Foto: picture alliance / Mary Evans Pi, aus DIE WELT |
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Hier der Einstieg zum Artikel in DIE WELT (vom 11.4.2013):
"Debatte um Kreationismus an Bekenntnisschulen (von Matthias Kamann)
Mehr als Philosophie? Der Verband evangelischer Bekenntnisschulen will die Naturwissenschaften für religiöse Deutungen öffnen. Wissenschaftler, evangelische Kirche und Schulministerien sind alarmiert.
Reinhold Leinfelder ist kein Gegner des Glaubens. Der Professor für Paläontologie und Geobiologie an der Freien Universität Berlin plädiert für konfessionellen Religionsunterricht. Und obwohl er in seiner Zeit als Generaldirektor des Berliner Naturkundemuseums (2006 bis 2010) viel mit bibeltreuen Gegnern der Evolutionstheorie stritt, sagt der 56-Jährige: "Gegen eine geeignete Behandlung der biblischen Schöpfungslehre im Schulunterricht ist nichts einzuwenden."
Scharf aber kritisiert er eine "Stellungnahme" zu "Evolution und Schöpfungslehre", die auf der Homepage des Verbandes Evangelischer Bekenntnisschulen (VEBS) steht. Hier würden "Schüler in grotesker Weise falsch über das Wesen der Wissenschaft unterrichtet", sagte Leinfelder der "Welt"." ... >> zum ganzen Artikel
Neben vielen zustimmenden Kommentaren finden sich in der WELT.de-Version auch viele ablehnende Kommentare. Die Kommentarfunktion wurde nach kurzer Zeit von der WELT-online Redaktion geschlossen. Einige Beispiele im Nachfolgenden.
Kommentar-Typus: Religion ist insgesamt Ausdruck von Blödheit:
User "Gesunder Menschenverstand": "Gegen eine geeignete Behandlung der biblischen Schöpfungslehre im Schulunterricht ist nichts einzuwenden." Ab da kann man eigentlich nur noch den Kopf schütteln. Religiöse Lehren haben in einem säkularisierten Land nichts, aber auch garnichts im öffentlichen Raum verloren. Sinnvoll wäre es anstatt von Religionsunterricht, verpflichtend für alle ein Fach gemischt aus Ethik und Philosophie einzuführen."
Kommentar-Typus: Evolution ist Religion:
User "Terms": "Wenn die Evolutionstheorie als Theorie gelehrt würde, wäre das in Ordnung. Wird sie aber nicht. Die Evolution wird gewöhnlich als Tatsache dargestellt. Auch von Wissenschaftlern. Dieses Verhalten ist unwissenschaftlich und Folge von Eitelkeit oder einer Weltanschauung, die ohne "Evolution" nicht auskommt. Wo ist dann der Unterschied zu "Glauben"?"
User "Matti": "Es ist interessant mit welchem talibanisch missionarischem Eifer die Evolutionsgläubigen die Wissenschaft für ihre Ideologie mißbrauchen. Keine Fakten, keine "missing links", wie von Darwin vorhergesagt, nichts, was auf Evolution auch nur im Entferntesten hindeutet, aber dogmatisch an dieser Hypothese festhalten. Vielleicht sollte man mal ein kleines update machen und die Relativitätstheorie in die biblische Schöpfungsgeschichte mit einbeziehen. Dann ist der Schöpfungsbericht der Bibel nähmlich hoch wissenschaftlich. ..."
Kommentar-Typus: Klimawissenschaften sind Religion:
User "Real Tritium": ""Der Verband evangelischer Bekenntnisschulen will die Naturwissenschaften für religiöse Deutungen öffnen" Na und? Das machen die Grünen doch schon Jahrzehnte lang. Oder will jemand ernsthaft behaupten, die Weltuntergangspropezeiungen von der Klima-Hölle und all der andere Unfug hätten was mit Wissenschaft zu tun? Richtig. "The Church of Global Warming" ist schon längst in Schulen aktiv."
User "Real Tritium": "...Märchenfilmen wie z.B. 'Eine unbequeme Wahrheit' von Al Gore. Was die Grünen da machen ist von viel grösserer Relevanz als dieses absolute Nischenprodukt 'Kreationismus' denn die Grünen fordern unverholen den 'Gottesstaat', in dem alle gezwungen werden, den einen alleinseigmachenden Öko-Katechismus zu befolgen."
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Kommentar-Typus: Wer Religion nicht komplett ablehnt ist ein Religiot
User "Rolo": "So langsam sollte sich der Prof. mal entscheiden. Scheinbar weiß er nicht so genau, was er eigentlich will ? (Ist allerdings typisch für gebildete Religioten.)"
Immerhin verteidigt mich User (und Blogbetreiber) "Nickpol": @Rolo, wenn du Reinhold Leinfelder meinst irrst du gewaltig, er ist kein Religiot. Ich sags mal mit Vollmer: "Gerhard Vollmer: Da Naturalisten die Existenz Gottes nicht voraussetzen wollen oder sogar bestreiten; müssten sie somit in der beschreibenden oder der erklärenden Ebene stecken bleiben und dürften niemals zur Formulierung oder gar zur Begründung von Normen kommen."
Rolo entgegnet: "@Nickpol. Warum hat er dann nichts gegen die biblische Schöpfungslehre und das sie Schülern weiterhin untergejubelt werden soll ? Seine Entscheidung sollte zugunsten des menschlichen Verstandes, nicht zur Unterstützung der Verbreitung von steinzeitlichen Ammenmärchen erfolgen. Da wünschte ich mir eine konsequentere Einstellung. "
Tja, das kenne ich noch aus dem Darwin-Jahr, damals hatte mir die Giordano-Bruno-Stiftung die Halbierung Darwins vorgeworfen. Natürlich will ich nicht, dass die biblische Schöpfungslehre den Schülern "untergejubelt" wird, gar noch im Biologieunterricht. Nein, die biblische Schöpfungsgeschichte ist eine wortgewaltige Sinn-Metapher, deren Behandlung im Religionsunterricht sicherlich Sinn machen kann, sofern auch dort klar gestellt wird, dass sie eben kein naturwissenschaftlicher Bericht ist.
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Das Christliche Medienmagazin Pro, herausgeben von dem aus aus der ehemaligen "Konferenz evangelikaler Publizisten (KEP") hervorgegangenen "Christlichen Medienverbund KEP e.V." berichtet ebenfalls umfassend. Diese Berichterstattung ist betont unaufgeregt, aber nichts destoweniger mit den von mir kritisierten Empfehlungen des Verbandes Evangelischer Bekenntisschulen (VEBS) konform gehend. Subtil werden Verteidigung mit Angriffen verbunden. Einige Beispiele (Zitate kursiv, meine Kommentare Normalschrift):
"Der Text stammt vom Theologen und ehemaligem Gymnasiallehrer für Biologie und Mathematik Reinhard Junker. Er ist Geschäftsführer der Studiengemeinschaft Wort und Wissen, welche die auf der Bibel gründende Schöpfungslehre den Aussagen der Evolutionstheorie gegenüber stellt. Die Mitglieder sind der Meinung, dass die heute noch bestehende Monopolstellung der Evolutionslehre beim derzeitigen Stand der Forschung mit wissenschaftlichen Argumenten nicht zu rechtfertigen ist."
Hier erscheint Pro wichtig, herauszustellen, dass Reinhard Junker auch Biologe ist. Das ist durchaus legitim. Forschend war er in der Biologie allerdings meines Wissens nicht aktiv (die in den Organen von Wort und Wissen erschienenen Artikel kann ich nicht als biologische Forschung bezeichnen). Ansonsten wird bekräftigt, dass die Evolutionslehre gleichberechtigt einer (biologisch angesehenen) Schöpfungslehre gegenübergestellt werden müsste und dass die Evolutionslehre wissenschaftlich nicht begründbar sei. Was für diese Einschätzung spricht wird natürlich nicht angegeben, denn es würde ja auch nicht standhalten.
"Die Naturwissenschaft hat hier die Rolle des Indizienlieferanten. Indizien sind in der Regel aber nicht eindeutig. Eine Offenheit für verschiedene Deutungen ist daher gefordert.“ Eine übernatürliche Schöpfung wird als Ausgangspunkt für die Deutung naturwissenschaftlicher Daten deklariert. Weiter fordert Junkers Schrift die sachgemäße Darstellung der Evolutionstheorie im Unterricht. „Dabei soll den staatlichen Bildungsplänen Rechnung getragen werden“, betont die Empfehlung für die Schulen. „Ziel ist, den Schülern ein eigenes Urteil zu ermöglichen auf der Basis einer ausgewogenen Darstellung der biblischen Zusammenhänge einerseits und der naturwissenschaftlichen Daten und Theorien andererseits.“ Betont wird zudem eine „unideologische Vorgehensweise“. Das solle jedoch in beide Richtungen gelten: „Der prinzipielle Ausschluss von anderen Antworttypen als Evolution, also die Festlegung auf Evolution, ist Ausdruck einer Ideologisierung.“"
Hier geht es zunächst weiter mit der subtilen Diskreditierung der Naturwissenschaften, sie wird auf einen Indizienlieferanten reduziert. Die Deutung, also die wissenschaftliche Theorie sei dann offen zu halten. Eine übernatürliche Schöpfung sei also damit automatisch eine wissenschaftliche Theorie, in die dann die naturwissenschaftlichen Daten eingefügt werden. Von auf Daten basierender Hypothesenbildung, Test dieser Hypothese mit weiteren Daten, Erweiterung der Hypothese und weiterer Hypothesen zu einer wissenschaftlichen Theorie unter Test der Kompatibilität aller Daten mit diesen Hypothesen, weiterem Test mit verschiedensten Methoden ist nichts zu hören, all diese wichtigen Methoden der Wissenschaft werden einfach ausgeblendet. Übrigens begann Darwin mit einer derartigen Überlegung, er war ja vor seinen Studien streng religiös und meinte, den Gottesbeweis aus den Biodiversitätsdaten gewinnen zu können. Er merkte allerdings recht bald, dass man nicht mit einer glaubensbasierten, vorgegebenen Theorie ("Physikotheologie") arbeiten kann - der Ausgang ist bekannt...
Extrem kritisch ist zu bewerten, dass dann die Schüler angeblich selbst entscheiden sollen, ob naturwissenschaftliche Theorien oder schwurbelige pseudowissenschaftliche Thesen, zu denen sinngebende Glaubensinhalte pseudowissenschaftlich und natürlich ungerechtfertigterweise zweckentfremdet werden, richtiger seien. Das ganze soll dann auch noch unideologisch sein, sehr interessante Position...
"Wissenschaft sei nicht bloß eine „Philosophie, eine Art Weltanschauung“, wie von Junker behauptet, und es könne keine „Harmonisierungsmöglichkeiten“ zwischen Wissenschaft und religiösen Anschauungen geben. Denn Wissenschaft und Religion seien „zwei völlig unterschiedliche Kategorien, die nicht dasselbe beschreiben“, fuhr Leinfelder fort. „Wenn die Evolutionstheorie bestimmte Phänomene nicht erklären kann oder Lücken in der Befundlage feststellt – was zum täglichen Brot der Wissenschaft gehört –, dann muss weiter geforscht, müssen die Hypothesen überprüft werden. Es besteht aber keinerlei Anlass, den Glauben in die Lücken springen zu lassen.“ Junker hat in früheren Texten für „Wort und Wissen“ bereits zu diesem Vorwurf Stellung bezogen.
... die Argumentation lautet umgekehrt: Weil zuerst dem biblischen Schöpfungszeugnis geglaubt wird, stellt sich als zweites die Frage, ob und wie Gottes Schöpfungshandeln an den Dingen erkennbar ist, die er durch sein Wort, durch Kraft, Weisheit und Einsicht geschaffen hat.“ Viele Phänomene könnten „besser verstanden werden, wenn man einen Schöpfer annimmt, als wenn es nur ungerichtete Naturprozesse gäbe.“ ... Auch eine mögliche Kritik hat Junker in seinem Text antizipiert. In seiner VEBS-Empfehlung schreibt er: „In der Öffentlichkeit wird behauptet, eine kritische Behandlung von Evolutionstheorien und die Erörterung von Schöpfungs-Alternativen sei gefährlich. Diese Gefahr wird oft nicht konkretisiert, wenn doch, wird eine Wissenschaftsfeindlichkeit von Evolutionskritikern und Befürwortern der biblischen Schöpfungslehre behauptet.“
Das meiste hierzu ist oben bereits gesagt. Nochmals: so herum ist es keine Wissenschaft: Die Bibel als Test für naturwissenschaftliche Theorien zu nehmen ist geradezu grotesk. Wenn es nicht passt, ist es nicht mehr wissenschaftlich, dann versteht man es eben besser, wenn man einen Schöpfer annimmt. Die Unterstellung, dass nie konkretisiert würde, warum es gefährlich sei, Schöpfungs-Alternativen im Biologieunterricht zu behandeln, ist natürlich ebenfalls gegenstandslos. Bei mir ist dies z.B. Thema von sehr vielen Publikationen und Stellungnahmen, Herr Junker braucht nur diesen Blog zu durchsuchen (siehe auch Links unten) oder in mein Literaturverzeichnis zu schauen. Auf den Punkt gebracht: zur Lösung unserer gesellschaftlichen und umweltrelevanten Probleme benötigen wir eine Wissensgesellschaft, hierzu ist es notwendig, zu verstehen wie Wissenschaft funktioniert, was sie leisten kann und was nicht. Eine Beliebigkeit, wie etwa der verständliche Wunsch lieber keine ungerichteten Naturprozesse zu haben, ist eben nicht mit Wissenschaft vereinbar und damit kontraproduktiv für das Verständnis von Wissenschaft. Gefährlich ist diese Argumentation eben auch, weil sie ein "entweder-oder" herbeiredet, am Ende der Abwägung im Unterricht wird zu entscheiden sein - entweder Wissenschaft oder Glaube haben recht. Dass beide parallel bestehen können, sofern sich beide auf ihre Zuständigkeiten zurückziehen - Wissenschaft zur funktionellen Erklärung der Natur, Religion oder Philosophie für Sinnfragen, die über naturwissenschaftliche Erklärungen hinausgehen - wird mit einer kreationistischen Sicht unterbunden. Kreationismus greift damit insbesondere eine moderne Theologie an.
"Auch die Senatsverwaltung für Bildung in Berlin, wo es eine VEBS-Mitgliedschule gibt, sieht jene „Ausführungen zur Evolution und Schöpfungslehre an christlichen Bekenntnisschulen als durch das Gesetz gedeckt“ an."
Das ist allerdings für mich kaum verständlich. Die Corrie-ten-Boom-Realschule hatte über viele Jahre ihr entsprechendes kreationistisches Konzept für den Biologieunterricht, ganz im Sinne der VEBS-Stellungnahme auf ihrer Webseite (inzwischen verschwunden). Mir ist vollkommen unverständlich, wie diese Schule staatlich anerkannt sein kann. Ich bin gerade deshalb für freiwilligen staatlichen Religionsunterricht, damit fundamentalistischen Strömungen Einhalt geboten werden kann, dass ausgerechnet in Berlin kreationistischer Einfluss im Biologieunterricht möglich ist, ist mir nicht nachvollziehbar.
>> zum gesamten Artikel im Christlichen Medienmagazin Pro.
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Fazit: nix Neues auf der Bühne. Die deutschen Kreationisten bauen mit subtilen Methoden, aber dennoch vehement auch ihren Einfluss im Schulunterricht weiter aus, die zuständigen Behörden verstehen teilweise gar nicht, worum es geht, eine differenzierte Meinung, die für diejenigen, denen Religion sinnstiftend durch das Leben hilft und die dennoch mit der wissenschaftlichen Tatsache der Evolution keine Probleme haben, resultiert in Prügel von mehreren Seiten, sowohl von Ultraatheisten, für die Religion die Wurzel fast aller Übel darstellt und denen ich daher nicht weit genug gehe (- es gibt natürlich auch sehr viele Atheisten, die selbstverständlich akzeptieren, dass es auch Agnostiker und aufgeklärte Religiöse gibt und geben darf - ), und die Kreationisten, die teils subtil, teils vehement (siehe zitierte Kommentare) gegen die Wissenschaft schießen. Auch meine frühere Einschätzung, dass es durchaus Beziehungen zwischen der Argumentation von Evolutionsleugnern und Klimaleugnern gibt (wobei die Gruppen häufig nicht übereinstimmen und auch die Interessenlagen durchaus unterschiedlich sind), ist wohl wieder einmal substanziiert worden.
Abschließend noch ein paar ausgewählte Links zu früheren Beiträgen aus diesem Blog zum Thema:
>> Glauben und Naturwissenschaft - ein Schülerartikel
>> Buch: Darwin und kein Ende
>> Nun auch noch Biodiversitätsskeptiker?
>> Evolution und Klima - Skeptiker überall
>> Darwin und Weltbilder ein Jahr später - gibt es ein Fazit (zum Darwinjahr 2009)?
>> Adam, Eva und die Evolution - Kreationismus auf dem Vormarsch
>> Darwin - verbannt, missbraucht, halbiert, vergöttert?
>> Jede Menge Eigentore - das muss man doch mal aufschreiben!
>> Kreationisten und Schildkröten
>> Leitplanken für den Werteunterricht
>>So zitieren Kreationisten - Archaeopteryx und Jura-Korallen
>> Wir sind kein reiner Zufall – oder doch? Zur Sprachverwirrung zwischen Naturwissenschaftlern und Theologen
>> Einladung an kreationistische Schule zu einem Besuch des Museums für Naturkunde
>> Instrumentalisierung von Darwin durch religionskritische Stiftung?
>> Die Evolutionstheorie im Jahre 200 nach Darwin
>> Fossiler Schlangenfund bestätigt die Kreationisten?
Damit wird es für diejenigen, die damit Schwierigkeiten haben, hoffentlich möglich sein, meine Positionen einzuschätzen. Das eine oder andere hätte ich heute vielleicht anders geschrieben, vielleicht hat sich auch meine Meinung dazu teilweise modifiziert. Dennoch stehe ich selbstverständlich zu allen Beiträgen.
Nachtrag vom 16.4. Stellungnahme der EKD mit sehr deutlicher Distanzierung.