Montag, 23. August 2010

Nun auch noch Biodiversitätsskeptiker?

von Reinhold Leinfelder

Das Darwin-Jahr 2009 ging mit der Kopenhagener Klimakonferenz zu Ende und führte direkt ins laufende UN-Jahr der Biologischen Vielfalt. In unserem Ach-du-lieber-Darwin-Blog hatten wir daher die Kurve von der Evolution zu Klima (als Selektionsfaktor) und von der Evolution zur Biodiversität (als Produkt der Evolution) ebenfalls genommen, denn Evolution-Klima-Biodiversität sind eben allesamt vernetzt. Allerdings war nicht geplant, dass wir auch bei den Skeptikern diesen Bogen schlagen müssen. Klimaskeptiker und Evolutionsskeptiker hatten wir ja schon mal verglichen. Kommen nun auch noch die Biodiversitätsskeptiker?

Es ist zu befürchten, zumindest geht ein Artikel im Wirtschaftsteil der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 1. August (Millionen für Molche) genau in diese Richtung. Dieser Artikel bekam immerhin etlichen Gegenwind, was die Leserkommentare der Online-Version, darunter auch der einer renommierten Wissenschaftsjournalistin zeigen.
Heute erschien auch eine längere Stellungnahme im Biodiversitäts-Blog der Leibniz-Gemeinschaft unter dem treffenden Titel "Artenschutz auf Stammtischniveau".
Hingewiesen werden sollte durchaus auch darauf, dass der "Millionen für Molche"-Artikel im Wirtschaftsteil der FAS erschien, der Wissenschaftsteil von FAZ und FAS bringt hier sehr viel differenziertere Artikel, z.B. 18.5.10: Biodiversität - Unkraut vergeht besser nicht oder 3.2.10: Was kostet die Welt? sowie bereits 8.5.2008: Was kostet die Welt, wer hat soviel Geld?. Gerade die beiden letzt genannten Artikel hätte der Wirtschaftsjournalist der Stammtisch-Analyse wohl einmal lesen sollen, hier geht es sehr differenziert um den Wert der ökosystemaren Dienstleistungen und Güter für uns alle.

Noch findet Google nur zwei Einträge bei der Suche nach "Biodiversitätsskeptiker" und dies auch nicht im obigen Kontext, aber was nicht ist mag ja noch kommen. Es steht zu befürchten, dass die Biodiversitätsskeptiker aus ganz verschiedenen Ecken auftauchen werden, zum einen aus manchen Bereichen der Wirtschaftslobby, welche auch gerne mal versucht, Biodiversitätswissenschaftler und Naturschutz als Wirtschaftsbremse an den Pranger zu stellen. Zum anderen aber auch aus der Klimaschutzecke: Eine der wesentlichsten Voraussetzungen für Naturschutz ist zwar die Einhaltung eines globalen 2-Grad-Limits der anthropogenen Klimaerwärmung, denn die Natur passt sich mit der Zeit an, aber nicht in dieser Änderungsgeschwindigkeit, wie es heute der Klimawandel mit sich bringt, so dass wir uns damit auch vieler unserer eigenen Lebensgrundlagen berauben werden, wenn der anthropogene Treibhauseffekt nicht gebremst wird. Naturschutz ist so betrachtet also nichts anderes als Selbstschutz. Aber Windkraftwerke und Vogelflug, Biosprit und Waldschutz, offshore-Windparks und Lärmbelästigung in den Meeren können sich, falls jeweils allein betrachtet entgegenstehen. Richtig angepackt, ist zwar vieles miteinander verträglich, aber es gibt auch Interessenskonflikte und deshalb Diskussions- und Regelungsbedarf. Klimaschutz muss nicht auf Kosten des Biodiversitätsschutzes gehen und umgekehrt, wenn beides gemeinsam gedacht wird.

Biodiversität ist allerdings im Vergleich zum Klimaschutz deutlich komplexer, was es zu berücksichtigen gilt:
  • * das Biodiversitätsgeschehen ist stark regional geprägt und kann bisher sehr schlecht regional modelliert werden;
  • * Biodiversität ist ein Produkt aus sehr vielen Faktoren, wie regionaler Geologie, geographischer Konstellation (Topographie, Niederschlag, Boden, Verbindungskorridore), menschlicher Besiedlungsdichte, Landnutzungart und Intensität, Klima, Schadstoffeintrag, adaptiver Strategien, Populationsdynamik und vielem mehr).
  • * Damit ist die Erfassung und das Monitoring der Biodiversität, aber auch die Prognostik deutlich schwieriger als etwa die Erfassung und Prognostik von Klimaveränderung. Bislang wird vieles über die Erfassung von Indikatorarten geregelt, eine an sich sinnvolle Methode, die aber auch ihre Grenzen hat. Neue Monitoringmethoden und -strategien müssen entwickelt werden, etwa automatisierte Erkennung von Tierstimmen, Barcoding-Erfassung mithilfe genetischer Signaturen sowie partizipative Monitoringprojekte zwischen Wissenschaft und Zivilgesellschaft.
  • * Biodiversität ist ökonomisches Gut für uns alle, aber die Werterfassung der ökosystemaren Dienstleistungen und Güter ist überaus komplex und auch relativ ungenau, damit natürlich auch angreifbar
  • * Gerade weil Biodiversität ein Produkt aus vielen Faktoren ist, eignet sich die Erfassung von Änderungen der Biodiversität aber auch als Frühwarnsystem für andere kritische Änderungen, etwa bei Klima, Wasserhaushalt, Überdüngung, Umweltverschmutzung, unnachhaltiger Landnutzung; Überfischung etc.. Auch hierzu sind übrigens Molche als Indikatorarten wichtig.
  • * Manche gutmeinenden Menschen unterstellen der Wissenschaft, dass sie selbst zur Biodiversitätszerstörung beiträgt, da das Erfassen von Biodiversitätsmustern ja auch mit Hilfe von Aufsammlungen geschehen muss. Diese seien aber nur dazu da, indigenen Völkern und Entwicklungsländern ihre wichtigen genetischen Ressourcen zu rauben. Hier sind der Wissenschafts- und Forschungsprozess noch besser darzustellen, aber auch entsprechende UN-Regelungen (Access-Benefit-Sharing-Regelungen der UN-Konvention zur Biologischen Vielfalt) endlich zu vereinbaren.

Vieles des oben genannten fordert bestimmt etliche dazu heraus, zu relativieren, abzuwiegeln, die Selbstheilungskräfte der Natur zu betonen (wie nun auch wieder fälschlicherweise beim Ölunglück im Golf) oder eben zu behaupten, so ein paar Molche oder Lurche würden doch nicht die Welt aus den Angeln heben, wenn sie verschwunden sind. Im Wissensvermittlungs-Spannungsfeld (siehe Abbildung) wird also Biodiversitätsschutz sicherlich im Bereich des Relativierens besonders zerredet werden, v.a. wenn es um kurzfristige finanzielle Interessen geht. Auch alarmistisch-polemische Überziehungen, etwa nach dem Motto: Biodiversitätsschutz lässt uns verhungern, Lurche statt Menschen etc. werden wir sicherlich noch mehr zu hören bekommen. Und Handlungsempfehlungen werden hoffentlich nicht so ausgehen wie im Molchartikel der FAS.


Unsere Abbildung zeigt wie Wissenschaftsvermittlung und wissenschaftsbasierte Politikberatung sein sollte (grünes Dreieck), wie sie aber häufig tatsächlich abläuft bzw. wahrgenommen wird (rotes Dreieck). Wissenschaftliche Ergebnisse, aber auch der wissenschaftliche Prozess, der zu diesen Ergebnissen geführt hat, müssen authentisch und differenziert vermittelt werden. Daraus können Szenarien abgeleitet werden, die auf diesem Wissen basieren. Auch Handlungsempfehlungen dürfen ausgesprochen werden, wenn möglich sogar mehrere, so dass dann Gesellschaft und Politik darüber diskutieren und ggf. entscheiden. Statt differenzierter, authentifizierter Ergebnisdarstellung wird aber gerne stark relativiert, nach dem geschilderten Motto, wir wüssten doch noch viel zu wenig. Bezüglich statistisch abgesicherter Szenarien, bei denen auch die Fehlergrenzen aufgezeigt werden, wird gerne unterstellt, die Wissenschaft betreibe Alarmismus, und bei den Handlungsempfehlungen, die aus der Wissenschaft stammen, machen manche bestenfalls Eigeninteressen der Wissenschaft, gerne aber auch mal ideologische Beweggründe aus. Nehmen wir die Evolutionswissenschaften als Beispiel: ja, wir wissen trotz vieler offener Fragen unendlich viel darüber, die Evolutionstheorie ist bestens belegt, die Kreationisten behaupten jedoch, das würde nicht stimmen, man wisse viel zu wenig. Ein angewandtes Szenario Richtung nachhaltigem Umweltmanagement könnte wie folgt aussehen: die Natur bietet zwar evolutionäre „Selbstheilungskräfte“, allerdings ist die Geschwindigkeit der heute menschendominierten Selektion, etwa durch Landverbrauch, Regenwaldabholung, Überfischung und Klimaveränderung einfach zu rasch, als dass die evolutionäre Anpassungsfähigkeit hier positiv wirksam werden könnte. Gerne werden derartige Szenarien dann als alarmistisch abgetan. Wissensbasierte Handlungsempfehlungen wären bei diesem Beispiel die Reduktion von Treibhausgasen, die Ausweisung vernetzter Schutzgebiete, nachhaltiges Management von Agrargebieten, vielleicht auch Umstellen von Ernährungsgewohnheiten. Hier wittern dann wieder andere Interessensgruppen umstürzlerische Intentionen, Kontrollwut oder Vorwände, um eine, immer wieder herbei geredete Weltregierung einzurichten.
Abbildung aus: Leinfelder, R.R. (2010): Vom Handeln zum Wissen – das Museum zum Mitmachen.- In: Damaschun, F., Hackethal, S., Landsberg, H. & Leinfelder, R. (eds.)(2010): Klasse, Ordnung, Art. 200 Jahre Museum für Naturkunde, S. 62-67, Rangsdorf (Basilisken-Presse)

Politiker, Ökonomen und auch Wirtschaftsjournalisten sollten jedoch nicht vergessen, dass für fast jeden von uns die Natur überaus positiv emotional besetzt ist und schon einen sinnhaften Wert an sich darstellt. Egal, ob man die Natur nun als Produkt der Schöpfung oder der Evolution oder von beidem sieht - wir alle sind trotz aller Zivilisation nach wie vor auch Teil der Natur, deshalb wird sich die Gesellschaft die Natur nicht so leicht wegnehmen lassen! Es kommt allerdings darauf an, dass auch für nachfolgene Generationen genügend viel Natur erhalten bleibt. Wir hoffen also auf differenzierte Diskussionen, nicht nur, aber gerade auch im Hinblick auf die nächste UN-Konferenz zur Biologischen Vielfalt im November 2010 in Nagoya, Japan. Und übrigens, auch ein Darwin war fasziniert von der Vielfalt des Lebens, auch dieses Erbe Darwins, die Faszination für die Natur und die Erforschung der Natur gilt es weiterzugeben.