „Deutsche Naturwissenschaftliche Forschungssammlungen e.V.“

(basierend auf einer Pressekonferenz zur Langen Nacht sowie einem Live-Interview während der Langen Nacht für rbb-Radio 1)

Lefebvre-Sekte vertritt auch Kreationismus

(aktuelle Nachträge vom 4.-6.2. sowie vom 24.7.09 am Ende dieser Seite)




Die Ex-Exkommunizierung von vier extrem rechtskonservativen Bischöfen der Piusbruderschaft durch den Papst ist auch für die Diskussion zwischen Naturwissenschaften und Kirchen ein echter GAU, denn die Piusbruderschaft vertritt offensichtlich auch offen einen die Bibel wörtlich auslegenden Kreationismus. Kardinal Lehmann, sein Schüler Priester Tonke Dennebaum ("Urknall, Evolution, Schöpfung"), Christian Kummer SJ ("Der Fall Darwin - Evolution kontra Schöpfungsglaube"), Ulrich Lüke ("Das Säugetier von Gottes Gnaden"), der frühere und derzeitige Leiter der Vatikanischen Sternwarte, die Jesuiten George Coyne und José Gabriel Funes, und viele mehr, die Evolutionswissenschaften und katholischen Glauben als vereinbar ansehen, müssen sich düpiert fühlen. Papst Benedikts Vorgänger Papst Johannes Paul II sagte u.a. im Jahr 2004 "Evolutionslehre widerspricht nicht der katholischen Schöpfungslehre". Auch im heutigen katholischen Katechismus für Erwachsene steht: "Theologie ... weiß heute, daß die Bibel sich in ihrer Ausdrucks- und Vorstellungsweise des Weltbilds der damaligen Zeit bedient, das als solches für uns nicht verbindlich ist. Ihrer Aussageintention nach will uns die Bibel nicht über die empirisch erkennbare Entstehung der Welt und der verschiedenen Arten der Lebewesen unterrichten."

Der Generalobere der deutschen Piusbruderschaft beeilte sich zwar, sich von Holocaust-Leugner "Bischof" Richard-Williamson zu distanzieren, aber auch noch nach der Wiederintegration der Lefebvreisten in die katholische Kirche war noch ein ultrakreationistisches Video auf den Webseiten der deutschen Piusbruderschaft zu sehen.

Es handelte sich um den 45-Min-Film "Hat die Bibel doch Recht? Der Evolutionstheorie fehlen die Beweise".
(Bilder ggf. zum Vergrößern anklicken)


Rezensionen zu diesem und ähnlichen pseudowissenschaftlichen Filmen Poppenbergs sowie der Strategien, hier zu Aussagen von Wissenschaftlern zu kommen, finden sich u.a. hier:
http://www.evolutionsbiologen.de/skeptiker%2001-05.pdf
http://www.evolutionsbiologen.de/rez-affenmensch.pdf
http://www.martin-neukamm.de/poppenberg2.html

Oben finden Sie zwei Screenshots dieser Webseite der Piusbruderschaft vom 27.1.2009:
http://www.fsspx.info/media/Flash/Diversa/index.php?file=Evolution.flv&image=Evolution.jpg

Das Video war danach plötzlich verschwunden. Ein heutiger Aufruf (vom 2.2.09) zeigt weder den Eintrag unter dem Video (siehe screenshots oben) noch den Film selbst. Beim Anklicken des leeren Filmtemplats wird der Filmname allerdings noch angegeben (siehe links). Mal abwarten, ob der Film gar wieder auftaucht.

Erfreulich erscheinen mir die vehementen Reaktionen katholischer Geistlicher gegen diese Rehabilitierung der Lefebvre-Sekte durch den Papst, aber die katholische Kirche wird es wieder schwerer haben, deutlich zu machen, dass sie am Top und in den Außenrändern nicht kreationistisch ist. Schade, der Sache wegen.



Bleibt nur zu hoffen, dass die katholische Kirche im Darwin-Jahr möglichst rasch unmissverständlich klar macht, dass sie auch weiterhin keinerlei Probleme mit der Akzeptanz der Evolutionswissenschaften hat. Über alles andere würden sich insbesondere die Kreationisten freuen, und ihre die Keilstrategie zur Spaltung der Gesellschaft würde ein Stück weiter aufgehen. Also, sehr geehrte deutsche katholische Bischöfe, sehr geehrte Priester, schreibt an den Papst und überzeugt ihn, seinen absolut missverständlichen Schritt der Anerkennung einer in Nähe der "Neuen Rechten" stehenden pseudokatholischen Sekte wieder rückgängig zu machen. Auf Sie wird er hoffentlich hören.

Nachtrag vom 4.2.09: Der Planckton-Blog der FAZ verweist auf ein weiteres interessantes, rückwärtsgewandtes Dokument der deutschen Lefebvre-Sekte, siehe hier.

Nachtrag vom 5.2.09: Die Reaktionen der meisten deutschen katholischer Bischöfe sind erfreulich eindeutig. Völlig unverständlich erscheinen mir jedoch die Reaktionen mancher katholischer Theologen auf die deutlichen Worte der Bundeskanzlerin.
Der Eichstätter Bischof Gregor Maria Hanke hält die Papst-Kritik Merkels für "unbegreiflich und empörend", der Freiburger Theologieprofessor Hubert Windisch meinte sogar, Merkel sei für deutsche Katholiken nun nicht mehr wählbar. Da frage ich mich nun, wen die deutschen Katholiken noch wählen sollen, denn auch SPD-Parteichef Franz Müntefering verteidigte die Bundeskanzlerin (Quelle: u.a. DIE WELT vom 5.2.09). Und die Grünen sowie die FDP haben den Papst auch kräftig kritisiert. (Quelle Tagesschau) Sollen die ganzen Katholiken nach Bayern umziehen, um die CSU zu wählen? Geht nicht und auch dort gab es Kritik. Fällt Ihnen noch eine weitere Partei ein? Die Linken haben auch kräftig protestiert, also auch nix, aber da gibt es doch noch eine Partei.....!? Prof. Windisch sollte wirklich besser überlegen, was er sagt und die Katholiken nicht pauschal in sehr enge und schräge Ecken rücken. Immerhin, sehr erfreulich, dass von "Robert Zollitsch, dem ungewohnt locker agierenden Vorsitzenden der Bischofskonferenz, zu hören [war], dass es sich bei der Piusbruderschaft um nichts anders handele als um Fundamentalisten und dass er früher oder später mit ihrer endgültigen Abspaltung rechnet" (Zitat aus ksta.de)


Nachtrag vom 6.2.09: Das "Forum Grenzfragen", ein Expertenkreis an der katholischen Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart hat einen sehr informativen und gut recherchierten Beitrag zur Piusbruderschaft verfasst. Textausschnitte aus dem Artikel "
Traditionalismus als Dialoghindernis" von Heinz-Hermann Peitz
"Der Gründer der Piusbruderschaft, Marcel Lefebvre, sah im Konzil ein Werk des Satans, das die Kirche dem Modernismus übergibt.....
onkreter auf den Dialog mit den modernen Wissenschaften bezogen kritisiert Lefebvre in seinem berühmt gewordenen „Manifest“ die konziliaren und nachkonziliaren Reformen: „Alle diese Reformen haben in der Tat an der Zerstörung de
r Kirche, … am naturalistischen und teilhardistischen Unterricht an den Universitäten, in den Priesterseminaren und in der Katechese beigetragen und weitergewirkt. ....
Die Frontstellung gegen Teilhard de Chardin ist für den Kommentator und damaligen Befürworter Lefebvres, Rudolf Krämer-Badoni, selbstverständlich. Krämer-Badoni sieht sich zur Feststellung gemüßigt,
dass der – wie er es nennt – „Teilhardismus“ in Frankreich „den größten Einfluss aus[übt], diese dilettantische Lehre des jesuitischen Paläontologien Teilhard de Chardin, wonach ‚wissenschaftlich’ eine unausweichliche organische und moralische Evolution den ganzen Kosmos durchherrscht, während zwecks Versöhnung der Wissenschaft mit dem Glauben Gott als Weltseele, der eschatologische Christus als evolutionärer Zielpunkt, der Mensch schließlich als automatisch Mitwirkender an dieser unausweichlichen Evolution erscheinen“..... ‚Und so ist auch Teilhard zu Ehren gekommen!’ – derselbe Teilhard, über den das heilige Offizium noch 1962 befand, alle Oberen hätten die Aufgabe, ‚die Geister – namentlich die jungen Menschen – vor den in den Werken Pater Teilhard de Chardins und seiner Anhänger enthaltenen Gefahren zu schützen’. Aber da ja laut Rahner Modernismus nur ein ‚gehässiges Schimpfwort’ ist und laut Peter Neuner … eine Anzahl modernistischer Thesen, die Anfang des Jahrhunderts ‚als häretisch verfolgt wurden’, im letzten Konzil ‚ihren Platz gefunden haben’, nimmt es nicht Wunder, dass wir auch den Ausbund des Neomodernismus, diesen Teilhard, im Konzil rezipiert sehen.“ .... Die Traditionalisten mögen manche Probleme zu Recht benennen, aber ihre Lösungsrezepte können nicht überzeugen. „Vielmehr fördern sie die Polarisierung, weil die Extreme sich gegenseitig erzeugen und steigern“(6). Nur zu gut ist eine solche Polarisierung in den letzten Jahren an den Konflikten um Kreationismus und ‚neuem’ Atheismus nachzuzeichnen gewesen. An dieser Stelle zeigen sich sogar Gemeinsamkeiten von Kreationismus, der eher dem protestantischen Fundamentalismus zuzurechnen ist, und katholischem Traditionalismus: „Beide entstanden als Reaktion auf die sich säkularisierende Gesellschaft … Beide stellen eine Synthese von theologischen und ideologisch-politischen Optionen dar, die auf die Aushöhlung traditioneller Autoritäten reagieren … Beide tragen ihre Auffassungen in ungewöhnlich polemischer Weise vor“(7). Alles in allem: Eine Hinwendung zum Traditionalismus wäre eine Abwendung vom Dialog, auch vom interdisziplinären Dialog." (gesamten Beitrag von Heinz-Hermann Peitz lesen)

Vorsorglich sei erwähnt, dass im
Vergleich zur unsägliche Leugnung des Holocaust eine kreationistische Weltanschauung natürlich harmlos ist, hier soll keinesfalls Kategorien verwechselt werden. Dieser Blog und die darin zitierten oder wiedergegebenen Quellen haben ausschließlich zum Ziel, bestimmte katholische Gruppen vor falschem Relativismus zu warnen. Holocaust-Leugnung ist eine unerträgliche, in Deutschland nicht hinzunehmende Straftat. Aber der Rest der Piusbruderschaft ist meines Erachtens ebenfalls nicht kompatibel mit einer modernen Kirche, die in einer säkularen Welt beheimatet ist. Weltanschaulich sind sie im Mittelalter stehen geblieben. Bleibt zu hoffen, dass der Vatikan, bei aller Toleranz, die sich für alle weltanschaulichen Gruppen anbietet, hier dennoch die notwendigen Grenzen zieht. Nur dann wird der Papst die katholische Kirche zusammenhalten können.

Ebenfalls sei nochmals vorsorglich erwähnt, dass dieser gesamte Blogeintrag ausschließlich die persönliche Meinung des Autors repräsentiert. Mit meiner beruflichen Tätigkeit besteht nur insofern Verbindung, als dass sich Naturkundemuseen, darunter das Berliner Museum für Naturkunde gegen Wissenschaftsfeindlichkeit positionieren. Wissenschaftsfeindlichkeit ist jedoch leider noch das Wenigste, was man der Piusbruderschaft vorwerfen kann. Durchaus nachvollziehbar, dass das ZDF im heute-journal heute zur Piusbruderschaft unter dem Titel "Ein Fall für den Verfassungsschutz?" berichtete.
R. Leinfelder, 6.2.09

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Nachtrag vom 24.7.2009:

Ganz schön dreist: Wieder gibt es Kreationistenvideos auf den Webseiten der deutschen Piusbruderschaft. Diesmal werden allerdings nur kurze Reklamevideos für zwei kreationistische Poppenfilme-Filme direkt auf der Seite eingebettet. Gleichzeitig wird ein Link zum Kauf der Filme angegeben.
Film 1 nennt sich "Dem Geheimnis des Lebens nahe". Hier wird der Intelligent Design-Kreationismus als innovative Wissenschaft dargestellt.
Film 2 ist der oben genannte Titel "Hat die Bibel doch recht?" Im auf den Webseiten dargestellten Trailer wird dem rbb (Rundfunk Berlin Brandenburg) Zensur dieses Filmes vorgeworfen.

Diese Reklamevideos finden sich unter
http://www.piusbruderschaft.de/multimedia/video/publikationen (Stand 24.7.09)
Screenshot vom 24.7. aus dieser Seite (zum Vergrößern draufklicken) :

Zum Kauf verlinkt wird auf die Seiten ein
es Sarto-Verlags, der ist laut Impressum ebenfalls von der Piusbruderschaft betrieben. So findet sich unter
http://shop.sarto-verlag.de/shop_content.php?coID=4&XTCsid=57c624f36120cdde8801e222f4cd253e
folgender Eintrag:

Sarto Verlag
Stuttgarter Straße 24
D-70469 Stuttgart

Tel. +49-(0)-711-89692979
Fax: +49-(0)-711-89692980
Ansprechpartner für Verlagsangelegenheiten: H.H.Pater Andreas Mählmann FSSPX
Träger: Vereinigung St. Pius X. e.V.
Registereintrag beim zust. Amtsgericht München: VR 8540
Gerichtsstand: Stuttgart
(Hinweis: FSSPX ist ein Kürzel für die Piusbruderschaft, so ist www.piusbruderschaft.de gleichermaßen unter www.fsspx.de erreichbar)