Freitag, 28. Juni 2013

Adam, Eva und der Stegosaurus

aus der FAZ vom 22.06.2013 (von Julia Kern)

Gott schuf die Welt in sechs Tagen, am siebten ruhte er. Was die meisten Christen als Metapher verstehen, nehmen Kreationisten wörtlich. Und lehren es an privaten Bekenntnisschulen.

Reinhard Junker war noch niemals in New York. Oder auf Hawaii. Der Mann mit der Föhnfrisur und dem verschmitzten Lächeln war überhaupt noch nie in den Vereinigten Staaten, erst recht nicht in Petersburg, Kentucky. Dabei ist die Welt dort genau so, wie sie ihm gefällt, auf den 70.000 Quadratmetern des „Creation Museum“: Gott schuf die Erde und all ihre Bewohner in sechs Tagen. Ausstellungsstücke zeigen Kinder, die mit Dinosaurierbabys spielen - bis die Sintflut kam und die Dinosaurier auf der Arche keinen Platz fanden. Für die Macher des „naturkundlichen Erlebniscenters“ ist die Welt wenige tausend Jahre alt und Evolution atheistische Ideologie.
Auch Reinhard Junker nimmt die Schöpfungsgeschichte der Bibel wörtlich. Er ist Kreationist, und gemeinsam mit Gleichgesinnten bemüht er sich, diese Vorstellung von der Entwicklung der Welt auch in Deutschland weiterzuverbreiten. Nicht nur im privaten Wohnzimmer oder im freikirchlichen Gemeindehaus, sondern auch in Klassenzimmern.  ..... > den ganzen Artikel lesen

Donnerstag, 13. Juni 2013

Neue Aufklärung? Neue Bücher zur Beziehung von Evolution, Kultur und Geist



In der Printausgabe von DIE ZEIT vom 6.6.2013 findet sich eine Besprechung des neuen Buchs von E.O. Wilson durch den Biologen, Philosophen und Autoren Andreas Weber mit dem Titel "Eine neue Aufklärung". Da diese Besprechung leider nicht online ist nachfolgend einige Auszüge.

"Wilsons neues Buch 'Die soziale Eroberung der Erde. Eine biologische Geschichte des Menschen' ist so etwas wie die Vorbereitung einer Kulturtheorie. Aber anders als die Soziobiologie oder die vom Harvard-Psychologen Steven Pinker vorangetriebene »Evolutionspsychologie« versucht Wilson das nicht, indem er genetische Module für diese oder jene Eigenschaft sichtet (etwa für einen »Sprachinstinkt« oder für künstlerische Ausdrucksfähigkeit) und Kultur zu einem »Nichts als Gene« macht. Vielmehr argumentiert er, dass Homo sapiens kaum das Resultat einer Selektion sein kann, die ein Gemisch von jeweils einzelnen »erfolgreichen« egoistischen Genen hervorgebracht hat. Unsere seelischen Eigenschaften, meint Wilson, ließen sich gerade nicht Stück für Stück auf ihre Nützlichkeit zurückführen – wie das populäre Magazine ja seit 30 Jahren immer wieder gern in den Märchen vom ewig hungrigen,ewig geilen Urmenschen nacherzählen. 



Vielmehr macht Wilson zwei gegenläufige Arten von Selektionsdruck aus, die geradewegs zur Janusköpfigkeit der Spezies Mensch führen: Einige unserer
Eigenschaften – unsere Zahmheit, unsere Fähigkeit zur Kooperation, das lebenslange Lernen – sind dem Überleben in der Stammesgruppe geschuldet. Andere aber, wie unser Streben nach Freiheit, doch auch Egoismus und Gier, folgen dem Selektionsdruck auf Individuen, möglichst stabil zu sein. Wilsons Fazit: Die Stammesgeschichte »machte einen jeden von uns halb zum Heiligen und halb zum Sünder«. Die Evolution schuf zwei Herzen in unserer Brust. Und wie diese in Einklang zu bringen sind, so Wilsons geradezu faustische Biologie, ist nicht mehr Sache der evolutionären Anlagen, sondern der Kultur. »Unsere Art ist kein Homo oeconomicus«, schreibt er eindringlich.
....


Gleichwohl wurde die Brisanz von Wilsons Umkehr außer in Fachkreisen kaum wahrgenommen. Dort aber sind jetzt die Gräben tief. Richard Dawkins, Erfinder des »egoistischen Gens« und Lehrstuhlinhaber in Oxford, fühlte sich von Wilsons Wende so provoziert, dass er eine Schmähschrift veröffentlichte – unter dem Titel E. O. Wilsons Abstieg. Dawkins schreckte nicht davor zurück, zur Verstärkung seiner Argumente Dutzende Kollegen zu nennen, die des Amerikaners späte Umkehr angeblich alle für pures Plemplem halten. Dieser konterte selbstbewusst: »Wenn Wissenschaft immer noch durch Meinung der Mehrheit entschieden würde, wären wir über Scheiterhaufen und die Phlogiston-Lehre nicht hinaus.«"
(Ausschnitt aus Andreas Webers Artikel in DIE ZEIT 24/2013, S. 51)


Andere Rezensionen zum Buch fallen weit weniger freundlich aus. So schrieb Felix Eckhardt (Jurist, Philosoph und Soziologe) in der Süddeutschen Zeitung vom 9.4.2013

"... Seltsame Blüten treibt das als naturwissenschaftlich präsentierte Bemühen, alles in einfache und quantifizierbare Begriffe zu bringen, wenn Wilson meint, menschliche Charaktere anhand von fünf banalen Grundeigenschaften wie extrovertiert versus introvertiert beschreiben zu können. Dass ein solcher Ansatz in der Anwendung von relativ willkürlichen Einschätzungen abhängt und überdies grob unterkomplex ist, scheint ihm nicht in den Sinn zu kommen.
  Hier wie auch sonst öfter merkt man, dass Wilson letztlich Experte für die biologische Evolution von Insekten ist. Der umfassende Beitrag diverser Geisteswissenschaften dazu, was Individuen sowie den kollektiven sozialen Wandel antreibt, ist ihm offenbar weitgehend unbekannt. All dies müsste aber bekannt sein, um den Anteil evolutionärer Prägungen nicht zu überschätzen.
  Ebenso versteht Wilson wie viele die Sein-Sollen-Scheidung nicht. Er realisiert also nicht, dass Erklärungen zum Zustandekommen von Wertvorstellungen nichts darüber aussagen, ob diese ethisch gerechtfertigt sind oder nicht. Erklären kann man im Leben vieles, vielleicht sogar fast alles. Doch selbst wenn Kriege und Gewalt – so Wilson – evolutionsbiologisch mitbedingt wären, würde das rein gar nichts darüber besagen, ob sie zu begrüßen oder zu verurteilen sind. Deshalb ist auch Wilsons Anspruch abwegig, die Ethik zu revolutionieren. Selbst wenn es zuträfe, dass Altruismus evolutionsbiologisch als Gruppenegoismus entstanden ist, dann beweist das nicht, dass eine universale Ethik falsch ist. Es würde lediglich zeigen, dass es der Universalismus in der praktischen Durchsetzung nicht leicht hat. Das allerdings trifft in der Tat zu. ...."
Diese Rezension ist über Bücher.de komplett aufrufbar (Reiter Rezensionen anklicken).

Helmut Mayer rezensierte bereits am 11.2.2013 im Feuilleton der FAZ. "Der Perlentaucher" schreibt dazu: "Echte Ameisenmühe gibt sich Helmut Mayer mit diesem Buch des berühmten Ameisenforschers E. O. Wilson. Interessiert ob Wilsons Versuch, seine Liebe zu den Insekten mit einem biologisch geerdeten Menschheitsbild zusammenzudenken, liest Mayer los - und muss leider feststellen, dass Wilsons Konzept der Gruppenselektion (anstelle der individuellen) nicht zieht. Schlimmer aber scheint ihm, dass der Autor sich darum nicht schert und stattdessen munter in der Erdgeschichte herumspringt, um seine Idee von der Rückführung alles Guten in uns auf gruppenselektive Vorgänge ins rechte Licht zu rücken. Für Mayer eine Evolutionstheorie der fantastischen, der autistischen Art.
Der FAZ-Artikel kann kostenpflichtig hier nachgelesen werden.

Mal sehen wie die Diskussion weitergeht. Andreas Weber meinte ja, dass "Wilson ... am Ende seines Buchs nichts weniger als eine neue Aufklärung" ausrufe. Die anderen sehen das offensichtlich nicht sofort so.

Zu einem ähnlichen Thema äußert sich nun auch der US-Philosoph Thomas Nagel. In seinem neuen Buch "Mind and Cosmos" bezweifelt er laut einer Rezension von Malthe Lemming unter dem Titel "Linker US-Philosoph sägt am Darwinismus" im Cicero auch die Möglichkeiten der Evolutionstheorie und postuliert sogar teleologische Antriebe: "Sie [die Evolutionstheorie] sei zwar nicht falsch, aber ungenügend. Die „ganze Wahrheit“ werde von ihr nicht erfasst. Denn die im Prinzip ziellose Abfolge von Mutation und Selektion könne nicht ausreichend erklären, wie aus anorganischem organisches Leben entstand, aus einfachen Systemen komplizierte wurden und Instinkt in Verstand und Bewusstsein mündete.„Organismen wie die unseren haben nicht einfach nur zufällig Bewusstsein.“ Die Lehre Darwins müsse folglich ergänzt werden durch teleologische Hypothesen, oder anders gesagt: einer „kosmischen Prädisposition der Entstehung von Leben, Bewusstsein und den Werten, die sich davon nicht trennen lassen“. Teleologie meint in diesem Zusammenhang: Dinge geschehen auch, weil sie auf dem Weg zu einem Ziel liegen. ..."

Klar dass die Intelligent Designer da bereits jubeln. Und Lemming weiter: "„Mind and Cosmos“ ist weit davon entfernt, ein schlüssiges Alternativkonzept zum psychophysikalischen Reduktionismus und zur Evolutionslehre zu liefern. Die Provokation des Buches liegt eher in der scharfsinnigen Problematisierung des vorherrschenden naturwissenschaftlichen Weltbildes. Nagel gibt keine Interviews. Vielleicht soll sein jüngstes Werk eine Art Vermächtnis sein. Am Schluss prognostiziert er: „Ich gehe jede Wette ein, dass der gegenwärtige Konsens (in Bezug auf materialistischen Neo-Darwinismus) in ein oder zwei Generationen lächerlich erscheinen wird – obwohl er natürlich ersetzt werden könnte durch einen neuen Konsens, der sich erneut als ungültig erweist.“
Ist dies eine revolutionäre These? Oder halt auch ein "Alterswerk"? Das Entscheidende wäre Methoden zu finden, um dies untermauern bzw. falsifizieren zu können. Wishful thinking allein reicht sicherlich nicht.

Ich bin gespannt, ob es hier zu konstruktiver Dialogbereitschaft kommen wird oder ob wir zunehmend auf eine  aus manchen Geisteswissenschaften heraus resultierenden Wissenschaftsfeindlichkeit gegenüber den Naturwissenschaften zusteuern, so wie sie laut eines anderen, etwas glossenartigen ZEIT-Artikels von Harald Martenstein in manchen Bereichen der Gender-Forschung heute üblich sei: Zitat aus diesem Artikel: "Das Feindbild der meisten Genderforscherinnen sind die Naturwissenschaften. Da ähneln sie den Kreationisten, die Darwin für einen Agenten des Satans und die Bibel für ein historisches Nachschlagewerk halten. "Naturwissenschaften reproduzieren herrschende Normen." – "Naturwissenschaften konstruieren Wissen, das den gesellschaftlichen Systemen zuarbeitet." – "Der Objektivitätsanspruch der Wissenschaft ist ein verdeckter männlicher Habitus." – "Naturwissenschaft und Medizin haben eine ähnliche Funktion, wie die Theologie sie einst hatte". Von solchen Sätzen wimmelt es in den Einführungen. Irgendwie scheint Genderforschung eine Antiwissenschaft zu sein, eine Wissenschaft, die nichts herausfinden, sondern mit aller Kraft etwas widerlegen will. Aber wenn Wissenschaft immer interessengeleitet ist, was vermutlich stimmt, dann gilt dies wohl auch für die Genderforschung." (> zum ganzen Artikel)

Ich kann aus eigener Erfahrung unterstreichen, dass es neben Genderforschung noch ganz viele anderen Bereiche gibt, wo Ultra-Konstruktivisten den Naturwissenschaften vorhalten, auch ihre Ergebnisse und Analysen seien sowieso nur Kopfgebilde. Aber bleiben wir noch kurz beim Thema Gender: Vielleicht halten wir uns bei diesem Thema momentan an ein differenziertes Interview mit der Psychologin Doris Bischof-Köhler (Autorin des Standardwerks "Von Natur aus anders") von der LMU (in der ZEIT 24/2013, leider nicht online):

Zum einen: "Wenn man als empirische Wissenschaftlerin sozialisiert ist, hat man gelernt, Spekulationen nicht für bare Münze zu nehmen, nur weil sie originell klingen. Man bemüht sich, das Regulativ der empirischen Kontrolle zu respektieren, auch wenn es den Erwartungen widerspricht. Die Genderbewegung hat, soweit ich erkennen kann, kein Interesse an Objektivität. Hier scheint ein konstruktivistisches Weltbild vorzuherrschen, dem zufolge so etwas wie eine objektive Wirklichkeit, die es zu erforschen gilt, nicht existiert. Faktizität und Fantasie verschmelzen auf eine Weise, in der ich nicht recht mitdenken kann."

Aber auch:  Frage: "Wenn die Genderforschung zu utopisch ist – ist die Evolutionsbiologie zu affirmativ? Einige Unterschiede zwischen Mann und Frau, die man mal für unumstößlich hielt, sind verschwunden. Dass Frauen Auto fahren, als Ärzte arbeiten, Hosen tragen, unverbindlichen Sex haben – das war unvorstellbar und ist heute selbstverständlich. "
Antwort B-K: "Ich teile durchaus das Missfallen an so leichtfertigen Essays à la »Einparken« und »Zuhören können«...aber es ist unfair, wenn dergleichen als repräsentativ für die evolutionsbiologische Argumentation angeführt wird. Natürlich gibt es zeitbedingte Gewohnheiten, die sich ändern. Die zentralen Differenzen – der unterschiedliche Umgang mit Konkurrenz zum Beispiel, von dem ich gesprochen habe – werden sich aber nicht so einfach in Luft auflösen.
"

Wer noch etwas mehr wissen will, wie Naturwissenschaften funktionieren, dem kann ich Lewis Wolperts Buch "Unglaubliche Wissenschaft" empfehlen. Schon ein bisschen betagt, aber immer noch spannend. Vielleicht ist es ja auch ein "Alterswerk" dieses bekannten Biologen, der sich Zeit seines Lebens offensichtlich des öfteren über Ultrakonstruktivisten und bestimmte philosophische Sichtweisen geärgert hat.  Die Kernthese seines etwas anderen wissenschaftsphilosophischen Buches "Vieles an der Logik der (Natur-)Wissenschaften leuchtet uns nicht ein, weil sie dem alltäglichen Denken, dem Common Sense, zuwiderläuft und unseren Intuitionen hohnspricht" Oder kurz gesagt: "Der Radfahrer bleibt im Sattel, aber er weiß nicht warum" (und braucht es auch nicht zu wissen, um durch's Leben zu kommen) (aus dem Klappentext des Buchs. > Hier einige Kurzkritiken)

Mein kleines Zwischenfazit: Es gibt ein bekanntes Zitat eines berühmten Evolutionsforschers: (T. Dobhzansky), der sehr zutreffend meinte: "Nichts in der Biologie macht Sinn außer im Licht der Evolution" (siehe dazu auch > hier). Über die Veränderung dieses Satzes durch einen anderen Evolutionsbiologen zu "Nichts in den Geisteswissenschaften macht Sinn außer im Licht der Biologie" war ich damals nicht sehr angetan. Nun scheinen wir umgekehrt soweit, dass doch auch viele GeisteswissenschaftlerINNEN direkt oder indirekt behaupten, dass nichts in den Naturwissenschaften Sinn mache außer vielleicht im Licht der Geisteswissenschaften. Das alles ist nicht sehr hilfreich für wissenschaftlich zu bearbeitende Themen, die immer komplexer werden und interdisziplinär-systemischen Zugang notwendig haben. Wollen wir hoffen, dass Natur- und Geisteswissenschaften weiter und wieder besser ins konstruktive Gespräch kommen und dabei insbesondere die Möglichkeiten,  Grenzen und Kooperationsfähigkeit ihrer jeweiligen Ansätze gewinnbringend miteinander diskutieren. Erfreulicherweise gibt es auch dafür viele positive Beispiele.

Kleiner Nachtrag vom 16.6.2013: Ich hatte das Vergnügen auf einem dieser positiven Beispiele in den letzten beiden Tagen dabei sein zu dürfen: Die Tagung "Culture and the Anthropocene), veranstaltet vom Rachel Carson Center und dem A.v.Humboldt Transatlantic Network in the Environmental Humanities. Viel gegenseitig gelernt. Das Programm gibt es > hier.