Montag, 28. Dezember 2009

Darwin und Weltbilder ein Jahr später - gibt es ein Fazit?

Während der letzten Wochen war berufsbedingt keine Zeit für weitere Blogeinträge, aber nun ist es Zeit, so langsam an ein Fazit des Darwin-Jahrs zu denken. Hierzu finden Sie nachträglich mein (Teil-)Fazit sowie meinen Ausblick (beides aus einem ausgearbeiteten Vortragsmanuskript. Den Vortrag hielt ich schon vor etlichen Monaten an meinem "alten" Gymnasium, in dem ich zur Schule ging und das Abitur machte). Der Text ist damit zwar schon ein paar Monate alt, er hat aber gerade wegen des "Kopenhagen"-Gipfels sowie des Übergangs in das UNO-Jahr der Biodiversität 2010 vielleicht doch eine gewisse Aktualität und schlägt auch ein paar versöhnliche, "nachweihnachtliche" Töne an.

Auszüge aus: (R)evolutionär unseres Weltbildes - Die Evolutionstheorie im Jahre 200 nach Darwin. Von Reinhold Leinfelder

Fazit: Selbstbeschränkung und Kooperation

Aus den Diskussionen und Debatten im Darwin-Jahr 2009 kann man vieles lernen. Den Naturwissenschaften ist dringend eine notwendige Selbstbeschränkung anzuraten: Naturwissenschaften sind zuständig für das Verständnis des „Wie funktioniert die Natur“? Wenn sie vom „Zweck“ reden, machen sie keine existenziell sinnhaften Aussagen, sondern sprechen über biologische Funktionen. Naturwissenschaftler sollten auch akzeptieren, dass es noch offene, vielleicht sogar wissenschaftlich nie lösbare Fragen gibt. Aber auch die Religionen sollten Selbstbeschränkung üben. Wo nachgefragt sind sie zuständig für Sinnfragen und „Metaphysik“. Religionen liegen für mich auf anderen Ebenen als Naturwissenschaften und kommen sich deshalb in aller Regel mit den Naturwissenschaften nicht in die Quere. Naturgemäß sind die Antworten der Religionen nichtwissenschaftlich (wobei ich hier nicht die Religionswissenschaften meine), sondern stellen Glaubensaussagen dar, man kann diese glaubhaft oder gar vernünftig finden oder auch nicht. Ein naturwissenschaftliches Weltbild kann als solches philosophisch reflektiert werden und zu einer persönlichen agnostischen oder atheistischen Weltanschauung erweitert werden, es kann aber auch um ein religiöses Weltbild zur Sinnhaftigkeit der Welt ergänzt werden und dann in eine wissenschaftsoffene, religiöse Weltanschauung münden. Beides ist weder zwingend noch allgemeingültig, sondern eine rein persönliche Entscheidung. Weltanschauliches Missionieren lehne ich von allen Seiten ab, sofern nicht nur ein Überzeugen durch Beispiel und Diskurs damit gemeint ist. Religiöse Traditionen sind allerdings auch Teil unseres Kulturverständnisses. Kulturelle Traditionen sind jedoch nicht sakrosankt, sie müssen natürlich hinterfragbar sein. Speziell für den Schulunterricht wären vielleicht modernisierte Bibelexegesen als Grundlagen für den Religionsunterricht wünschenswert. Es sollte auch durchaus Diskussionen zwischen Religion und Biologie geben, allerdings bei Wahrung der inhaltlichen Abgrenzung. Das Beispiel Kreationismus ist als Thema für entsprechende transdisziplinäre Module geeignet, um gemeinsam sowohl korrektes wissenschaftstheorisches Arbeiten als auch die Metaphysik der Religionen zu behandeln. Insgesamt muss die Evolutionstheorie auch möglichst authentisch vermittelt werden. Hierzu eignen sich Versuche und Beobachtungsreihen im Schulunterricht, Besuche in Universitätslabors sowie Integration von thematischen Schulausflügen in Zoos, botanische Gärten und Naturkundemuseen.


Abb. Hypothetisches Schema der Situationsbezogenheit von Wechselwirkungen zwischen evolutionsbiologischem Erbe und kultureller Evolution. Grün: biologisches Anteile, Orange: kulturelle Erweiterung, Orange um Grün: Kulturelle Überprägung des biologischen Anteils. Hellblau: gesellschaftliche normative „Kontrollkappe“.

a. wesentliche Grundbedürfnisse des Menschen, wie Essen und Schlafen sind selbstverständlich biologisch dominiert. Sie können in einem gewissen Umfang kulturell kontrolliert werden (Verteilung der Nahrungsaufnahme auf Frühstück-, Mittags-, und Abendessen, vegetarische Ernährung; teilweise Nachtarbeit ohne Schlaf), eine normative Kontrolle (z.B. Erwerb statt Raub von Nahrung) ist ebenfalls vorhanden.
b. Wissenschaft und Technik sind stark kulturell dominiert. Zwar verwenden bereits viele Tiere Werkzeuge, diese werden jedoch in der Regel nicht extra hergestellt. Auch ist die wissenschaftliche Neugier sicherlich zum Teil biologisch begründet. Wissenschaft und Technik können als Kulturtechniken in gewisser Weise als verlängerter Arm der biologischen Evolution gesehen werden, denn sie erlauben dem Menschen eine enorme Anpassung an seine Umwelt, auch an sich ändernde Bedingungen. Da die Fortschritte jedoch nicht genetisch, sondern kulturell tradiert werden, stellt diese Form gleichzeitig eine starke Emanzipation von unserem biologischen Erbe dar. Die starke Eigenständigkeit solcher kultureller Prozesse, darunter auch die Forschung benötigt jedoch eine besonders starke normative „Kontrollkappe“. Nicht alles Machbare ist gesellschaftlich sowie für das Überleben der Menschheit sinnvoll.
c. Unser sonstiges zwischenmenschliches und gesellschaftliches Verhalten setzt sich, sicherlich zu unterschiedlichen Anteilen aus biologisch ererbten Grundmustern und deren kulturellen Überprägung zusammen, wobei die kulturelle Überprägung eine stark regulative Wirkung besitzt. Eine normative Kontrollkappe (Gesetze, gesellschaftliche Regeln, ggf. auch religiöse Regeln) ist auch hier notwendig.
d. In speziellen, insbesondere Stresssituationen kann sich das biologische Erbe dominant in den Vordergrund schieben (etwa Aggressivität). Eine normative Kontrollkappe ist sicherlich gerade auch hier notwenig, dennoch erscheint es gerade hier sinnvoll, auch, normativ kontrolliert „Dampf ablassen“ zu können.
Abbildung und Abbildungserläuterung aus Leinfelder [27]



Ausblick: Quo Vadis?


Die Menschheit hat sich durch die menschengemachte Klima- und Umweltkrise den größten Selektionsversuch selbst auferlegt. Das Sterben der Korallenriffe, steigender Meeresspiegel, veränderte Niederschlagsmuster, immense Überfischung und Verlust der genetischen Ressourcen können Milliarden von Menschen bedrohen. Auch zur Bewältigung dieser Krise bedarf es evolutionären Wissens. Zum einen sind Biodiversität, Evolution, Umwelt und Klima eng miteinander vernetzt. Hier gilt es insbesondere, die dynamischen Prozesse von Biodiversitätsänderungen besser erkennen und möglicherweise sogar vorhersagen zu können. Dabei ist das Verständnis auch heute ablaufender Evolutionsprozesse wesentlich, um Reaktionen der belebten Natur auf Klima- und Umweltänderungen sowie mögliche natürliche und kulturelle Anpassungswege prognostizieren und bewerten zu können. Zum anderen benötigen wir für die Bewältigung der Umweltkrise auch eine weitere kulturelle (R)evolution. Seit der Industrialisierung pumpt die Menschheit ungezügelt alle fossilen Energieträger wieder in die Atmosphäre zurück. Kohlendioxid, welches über mehrere hunderte Millionen von Jahren entzogen wurde, wird nun - geologisch gesehen – sozusagen auf einmal als CO2 wieder in die Atmosphäre zurückgeführt. Zusätzlich werden biologische Kohlenstoffspeicher, wie Wälder oder Moore durch uns selbst vernichtet. Der Mensch muss, um die Erde weiterhin auch für die nachfolgenden Generationen nutzen zu können, radikal umdenken. Dazu benötigen wir mehr denn je unseren kulturellen Verstand, für den die biologische Evolution unseres Gehirns die Grundlage geliefert hat: Vor etwa 2,5 Millionen Jahren begann der Urmensch einfachste Steinwerkzeuge zu verwenden, was ihn jedoch kulturell noch nicht sehr vom Tier unterschied. Die erste kulturelle Revolution des Jägers und Sammlers fand vor etwa 600.000 Jahren mit der Bearbeitung von Faustkeilen und Feuergebrauch statt. Vor etwa 10.000 Jahren v. Chr. begann die neolithische Revolution, die uns Ackerbau und Viehzucht sowie im Gefolge den Hausbau brachte. Seit etwa 8000 Jahren v.Chr. breiteten sich Stadtkulturen und mit ihnen das Handwerk und Dienstleistungen, also umfassende Arbeitsteilung aus. Im späten 18 und 19. Jahrhundert erfolgte die Industrielle Revolution. Bleibt nur zu hoffen, dass die nächste, notwendige (R)evolution, eine „Kohlenstoff-Abrüstung“ und mit ihr der Eintritt in ein „postkarbones“, nachhaltiges Industriezeitalter nicht mehr lange auf sich warten lässt [28].

Was nützt unser Wissen über die Evolutionsvorgänge, welche zu Biodiversitätsverlust führen, was nützt es, wenn wir über die Klimaprozesse Bescheid wissen und wissenschaftlich abgesicherte Wahrscheinlichkeitsszenarien zur klimatischen Entwicklung machen können, was nützt es, wenn wir sogar die richtigen Handlungsweisen und Technologien zur Vermeidung beschreiben können, aber diese nicht umsetzen können? Diese Umsetzung muss demokratisch geschehen, aber sie kann damit nur erreicht werden, wenn wir die Auswirkungen unseres Handeln auch über die Generationen hinweg verstehen und dies entsprechend berücksichtigen. Dieser hohe Anspruch kann nur mit Hilfe einer kulturellen Transformation erfüllt werden. Prinzipiell sollten wir dazu fähig sein. Der Mensch ist zwar biologisch ein Tier (bzw. chemisch ein Molekülcocktail), das ist jedoch nur eine Seite der Medaille. Der Mensch ist zusätzlich eben gerade auch ein Kulturwesen. Die berühmte Menschenaffenforscherin Jane Goodall brachte es zum Eingang des Darwin-Jahrs in einem Cicero-Interview auf den Punkt: „Die Sprache, mit der wir moralische Entscheidungen treffen können, macht uns zum Menschen. Damit überlassen wir uns nicht dem bloßen Instinkt. Es ist die Fähigkeit, diskutieren und über abstrakte Dinge sprechen zu können, die nicht real existieren, sondern vor unserem geistigen Auge stehen. Diese Befähigung ist es, durch die sich unser Intellekt so explosionsartig weiterentwickelt hat“ [29]. Und der leider noch vor dem Darwin-Jahr im August 2008 verstorbene Neurobiologe und Tierphysiologe Gerhard Neuweiler sieht im Menschen eben doch die Krone der Evolution. Allerdings gilt dies nur, wenn wir es auf die Komplexität unseres Gehirns und seiner Fähigkeiten beziehen, denn der Mensch kann weder ohne Hilfsmittel fliegen noch lange tauchen, viele Tiere hören und riechen besser, oder laufen schneller. Aber unser höchst erhobenes Körperteil erlaubte uns die kulturelle Evolution. Neuweiler schreibt: „Im Menschen emanzipiert sich die Evolution, denn er ist das einzige Lebewesen, das die Werkzeuge der natürlichen Evolution in die Hände nehmen und ihr eine eigene humane Welt entgegensetzen kann“ . [30]
Diese humane Welt hat nichts mit einem „Neo-Humanismus“ bzw. „evolutionären Humanismus“ der Szientisten und Biologisten zu tun, welche allen Ernstes als „erklärtes Ziel“ fordern, „den Eigennutz in den Dienst der Humanität zu stellen“. Außerdem soll man zwar nicht lügen, betrügen, stehlen oder töten, „es sei denn es gibt im Notfall keine anderen Möglichkeiten die Ideale der Humanität durchzusetzen.“ [31] Wenn zur Durchsetzung der Ideale eines „Neo-Humanismus“ davon gebraucht gemacht werden sollte, dann rette sich wer kann vor diesem Humanismus. (siehe Anm. 34)

Wie wunderbar hingegen, aus einer Stadt zu stammen und von einer Schule zu kommen, die sich echtem Humanismus verpflichtet fühlt. So wurde schon am 25. September 1555 im Augsburger Reichs- und Religionsfrieden folgendes festgelegt: „Setzen demnach, ordnen, wollen und gebieten, daß fernerhin niemand, welcher Würde, Standes oder Wesens er auch sei, den anderen befehden, bekriegen, fangen, überziehen, belagern, […] [möchte], sondern ein jeder den anderen mit rechter Freundschaft und christlicher Liebe entgegentreten soll“ [32]. Dies schließt sich im aktuellen Schulkonzept des Gymnasiums bei St. Anna, welches ich weiter oben auszugsweise zitiert habe und welches auf Humanismus, Bewusstsein über die Würde des Individuums, auf Notwendigkeit zur Erforschung der Welt, auf Offenheit, Achtung, Toleranz und Respekt des Anderen fokussiert. Hier finden sich Aristoteles, Charles Darwin, Albert Einstein, Jürgen Habermas und Hans Jonas gleichermaßen: Der biblische Auftrag, sich die Erde untertan zu machen schließt sich hier zum „Ökologische Imperativ“ von Hans Jonas (1979): „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden“ [33]. Gerade als Naturwissenschaftler bin ich überzeugt, dass uns hier unser evolutionäres Erbe nicht weiterhelfen kann. Wir müssen hier gegen unseren biologisch-evolutionäres Eigennutz-Erbe handeln, denn biologische Evolution und biologisches Eigennutzverhalten können eben nicht weit vorausplanen. Unsere Welt weiter lebenswert zu machen und dabei über Generationen und über die eigenen Gene hinweg vorauszuschauen, ist eine kulturelle Herausforderung, in die unser gesamtes naturwissenschaftliches und kulturwissenschaftliches Wissen mit einfließen muss. Die Aufgabe kann nur gelingen, wenn Schulen wie das Gymnasium bei St. Anna hier die notwendigen Grundsteine legen.

> Zum gesamten Artikel: www.tinyurl.com/darwin-revolution (pdf 3 MB)

Oben verwendete Zitate:
  • 27 Leinfelder, R. R. (im Druck): Epilog: Darwins Erbe für die Zukunft, in: Charles Darwin Die Entstehung der Arten, mit zwei Beiträgen von Alfred Russel Wallace, illustriert, kommentiert und herausgegeben von Paul Wrede und Saskia Wrede, VCH- Wiley Weinheim.
  • 28 siehe hierzu auch: Schellnhuber, H.-J.,, Messner, D., Leggewie, C., Leinfelder, R.R., Nakicenovik, N., Rahmstorf, S., Schlacke, S., Schmid, J. & Schubert, R. (2009): Kassensturz für den Weltklimavertrag.- Sondergutachten, 58 S., Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung, Globale Umweltveränderungen (WBGU), Berlin. http://www.wbgu.de/wbgu_sn2009.html
  • 29 http://www.cicero.de/97.php?ress_id=7&item=3057
  • 30 Neuweiler, G. (2008): Und wir sind es doch - die Krone der Evolution. 253 S., Wagenbach-Verlag, Berlin.
  • 31 Schmidt-Salomon, M. (2006): Manifest des evolutionären Humanismus: Plädoyer für eine zeitgemäße Leitkultur. 196 S., Alibri-Verlag, Aschaffenburg (für die Giordano Bruno-Stiftung).
  • 32 Fide http://de.wikipedia.org/wiki/Augsburger_Reichs-_und_Religionsfrieden , Stand 17.7.2009
  • 33 Hans Jonas: Das Prinzip Verantwortung: Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation. Frankfurt/M., 1979. Neuauflage als Suhrkamp Taschenbuch, 1984
  • 34 Anm.: Dies ist keine Pauschalkritik an der evolutionären Psychologie bzw. der Soziobiologie, siehe hierzu die Diskussion im Gesamtartikel sowie Abbildung oben. Die Anteile des biologischen Erbes, auch des biologischen Eigennutzfaktors zu verstehen, um alle Verhaltensaspekte des Menschen insgesamt besser zu verstehen ist jedoch etwas völlig anderes, als eine biologistische, gar noch als "evolutionär-humanistisch" bezeichnete Weltanschauung darauf zu gründen.

8 Kommentare:

  1. Wollen Sie ernsthaft sagen, dass man niemals im Dienste der Humanität lügen, töten, etc. darf? Was ist dann mit dem Beispiel, das Schmidt-Salomon selbst nennt: Wenn Sie während der Nazi-Zeit einen Juden bei sich versteckten, war es allemal besser, die SS anzulügen und zu behaupten, dass Sie keine versteckten! Bezweifeln Sie das?

    Ebenso muss man manchmal töten. Etwa im Falle des Massakers von Srebrenica hätten die Blauhelm-Soldaten definitiv militärisch eingreifen müssen. Kein normaler Mensch bezweifelt das. Auch der Krieg gegen Nazi-Deutschland war gerechtfertigt.

    Es ist schon unglaublich naiv und weltfremd zu meinen, man dürfe niemals lügen oder töten und so weiter. Wenn Sie am verhundern wären, würden Sie notfalls auch Brot stehlen und ich bezweifle, dass es angesichts mangelnder Handlungsalternativen notwendig falsch wäre.

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  2. @ feuerbringer: danke der Nachfrage. Nein, das sage ich natürlich nicht. Ich sage, "Wenn zur Durchsetzung der Ideale eines „Neo-Humanismus“ davon gebraucht gemacht werden sollte, dann rette sich wer kann vor diesem Humanismus", Ich sage also ausschließlich, dass ich es bedenklich finde, wenn damit ggf. ein "Neo-Humanismus" verteidigt werden soll. Im Namen von x, y und z ist schon viel angestellt worden (x, y, z können Sie fast beliebig selbst nach jeder Seite ergänzen). Also, bevor etwas verteidigt werden soll, was keinesfalls gesellschaftlich akzeptiert ist, darf man schon mal auf dies hinweisen. Um die von Ihnen aufgezählten Beispiele geht es dabei keinesfalls, da gibt es natürlich - außer vielleicht bei Grundsatz-Pazifisten - gesellschaftlichen Konsens, aber diese Beispiele hab ich ja auch nicht erwähnt, bitte also deshalb keine Unterstellungen.

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  3. Und auf welcher weltanschaulichen Grundlage, meinen Sie, haben einzelne Bürger Juden bei sich versteckt? Denken Sie etwa, es gibt einen Weg aus der Verantwortung, indem man einfach gar nicht über philosophische Fragen nachdenkt, dann wird man zumindest nicht beim Stalinismus landen?

    Und von wegen Unterstellungen! Wenn Sie das Manifest von MSS gelesen haben, wissen Sie genau, dass ER einige dieser Beispiele nennt. Und um seinen "Neo-Humanismus" geht es schließlich in Ihrer Kritik, also sollten Sie diesen kennnen. Wie gesagt kommt es mir so vor, als würde Sie die Position Ihrer, wie Sie meinen, weltanschaulichen Gegner, überhaupt nicht kümmern.

    Sonst wüssten Sie auch, dass im Manifest steht, man solle die "Humanität" verteidigen und nicht den "Neo-Humanismus".

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  4. @feuerbringer: Vom "Manifest" kenne ich jede Zeile. Ihre positive Einschätzung zum "Manifest" kann ich dennoch leider ganz und gar nicht teilen. Aber im nur noch wenige Stunden andauernden Darwin-Jahr ist keine Zeit mehr, dies näher auszuführen. Ich will mich auch nicht auf eine "Töten dürfen"-Debatte einlassen. Die oben bzw. im verlinkten Artikel aufgeworfene eigentliche Frage ist, ob der Eigennutz-Gedanke, selbst wenn er Altruismus umfasst, eine Chance gibt, über viele Generationen vorauszudenken, das ist es nämlich, was wir angesichts Klima- und Umweltkrise heute benötigen.
    Dass ich nichts gegen ein Konzept einer differenzierten Diskussion zu Ethik habe, können Sie dem verlinkten Artikel ebenfalls entnehmen . Dort schreibe ich z.B. auf S. 20:
    "Ethische Normen sollten durchaus bei ihrer Erstellung biologische Prädispositionen mit ins Kalkül ziehen - eine ethische Norm, welche das nächtliche Schlafen stigmatisiert, würde sicherlich nie befolgt werden. Allerdings können sie meiner Überzeugung nach keineswegs dominant oder gar ausschließlich aus der Evolutionsbiologie abgeleitet werden. Die ausschließliche Berücksichtung biologisch angelegter Verhaltensmuster zur Erstellung von Normen würde nicht zu einem „evolutionsethischen Humanismus“, sondern nur zu einem nichtethischen „Biologismus“ führen. Aber das wissen sogar diejenigen, die einen „evolutionären Humanismus“ fordern. Die oft kontroverse Diskussion bewegt sich darum, wie stark oder schwach unsere eigenen biologischen Dispositionen in ethische und sogar juristische Konzepte einzubringen sind, und da bin ich der Auffassung, dass Menschsein und Humanismus gerade auch darin besteht, sich in weiten Teilen von rein biologischen Verhaltensmustern emanzipieren zu können, zumindest dort, wo es im Sinne eines friedlichen und gerechten Zusammenlebens angebracht erscheint."

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  5. Nun haben Sie aber immernoch nicht erklärt, wie sie den Verdacht begründen, dass MSS' Vorstellungen von Ethik biologistisch sein sollen. Ich wette mit Ihnen, dass er den letzten Absatz Ihres letzten Eintrages sogar ohne weiteres unterschreiben würde. Ganz ähnliche Überlegungen sind nämlich im "Manifest" zu finden, z.B. wenn davor gewarnt wird, den naturalistischen Fehlschluss zu begehen und aus evolutionär gewachsenen Verhaltensnormen ethische Werte abzuleiten. Den Eigennutz über Spielregeln in humane Bahnen zu lenken und ihm damit quasi Scheuklappen zu verpassen, ist eben nicht biologistisch gedacht - biologistisch wäre es, den Eigennutz nach gutdünken schalten und walten zu lassen.

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  6. Über diese Dinge könnte man ja reden, aber nicht, indem man seinem Gegenüber Positionen unterstellt, die er nicht vertritt. Zum Beispiel das Töten für eine Ideologie namens "Neo-Humanismus", worum es im Manifest einfach nicht geht.

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  7. Sehr geehrter Herr Professor Leienfelder,

    mit bedauern las ich die Vorwürfe gegen die Vertreter des evolutionären Humanismus. Sie bezeichnen diese als Szientisten.

    „„evolutionären Humanismus“ der Szientisten und Biologisten „

    Als Szientismus kann man die Auffassung bezeichnen, dass alle erkenntnistheoretische Fragen sich allein mit naturwissenschaftlichen Mitteln beantworten. lassen.
    Diese Meinung ist in der Gegenwart kaum vertreten und in den Kreisen der GBS schon gar nicht. Doch auch deren naturalistische Erkenntnisposition ist nicht nur durch sie mit dem Szientismusvorwurf konfrontiert.
    Martin Neukamm stellt hierzu fest:
    Es passiert dass man den „Naturalisten vorhält, er erkenne nur das an, "was unter der Voraussetzung des methodologischen Naturalismus erfassbar" sei. Ein wohl reflektierter Naturalismus behauptet aber gar nicht, dass außer den Naturwissenschaften keine anderen kognitiven Felder zuverlässiges Wissen zutage förderten. Ganz im Gegenteil sind Geisteswissenschaften wie die Philosophie, Linguistik, Literatur- und Religionswissenschaft ebenso legitime und wichtige Bereiche des kulturellen Lebens. Der Naturalist bleibt nur gegenüber dem Transnaturalen skeptisch - daraus folgt noch lange kein grob geschnitzter Szientismus.“
    („Der ontologische Naturalismus ist keine Ideologie“ Martin Neukamm Aufklärung & Kritik 1/2009, S. 94-109 der Artikel ist auf auf darwin-jahr.de zu finden)

    Wissenschaftliche vorgehen bedeutet nicht naturwissenschaftliches oder empirisches vorgehen. Als wissenschaftliche Erkenntnisse kann man eben auch nicht empirische Erkenntnisse bezeichnen die nach der Methodologie des kritischen Rationalismus gewonnen wurden. Die Methodologie des kritischen Rationalismus, die Idee der kritischen Prüfung, sie ist keineswegs auf die empirische Wissenschaft beschränkt sondern hat auch in den Geisteswissenschaften ihre Geltung. Die Methode der kritischen Prüfung kann als ein Paradigma rationalen Problemlösungsverhaltens gesehen werden.
    Hans Albert meint:
    „Auch in anderen Bereichen können Problemlösungen aller Art als Konstruktionen mit Hypothesencharakter aufgefasst werden, die prinzipiell der Kritik und der Revision unterliegen, die sich bewähren und die scheitern können, deren Dogmatisierung aber bestenfalls dazu dienen kann, ihre Schwächen zu kaschieren und mögliche Verbesserungen zu verhindern.“
    (Hans Albert: Lesebuch, S.36)
    Die In diesem Zusammenhang sagt Albert: „Als Instrument [die Logik] kritischer Analyse und Prüfung, als Organon der Kritik, lässt sie sich nirgends ausschalten.“
    (http://gkpn.de/albert.htm)
    Dass man nichts der kritischen Prüfung vorenthält, gehört für ihn zu einer „Moral des Denkens“.


    „Naturwissenschaftler sollten auch akzeptieren, dass es noch offene, vielleicht sogar wissenschaftlich nie lösbare Fragen gibt.“

    Auch darauf geht Martin Neukamm immer wieder ein. Niemand in der GBS behauptet es gebe keine offenen Fragen mehr. Dann müsste überhaupt nicht mehr geforscht werden. Die Naturalisten der GBS betonen diesen Punkt stärker als viele andere Naturwissenschaftler die sich öffentlich nicht als Naturalisten bezeichnen. Prof. Vollmer schriebt z.B. in seinem Buch „Wissenschaftstheorie im Einsatz“ gleich drei Aufsätze zu diesem Thema „Paradoxien und Antinomien – Stolpersteine auf dem Weg zur Wahrheit“, „Von den Grenzen unseres Wissens“ und „Gelöste, ungelöste und unlösbare Probleme – Zu den Bedingungen des wissenschaftlichen Fortschritts“

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  8. (Teil 2)
    „die sich echtem Humanismus verpflichtet fühlt. ... welches auf Humanismus, Bewusstsein über die Würde des Individuums, auf Notwendigkeit zur Erforschung der Welt, auf Offenheit, Achtung, Toleranz und Respekt des Anderen fokussiert.“

    Dank der strikten Argumentation von Hans Albert hat sich der Fallibilismus in den gebildeten Kreisen durchgesetzt. Herbert Schnädelbach, der sich einst der Frankfurter Schule zurechnete, schrieb: "Heute sind wir alle Fallibilisten – sogar Habermas". Der von ihnen gelobte Habermas äußert sich dazu jedoch nicht.
    Man muss sich auch nicht zwischen Dogmatismus oder Skeptizismus entscheiden, der kritische Rationalismus ist der dritte Weg. Ohne dogmatisch zu sein gewährt er uns die Möglichkeit Wahrheit zu erreichen, jedoch ohne jemals absolute Gewissheit zu besitzen. Ich finde es eine sympathische und bescheidene Einstellung, dass alle Menschen fehlbar sind.
    Gerade dies verstehe ich als Offenheit, die sie im Zusammenhang ihres echten Humanismus nennen.
    Das trifft auch auf die Toleranz zu. Jeder Mensch, egal Welcher Religion oder Weltanschauung, hat Zugang zur realen Welt, es werden keine höhere Wirklichkeiten postuliert die nur bestimmten Eliten oder Menschen eines Bestimmten religiösen Glauben zugänglich sind. Das heißt aber nicht das andere Wirklichkeiten von vorneherein ausgeschlossen werden, jeder kann gleichermaßen (auch solche) Hypothesen aufstellen (theoretischer Pluralismus) die gleichberechtigt kritisch zu prüfen sind. Die Methode der kritischen Prüfung, Logik und Empirie sind neutrale Richter.

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