Samstag, 15. August 2009

Von der Evolutions- zur Biodiversitätsforschung - Eine Aufgabe der Naturkundemuseen (am Beispiel des Berliner Museums für Naturkunde).

Evolutionsforschung, Biodiversitätsforschung und Umweltforschung gehen Hand in Hand. Die Biodiversität ist ein Produkt der Evolutionsprozesse (Variation, Selektion, Anpassung). Evolutionäre Erneuerungen können die Biodiversität genauso wie umfassende Umweltänderungen stark beeinflussen. Umweltänderungen, wie wir sie derzeit großmaßstäblich selbst verursachen, können Biodiversität direkt dezimieren, Umbauten der Biodiversität bewirken oder auch neue evolutionäre Prozesse auslösen. Zu diesem Themenkreis befragte die Verbraucher-Initiative e.v. sowie Öko-Fair den Autor dieses Blogs, Reinhold Leinfelder. Ausschnitte aus diesem Interview finden Sie nachfolgend.


(Bild: Ausschnitt aus der 14 Meter breiten, 3000 Arten darstellenden Wand der Artenvielfalt am Museum für Naturkunde Berlin, © Museum für Naturkunde Berlin)

Das Berliner Museum für Naturkunde ist bekannt für sein riesiges Saurierskelett. Teilen Sie die Ansicht, dass das Wirken des Menschen naturhistorisch gesehen ähnlich dramatische Folgen für das Artenreichtum hat wie der Meteoriteneinschlag für die Dinosaurier?

Ja, es ist zu befürchten, dass es sogar noch dramatischer werden könnte als alles bisher Dagewesene. Geowissenschaftler zählen das Aussterben der Dinosaurier und vieler anderer Organismen vor 65 Millionen Jahren zu den so genannten „Big Five“, den fünf großen, katastrophalen, globalen
Aussterbeereignissen. Wir können die aktuelle Umweltkrise durchaus als sechstes großes globales Aussterbeereignis bezeichnen. Dabei ist es auchkein Trost, dass die biologische Vielfalt nach den großen Aussterbeereignissen der Erdgeschichte immer wieder Höhenflüge erlebt hat. Zum Beispiel starben die tropischen Korallenriffe mehrfach in der Erdgeschichte aus oder wurden extrem dezimiert. Bis sie wieder zu alter Blüte gelangt waren, dauerte es aber Hunderttausende, ja Millionen von Jahren, in einem Fall sogar 140 Millionen Jahre. Darauf können wir nicht warten, die Erdgeschichte bietet hier für menschliche Maßstäbe also keinen Trost, sondern spricht statt dessen eine unmissverständliche Warnung aus.


Am Naturkundemuseum erforschen Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen die Evolution der Artenvielfalt. Wie tragen Ergebnisse daraus zur nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen bei?

Viele unserer Beiträge haben mit unseren immensen, 30 Millionen Objekte umfassenden Sammlungen zu tun. Ich nenne drei Bereiche. Zum Ersten gehören unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zur kleinen, aber sehr wichtigen Gruppe taxonomischer Experten, die Arten exakt bestimmen und neue Arten überhaupt erkennen und beschreiben können. Zum Zweiten sind wir an Monitoring-Projekten beteiligt, also an der Gesamterfassung der Biodiversität in definierten Regionen, aber auch global. Zum Beispiel muss man vor der Ausweisung neuer Naturschutzgebiete Wanderwege der Arten und ihre ökologischen Ansprüche genau untersuchen, was wir unter anderem in Afrika tun. Wir sind auch maßgeblich an der
Überwachung des Zustands von Korallenriffen beteiligt und arbeiten im Reef Check-Monitoring-Programm auch mit Hobby-Sporttauchern eng zusammen. Außerdem entwickeln wir neue Monitoring-Methoden, etwa das automatisierte Erkennen von Artverteilungen über Tierstimmen. Zum Dritten erforschen wir das dynamische Verhalten von Ökosystemen. Dabei können wir dank unserer umfassenden Datenbanken abschätzen oder gar berechnen, wie stabil oder labil Ökosysteme und ihre Artverteilung in der Erdgeschichte auf Umweltstörungen reagierten. So verstehen wir auch die Dynamik von Ökosystemen und Artverteilungen unter menschlicher Nutzung besser. Ein konkretes Beispiel sei noch genannt. Wir beteiligen uns bei der Wiedereinsetzung der durch Wasserverschmutzung ausgestorbenen Elblachse durch den genetischen Vergleich zwischen am Museum befindlichen, in Alkohol konservierten Elblachsen mit heute lebenden Lachspopulationen. Schwedische Lachse erwiesen sich als nächste Verwandte und fühlen sich heute in der sauber gewordenen Elbe wieder zunehmend wohl.


Wie machen Sie Ihre Ergebnisse bekannt?

Unser Expertenwissen und unsere Forschungsergebnisse werden nicht nur wissenschaftlich publiziert. Wir informieren auch die Bevölkerung mit vielfältigen Aktivitäten wie Vortragsreihen, Diskussionsrunden, thematischen Abenden, allgemeinverständlichen Publikationen und natürlich Ausstellungen. Unsere Korallenriff-Sonderausstellung „abgetaucht“ wurde als Beitrag zum Internationalen Jahr des Riffes 2008 von uns erstellt und am Museum für Naturkunde gezeigt. Zur Zeit ist sie im Münchner Museum „Mensch und Natur“ zu sehen. Weiterhin arbeiten wir nationalen und internationalen Umweltkonventionen zu, insbesondere der Konvention über die biologische Vielfalt. Natürlich diskutieren wir auch mit
Parlamentariern und beteiligen uns an der Erarbeitung wissenschaftlicher Gutachten zur Beratung der Politik.

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