Wir schauen auf 200 Jahre Forschen, Sammeln, Bewahren und Vermitteln zurück. Aus diesem Anlass präsentieren wir vom 14.9.2010 bis 28.2.2011 die Sonderausstellung "Klasse, Ordnung, Art – 200 Jahre Museum für Naturkunde". Mit Objekten, Bildern und Dokumenten wird die bewegte Geschichte des Museums im Kontext von wechselnden politischen Verhältnissen und geistigen Strömungen vorgestellt.
Die Krönung der aktuellen Geschichte des Museums ist am 14.9.2010 die Einweihung des neuerrichteten Sammlungsflügels – einem der weltweit modernsten Sammlungsgebäude für naturkundliche Nass-Sammlungen. Über eine Million Objekte der zoologischen Sammlungen werden Dank einer ausgeklügelten Klimatisierungs- und Brandschutztechnik so optimal und sicher untergebracht wie nie zuvor. Dank seiner herausragenden Sicherheitstechnik ist der Sammlungsbau für unsere Besucher im Erdgeschoss zugänglich und verspricht einen atemberaubenden Einblick in eine unserer Forschungssammlungen.
In der Jubiläumswoche vom 14.9.2010 bis 19.9.2010 bieten wir ein buntes Programm mit Theater, Führungen, Vorträgen und einem Kinder- und Familienfest.
Herzlich Willkommen, Ihr Reinhold Leinfelder
Einführung:
Einblick in den Ostflügel, hier noch ohne Sammlungsobjekte |
200 Jahre Museumsgeschichte – ist ein Haus wie das Museum für Naturkunde ein Bollwerk in der Brandung der Schnelllebigkeit und des Vergessens? Ein Ort des Innehaltens und der Entschleunigung? Ein Garant für Kontinuität und Nachhaltigkeit? Oder ist es doch ein Treiber für die Wissenschaft, für Forschungsinnovation, für die öffentliche Diskussion aktuellster wissenschaftspolitischer Themen, ja gar für die Transformation unserer Gesellschaft? Die Geschichte des Museums über zwei Jahrhunderte, aber auch die Entwicklung gerade in den letzten fünf Jahren zeigt, dass das eine das andere nicht ausschließen muss, sondern kongruent zusammenpasst und komplementär zusammengehört. Das Museum für Naturkunde bürgt für Vielfalt und Evolution, auch in seiner eigenen Geschichte und seinen eigenen Themen. Es hat Katastrophen und Krisen überstanden, wurde davon in Mitleidenschaft gezogen,
ist aber auch daran erstarkt.
Wissenschaft ist ein hohes Gut – wir leben heute angeblich in einer Wissensgesellschaft, in der Wissen unsere Schlüsselressource ist, in der die Ungleichheit des Wissens eine Hauptherausforderung darstellt und in der nicht die Politik, sondern nur eine wissensbasierte Kultur viele soziale und ökonomische Probleme lösen kann. Doch wissensbasierte Gesellschaften sind nichts Neues. Auch zur Gründungszeit des Museums, damals als integrativer Teil der Berliner Universität, sollte die Gesellschaft wissensbasiert werden, Wilhelm von Humboldt, der wesentlich an der Gründung beteiligt war, steht dafür. Aufklärung, Industrialisierung, Informationszeitalter, all dies wäre ohne Wissen nicht entstanden. In welcher Weise Wissenschaft und Gesellschaft zusammen- oder auch gegeneinanderspielten, wie Wissenschaft einerseits unabhängig, andererseits doch auch durch den gesellschaftlichen Zeitgeist immer wieder geprägt ist, auch dies prägt die Geschichte des Museums für Naturkunde. Interessant ist auch, wie heute Wissen generiert wird und welche Rolle Museen wie das Museum für Naturkunde dabei spielen.
Rund 30 Millionen Objekte, als ob das nicht schon ausreichend Material zum Beforschen wäre! Nein, die naturkundlichen Forschungssammlungen Deutschlands, Europas und der ganzen Welt verstehen sich heute als globale Forschungsinfrastruktur, in der alle Daten rund um die Sammlungsobjekte zu einer gewaltigen Wissensdichte, zu einem hochauflösenden Bild unserer Natur und ihrer Entwicklung führen, welches als Forschungsgrundlage für Szenarien, Modelle und Prozessabläufe der Natur unabdingbar geworden ist. Ob es um die Invasion von gebietsfremden Arten, die Veränderung der biologischen Vielfalt durch Klimaprozesse, um bestmögliche Dimensionierung von Schutzgebieten in Afrika oder um das Auffinden geeigneter Populationen für die Wiedereinbürgerung lokal ausgestorbener Arten wie den Lachs in der Elbe geht, sammlungsbasierte Naturkundemuseen liefern die wissenschaftlichen Grundlagen dafür.
Mit unseren Sammlungen, die aus der ganzen Welt stammen, wurde in den letzten 200 Jahren unter hohem Ressourceneinsatz immenses Wissen erarbeitet und es wird weiter generiert. Neue Aufsammlungen sowie deren Bearbeitung werden heute immer in Kooperation mit den Partnern vor Ort durchgeführt. Heute geht es aber auch darum, das in 200 Jahren erarbeitete sammlungsbasierte Wissen auch wieder global zur Verfügung zu stellen; wir arbeiten sozusagen an der globalen Repatriierung dieses Wissens. Auch die Politik hat die entsprechende wissenschafts-, bildungs- und entwicklungspolitische Bedeutung des Museums für Naturkunde erkannt. Ein erfreuliches Beispiel dafür ist die internationale Eröffnung des UN-Jahres der Biodiversität im Januar 2010 durch die deutsche Bundeskanzlerin sowie hochrangige Regierungs- und UN-Repräsentanten.
Wissensbasierte Politik kann jedoch nur gelingen, wenn sie von der Bevölkerung mitgetragen wird. Dies ist vielleicht die nobelste Aufgabe auch unseres Hauses: Wir wollen unseren Besuchern die Bedeutung von Wissenschaft und Forschung, aber auch deren Zuständigkeitsgrenzen für unsere Gesellschaft erläutern und Vertrauen schaffen. Dazu schließen wir die Wertschöpfungskette von sammeln, forschen und vermitteln. Unsere Ausstellungen als öffentliche Publikation des durch unsere Forschung gewonnenen Wissens, der öffentlich zugängliche Teil des wieder aufgebauten Ostflügels als Beispiel für unsere Hauptforschungsinfrastruktur, den Sammlungen, sowie unsere vielen partizipativen Aktivitäten zwischen Wissenschaft und Zivilgesellschaft setzen diesen Anspruch um, denn wir sind uns in einem vollkommen sicher: Wir lieben nur, was wir kennen. Und was wir lieben, wollen wir auch für unsere nachkommenden Generationen bewahren. Hier schließt sich der museale Kreis von historischem Archiv, hochaktueller Forschungsstätte und zukunftsorientiertem Wissenstransfer zur Errichtung einer auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Gesellschaft.
Reinhold Leinfelder, im Sommer 2010
(gekürzte Version des Vorworts aus dem Begleitbuch zur Ausstellung)
> Weitere Informationen zum Begleitbuch
Veranstaltungshinweise:
Feiern Sie mit uns das 200-jährige Bestehen unseres Hauses in unserer Jubiläumswoche vom 14. bis 19. September 2010.
Viele Angebote, Aktionen und Überraschungen erwarten Sie. Wir bieten ein vielfältiges Programm für Erwachsene und Kinder. Museumsfest am Wochenende.
14.-17.9.: Sonderöffnungszeiten jeweils bis 20.00 Uhr, stündlich kostenfreie Führungen durch die Jubiläumsausstellung und die neue Schausammlung im Sammlungsflügel.
15.9.: Jubiläumsvortrag 20.00 Uhr:
Prof. Dr. Reinhold Leinfelder, Generaldirektor:
Die Rolle der Museen beim Aufbau einer Wissensgesellschaft
18.9.: Sonderöffnungszeit bis 22.00 Uhr bei freiem Eintritt,
11.00-18.00 Uhr: Kinderfest
19.9.: Sonderöffnungszeit bis 20.00 Uhr bei freiem Eintritt
20.00 Uhr: Papageno packt aus. Konzerttheater für Erwachsene und Kinder.
Weitere Sonderveranstaltungen zum Jubiläum sind im Kalender veröffentlicht.
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