Nicht nur in der FAZ oder der Schirn-Kunsthalle Frankfurt ist Darwin nun auch in der Kunst angekommen. Der Vorsitzende des Deutschen Kulturrats, Max Fuchs, schreibt in der neuesten Ausgabe der puk (Politik und Kultur) vom Mai/Juni 2009:
Darwin und die Kunst. Hinweise und Einfälle
von Max Fuchs
Vier narzisstische Kränkungen hat der Mensch sich selbst zugefügt, Kränkungen also, die empfindlich sein bisheriges Bild von sich selbst und seiner Rolle in der Welt verändert haben.
Kopernikus war der erste in dieser Reihe, als er zeigte, dass die Erde mitnichten im Zentrum des Alls steht, sondern vielmehr ein durchschnittlicher Trabant einer eher kleinen Sonne in einer Nebenlage des Weltalls ist. Freud zeigte, dass es keineswegs die Vernunft ist, die das Leben des Menschen steuert, sondern meist schamhaft verschwiegene Körperregionen die entscheidende Impulse für sein Verhalten geben. Bourdieu schließlich setzte sich zum Ziel, die Kunst zu entmythologisieren, insbesondere die idealistische Autonomietheorie von Kant: Nicht autonom, nicht abgehoben vom Alltag, nicht verbunden mit der Entwicklung zur Humanität ist sie seinen Studien zufolge, sondern effektivstes Mittel des Machterhalts und der Aufrechterhaltung ungerechter sozialer Verhältnisse. Und natürlich Darwin. Als er sein Hauptwerk „Die Entstehung der Arten“ vor 150 Jahren veröffentlichte, haben andere schon sehr viel grobschlächtiger als er seine Ergebnisse publikumswirksam veröffentlicht. Ein enormer Publikumserfolg war es dann doch. Man sprach nunmehr von Zuchtwahl und Auslese, vom Kampf ums Dasein und dass es besondere Merkmale, Eigenschaften und Fähigkeiten waren, die dem Tüchtigsten das Überleben sicherten. Dreizehn Jahre später legt er nach: Die Anwendung seiner Theorie auf die Entwicklung des Menschen. Seither ist es nicht mehr zu ignorieren: Nicht ein Schöpfungsakt nach dem Ebenbild Gottes (imago dei) stand am Beginn des Menschen, sondern eine lange Entwicklungsgeschichte, bei der sich irgendwann sogar gemeinsame Vorfahren des Menschen mit den haarigen Freunden auf den Bäumen fanden. Er selbst sah seine Theorie zunächst nicht in Widerspruch zur Religion, hat sich vom Christentum dann aber doch getrennt. Doch was hat all dies mit Kunst zu tun?
Mehrere Fragen sind sinnvoll zu stellen: Gibt es eine Entwicklungsgeschichte der Disposition des Menschen zu ästhetischem Gestalten und zu ästhetischer Erfahrung? Lassen sich vielleicht sogar Vorläufer eines Sinnes für Schönheit bei den vormenschlichen Vorfahren finden? Hat die ästhetische Kompetenz dem Menschen Entwicklungsvorteile verschafft, spielten sie also eine Rolle bei dem berühmten „Survival of the Fittest“? Aber wozu muss uns das interessieren? Zunächst einmal: Mit diesen Fragen rücken gleich zwei der oben erwähnten narzisstischen Kränkungen in die Nähe der Künste und des Ästhetischen. Offenbar ist dieses Feld besonders wichtig – oder besonders anfällig für Kränkungen, weil wir uns hier zu viel in die Tasche lügen. Bei der tagespolitischen Erläuterung, warum Künste wichtig sind (auch: weshalb Kulturförderung daher sein muss) verwenden wir oft anthropologische Argumente: Kunst gehört zum Menschsein dazu, ohne Kunst ist menschliches Leben unvollständig, Kunst ist ein Lebensmittel, es gab keine menschliche Gemeinschaft ohne Kunst, es gab Kunst immer und überall, insbesondere ist sie schon bei den Anfängen der Menschheit zu finden. ...
(weiterlesen, siehe www.kulturrat.de/dokumente/puk/puk2009/puk03-09.pdf (zu S. 43 und 44 blättern)
eingestellt von Reinhold Leinfelder
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