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Mittwoch, 29. Juni 2011

WBGU mahnt Evolution des Wissenschaftssystems an

Ach du lieber Darwin, nicht nur die Natur, auch das Wissenschaftssystem muss evolvieren! Prof. Dr. U. Schneidewind, Präsident des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie zu den Vorschlägen des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) für Forschung und Bildung zur Transformation.

Für die „große Transformation“ muss sich das Wissenschaftssystem neu aufstellen

Von Prof. Dr. Uwe Schneidewind, Präsident und wissenschaftlicher Geschäftsführer, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie

Forschung und Bildung zur Unterstützung der
Transformation der Gesellschaft zur Nachhaltigkeit
aus dem aktuellen WBGU-Hauptgutachten (Abb. 8.1-3)
Bonn, Wuppertal 27.06.2011. Seit Mitte Juni 2011 liegt das Hauptgutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Globale Umweltveränderungen (WBGU) der deutschen Bundesregierung vor. Es trägt den Titel „Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation" und zeichnet die Epochenherausforderung der Transformation zu einer globalen Nachhaltigen Gesellschaft eindrucksvoll nach. Dabei gefällt die sozial- und kulturwissenschaftlich aufgeklärte Herangehensweise, in die die technologischen, politischen und ökonomischen Transformationspfade eingebettet sind. Schon der Kern des Gutachtens überzeugt durch seinen differenzierten interdisziplinären Blick. Es wird deutlich, dass der notwendige Umbau mehr ist als eine technologische Revolution. Deswegen erfolgt im Gutachten der Ruf nach einem „neuen Gesellschaftsvertrag“.

Neuer Vertrag zwischen Wissenschaft und Gesellschaft nötig
Das Besondere am WBGU-Gutachten ist sein wissenschaftspolitischer Teil. Er umfasst über 40 Seiten und analysiert schonungslos die fehlende Eignung der aktuellen Wissenschaftspolitik und des Wissenschaftssystems für die Flankierung der „großen Transformation“. Der WBGU macht klar, dass ein Teil eines neuen Gesellschaftsvertrages auch ein neuer „Vertrag zwischen Wissenschaft und Gesellschaft“ sein muss. Nur wenn wir einen relevanten Teil wissenschaftlicher Erkenntnisarbeit auf die Bewältigung der großen globalen Herausforderungen hin ausrichten, werden diese durch die Menschheit beherrschbar sein. In dieser Deutlichkeit wurden bisher von keinem umwelt- und nachhaltigkeitspolitischen Beratergremium der Bundesregierung wissenschaftspolitische Konsequenzen eingefordert.

Es geht um mehr als nur um neue Forschungsprogramme
Dabei geht es um mehr als nur das Auflegen einzelner neuer Forschungsprogramme. Natürlich benötigt z. B. die Umsetzung einer globalen und nationalen Energiewende auch neue Schwerpunktsetzungen in der Energieforschung (siehe „Die aktuelle Kolumne“ vom 13.06.2011: Die Energie(kehrt)wende wird nur mit einer Kurskorrektur der Energieforschung erfolgreich sein). Die im WBGU-Gutachten geleistete umfassende Analyse bestehender Forschungsprogramme auf europäischer und auf nationaler Ebene macht indes deutlich, dass es in der Forschung auch strukturelle Defizite gibt. Und diese liegen nicht nur in falschen inhaltlichen Priorisierungen.

Zu disziplinär, zu Technologie-orientiert
Die teilweise mit viel Geld ausgestatteten Programme im Bereich der Klima- und Nachhaltigkeitsforschung, aber auch der Energie- und Stadtforschung erweisen sich fast in allen Fällen als zu disziplinär und zu Technologie-orientiert: So entsteht zwar ein Flickenteppich an einzelnen Lösungsbausteinen, aber kein besseres Verständnis der komplexen Transformationsprozesse für eine nachhaltige Entwicklung. Um es an einem Beispiel plastisch auszudrücken: Wir schaffen mit viel Mitteln Wissen über immer neue Elektro-Batteriekonzepte, bleiben aber weiterhin naiv bei der Gestaltung grundlegend neuer Mobilitätsmuster. Hier fordert der WBGU ein Umdenken.

Transformationsforschung und transformative Forschung unerlässlich
Der WBGU zielt sowohl auf eine „Transformationsforschung“, das heißt eine Forschung, die Zusammenhänge von umfassenden gesellschaftlichen Transformationsprozessen versteht als auch eine „transformative Forschung“, d. h. eine Forschung, die transformative Prozesse aktiv befördert. Diese Forderungen greifen die Idee einer transdisziplinären Nachhaltigkeitswissenschaft auf, wie sie seit Ende der 1990er Jahren formuliert ist. Deren Ziel ist es, neben System- auch Ziel- und Transformationswissen zu schaffen und sich mit der Forschung an gesellschaftlichen Schlüsselfragen auszurichten. Die Generierung neuen wissenschaftlichen Wissens soll dabei nicht nur über Disziplinen hinweg passieren, sondern auch das Erfahrungs- und Kontextwissens betroffener Akteure einbeziehen. Nur so ist „robustes Wissen“ (Michael Gibbons) für Transformationsprozesse zu gewinnen, das sowohl in das Wissenschaftssystem als auch zu den Akteuren außerhalb der Wissenschaft hin anschlussfähig ist. Das WBGU-Gutachten zeigt viele Beispiele für eine erfolgreiche partizipative Forschung auf. Sie machen deutlich, wie die Zivilgesellschaft aktiv in Wissenschaftsprozesse eingebunden werden kann.


Falsche Strukturen und Anreize im Wissenschaftssystem
Dennoch finden wir solche Formen der transformativen Forschung bisher nur in Nischen. Verantwortlich dafür sind die Strukturen und die Anreizsysteme im Wissenschaftssystem. Inter- und insbesondere transdisziplinär arbeitende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fallen heute in aller Regel durch die Raster der Förderungs-, Publikations- und Karrierelogiken des Wissenschaftssystems. Die etablierten Qualitätssicherungssysteme sind im Wesentlichen auf disziplinäre Forschung hin ausgelegt.

Deswegen macht der WBGU konkrete institutionelle Vorschläge zur Weiterentwicklung des Wissenschaftssystems: Neben einer systematischen Evaluation der bisherigen Forschungsprogramme empfiehlt er u. a. die Einrichtung einer Bundesuniversität, die „schwerpunktmäßig Forschung und Bildung für die Transformation zur Nachhaltigkeit betreibt“, eine Runde der Exzellenzinitiative, die vollständig der Transformation für eine Ressourcen schonende, nachhaltige und lebenswerte Gesellschaft gewidmet ist, aber auch transformationsrelevante Sabbaticals oder die Einführung eines freiwilligen Gesellschaftsjahres „Bildung und Wissenschaft“.

Mit seinem Vorstoß will der WBGU weder die Grundlagenforschung noch die klassische disziplinäre Forschung oder gar die Wissenschaftsfreiheit abschaffen. Aber er fordert neue Gleichgewichte im Wissenschaftssystem ein, um eine stärkere Ausrichtung künftiger Forschung auf die bestehenden gesellschaftlichen Herausforderungen hin zu erreichen.

Den Impuls des WBGU gilt es aufzugreifen
Den wissenschaftspolitischen Impuls des WBGU-Gutachtens gilt es jetzt aktiv aufzugreifen: durch eine bessere Vernetzung der Vorreitereinrichtungen einer transdisziplinären Nachhaltigkeitswissenschaft, die heute schon existieren, durch das Lernen von internationalen Best-Practices sowie durch aktive Mitgestaltung der forschungspolitischen Weichenstellungen auf EU-, Bundes- und Länderebene. Viele Initiativen der letzten Monate stimmen hier optimistisch (vgl. www.nachhaltigewissenschaft.blog.de).
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Dieser Blog wurde im Original auf der Seite des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) gepostet und von dort übernommen. Hier eingestellt von Reinhold Leinfelder

Der Forschung- und Bildungsteil findet sich im WBGU-Gutachten ab S. 341 (im pdf ab Folie 367).
> Direktdownload des WBGU-Gutachtens (5,1 MB)
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Sonntag, 20. Dezember 2009

Der Minimalkompromiss von Kopenhagen - Presseerklärung des WBGU


Da wir in diesem Blog auch auf die Kopenhagen-Konferenz eingingen, nachfolgend die Bewertung des Konferenzergebnisses durch den Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU)

P R E S S E E R K L Ä R U N G DES WBGU

Der Minimalkompromiss von Kopenhagen:

EIN ZIEL – ABER NOCH KEIN WEG

Berlin/Kopenhagen, den 20. Dezember 2009. Der Klimagipfel von Kopenhagen ist weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Einziges substanzielles Ergebnis war eine Erklärung („Copenhagen Accord“), die von den Regierungschefs der wichtigsten Länder ausgearbeitet und von der ganzen Staatengemeinschaft lediglich „zur Kenntnis genommen“ wurde. Es gab weder den erhofften Aufbruch zu neuen Formen der globalen Zusammenarbeit noch verbindliche internationale Verpflichtungen zur Treibhausgasreduzierung - ganz zu schweigen von Weichenstellungen für den Übergang zu einer klimaverträglichen Weltwirtschaft. Die Europäische Union und die Bundesrepublik konnten sich trotz ernsthafter Bemühungen nicht mit ihren Forderungen nach einem anspruchsvollen Klimaabkommen durchsetzen.

Am Ende des zweiwöchigen Gipfelmarathons steht als einziger Lichtblick eine verklausulierte Anerkennung der 2 Grad Celsius-Leitplanke als Richtschnur aller Klimaschutzbemühungen. Hans Joachim Schellnhuber, der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) bezeichnet dieses Ergebnis als „einen tragischen Triumph der Wissenschaft. Die von der Klimaforschung empfohlene Obergrenze für die globale Erwärmung wird einerseits endlich übernommen, andererseits finden die tatsächlich notwendigen Maßnahmen zur Beachtung der Leitplanke (insbesondere Reduzierung der globalen Emissionen um deutlich mehr als 50 % bis 2050) keine Erwähnung. Insofern gibt es ein Ziel, aber die Wege dorthin bleiben noch im Dunkeln“.

Was fehlt

Die Erklärung von Kopenhagen betont zwar die Notwendigkeit, rasch Treibhausgasminderungen einzuleiten, setzt dabei aber ausschließlich auf freiwillige Beiträge zum Klimaschutz, die die Staaten bis zum 1. Februar 2010 konkretisieren sollen. Dazu Schellnhuber: “Dieses Klingelbeutelprinzip, nach dem jeder gibt, was er für angemessen hält, hat schon vor Kopenhagen keine hinreichenden Ergebnisse erbracht. Summiert man die derzeit vorliegenden Klimaschutzangebote aller Staaten auf, dann bewegen wir uns auf eine 3-4-Grad-Welt mit kaum beherrschbaren Risiken zu.“ Daraus folgt, dass die Staaten in den Klimaverhandlungen 2010 kräftig nachlegen müssen, wenn ein gefährlicher Klimawandel noch abgewendet werden soll. Der WBGU unterstützt ausdrücklich die Forderungen von Kanzlerin Merkel und Umweltminister Röttgen, jetzt gerade die nationalen und internationalen Bemühungen um Klima- und Energiesicherheit zu verstärken.

In Kopenhagen wurde wertvolle Zeit für den Klimaschutz verspielt. Eine nüchterne wissenschaftliche Analyse zeigt, dass die globale Trendumkehr bei den Treibhausgasemissionen zwischen 2015 und 2020 geschafft sein muss – ansonsten bleiben kaum noch realistische Chancen, die 2-Grad-Linie zu halten. Dirk Messner, stellvertretender Vorsitzender des WBGU, meint: "Der bisherige Verhandlungsmodus rettet das Klima nicht. Selbst die zahlreich erschienenen Staats- und Regierungschefs konnten die Verhandlungsblockade nicht überwinden. Ohne erneute klimapolitische Kraftanstrengungen besteht die Gefahr, dass die Verhandlungen im kommenden Jahr im Schneckentempo weiterlaufen. Im schlimmsten Fall zerfiele die Welt in Interessensgruppen, die im Klimaschutz eigene Wege gehen. Deshalb ist 2010 ein Neustart in der internationalen Klimapolitik notwendig."

Was zu tun ist

Aus Sicht des WBGU sollten die Bundesregierung und die Europäische Union nun in zwei Richtungen agieren: Einerseits gilt es, Bündnispartner zusammenzuführen, um nächstes Jahr doch noch ein anspruchsvolles Klimaabkommen zustande zu bringen. Als Grundlage für diese Verhandlungen könnte der vom WBGU vorgeschlagene Budgetansatz dienen, ein einfaches, transparentes und gerechtes Konzept zur internationalen Lastenteilung für den Klimaschutz. Chinesische,japanische und indische Klimaberater hatten in Kopenhagen verwandte Ansätze vorgelegt. Der Kerngedanke des Konzeptes besteht darin, ein mit der 2 Grad-Leitplanke verträgliches globales Treibhausgasbudget zu bestimmen und dieses auf der Grundlage gleicher Emissionsrechte für alle Menschen auf nationale „kumulative Kohlenstoffkredite“ herunterzubrechen. Hochemissions- und Niedrigemissionsländer würden bei diesem Ansatz Verschmutzungsrechte gegen Klimatechnologien und Finanztransfers handeln um Spielräume über die Nationalbudgets hinaus zu schaffen. Der Ansatz verbindet ökonomische Effizienz mit einer globalen Entwicklungspartnerschaft und nimmt zugleich alle Staaten, auch die Schwellenländer, in die klimapolitische Verantwortung. Der WBGU argumentiert: „Gerade nach den enttäuschenden Ergebnissen von Kopenhagen müssen neuartige und operationalisierbare Ansätze auf die Verhandlungstische.“

Anderseits müssen nun – gerade wegen des drohenden Schwebezustandes in der internationalen Klimadiplomatie – Nachhaltigkeitsinitiativen von unten verstärkt werden, um den Übergang in eine klimaverträgliche Weltwirtschaft zu beschleunigen. Deutschland und Europa sollten in öffentlich-privaten Allianzen ihre Forschungsanstrengungen und Investitionen hinsichtlich erneuerbarer Energien und klimaverträglicher Mobilitätskonzepte massiv erhöhen. Europäische Städte könnten beispielsweise in internationalen Partnerschaften klimaverträgliche Stadtentwicklungen vorantreiben, insbesondere mit Vorreitern wie Sao Paolo oder Seattle, die bereits anspruchsvolle Klimaziele formuliert haben. Die europäische Entwicklungspolitik sollte klimaverträgliches Wirtschaften zu einem Schwerpunkt ihrer Arbeit machen. Technologie-, innovations- und energieorientierte Klimapartnerschaften mit China, Indien und anderen Schwellenländern könnten forciert werden. Aus Sicht des WBGU sollten auch die Zivilgesellschaft und die Wirtschaft ihren Druck für eine ehrgeizige und verbindliche globale Klimapolitik aufrechterhalten und
damit vor allem die verantwortungsbewussten Regierungen unterstützen. Der WBGU sieht Chancen, auf diesem Weg ein grenzüberschreitendes regionales und globales Netzwerk „klimapolitischer Vernunft“ zu schaffen, in dem öffentliche und private Akteure die Weichenstellungen vorantreiben, zu denen sich die Staats- und Regierungschefs in Kopenhagen nicht durchringen konnten.

Rückfragen an: wbgu@wbgu.de oder 030-26394812.
Website des WBGU www.wbgu.de (mit herunterladbaren Materialien, u.a. Sondergutachten zum Budgetansatz, Fact Sheets zur 2-Grad-Leitplanke sowie zum Budgetansatz etc.