Ein Wunder....
So wie oben sah es etwa 60 Jahre aus (nur die Bäume in der Ruine wurden größer) |
So oder so, heute ist jedenfalls ein schöner Tag, denn heute verschwand der letzte Teil des Fassadengerüsts am Ostflügel, der über 60 Jahren in Ruinen lag. Anlass für unseren Blog, die Wiederaufbaugeschichte dieser Beleg- und Forschungskammer für Evolution in einigen Bildern vorzustellen.
Im Sommer 2006 kamen die Bäume weg |
Zuerst wurde entkernt entkernt. So sah es im November 2007 aus. |
Und so im Juli 2008 |
November 2008 |
Dezember 2008 |
Im Mai 2009 sah es so aus. |
Am 27.5.2009 war Richtfest |
Im August 2009 waren wir in diesem Zustand |
Ab Juli 2010 kamen die maßgeschneidert vorgefertigten Betonguss-Bauteile an. |
Das ging flott von der Hand. Hier der Zustand am 15.7.2010 |
Ab 6.9.2010 kam das Gerüst weg. Und dann ging's wie im Zeitraffer. Hier der Zustand am 8.9.2010, 8:45 |
und hier am selben Tag um 17:20 Uhr. Plötzlich war alles aufgeräumt und grün (dank Rollrasen) |
Blick vom sog. Nordbau auf den Ostflügel. Stand 10.9.2010, 18:30. Nun ist auch der Rasen komplett |
zentraler Teil des modellartig ergänzten Teils. Foto © C. Richter, 13.9.2010 |
Kurz zum Konzept: Was noch original an Bausubstanz erhalten war, wurde restauriert, was durch den Kriegsschaden komplett zerstört war, wurde bewusst durch ein als solches erkennbares Imitat aus Beton ergänzt (das waren Fertigbauteile, die vorgegossen wurden, so etwas ist noch nie in dieser Größe gemacht worden). Diese vorgegossenen Teile wurde dann am Schluss wie gigantische Legobausteine zusammengesetzt. Die wiederaufgebauten, vormals komplett zerstörten Bereiche wurden also konsequent mit anderen Farbe und anderer Materialität gestaltet, so gibt es auch keine Holzfensterrahmen in diesem Bereich. Alles ist hier aus Beton, der gewissermaßen eine Modellzeichnung der früheren Fassade liefert. Der neue Ostflügel stellt also einerseits eine Einheit dar, andererseits wird klar erkennbar, was original und was ergänzt ist.
Nach diesem Konzept sind übrigens auch unsere Dinos aufgebaut. Was zu den Originalknochen ergänzt werden musste (weil ursprünglich nicht gefunden oder zerstört) ist dort auch in anderer Textur und etwas anderer Farbe gehalten, so dass Originalobjekt und Ergänzung leicht auseinandergehalten werden kann.
Das Museum wurde 1810 gegründet, es war ursprünglich im Hauptgebäude der Berliner Universität (heute Humboldt-Universität) Unter den Linden untergebracht und zog 1889 in den extra für das Museum errichteten heutigen Bau um.
Von der inneren Wunderkammer wird vor der Eröffnung am 14.9.2010 noch nicht alles verraten. Nur soviel: die komplette Nasssammlung des Museums ist nun dort über 6 Stockwerke verteilt untergebracht. Unter Nasssammlung verstehen wir Tierobjekte, die in Alkohol aufbewahrt werden. Dies erhält alle Gewebe sowie die DNA. Das Museum hat etwa 276.000 Gläser, mit ca. 1 Million Tieren in diesen Gläsern. (Insgesamt beherbergt das Museum mehr als 30 Millionen Sammlungsobjekte). Für die Alkoholfüllung sind 84.000 Liter Alkohol nötig. Das unterste Stockwerk wird als Forschungssammlung den Besuchern erstmalig zugänglich sein. Die ältesten dort aufbewahrten Sammlungen stammen aus dem 18. Jahrhundert.
Links: noch ungefülltes Regalsystem im unteren Stockwerk des Ostflügels. Rechts: Computersimulation des gefüllten Regalsystems. |
13.9.2010: Blick in den öffentlich zugänglichen Bereich der Nasssammlung |
Fotos @ Museum für Naturkunde Berlin (überwiegend erstellt durch Carola Radke und Reinhold Leinfelder)
Und hier noch das Gedicht, welches ich ganz wunderlich zur Eröffnung rezitierte. Es stammt von meinem Coach Joachim Ringelnatz. Ich hab ihn sozusagen zu unseren Themen, also zu biologischer Vielfalt auch in wenig erforschten Biotopen, zu Populationsdynamik, zu Aussterbeereignissen und, ja, auch zu Nasssammlungen befragt. Hier seine Antwort:
Wunderland:
Überall ist Wunderland
Überall ist Leben
Bei meiner Tante im Strumpfenband
wie irgendwo daneben.
Überall ist Dunkelheit.
Kinder werden Väter
Fünf Minuten später
Stirbt sich was für einige Zeit
Überall ist Ewigkeit.
Wenn du einen Schneck behauchst,
schrumpft er ins Gehäuse
wenn du ihn in Kognak tauchst,
sieht er weiße Mäuse
Dies ermutigte mich zu einer näheren Aussage im ganz aktuellen Kontext. Ob ich richtig verstanden habe, weiß ich nicht, hier ist jedenfalls meine "Übersetzung"
Das Museum ist ein Wunderland
denn überall ist Leben
im Ostflügel, im Berliner Sand
wie überall daneben
Überall ist Evolution
und der Mensch ist Täter
schon 5 Jahre später
Stirbt was aus, oh welch ein Hohn
durch menschgemachte Selektion
Studier den Fisch in Alkohol
lern' Neues, denn das wäre
für deine Zukunft sehr zum Wohl
sonst siehst du nur Schimäre
Übrigens, Sie können einen Ringelnatz auch im Ostflügel bewundern, denn Ringelnatz heißt in der Seemannssprache nichts anderes als Seepferdchen.
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Weitere Informationen:
- Ostflügelbroschüre, die anlässlich der Grundsteinlegung erstellt wurde (pdf)
- aktualisierte Ostflügelbroschüre (derzeit nur im Museumsshop als gedruckte Broschüre für 6 € erhältlich)
- das Vorwort aus dieser aktualisierten Broschüre finden Sie nachstehend
- weitere Informationen siehe www.naturkundemuseum-berlin.de sowie
- im vorhergehenden Post dieses Blogs
Vorwort der aktualisierten Ostflügelbroschüre:
65 Jahre nach der katastrophalen Bombardierung des Museums für Naturkunde Berlin im Jahr 1945 ist es ein wunderbares Gefühl, die Eröffnung seines wieder aufgebauten Ostflügels erleben zu können. Vergessen sind alle Schwierigkeiten, die Anläufe, aus denen dann doch nichts wurde, die finanziellen Zwänge, die Verzögerungen und unerwarteten Herausforderungen. Die Verantwortlichen werden künftig angesichts der hohen Sicherheitsstandards im neuen Sammlungsflügel wieder ruhiger schlafen können, in der Gewissheit, dass die dortigen Sammlungen unter konservatorischen und sicherheitstechnischen Bedingungen untergebracht sind wie es sie am Museum noch nie gab und wie es sie in Naturkundemuseen weltweit nur ganz selten gibt. Das ganz Besondere am neuen Sammlungsflügel geht freilich weit darüber hinaus.
Die hohe wissenschaftliche Bedeutung der dort untergebrachten sogenannten „Nass-Sammlungen“, der in Alkohol konservierten Präparate des Museum, skizzieren die hier folgenden Seiten. Wie hoch diese wissenschaftliche Bedeutung ist, lässt sich daran ermessen, dass der Start zum Wiederaufbau des Ostflügels eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Aufnahme des Museums in die Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz im Jahr 2009 war.
Unsere Nass-Sammlungen sind indessen mehr als nur wissenschaftlich bedeutend; sie sind auch von höchstem wissenschafts- und kulturhistorischem Wert. An ihnen, wie auch an den anderen Sammlungen des Museums, lassen sich bedeutende Entwicklungen in der Geschichte der Wissenschaft ablesen – von den ersten naturkundlichen Sammlungen im 17. und 18. Jahrhundert über die wissenschaftliche Erschließung der deutschen Kolonie am Übergang des 19. zum 20. Jahrhundert bis zu den eingeschränkten wissenschaftlichen Möglichkeiten in den Zeiten des Kalten Krieges. Der neue Sammlungsflügel ist daher auch die Schutzhülle um einen nationalen kulturellen Schatz. Von den Nass-Sammlungen geht zudem eine emotional-ästhetische Faszination aus, die den Betrachter in ihren Bann zieht. Ich bin deshalb überzeugt, dass die im Erdgeschoss der Öffentlichkeit zugänglichen Sammlungen zu den größten Attraktionen des Museums, wahrscheinlich sogar Berlins gehören werden.
Dass es gelungen ist, den Ostflügel in den Museumsrundgang einzufügen, obwohl wir es bei den Nass-Sammlungen mit großen Mengen brennbarer Flüssigkeit zu tun haben, gehört mit zu den erfreulichsten Aspekten des Bauprojekts. Dem Publikum bietet sich damit ein authentischer Einblick in unsere Forschung. Was der Besucher sieht, ist keine inszenierte Ausstellung, kein „Wir machen mal so, als sei das ein Sammlungsraum“, sondern tatsächlich eine echte Sammlung, die täglich für wissenschaftliche Zwecke genutzt wird – ein weiterer Schritt, unseren Museumsbesuchern einen Eindruck davon zu vermitteln, dass das Museum nicht nur ein Ausstellungsort, sondern auch – und eigentlich vor allem – eine international bedeutende Forschungseinrichtungen ist, mit einer der weltweit größten Sammlungen.
Nicht übersehen werden sollte, dass der neue Sammlungsflügel auch ein architektonisches Meisterwerk ist, ein Meisterwerk, das die selbe Philosophie verfolgt, wie sie für unsere Ausstellungen gilt: Dort, wo etwas fehlt, beispielsweise ein Knochen bei einem ausgestellten Dinosaurier, wird das fehlende Teil ergänzt, aber dabei so gestaltet, dass erkennbar bleibt, was echt, was ergänzt ist. Im Fall des Ostflügels gilt dies, wie auf Seite 10 dargelegt, für die Fassade. Eine für das Museum besser geeignete Fassade kann ich mir nicht vorstellen!
Ein Detail noch zum Schluss: Es gehört zur Ironie der Geschichte, dass einerseits das Museum für Naturkunde jenes Berliner Museum war, das nach dem II. Weltkrieg als allererstes seine Pforten wieder öffnete, sein zerbombter Ostflügel andererseits am Ende als „letzte Kriegsruine Berlins“ tituliert werden musste. Diese Scharte ausgewetzt zu haben, gehört für mich zu den erfreulichsten Ereignissen des Jahres 2010! Diesen Erfolg im Rücken gilt es nun, mit Schwung und Engagement an die weiteren Schritte der Sanierung des wunderschönen Museumsgebäudes zu gehen. Was ursprünglich wie ein Fass ohne Boden wirkte, wandelt sich nun, nach der Renovierung von Teilen der Ausstellungsräume und der Wiedererrichtung des Ostflügels, zunehmend zu einer lösbaren Aufgabe, die Fahrt aufnimmt. In diesem Zusammenhang gilt unser besondere Dank allen an der Errichtung des neuen Sammlungsflügels Beteiligten: den Bauenden, der Humboldt-Universität als Bauherrin, den beteiligten Senatsverwaltungen, den Zuwendungsgebern bei Bund und Land, dem Wissenschaftsrat, dem Architekten, dem Statiker, der Bauleitung und der Projektsteuerung.
Reinhold Leinfelder, im Sommer 2010
Der Medienimpakt zur Eröffnung war überaus erfreulich. An dieser Stelle seien nur ein Artikel zur Architektur herausgegriffen:
AntwortenLöschenBerliner Zeitung vom 15.9.2010
http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2010/0915/feuilleton/0007/index.html
Die Süddeutsche Zeitung brachte in der Ausgabe vom 14.9.2010 ebenfalls eine sehr positive Kritik zur Fassadenarchitektur (dieser ist jedoch nicht online)
hier noch eine Architekturkritik aus der Neuen Zürcher Zeitung:
AntwortenLöschenhttp://www.nzz.ch/nachrichten/kultur/aktuell/im_archiv_der_arten_1.7642968.html