Heute möchte ich am Beispiel zweier pseudowissenschaftlicher kreationistischer Artikel aufzeigen, wie dort Zitate zwar nicht falsch wiedergegeben werden, aber eben bewusst aus dem Kontext gerissen werden. Damit ich auch wirklich korrekt interpretiere, nehme ich dazu zwei Beispiele aus meinem eigenen Arbeitsbereich.
Beispiel 1: Archaeopteryx, 10. Exemplar
Kontext: der tatsächliche Fundzeitpunkt dieses ausgezeichnet erhaltenen Exemplars ist nicht genau bekannt, es wurde wie alle anderen Exemplare in der Region Eichstätt/Solnhofen (Bayern) gefunden und wurde 2005 durch eine Publikation öffentlich bekannt. Damals war ich für die "Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns" zuständig. "Archie 10" war jedoch bereits auf unbekannten Wegen in die Schweiz und von dort weiter an ein Privatmuseum in die USA davongeflattert. Dies führte zu Protest aus der Paläontologen-Community, da ein wissenschaftlich derart wertvolles Exemplar nach Meinung der Wissenschaft (darunter der renommierten Society of Vertebrate Paleontologists) unbedingt an einem öffentlichen, d.h. nicht-privaten Museum untergebracht werden sollte, um den dauerhaften Erhalt und Zugang für die Forschung zu sichern (die kleine Abbildung zeigt das 10. Exemplar).
In diesem Kontext schrieb ich an die Wissenschaftszeitschrift SCIENCE Magazin einen offenen Brief, der im April 2006 auch abgedruckt wurde.
In Apologetics-Press erschien daraufhin folgender Artikel (unter www.apologeticspress.org/articles/3113), in dem aus meinem publizierten SCIENCE-Letter zitiert wurde.
(der Artikel erschien nun übrigens anlässlich des Darwin-Jahrs auch nochmals in diesem Blog)
Archaeopteryx—“The Greatest Embarrassment of Paleontology”
by Brad Harrub, Ph.D.
Auszug: " ..... The irony is that there are no alternative “ancestors” that would explain the evolutionary existence of birds. Dinosaurs are the only candidates that can offer any answers as to how birds came into existence. Thus, evolutionists are forced to defend this “transitional fossil,” no matter how tenuous the evidence. This necessity explains why evolutionists are so dogmatic about this material remaining in textbooks—they want to ensure all students are familiar with Archaeopteryx.
Last year, the journal Science reported the discovery of the tenth Archaeopteryx specimen (see Mayr, et al., 2005). Gerald Mayr and his colleagues observed: “Here we describe a 10th skeletal specimen of an archaeopterygid. The specimen was discovered in an unknown locality of the Solnhofen area and was housed in a private collection before it was recently acquired by the Wyoming Dinosaur Center, Thermopolis, USA” (2005, 310:1483, emp. added). [One wonders if this “unknown locality” was the same Chinese farmhouse that witnessed the “evolution” of the alleged Archaeoraptor—a creature later determined to be a forged composite, consisting of fossilized remains from both a bird and a dinosaur.] This latest Archaeopteryx discovery has stimulated once again a great deal of controversy—as many scientists question the validity of the find, and others question whether Archaeopteryx is even a link at all.
While many evolutionists have hailed Archaeopteryx as a vital transitional fossil, few readily admit the peculiar circumstances that frequently accompany Archaeopteryx discoveries. For instance, Reinhold Leinfelder, director of the General Museum of Natural History in Humboldt-University noted:
Der oben blau wiedergegebene Textabschnitt ist korrekt zitiert, dies habe ich tatsächlich so geschrieben. Allerdings war es nur der journalistische Einstieg in den Science-Leserbrief. Im diesem publizierten Brief unter dem Titel "Archaeopteryx - the Lost Evidence" fuhr ich, nachdem ich näheres zur Publikation des Objekts geschrieben hatte, dann folgendermaßen fort:It seems that Archaeopteryx findings have always been accompanied by mysterious circumstances. The first complete specimen discovered in Bavaria in 1861 was sold by its anonymous finder to a wealthy buyer, kept secret, and eventually sold to the Natural History Museum in London. The tenth, and most recent, specimen is no exception. Also found in Bavaria, by an unknown person (allegedly in the 1970s), it was sold to an unknown third party in Switzerland, ending up in a small private museum in Thermopolis, Wyoming, USA (2006, 312:197, emp. added). ...."
Ende des Zitats.
"The remains of Archaeopteryx are probably the most important fossils in the world, the petrified evidence for Darwin’s postulate of the existence of missing links. The preservation of
the 10th specimen is spectacular, rivaled only by the second specimen. It might seem appropriate that it should find a home in the creationism-shaken and intelligent design–rattled United States. I am concerned, though, that because it is a private museum, researchers may not always have unrestricted and timely access. ...."
Also, keine Möglichkeit, mich nur im Entferntesten so interpretieren zu können, ich würde zugeben, Archaeopteryx sei kein wichtiger Beleg für die Evolution. Dies wird mir zwar nicht direkt im Apologetics-Artikel unterstellt, aber wohl doch indirekt impliziert. Aber tatsächlich spreche ich ja sogar davon, dass Archie 10 DER versteinerte Beleg schlechthin dafür sei, dass Darwin Recht hatte und dass der Verbleib des Objekts in USA vielleicht ein gutes Argument gegen den weitverbreiteten Kreationismus dort sei. Klar, dass dies dann nicht zitiert wurde.
Im Rest meines kleinen SCIENCE-Artikels geht es dann übrigens um das Anliegen, Fossilschutzregelungen zu verbessern bzw. überhaupt erst zu etablieren, damit die Wissenschaft keinen Schaden nähme (den gesamten Artikel finden Sie hier - nur mit SCIENCE-Berechtigung - bzw. frei zugänglich als jpg durch Klick auf nebenstehendes Bildchen).
Nur zur Info: Das erste Archaeopteryx-Exemplar wurde übrigens erst einmal wegen seiner "Gotteslästerlichkeit" totgeschwiegen. Aus denselben Gründen möchten die Kreationisten Archaeopteryx weiterhin madig machen. Dazu sind auch komplett sinnentstellende Zitationen recht.
Wer übrigens noch mehr Details zur "Archie 10"-Fund- und Verkaufsgeschichte wissen möchte, wird in der ZEIT vom 20.4.06 fündig .
Apologetics Press ist eine kreationistische Website.
Wer das nicht glauben sollte, sei auf die Sektion "About A.P." verwiesen, dort steht unter der Überschrift "What we believe" unter anderem:
- "The entire material Universe was specially created by this almighty God in 6 days of approximately 24- hours each, as revealed in Genesis 1 and Exodus 20:11.
- Both biblical and scientific evidence indicate a relatively young Earth, in contrast to evolutionary views of a multi-billion-year age for the Earth.
- Both biblical and scientific evidence indicate that many of the Earth’s features must be viewed in light of a universal, catastrophic flood (i.e., the Noahic Flood as described in Genesis 6-8)."
OK, so kommt man also in den USA bei den Kreationisten zu Ehren. Doch auch in Deutschland wird man diesbezüglich gerne bewusst mit Kurzzitaten in den falschen Kontext gestellt. Aber bilden Sie sich selbst Ihr Urteil:
Beispiel 2: Höhere Wachstumsraten von Korallen wähend der Jurazeit?
Gehen wir zur angeblich wissenschaftlichen Zeitschrift "Studium Integrale" der evangelikalen Studiengemeinschaft Wort+Wissen e.V., die u.a. das sog. Lehrbuch "Evolution - ein kritisches Lehrbuch" herausgibt. In diesem Buch, wie auch in den anderen Beiträgen von Wort+Wissen wird eine sog. Grundtypentheorie als Alternative zur Evolutionstheorie vorgestellt, die richtigerweise jedoch nur als pseudowissenschaftliche, da nie falsifizierbare "Schöpfungstheorie" bezeichnet werden kann (und damit eben keine wissenschaftliche Theorie darstellt).
Wort + Wissen vertritt hierzu mehr oder weniger offen einen Kurzzeitkreationismus, der allerdings noch belegt werden müsse (ein kritisches Lehrbuch der Geologie steht wohl noch aus). Daher werden gerne Arbeiten geschrieben, die angeblich Belege dafür liefern sollen, dass Sedimentationsalter in früheren Zeiten sehr viel höher waren, also heutige Sedimentationsprozesse nicht mit früheren zu vergleichen seien.
Hierzu ein Beispiel. Im Journal "Studium Integrale", vom 1. Mai 2004, 11/1, S. 41-46 (online version) findet sich unter dem Titel: "Korallenriff-Wachstum trotz erheblicher Sand- und Tonablagerungen " u.a. folgendes:
"Für Korallen werden allgemein geringe Wachstumsraten angegeben .... Fossile Riffe, die in die Abfolge der Sedimentgesteine eingeschaltet sind, gelten daher seit langem als eindrucksvolle Belege für große Zeiträume ... . Es gibt aber auch Indizien, daß bestimmte Korallenriffe des Oberjura – anders als heute – unter widrigen Umweltbedingungen wachsen konnten, offenbar sogar verhältnismäßig schnell.
In einem Übersichtsartikel erwähnt Leinfelder (2003, 193) fossile Korallenriffe aus dem Lusitania-Becken von Portugal, die „während toniger Sedimentation weiterwuchsen“ (vgl. Leinfelder 1997, 106; s. auch ... [Leinfelder 1998]). Dagegen sind heutige Korallenriffe gegenüber Sedimenteintrag (vom Land) außerordentlich empfindlich (z.B. Greb et al. 1996, 105f.,123f.; Leinfelder 2003, 187). ....
Die Wachstumsfähigkeit dieser Korallen während stärkerer Tonablagerung sei erstaunlich, ....
...
Wenn diese Deutungen ehemaliger Lebensräume (Fazies-Analysen) bestimmter Oberjura-Korallenvergesellschaftungen zutreffen sollten, stellt sich die Frage, ob solche Korallen nicht außerordentlich schnell wachsen konnten. Immerhin lebten sie „oftmals unter erhöhten Sedimentationsraten“ (Leinfelder 2003, 193f.). Und weiter: Was bedeutet das für das Wachstum kompletter fossiler Korallenriffe gegenüber heutigen? Hier ist noch weitere umfangreiche Forschungsarbeit nötig."
Ende des Zitats und des Artikels.
In den zitierten Arbeiten der Leinfelder-Arbeitsgruppe steht jedoch, dass die Korallen während der Jura-Zeit je nach Milieu und Anpassungsgrad der Arten unterschiedlich schnell wachsen konnten und dass viele noch in einem tonigen Milieu lebten, da sich die Photosymbiose mit einzelligen Algen gerade erst entwickelte. Alle diese Korallen wuchsen jedoch bedeutend langsamer als heutige Korallen, eben weil die Photosymbiose noch nicht so effizient entwickelt war. Das steht nicht nur eindeutig in unseren Arbeiten, es gibt auch entsprechende Grafiken dazu. Interessant ist allerdings, dass von Wort+Wissen fast ausschließlich populärwissenschaftliche Darstellungen unserer Ergebnisse zitiert wurden und nicht etwa die Originalarbeiten unserer Arbeitsgruppe.
(Korallen-Abbildung aus Leinfelder 2003)
Dennoch: auch in der mehrfach zitierten Arbeit Leinfelder 2003 habe ich eindeutig und unmissverständlich geschrieben (S 193): "Jurakorallen zeigen bereits alle Kriterien für das Vorhandensein von Photosymbionten (...), allerdings wuchsen sie noch deutlich langsamer und lebten ebenfalls oft auf tonreichen, d.h. auch nähstoffreichen Sedimenten (...). Die Symbiose war damit noch nicht so optimiert wie heute ...."
(diese Arbeit ist auch in einer Web-Version hier verfügbar. Das Zitat findet sich dort auf S. 12 des pdfs).
Nebenstehend finden Sie Abb. 5 aus der von den Wort+Wissen geflissentlich übergangenen Arbeit Leinfelder, R.R. (2001): Jurassic Reef Ecosystems.- In: Stanley, G.D.Jr. (ed.), The History and Sedimentology of Ancient Reef Systems, pp. 251-309, Kluwer Academic/Plenum Publishers, New York.
Diese Abbildung ist auch in etlichen weiteren Publikationen unserer Arbeitsgruppe zu Jura-Korallenriffen vorhanden. Die linke Doppelsäule zeigt die Unterschiede in den Wachstumsraten zwischen jurassischen und heutigen Korallen, die rechte Abbildung zeigt bestimmte Charakteristika der Jahresbänderung der Korallen, aus denen man eine geringere photosymbiontische Aktivität der Jurakorallen ableiten kann. Ist Irgendetwas missverständlich daran?
Soviel also zum wissenschaftlichen Vorgehen auch derjenigen kreationistischen Gruppen, die hohe Wissenschaftlichkeit für sich in Anspruch nehmen. Oder sollten es durch nur zufällige Fehler gewesen sein? Ich überlasse es Ihrer Einschätzung.
Schöne Grüße
Reinhold Leinfelder, 16.3.09
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