Schon Charles Darwin hatte sich den Kopf darüber zerbrochen, wie komplexe Ameisenstaaten entstehen konnten. Die komplexe Arbeitsteilung in Ameisenstaaten war deshalb auch immer ein Argument von Kreationisten gegen die Evolutionstheorie. So etwas derart Komplexes könne doch evolutionär nicht erklärbar sein. Harun Yahya, der Autor des aggressiv-kreationistischen Machwerks "Atlas der Schöpfung" (siehe auch Blog vom 4.1.09) schrieb sogar ein ganz harmlos daher kommendes Kinderbüchlein, die Welt der Ameisen, welches auch als online-pdf (in 16 Sprachen) verfügbar ist (siehe hier). Hier ein paar Ausschnitte dieses Kinderfreunds:
(Zitat Harun Yahya) "Omars geheimnisvoller Freund ist eine kleine Ameise, die viele wundervolle Dinge tun kann. Vielleicht wisst ihr noch nicht, wie intelligent und geschickt Ameisen sind. Vielleicht glaubt ihr sogar, dass sie einfache Insekten sind, die den ganzen Tag umherlaufen, ohne irgend etwas zu tun. Doch wenn ihr so denkt, irrt ihr euch ganz gewaltig, denn die Ameisen führen - wie viele andere Lebewesen auch - ein ganz besonderes Dasein."
(Zitat Harun Yahya) ".... Doch das ist noch lange nicht alles, was Ameisen so erstaunlich macht. Obwohl Millionen von ihnen zusammen leben, haben sie nie Streit miteinander und niemals gibt es Unordnung. Sie führen ein vorbildliches Leben, in dem sich jeder an die Regeln hält."
(Zitat Harun Yahya): "..... Ich glaube, wenn ihr diese Zeilen lest, wird jeder von euch ebenso die Wahrheit erkennen wie Omar und wissen, dass Allah es ist, Der alles erschuf. Dann werdet ihr sagen: 'Charles Darwin, der sagte, dass Lebewesen nicht erschaffen worden sind, sondern durch Zufall existieren, war ein großer Lügner. Wenn wir von so vielen Geschöpfen umgeben sind, die so viele faszinierende Fähigkeiten haben, ist es unmöglich zu glauben, dass sie zufällig entstanden sein sollen.'
Wenn du also eines Tages, so wie Omar, einem guten Freund begegnest, vergiss niemals, dass du viel von ihm lernen kannst. Forsche und denke über die Vollkommenheit der Schöpfung nach, die Allah erschuf. Und solltest du jemals Lügner wie Charles Darwin treffen, erzähle ihnen von den Eigenschaften deiner kleinen Freunde, und sage Ihnen, dass du ihren absurden Lügen niemals glauben wirst." (Zitate Ende)
Da sind wir doch froh, dass wir Bert Hölldobler und Edgar O. Wilson haben. Die beiden Verhaltensforscher und Soziobiologen bekamen schon 1991 den Pulitzer-Preis für ihr Buch "The Ants". Nun gibt es ab Herbst 2009 sozusagen einen Band 2 mit Titel "Der Superorganismus".
Dies nimmt die Süddeutsche Zeitung heute zum Anlass, den Superorganismus Ameisenstaat als Teil ihrer Serie "200 Jahre Charles Darwin" in einem lesenswerten Artikel vorzustellen. Hieraus einige Auszüge sowie der Link zum Gesamtartikel:
Aus der Süddeutschen Zeitung vom 6.6.2009, von Tina Baier:
Ein Leben als Superorganismus
"Manche Ameisen-Staaten funktionieren wie ein einziges Wesen. Die Intelligenz, Kommunikation und Aggressivität dieser Superorganismen wirken fast menschlich.
Als Bert Hölldobler das erste Mal von einer Ameise zum Kampf herausgefordert wurde, konnte er kaum glauben, was er sah. Die afrikanische Weberameise hob ihr Hinterteil, fuchtelte mit den Antennen in der Luft und sperrte ihre Mandibeln drohend auf: eine furchterregende Kampfmaschine, glücklicherweise nur etwa so groß wie ein Radiergummi.
"Ameisenforscher sind es nicht gewohnt, dass ihnen ihr Studienobjekt derart selbstbewusst, um nicht zu sagen arrogant gegenübertritt", schrieb Hölldobler über die Begegnung. Je länger er sich mit den Weberameisen beschäftigte, umso größer wurde seine Bewunderung. Die Insekten leben in riesigen Kolonien hoch oben in den Urwaldbäumen.
Ein Staat umfasst Hunderte von Nestern, verteilt auf bis zu 20 Bäume. Ihr Zusammenleben und -arbeiten haben die Weberameisen derart perfektioniert, dass sie wie ein einziges Lebewesen gesehen werden können, ein Superorganismus.
Der Eierstock dieses Lebewesens ist die Königin. Sie sitzt ihr Leben lang in einem der Nester und produziert Millionen von Nachkommen. Die Arbeiterinnen entsprechen den Körperzellen. Wie Muskel-, Gehirn-, oder Lungenzellen sind sie auf verschiedene Aufgaben spezialisiert.
Schon Charles Darwin hatte sich den Kopf darüber zerbrochen, wie derart komplexe Insektenstaaten entstehen konnten. In ihrem neuen Buch "Der Superorganismus", das im Oktober im Springer-Verlag, Heidelberg, erscheint, beschäftigen sich Bert Hölldobler und sein Kollege Edward Wilson unter anderem mit der Evolution dieser hochentwickelten Ameisenstaaten, die in vielen Punkten an menschliche Gesellschaften erinnern - mit dem Unterschied, dass sie reibungsloser funktionieren.
Charakteristisch für einen Superorganismus ist, dass er Leistungen vollbringt, zu denen ein einzelnes seiner Mitglieder nie im Stande wäre und Lösungen für komplexe Probleme findet. Die Nester von Weberameisen beispielsweise sind architektonische Wunderwerke.
.......
Grundvoraussetzung für das Funktionieren des Superorganismus ist die Selbstaufgabe der einzelnen Arbeiterin, die sich um die Brut der Königin kümmert und dabei auf eigene Nachkommen verzichtet; oder der Soldatin, die bei Auseinandersetzungen ihr Leben opfert, um den Superorganismus zu verteidigen.
Wie derart altruistisches Verhalten im Laufe der Evolution entstehen konnte, ist eine der zentralen Fragen der Evolutionsbiologie. Auf den ersten Blick passt Selbstlosigkeit, die es auch beim Menschen gibt, nicht zu der Annahme der Evolutionstheorie, dass es das Ziel jedes Lebewesens ist, möglichst viele eigene Nachkommen zu produzieren.
Der erste Schritt zum Superorganismus war wahrscheinlich eine kleine Veränderung (Mutation) in den Genen, die zur Folge hatte, dass das Brutpflegeprogramm verfrüht angeschaltet wurde, obwohl die Tiere noch gar keine Eier gelegt hatten.
Mangels eigenen Nachwuchses halfen die fehlprogrammierten Ameisen bei der Aufzucht ihrer jüngeren Schwestern. Im Unterschied zum Superorganismus funktioniert das System in diesem Stadium, in dem sich auch heute noch viele Ameisenstaaten befinden, noch nicht perfekt.
Immer wieder kommt es vor, dass Arbeiterinnen versuchen, das System auszunutzen und den Brutpflegerinnen ihre eigenen Eier unterzujubeln. Wenn der Betrug entdeckt wird, wird er allerdings hart bestraft. Oft erkennen die Brutpflegerinnen die fremden Eier, weil sie anders riechen als die Eier der Königin und töten die fremde Brut. Die Betrügerin wird gebissen und herumgezerrt bis sie so gestresst ist, dass sie unfruchtbar wird. ..."
>> gesamten Artikel lesen
Auch in der FAZ finden sich etliche sehr interessante Beiträge zum Thema:
"Wie Ameisen Staat machen" Von Gert Rüschemeyer, vom 7.1.2009
"Vom Nutzen königlicher Polygamie" Von Dietmut Klärner, 2.6.2008
"Zoff im Amazonenstaat" Von Gert Rüschemeyer, vom 5.10.2004
Charles Darwins evolutionäre Überlegungen zu Ameisenstaaten von 1859 lauteten folgendermaßen:
Er sprach vom Instinkt der "sklavenmachenden Ameisen", hier ein Auszug:
"Ich will mich nicht vermessen zu erraten, auf welchem Wege der Instinkt der Formica sanguinea sich entwickelt hat. Da jedoch Ameisen, welche keine Sklavenmacher sind, wie wir gesehen haben, zufällig um ihr Nest zerstreute Puppen anderer Arten heimschleppen, so ist es möglich, dass sich solche, vielleicht zur Nahrung aufgespeicherte Puppen dort auch noch zuweilen entwickeln, und die auf solche Weise absichtslos im Hause erzogenen Fremdlinge mögen dann ihren eigenen Instinkten folgen und das tun, was sie können. Erweist sich ihre Anwesenheit nützlich für die Art, welche sie aufgenommen hat, und sagt es dieser letzten mehr zu, Arbeiter zu fangen als zu erzeugen, so kann der ursprünglich zufällige Brauch, fremde Puppen zur Nahrung einzusammeln, durch natürliche Zuchtwahl verstärkt und endlich zu dem ganz verschiedenen Zwecke, Sklaven zu erziehen, bleibend befestigt werden. Wenn dieser Instinkt einmal vorhanden, aber in einem noch viel minderen Grade als bei unserer Formica sanguinea entwickelt war, welche noch jetzt, wie wir gesehen haben, in England von ihren Sklaven weniger Hülfe als in der Schweiz empfängt, so kann natürliche Zuchtwahl dann diesen Instinkt verstärkt, und immer vorausgesetzt, dass jede Abänderung der Spezies nützlich gewesen sei, allmählich so weit abgeändert haben, dass endlich eine Ameisenart in so verächtlicher Abhängigkeit von ihren eigenen Sklaven entstand, wie es Formica rufescens ist."
(aus: Über die Entstehung der Arten, Kap 8. Instinkt, Unterkapitel Über Ameisen, die Sklaven halten, siehe hier)
Damit ist also klar, dass Harun Yahya und Co. weder Recht haben mit ihrer Aussage, dass innerhalb der Ameisenstaaten alles extrem friedlich zugehe noch dass Darwin mit dem Versuch, Ameisenstaaten evolutionär zu erklären, auf dem Holzweg war. Allerdings bedurfte es Wissenschaftlern wie Bert Hölldobler, E.O. Wilson und anderen, die Mechanismen aufzuzeigen. Die Forschungsaufgabe, Superorganismen evolutionär zu erklären, ist allerdings noch nicht zu Ende.
(Bild aus Lucas, der Ameisenschreck, www.skip.at/film/7880/bildgalerie/196/?page=13)
Creationisten argumentieren gerne mit vermeintlich darwinistischen Ansichten, um sie dann als Unsinn zu deklarieren. Beispiel: hochsoziale Insektenstaaten sind besonders erfolgreich in ihrer Verbreitung und Fortpflanzung, müssten also im Laufe der Evolution alle anderen nichtsozialen Insekten verdrängt haben. Da das offen-sichtlich nicht der Fall ist, kann die Selektionstheorie Darwins nicht stimmen.
AntwortenLöschenDie Evolutionsbiologie geht aber bei den sozialen Insekten von einem Gleichgewicht selektiver Vor- und Nachteile aus. Ein Superorganismus wie der Ameisenstaat kann sich nur unter der Bedingung einer breiten Ressourcenbasis (vor allem Nahrung) entwickeln, dort wo Nahrung knapp ist, sind die solitären Insekten im Vorteil. Diese können sich auch bei Umweltänderungen schneller anpassen als die schwerfällige "Maschinerie" einer Ameisenkolonie.
Die Evolutionsbiologie erklärt die Natur sehr viel differenzierter als es die Creationisten Glauben machen wollen.