Zweiter Teil der Rede von Frau Dr. Kölbl Ebert zur Vernissage der Ausstellung „Schöpferische Evolution – Charles Darwin zum 200. Geburtstag“ am 12. Februar 2009 im Jura-Museum Eichstätt.
Die Evolutionstheorie gehört sicher zu den bestbelegten naturwissenschaftlichen Theorie, die je entwickelt wurden. Dennoch mehren sich nicht nur in den USA, sondern seit etwa sieben bis acht Jahren auch in Deutschland kreationistische Angriffe auf naturwissenschaftliche Erkenntnis. Viele Evolutionsbiologen und Paläontologen hat dies kalt erwischt. Die Bewegung, zunächst aufgrund ihrer Unsinnigkeit unterschätzt, beunruhigt nun massiv durch rhetorisches Geschick, „Publicity“ in den Medien und durch den Willen zu bildungspolitischer Einflussnahme. Mühsam formierte sich die naturwissenschaftliche Phalanx zur Verteidigung von Aufklärung und naturwissenschaftlicher Integrität. In teils scharfer Form argumentieren jedoch auch manche dieser – wie sie sich selbst verstehen – Verteidiger der Vernunft für einen philosophischen Atheismus als scheinbar logische und vernünftige Konsequenz der naturwissenschaftlichen Methodik.
Das ist eine möglicherweise verständliche Reaktion, wenn man das Pech hat, Religiosität ausschließlich in ihrer fundamentalistischen Form kennen gelernt zu haben; zumindest fragwürdig, wenn man bedenkt, wie viele Naturwissenschaftler keinerlei Schwierigkeiten damit haben, ihren Beruf und ein religiöses Leben zu vereinbaren; ganz sicher aber nicht angemessen gegenüber dem breiten kirchlichen „Mainstream“, der mit Kreationismus ebenso wenig „am Hut“ hat wie die betreffende Naturwissenschaftler selbst.
Leider ist die Begründung von Atheismus aus naturwissenschaftlicher Erkenntnis heraus nicht nur philosophisch fragwürdig, sondern auch äußerst kontraproduktiv für das Anliegen der Beteiligten. Denn den großen Kirchen erscheint dieser „Neue Atheismus“ – dessen Ursache vielfach nicht wahrgenommen wird – als Ausdruck einer Neuauflage altbekannter Kulturkampfrhetorik, der sie mit Misstrauen und teils mit Abschottung begegnen. So zeigt sich denn die Strategie von Kreationisten, einen Keil zwischen Naturwissenschaft und Religiosität zu treiben, als beunruhigend effektiv und erfolgreich.
Konstruktiver Dialog täte also dringend Not, um Missverständnisse abzubauen, um den anderen, seine Empfindlichkeiten und seine Anliegen kennen zu lernen, um gemeinsam für Wahrheit und Vernunft zu streiten, wo dies nötig ist.
In der Praxis ist dies jedoch offenbar nicht immer so einfach. So baut etwa der Lehrplan für Katholische Religionslehre der bayerischen Realschulen in der 8. Klasse einen Gegensatz auf zwischen der religiösen Sicht der Welt als Schöpfung Gottes, der Gott Sinn stiftet, mit der Gott eine Absicht verfolge und die er zu einem Ziel führt einerseits und einer naturwissenschaftlichen Sicht, für die die Welt angeblich nur ein bloßes Zufallsprodukt sei, ein Klischee, das dann in der Folge auch von so manchem Schulbuch bedient wird.
Da ist zunächst einmal eine bloße Formsache: Die Frage, wer für die Existenz der Welt verantwortlich ist und warum und zu welchem Sinn und Ziel sie gegebenenfalls existiert, entzieht sich der naturwissenschaftlichen Methodik und es kann daher hierzu überhaupt keine naturwissenschaftliche Aussage geben. (Es ist ein alter Trick, einem Naturwissenschaftler zuerst Beschränktheit vorzuwerfen, wenn er dann aber seine persönliche Ansicht zur Sinnfrage äußerst, wirft man ihm Grenzüberschreitung vor. Das ist eine Situation, in der der Naturwissenschaftler nie gewinnen kann.)
Viel schlimmer ist jedoch die Stellung die der Zufallsbegriff hier einnimmt. Wir finden ihn nicht nur im Lehrplan, sondern etwa auch in der Predigt, die Papst Benedikt XVI. zu seiner Amtseinführung hielt: "Wir sind nicht das zufällige und sinnlose Produkt der Evolution. Jeder von uns ist Frucht eines Gedankens Gottes." hieß es da. Kardinal Schönborn von Wien äußerte, Evolution als Ansammlung naturwissenschaftlicher Fakten sei kompatibel mit dem Katholizismus, aber Evolution als ideologisches Dogma, das Design und Zweck in der Natur leugne, sei es nicht.
Für einen theologisch naiven, aber durch den zunehmenden Kreationismus sensibilisierten Naturwissenschaftler hörte sich das so an, als ob Papst und Kardinal weit hinter die Dialogbereitschaft und die Errungenschaften eines Johannes Paul II. zurück gehen und sich dem Kreationismus in seiner neueren Spielart des Intelligent Design annähern wollten. Entsprechend aufgeregt waren die Reaktionen.
Für einen Theologen hingegen sind die zitierten Passagen wesentlich unverfänglicher. Sie sagen im Prinzip lediglich, dass mit den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen nicht alles gesagt ist, was man über die Welt sagen kann, denn es gibt noch eine weiter Ebene des Diskurs, die die traditionelle Domäne der Religion und der Philosophie ist, die Frage nach Erstursache, Sinn, Zweck und Ziel der Welt. Und hier ist eben die Kirche der Auffassung, dass es Erstursache, Sinn, Zweck und Ziel der Welt real gibt und dass die Antworten darauf in Gott zu suchen sind. Wie bereits erwähnt, entziehen sich diese Dinge der naturwissenschaftlichen Methodik, weshalb es dazu keine naturwissenschaftliche Aussage geben kann. Hier kann ein Naturwissenschaftler bestenfalls eine persönliche, religiös-philosophische Meinung äußern, sei es als gläubiger Angehöriger einer Religionsgemeinschaft oder eben auch als Atheist.
Stein des Anstoßes sind offenbar immer wieder zwei scheinbar ganz einfache Wörtern: Zufall und Zweck oder im Englischen: chance und design. Es lohnt sich, hier genauer hinzuschauen.
Sehen wir uns an, wie Biologen bzw. Theologen diese Begriffe definieren würden:
- Für einen Theologen meint Zufall das Zustandekommen eines Ereignisses, das weder von Natur aus noch durch bewusste Absicht bezweckt wurde. Ein solches Ereignis dient keinem Sinn und Ziel, es ist existentiell sinnlos, während Zweck die Übersetzung des griechischen „telos“ ist. Es bedeutet sinngebendes Ziel. Zweck ist somit das Gegenteil von Zufall.
- Der Biologe hingegen spricht vom Zufall, wenn die konkrete Ursachenkette eines Naturphänomens aufgrund der Komplexität des Vorgangs nicht unmittelbar einsehbar ist, während etwas einen Zweck hat etwas, wenn es für irgendetwas nützlich ist. Diesen Zweck bestimmen Biologen durch Beobachtung: Wozu gebrauchen Vögel Federn? Zum Wärmen, zum Tarnen oder Balzen und zum Fliegen. Das ist ihr Zweck. Evolution bedeutet in diesem Zusammenhang, dass durch die Verkettung von Zufall (Mutationen) und Notwendigkeit (Natürliche Auslese) ein zweckmäßiges, dem Tier oder der Pflanze nutzbringendes Merkmal entsteht.
Kommen wir auf unser Problem zurück: Für den Theologen ist Zufall das Gegenteil von Zweck, ein Ereignis ohne Sinn und Absicht. Wer das Wort Zufall benutzt, meint, so denkt der Theologe, dass ein bestimmtes Ereignis ohne Gottes Zutun erfolgt ist. Da Naturwissenschaftler das Wort Zufall gebrauchen, wenn sie die Entstehung des Universums und die Entwicklungsgeschichte des Lebens beschreiben, leugnen sie, zumindest hat der Theologe diesen Eindruck, das schöpferische Tun Gottes.
Der Naturwissenschaftler jedoch ist der Überzeugung, das er über Gott keinerlei Aussage gemacht hat. Für ihn geht es nur darum, dass er nicht im Detail sagen oder herausfinden kann, warum diese oder jene Mutation genau zu diesem Zeitpunkt an jener Stelle im Genom erfolgt ist. Zufall und Zweck schließen sich für den Biologen keineswegs aus, denn die zufälligen Mutationen stellen nur die Varianten her auf der Selektion wirken kann, das Zusammenspiel beider bringt die zweckmäßige Biokonstruktion zustande. Evolution ist im Übrigen keineswegs ein bloß zufälliger, vom statistischen Würfelspiel gesteuerter Prozess. Das sieht man schon daran, dass eine ganze Reihe von Merkmalen die außerordentlich vorteilhaft sind, von den evolutionären Prozessen ganz zwangsläufig immer wieder – auf unterschiedlichem Wege – erreicht wurden; Lichtsinnesorgane etwa oder die Stromlinienform schnelle Schwimmer sind mehrmals unabhängig voneinander entstanden. Das nennt man konvergente Evolution.
Zweck:
Wenden wir uns nun dem theologischen Gegenpol des Zufallsbegriff zu, dem Wörtchen Zweck oder Design: Im Alltag benutzen wir das Wort Design um die bewusste, künstlerische Gestaltung eines Gebrauchsgegenstandes oder einer Gebrauchsgraphik zu charakterisieren. Im angelsächsischen Sprachraum umfasst der Begriff auch technisch-konstruktive Anteile der Gestaltung, den „Bauplan“. In diesem Sinne taucht Design auch als Fachbegriff in der Biologie auf. Die Naturwissenschaft leugnet also keineswegs Design in der Natur und sie hat jede Menge Indizien gesammelt, die darauf hindeuten, dass dieses Design durch natürliche Prozesse im Rahmen der biologischen Evolution entsteht.
Im 19. Jahrhundert meinte Design im Englischen jedoch noch etwas anderes, nämlich Absicht oder Zweck. So gebraucht beispielsweise Jane Austen in ihren Romanen dieses Wort. Dass der Romanheld die Heldin im Garten traf, war kein Zufall, denn er tat es „by design“, mit Absicht. Und das entspricht im Prinzip dem heutigen theologischen Sprachgebrauch: Hier ist Gott derjenige, der Absichten mit uns und der Welt verfolgt.
Noch einmal anders verwendete die so genannte Natürliche Theologie des 18. und frühen 19. Jahrhunderts den Begriff. Sie sah in der zweckmäßigen Angepasstheit der Organismen an ihren Lebensraum und ihre Lebensweise einen wichtigen Hinweis auf einen fürsorgenden und lenkenden Gott. Einzelne Vertreter wie etwa William Paley bauten diese Argumentation zu dem Versuch eines teleologischen Gottesbeweises aus. Dem gegenüber war es Darwins Verdienst, zu zeigen, dass Design im Sinne von zweckmäßigen Biokonstruktionen auch durch die Wirkung von natürlichen Ursachen (Zweitursachen im theologischen Sinne) erklärt werden kann, was selbstverständlich keine Aussage über eine Erstursache macht. Deshalb konnte Charles Darwin in seinem Buch über den Ursprung der Arten denn auch schreiben: „Nach meiner Ansicht, stimmt es besser mit dem überein, was wir über die Gesetze wissen, die der Schöpfer der Materie auferlegt hat, wenn wir davon ausgehen, das die Erzeugung und das Aussterben gegenwärtiger und vergangener Bewohner der Welt Zweitursachen geschuldet ist, wie jene, die Geburt und Tod des Individuums bestimmen.”
Während die Vertreter der Natürlichen Theologie noch die Gesamtheit der Organismen und ihrer Biokonstruktionen im Blick hatten, die sie mit den größten feinmechanischen Wunderwerken ihrer Zeit verglichen, und als tiefgläubige Menschen aus ihrem Glauben heraus die Welt interpretierten, verortet die in den 1980er Jahren entstandene, kreationistische Intelligent Design-Bewegung Gottes Wirken in den Lücken gegenwärtiger naturwissenschaftlicher Erkenntnis und degradiert ihn damit zu einer „natürlichen“ Ursache unter vielen. Der Plan, also die Absicht Gottes – design im Sinne des 19. Jahrhunderts – wird so zum Bauplan – design im modernen, angelsächsischen Sinne – eines Schöpfergottes, der an seiner – offenbar mangelhaften? – Schöpfung ständig in den Lücken naturalistischer Erklärungen herumbasteln muss. Damit wird dem Gottesverständnis natürlich ein schlechter Dienst erwiesen. Denn man schiebt Gott gedanklich mit jeder durch neue Erkenntnis geschlossenen Lücke unweigerlich aus der Welt hinaus, in die man ihn doch gerade hineinholen wollte. Dass „Intelligent Design“ dennoch gelegentlich einen Weg in theologische Gedankengänge findet, verdankt die Bewegung wesentlich dem geschilderten Missverständnis um das Wörtchen Design oder Zweck.
Daran sieht man, wie gefährlich Fachsprachen für den interdisziplinären Dialog von Naturwissenschaft und Theologie sein können. Wo es sich nur um lateinische oder griechische Fremdwörter handelt, merken wir dies schnell und fragen nach. Schwierig wird es, wo scheinbar ganz einfache, der Umgangssprache entlehnte Begriffe verwenden werde, leider aber jeder etwas anderes darunter verstehen. Wenn wir Glück haben, so fällt uns rechtzeitig auf, dass wir aneinander vorbeireden. Wenn wir Pech haben, missverstehen wir uns gründlich und ziehen uns frustriert vom Dialog zurück mit dem fatalen Eindruck, dass mit dem andern ja doch nicht vernünftig zu reden ist. Das Ergebnis sind unnötige Konflikte zwischen Parteien, die eigentlich in selben Boot sitzen.
Hier schließt sich der Kreis nun wieder: Unsere interdisziplinäre Sonderausstellung zur Evolutionstheorie möchte genau hier Brücken bauen und Missverständnisse aufklären helfen. Wo, wenn nicht im Jura-Museum Eichstätt, einem staatlich verwalteten Naturkundemuseum in religiöser Trägerschaft wäre eine Ausstellung absolut angebracht, die harte biologische Fakten und moderne Schöpfungstheologie unter einem Dach vereint, Begriffe und Kompetenzen klar abgrenzt und so eine echte Synthese zweier unterschiedlicher Blickrichtungen auf die eine Welt ermöglicht.
Lassen Sie mich schließen mit einem Zitat aus der Predigt, die Harvey Goodwin, Bischof von Carlisle im April 1882 während der Trauerfeier zu Charles Darwins Beerdigung in London gehalten hat:
„Ich glaube, dass sich die Bestattung von Herrn Darwins sterblichen Überresten in der Westminster Abbey in Übereinstimmung mit dem Urteil der weisesten seiner Landsleute befindet … Es wäre ein Unglück gewesen, wenn irgendetwas geschehen wäre, das der närrischen Ansicht Auftrieb und Nahrung gegeben hätte, die einige so eifrig propagiert haben, für die aber Herr Darwin nicht verantwortlich war; der närrischen Ansicht nämlich, es gäbe notwendig Konflikt zwischen dem Wissen über die Natur und einem Glauben an Gott.“
M. Kölbl-Ebert (2009)
(zum ersten Teil der Rede)
Besten Dank an Martina Kölbl-Ebert für diesen Beitrag!
R. Leinfelder
Ausstellung „Schöpferische Evolution – Charles Darwin zum 200. Geburtstag“ vom 13.2.2009 - 10.1.2010 im Jura-Museum Eichstätt. Das Museum gehört zu den "Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns", diese sind Mitglied im Konsortium der "Deutschen Naturwissenschaftlichen Forschungssammlungen, DNFS.
Weitere Informationen zur Eichstätter Ausstellung
Es waere aus meiner Sicht fantastisch, wenn Reigion und Natruwissenschaften wieder einhergehen koennten. Jedoch gibt es mit Darwin ein Schluesselproblem das dies verhindert, er verkettet dort wo es keine Verkettung gibt; und er weiss nicht wie alles angefangen hat.
AntwortenLöschenIch denke, dass wir weiter kommen wuerden, wenn wir Gott in den Naturwissenschaften wieder hereingelassen wuerde, er ist nun immerhin derjenige, der den ganzen Kram geschaffen hat. Er ist derjenige, der weiss wie er's gemacht hat und unter welchen Regeln.
Ich halte eine Naturwisenschaft heute - wie vor mehreren hundert Jahren - die einen Schoepfer miteinbezieht fuer deutlich ertragreicher als eine Naturwissenschaft, die nur Einzelteile sieht, analysiert und sich dann einer naturalistischen Weltanschauung verschreibt.
Ich hoffe, das macht Sinn.
Gruesse aus dem Land der Creationsists ;-)
Wer schon einmal als Naturwissenschaftlerin ein Buch der Intelligent Design Leute gelesen hat, hat selbst gemerkt, wie schwer es ist durch diese scheinbar stimmigen Beweisführungen durchzusteigen. Meiner Ansicht nach für Laien völlig unmöglich.
AntwortenLöschenNatürlich sucht die Menschheit nach einem Sinn ihrer Existenz, einem Sinn im Leben allgemein. Nur sollten "wir" in Europa und den USA sehr vorsichtig sein den Sinn allein dem Christlichen Gott zuzuschreiben. Es gibt durchaus auch andere Glaubensarten auf dieser Erde. Hüten wir uns als Naturwissenschaftler auch engstirnig und fundamentalistisch zu sein. Denn eines der größten Übel dieser Erde ist der Fanatismus und Fundamentalismus der immer mit Hass und Ablehnung einhergeht.
Dialog mit Intelligent Design Leuten tut Not aber viel wichtiger ist der Schritt an die Öffentlichkeit um hier Erkenntnis zu vermitteln.