Freitag, 6. März 2009

Instrumentalisierung von Darwin durch religionskritische Stiftung?

Darwin muss man immer dann nicht verteidigen, wenn er selbst für sich sprechen darf. Man muss allerdings genau hinhören. Viele der Missverständnisse rund um Darwin gäbe es gar nicht, wenn man die Originalquellen verwenden würde. Zitate können faszinierend sein und vieles besser erklären als manch langatmiger Artikel. Außerdem steigern Zitate die Authentizität und damit die Glaubhaftigkeit einer Biographie oder auch einer wissenschaftlichen Arbeit.

Allerdings müssen Zitate im richtigen Kontext wiedergegeben werden. Denn ansonsten kann man mit "Steinbruch"-Teilzitaten aus Originalzitaten völlig Zweckentfremdetes anstellen und angeblich begründen. Auf diese Weise arbeiten viele Kreationisten. Wissenschaftler können davon ein Lied singen. Auch der Blog-Autor wurde schon selbst mehrfach entsprechend zweckentfremdet zitiert (das wäre mal nen eigenen Beitrag Wert).

Wissenschaftlern oder gar Philosophen unterstellt man dies in aller Regel nicht. Umso ärgerlicher wäre, falls es auch dort so gehandhabt würde. Aber urteilen Sie selbst:


Ein sogenannter Evolutionstag (den ein selbsternanntes Darwin-Jahr-Komitee, welches insbesondere aus Mitgliedern der extrem religionskritischen, "neo-atheistischen" Giordano-Bruno-Stiftung besteht, ausgerufen hatte), hatte als angeblichen Höhepunkt "Darwins Dankesrede". Die Rede wurde vom Philosophen Dr. Michael Schmidt-Salomon, dem Vorstandssprecher der Stiftung sowie Autor des umstrittenen Kinderbuches "Wo bitte geht's zu Gott, fragte das kleine Ferkel" und ähnlicher Bücher geschrieben und von einem Schauspieler in Darwinverkleidung vorgetragen.

Die Rede findet sich auf der Webseite dieses "Darwin-Jahr-Komitees" sowie auf den Seiten des hpds, dem gemeinsamen Pressedienst von Giordano-Bruno-Stiftung und Humanistischem Verband. Der hpd bringt zusätzlich eine Videoaufzeichnung dieser Rede.
Autor Schmidt-Salomon schreibt in einer Fußnote zur Rede: "Die kursiv gesetzten Passagen sind wörtliche Zitate Darwins. Bei den restlichen Stellen habe ich auf der Basis der Werke Darwins „fabuliert", was er denn möglicherweise gesagt hätte, wenn er tatsächlich am Frankfurter Festakt hätte teilnehmen können."

Bei der eigentlichen Rede (und auch der Videoaufzeichnung) wird nicht klar, wo die Originalzitate stecken.
Die Rede können Sie hier oder hier nachlesen.

Darwin wäre heute sicherlich Mitglied der Giordano Bruno-Stiftung, so soll man wohl annehmen. Ein Beispiel:
"Darwin": "Im Ernst: Wer die Evolutionstheorie verstanden hat, der weiß, dass sie mit traditionellen Glaubenssystemen nicht zu vereinbaren ist. So einfach - und zugleich so schwierig! - ist das! Ob man will oder nicht, man muss eine Wahl treffen: Entweder Evolution oder Schöpfung, Aufklärung oder Obskurantismus, wissenschaftliches Wissen oder religiöser Glaube. Sämtliche Versuche, das eine mit dem anderen zu verbinden, sind gescheitert. Was mich auch nicht verwundert, denn: Ein bisschen schwanger sein, geht nicht! Man muss sich schon entscheiden, welchem Pfad man folgen will. Was mich angeht, so glaube ich, dass ich richtig gehandelt habe, als ich mein Leben unbeirrbar der Wissenschaft widmete.(17)"

Nur das Kursive ist ein Originalzitat. Die Quelle ist korrekt angeben. Das Zitat ist allerdings stark gekürzt. Insgesamt verwendet Schmidt-Salomon die deutsche Version der Autobiographie Darwins (Charles Darwin: Mein Leben. Die vollständige Autobiographie. Insel taschenbuch, Frankfurt/M. 2008). Mehrfach werden dabei Teile zitiert, die von der Ehefrau Darwins aus dessen Autobiographie gestrichen wurden und nun in der vollständigen Autobiographie in Klammern wieder eingefügt wurden (siehe hierzu die Erläuterungen in der oben zitierten Ausgabe der Autobiographie.

Nachfolgend zwei Beispiele der Verwendung der Darwin-Zitate in der pseudofaktischen Rede sowie der Kontext dieser Zitate, dokumentiert durch Screenshots aus der Autobiographie. Blau jeweils der Pseudodarwin, kursiv und rot das verwendete Originalzitat und danach folgend der Screenshot aus der Autobiographie, ggf. schwarz eine Erläuterung des Blog-Autors:


Beispiel 1: "Logisch war diese Kombination aus Wissen und Glauben zwar nicht, aber psychologisch kann man ihr Verhalten nachvollziehen. Emma war, wie so viele andere Menschen auch, ein Opfer frühkindlicher Prägung. Ich habe über dieses Phänomen viel nachgedacht. Um zu verstehen, warum so viele Menschen wider aller Plausibilität an Gott glauben, sollten wir, wie ich einst schrieb, die Möglichkeit nicht außer acht lassen, dass das kindliche, noch nicht voll entwickelte Gehirn stark geprägt wird, vielleicht schließlich eine ererbte Prägung davonträgt, indem Kindern ständig der Glaube an Gott eingeimpft wird, so dass es für sie ebenso schwer [ist], diesen Glauben an Gott abzuschütteln, wie für einen Affen, seine instinktive Angst vor Schlangen abzuschütteln."(13) Verstört Sie diese Passage aus meiner Autobiographie? Emma jedenfalls war sehr verstört und sorgte dafür, dass die Stelle aus meinen Memoiren gestrichen wurde. Sie begründete dies damit, dass meine Auffassung, alle Moralität habe sich durch Evolution entwickelt, sie persönlich schmerze. Vor allem aber ging es ihr darum, zu verhindern, unsere religiösen Freunde und Verwandten durch meinen despektierlichen Vergleich von Gläubigen und Affen zu schockieren. Also griff sie liebevoll zensierend in den Text ein, ..."

Im nachfolgend dargestellten Originalzitat wird klar, dass Darwin zuerst eine theistische Sichtweise hatte - er war anfänglich stark von der Physikotheologie geprägt, welches die Grundlage heutiger Kreationisten und IDler darstellt - und bezeichnet sich nach der von seiner Frau gestrichenen Sichtweise dann als Agnostiker:

Zweites Bespiel: Zuerst wieder Schmidt-Salomon alias Pseudo-Darwin (rot: Original-Darwin):

"Bedauerlicherweise war dies nicht die einzige Passage, die Kummer hätte verursachen können. So hatte ich u.a. ausgeführt, dass mein Abschied vom Christentum nicht allein durch wissenschaftliche, sondern auch durch ethische Gründe bedingt war. „Ich kann nun wirklich nicht einsehen", schrieb ich,warum sich jemand wünschen sollte, das Christentum sei wahr; wenn es nämlich wahr wäre, dann, das scheint mir die Sprache des Textes unmissverständlich zu sagen, würden alle Menschen, die nicht glauben, also mein Vater, mein Bruder und fast alle meine nächsten Freunde, ewig dafür büßen müssen. Und das ist eine verdammenswerte Doktrin."(15) Wie Sie sich vorstellen können, fiel auch diese Textstelle mit Rücksicht auf Tante Caroline der liebevollen Familienzensur zum Opfer..."

Nun Darwin im Originalkontext (incl. der von Ehefrau Emma zitierten Passage). Der Kontext zeigt eindeutig, dass Darwin einerseits ein religiös Suchender war und andererseits, genau wie der Jesuit Christian Kummer schreibt, sein Gottesbild extrem eingeschränkt war (Paleysche Physikotheologie). Letztendlich war Darwins Theologieverständnis rein kreationistisch und ging nicht darüber hinaus. Es war nur konsequent, dass er diese Form eines naturalistisch-religiösen Glaubens selbstverständlich ablegen musste, nachdem er seine Ergebnisse erarbeitet hatte:
Screenshots aus: www.amazon.de/gp/reader/3458350705/ref=sib_dp_pt#reader-link

Damit kein Missverständnis auftritt: Viele der Mitglieder der Giordano-Bruno-Stiftung sind renommierte Wissenschaflerinnen und Wissenschaftler, daran soll kein Zweifel aufkommen. Auch sind Weltanschauungen, egal ob religiös oder atheistisch jedermanns eigene Sache und man kann sie gerne auch öffentlich machen. Dem Blogger geht es in diesem Zusammenhang ausschließlich darum, die Akzeptanz für Wissenschaften in der Gesellschaft zu verbessern und deswegen ggf. Aktivitäten zu kritisieren, die Wissenschaftsfeindlichkeit erhöhen könnten. Dazu gehört natürlich der Kreationismus, weil er wissenschaftliche Erkenntnisse falsch wiedergibt oder gar behauptet (ID-Ansatz) durch naturwissenschaftliche Erkenntnisse untermauert zu sein. Aber auch wer behauptet, dass sich aus naturwissenschaftlichen Erkenntnissen zwingend und allgemeingültig eine atheistische Weltanschauung ergäbe, liegt nicht nur erkenntnistheoretisch falsch, sondern macht Evolutionswissenschaften wieder zur Ideologie und fördert dadurch Wissenschaftsfeindlichkeit, wenn nicht gar Schlimmeres. Deshalb sind Richard Dawkins Buch "Der Gotteswahn" sowie die Jünger dieses Buchs das Beste, was den Kreationisten passieren konnte, da es die Verunsicherung, wenn nicht gar die diesbezügliche Spaltung der Gesellschaft fördert.

Ulf von Rauchhaupt, Wissenschaftsjournalist der FAZ/FAS und einer der FAZ-Planckton Blogger, berichtet heute aus der derzeit in Rom stattfindenden Evolutionstagung: "Auf die Frage, was man gegen den Kreationismus denn tun könne, nannte der amerikanische Historiker (Ronald Numbers) drei Dinge: erstens müsse man die Leute viel besser über die Ergebnisse der Evolutionsbiologie aufklären - an seiner eigenen Uni etwa gebe es keine vernünftige Einführungsvorlesung zur modernen Evolutionsbiologie. Zweitens müßten insbesondere Geistliche aufpassen, die möglichen negativen moralischen Implikationen der Evolutionstheorie nicht zu übertreiben. Nicht zuletzt aber sollten Evolutionstheoretiker und ihre philosophischen Interpreten sich davor hüten, die Früchte ihres methodischen Naturalismus als Hinweise oder gar Belege für einen metaphysischen Naturalismus zu verkaufen, also für die Vorstellung es gebe nichts außer dem, was Gegenstand der naturwissenschaftlichen Erkenntnis ist. Ronald Numbers ärgert das darum nicht nur, weil er das für falsch hält: „Leute wie Richard Dawkins oder Daniel Dennett sollten endlich mal still sein".

Recht hat er.


Reinhold Leinfelder

Auch wenn dies, wie rechts oben angegeben für alle Beiträge gilt, sei vorsorglich mal wieder darauf hingewiesen, dass hier ausschließlich die Meinung des Verfassers wiedergegeben wird. Allerdings sei auch darauf hingewiesen, dass das Netzwerk der Deutschen Naturkundemuseen in ihrem Darwin-Positionspapier sich genau dieser Trennung von Naturwissenschaften und weltanschaulicher Interpretation verpflichtet hat. Dieses Positionspapier finden sie hier.



PS: Nachtrag vom 8.3.09: Nachstehend wurde von einem externen Autor (Sven Keßen) ein Kommentar zu diesem Eintrag verlinkt. Herr Keßen bezieht sich zum einen auf die oben sowie im vorhergehenden Eintrag zitierten Kommentare von U. v. Rauchhaupt sowie insgesamt auf diesen Eintrag. Hierzu sei nur Folgendes hinsichtlich meiner von Herrn Keßen kritisierten, oben geäußerten Kritik an Dawkins erwähnt. Sitz derjenige, der gegen Dawkins Gotteswahn und seine "Follower" (besser?) argumentiert, für manche gleich in einer bestimmten Schublade? Ich hoffe nicht! Falls doch, empfehle ich einfach mal den interessanten Post von Armin Pfahl-Traughber im Brights-Blog - Die Natur des Zweifels vom 4.3.09 mit dem Titel "Thesen für eine aufgeklärte Religionskritik". Religionskritik kann also auch anders stattfinden als mit polemischen Parolen oder gar Instrumentalisierungen, das ist der (wichtige) Unterschied. Und wenn Ihnen der Begriff "metaphysischer Naturalismus" (den ich gar nicht verwendet, sondern nur zitiert habe) nicht gefällt, sprechen wir eben lieber vom "ontologischen Naturalismus". Da bin nun nicht nur ich der Überzeugung, dass die Naturwissenschaften eben mit einem methodischen Naturalismus arbeiten, woraus sich als abgeleitetes (Teil-)Weltbild bezüglich der Natur ein Agnostizismus ergeben muss. Dieser stört sich jedoch weltanschaulich weder mit einer nicht fundamentalistischen Religionsauffassung, noch mit einem starken ontologischen Naturalismus/Atheismus als alternativen weltanschaulichen Sinngebern. Aber, und dabei bleibe ich, welche Weltanschauung man vertritt, ist eben jedermanns persönliche Interpretation der Welt (wozu natürlich weltanschauliche Gruppierungen, falls gewünscht Hilfestellungen geben können). Weder eine religiöse noch eine atheistische Weltanschauung ergeben sich eben zwingend aus den Naturwissenschaften. In dieser gewisser Weise ist beides, und das ist keinesfalls abwertend gemeint, eben doch eine Glaubenssache, und dies gilt gleichermaßen für Naturwissenschaftler und alle anderen Zeitgenossen.

Aber wer die Einträge dieses Blogs hier insgesamt durchsieht, sollte - so hoffe ich - bemerken, dass es mir weder um Religionskritik, noch um Kritik an Religionskritik per se, und andererseits genausowenig um Religionsverteidigung per se geht. Es geht darum, die Akzeptanz der Evolutionswissenschaften zu erhöhen und deshalb auf all das hinzuweisen, was diese Akzeptanz schmälern könnte. Naturwissenschaften sollten für Ingenieure wie Fließenleger (- ich verwende nur das Beispiel aus der verlinkten Kritik - ) und alle anderen, bzw. weltanschaulich betrachtet für philosophische Atheisten, Konfessionsfreie, Christen, Moslems und alle weiteren Gruppen faszinierend sein und von ihrer Bedeutung her akzeptiert werden. Wenn das Darwin-Jahr hierzu beitragen kann, wäre dies ein großer Erfolg. Wenn das Darwin-Jahr jedoch ggf. instrumentalisiert wird, um den von Kreationisten, aber scheinbar auch von manchen Atheisten erwünschten Keil auch zwischen aufgeklärte Religiöse und Konfessionslose zu treiben, wäre dies ein gewaltiger Schaden. Sehr geehrter Herr Keßen, haben wir hier Konsens? Würde mich freuen! Schöne Grüße, R. Leinfelder


6 Kommentare:

  1. Die Fortführung der Diskussion zu obigem Beitrag im Kamenin-Blog (u.a. mit Eintrag durch R.Leinfelder):
    > siehe hier

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  2. Es gibt inzwischen auch eine Erwiderung von Michael-Schmidt-Salomon:

    http://www.darwin-jahr.de/evo-magazin/halbierte-darwin

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  3. Lieber Herr Leinfelder,

    ich sehe auch eine Gefahr darin, den Anschluss an viele Menschen zu verlieren, wenn Wissenschaftler in der Öffentlichkeit zu dogmatisch auftreten (und damit meines Erachtens die Prinzipien der Wissenschaftlichkeit verletzen). Die Diskussionen um Evolutionstheorien und Weltbilder liefern hierfür (leider) immer wieder anschauliche Beispiele.

    So originell ich manche der Veranstaltungen der GBS auch finde, frage ich mich doch oft, ob sie der Idee der Aufklärung damit nicht langfristig einen Bärendienst erweist.

    Für Ihre sorgfältige Kritik an der Verwendung Darwins in Herrn Schmidt-Salomons Rede kann ich Ihnen nur danken. Mir ist selbst schon aufgefallen, dass manche der Behauptungen Schmidt-Salomons einer sorgfältigen wissenschaftlichen Prüfung nicht stand halten. So verteidigt man meiner Meinung nach keinen plausiblen Humanismus.


    Viele Grüße

    Stephan Schleim

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  4. Über Bärendienste, Halbierungen und Aufgepumptes - mein Kommentar zur fünfseitigen(!) Replik von M. Schmidt-Salomon auf obigen Beitrag.

    HALBIERTER DAWIN? Schmidt-Salomon wählte für seine Replik den Titel "Der halbierte Darwin" (http://www.darwin-jahr.de/evo-magazin/halbierte-darwin). Ein detailliertes Eingehen auf diese Replik ist m.E. nicht nötig. Der geneigte Leser kann sich selbst durch Vergleich ein Bild machen, ob nun Darwin in obigem Blogbeitrag (durch mich?) halbiert wurde und ich damit, wie Schmidt-Salomon meint, eine "Bagatellisierung der Evolutionstheorie" betreibe, die "dem Projekt der Aufklärung einen Bärendienst" erweist, oder ob möglicherweise vielleicht doch Schmidt-Salomon Charles Darwin unzulässig aufpumpt. Hierzu folgendes:
    - Charles Darwins Werk namens „Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und den Tieren“ gehört, wie Schmidt-Salomon auch weiß, zu seinen umstrittensten Arbeiten. In der Kritischen Edition von Paul Ekman steht: "„In ‚Ausdruck‘ finden sich viele Beobachtungen und Erklärungen, die auch nach dem heutigen wissenschaftlichen Kenntnisstand zutreffend sind; andere sind, wie wir heute wissen, völlig irrig; und ein paar gibt es, über die sich die Wissenschaft bis heute streitet." (Zitat Ende). Eve-Marie Engels, die wohl zu den fundiertesten Kennerinnen der ethisch-moralischen Überlegungen Darwins gehört, schreibt folgendes: "Abschließend soll ein Resümee der wichtigsten Ergebnisse gezogen werden: Darwins Ethik ist erstens keine primär biologisch-naturwissenschaftliche Ethik, zweitens keine evolutionäre Ethik und drittens keine solzialdarwinistische Ethik. 1) Wie gezeigt wurde, stützt sich Darwin in seiner konkreten ethischen Argumentation vor allem auf Ansätze und Diskussionen der philosophischen Ethik sowie auf die kulturelle und religiöse Tradition, in der er aufwuchs. Doch sind damit weder alle notwendigen noch alle hinreichenden Bedingungen für die Entstehung, Manifestation und Realisation von Moral gegeben, die für ihn das Spezifische des Menschen im Unterschied zu den übrigen Tieren ausmacht. ..... Obgleich Darwin von nur graduellen Unterschieden in den kognitiven und sozialen Fähigkeiten zwischen Tieren und Menschen ausgeht, nehmen diese Unterschiede im Kontext seiner Überlegungen zur Ethik den Rang einer qualitativen Differenz ein, da moralisches Handeln für Darwin nicht gleichzusetzen ist mit instinktivem Verhandeln. 2) Darwin vertritt damit weder im deskriptiv-explanativen noch im normativen Sinne eine evolutionäre Ethik. " (Zitat Ende) (aus Eve-Marie Engels, 2007, Charles Darwin, S. 198/199, Beck). Es ist also nicht nachvollziehbar, warum Darwin halbiert sein soll, zumal er also keine explizit evolutionäre Ethik vertrat. Inwieweit Darwin also auf dem Gebiet der evolutionären Psychologie als Pionier gelten sollte, wie Schmidt-Salomon meint, ist zumindest umstritten. Keinesfalls hat dieser Bereich seines Wirkens ähnlich wissenschaftlichen Impakt wie seine biologische Evolutionstheorie.
    - Zur Frage inwieweit Charles Darwin sämtliche religiöse Ansätze für Sinnfragen obsolet gemacht haben sollte, empfehle ich Diskussion zwischen Schmidt-Salomon und entsprechend biologisch gebildeten Theologen. Dies war nicht Thema meines Beitrags. Damit kann auch hieraus keine eventuelle Halbierung (Drittelung, Viertelung, Achtelung?) Darwins resultieren. Tatsächlich geht es in Schmidt-Salomons langem Artikel insbesondere um Religionskritik. Weshalb er den Artikel deshalb als Replik auf meinen Beitrag bezeichnet, kann ich nicht wirklich nachvollziehen. Nur einige seiner Abschnitte beziehen sich auf meinen Beitrag, und Religionskritik oder Kritik an Religionskritik waren, wie bereits gesagt, überhaupt nicht mein Thema.

    DUNKLE UNTERSTELLUNGEN? Ich hatte die Frage gestellt, ob es ggf. eine Instrumentalisierung, also eine wissenschaftlich nicht azeptable Vorgehensweise darstellen könnte, Kurzzitate von Darwin durch zu starke Verkürzung und eigene Ausschmückungen in einen anderen Kontext zu stellen. Die Warnung sprach ich aus, da diese Strategie bei Kreationisten recht verbreitet ist (-> Beispiele), umso wichtiger ist es deshalb, alles zu tun, um auf Seiten der Wissenschaft gar nicht erst eventuellen Verdacht aufkommen zu lassen. Schmidt-Salomon bestreitet, Zitate in verändertem Kontext wiedergegeben zu haben, indem er schreibt "Nun wäre Leinfelders Kritik an dieser Rede, die für jeden erkennbar ein Mix aus Fact und Fiction war, zweifellos dann berechtigt, wenn die 'fabulierten Passagen' im Widerspruch zu Darwins tatsächlichen Positionen gestanden hätten. Hierfür lieferte Leinfelder jedoch keinerlei Belege. Seine Kritik beruhte vielmehr auf dunklen Unterstellungen, etwa dem indirekten Vorwurf, ich habe unterschlagen, 'dass Darwin zuerst eine theistische Sichtweise hatte' (obgleich der '200jährige Darwin' diesen Punkt bereits am Anfang der Rede mehrmals betont)." (Zitat Ende)
    Ich habe nirgendwo behauptet, dass in dieser Fabel-Rede nicht gesagt würde, dass Darwin ursprünglich Theologe war - das ist ja wohl wirklich kein Geheimnis -, sondern ich habe ausschließlich die beiden angegebenen Kurz-Zitate Darwins in Schmidt-Salomons Rede ganz neutral sowohl in Schmidt-Salomons Kontext als auch in ihrem Originalkontext angegeben und damit zum Vergleich gestellt.
    Weiterhin habe ich den Leser gebeten, selbst zu beurteilen, ob die Passagen im zulässigen Kontext dargestellt sind. Das alles ist direkt durch den Originalkontext, also den erweiterten Aussagen Darwins vor und nach den verwendeten Passagen beurteilbar, so wie ich dies in meinem Blogbeitrag direkt belegt habe, unterschlagen wurde hier überhaupt nichts. Auch die Einschätzung, dass Darwins Gottesverständnis der Paley'schen Physikotheologie entsprang und damit auch für damalige Verhältnisse ein eingeschränktes war, erschließt sich aus dem vollen, von mir dargestellten Darwin-Zitat. Wie bzw. warum Schmidt-Salomon dies als "dunkle Unterstellungen" bezeichnet, bleibt nun wirklich im Dunklen. Heller hätte ich man es nicht beleuchten können.

    HUMANISTISCHE GBS? Ob die Giordano Bruno-Stiftung atheistisch ist oder eher humanistisch, wie Schmidt-Salomon behauptet, tut an dieser Stelle überhaupt nichts zur Sache. Zur Position der GBS, zumindest wie sie ihr Sprecher Schmidt-Salomon versteht, empfehle ich für eventuell Interessierte z.B.
    a) das Studium von Schmidt-Salomons für die GBS geschiebenen "Manifest des evolutionären Humanismus", (> Rezension auf Brights-Blog oder >Rezension in der linken online-Zeitung Neue Rheinische Zeitung oder > Rezension durch Philosophen Joachim Kahl) (ich gebe drei Rezensionen aus verschiedenen Richtungen an, um einem evtl. Vorwurf zu entgehen, ich hätte einseitig selektiert, woran mir nicht gelegen ist).
    b) Schmidt-Salomons aktuellen Kommentar zum Film "Religulous" , welchen er gleich zum Anlass nimmt, eine neue Typologie der Religion aufzustellen. Schmidt-Salomon spricht dabei von "Religiotie als partielle Entwicklungsstörung". Er versteht darunter "eine spezielle Form der geistigen Behinderung....[die sich] im Unterschied zu anderen Formen der Intelligenzminderung ... keineswegs in einem generell reduzierten Intelligenzquotienten niederschlagen [muss]."
    c) ggf. auch den aktuellen Artikel zu Schmidt-Salomons GBS aus der FAZ vom 23.3.09.

    ETHISCH VERANTWORTLICHE SCHLUSSFOLGERUNGEN? Natürlich gibt es zwischen Schmidt-Salomon und mir auch Einigkeit, wie er ja selbst schreibt: "Selbstverständlich müssen wir als Wissenschaftler (und Philosophen!) vorsichtig sein, wenn wir Schlüsse aus der Evolutionsforschung ziehen wollen. Allerdings sollte derjenige, der es – aus welchen Gründen auch immer – vorzieht, keine oder nur halbgare gesellschaftliche und ethische Schlüsse aus der Evolutionsforschung zu ziehen, seine Handlungsweise ebenfalls dringend dahingehend überprüfen, ob sie wissenschaftlich/philosophisch fundiert und ethisch verantwortlich ist!" (Zitat Ende). Das sehe ich genauso, das gilt allerdings insbesondere auch für diejenigen, die aus der Evolutionsforschung gesellschaftliche und ethische Schlüsse ziehen. Ob wir gar einen neuen Ethikrat basierend auf Schmidt-Salomons "Manifest des evolutionären Humanismus" benötigen, sei jedermanns/-fraus eigener Einschätzung nach Studium seines Manifests überlassen.

    FORDERUNG AUF KRITIKVERZICHT? Eine Forderung nach Kritikverzicht haben weder Ronald Numbers, noch der berichtetende FAZ-Autor U.v. Rauchhaupt noch ich ausgesprochen, wohl allerdings eine dringende, wenn auch indirekte, bildhafte Aufforderung, sich der Sache willen in der Ausdrucksweise zu mäßigen, nicht alle wohlmeinenden zu verschrecken und vor allem auch einmal den anderen zuzuhören, unter anderem sicherlich auch anderen Mitgliedern in der GBS. Gleichzeitig habe ich Ronald Numbers allerdings insgesamt beigepflichtet, also auch zu den Aussagen, man müsse die Leute besser über die Evolutionsbiologie aufklären und Geistliche müssten aufpassen, die möglichen negativen moralischen Implikationen der Evolutionstheorie nicht zu übertreiben.

    INTELLEKTUELL UNREDLICH? AB IN DIE (WELTANSCHAULICHE) ECKE! Weshalb eine Diskussion der Trennung zwischen biologischen Fragen und Sinnfragen unredlich sein soll, ist nicht nachvollziehbar. Unredlich ist jedoch der Versuch, bei jedweder Kritik an der generellen Anwendbarkeit bzw. methodischen Zulässigkeit von aus der biologischen Evolutionsforschung abgeleiteten geisteswissenschaftlichen oder gar ethischen Schlüssen sofort reflexartig in die weltanschauliche Ecke (welche auch immer) gestellt zu werden. Es muss auch Schmidt-Salomon und der GBS bekannt sein, dass auch viele Konfessionslose oder sogar überzeugte Atheisten (- das ist für mich übrigens keinesfalls ein Schimpfwort, auch wenn dies gerne unterstellt wird, sondern ganz neutral eine von vielen weltanschaulichen Haltungen - ) nicht mit dem aggressiven Schwarz-Weiß-Vorgehen oder mit den reduktionistischen Analogieschlüssen von Teilen der GBS einverstanden sind.

    GEGEN WISSENSCHAFTSFEINDLICHKEIT ALLER ART! Damit bin ich bei meinem letzten, mir wichtigsten Einwand: Es muss erlaubt sein, über alles reden zu können, was - auch aus der Wissenschaft heraus - Wissenschaftsfeindlichkeit generieren kann. Es geht also nicht nur ausschließlich um Kritik an pseudowissenschaftlichen kreationistischen "Alternativlehren" fundamentalreligiöser Kreise, sondern natürlich auch um möglicherweise unzulässiges bzw. fahrlässiges Handeln innerhalb der Wissenschaft selbst - und dies hat nun gar nichts mit einer religiösen oder areligiösen Weltanschauung zu tun, das ist überhaupt nicht mein Thema - , sondern bezieht sich ausschließlich auf die Wissenschaft. Wissenschaft wird nicht nur durch unverblümte Wissenschaftsfälschungen (wie den Hwang-Korea-Skandal von 2006 oder den aktuellen Reuben-Fall) beschädigt, sondern auch bereits durch teilweise Überinterpretationen (bzw. genauer gesagt: mangelnde Kenntnismachung eines Hypothesen- bzw. Spekulationscharakters von Aussagen versus abgesicherten Wissens), sowie durch eine mögliche Verwendung wissenschaftlicher Ergebnisse zu unzulässigen, weil dafür nicht geeigneten Zwecken. Auch darüber muss man reden dürfen, ohne durch Etikettierung als "weltanschaulich vorbelastet" ein defacto shut-up zu erfahren, denn solche Diskussionen sind weltanschauungsfrei zu führen. Schubladendenken, noch dazu verbunden mit dem Aufziehen falscher Schubladen wird uns nicht helfen, die notwendige Akzeptanz für Wissenschaften in Gesellschaft und Politik zu erreichen. Es geht hierbei nicht nur um die Evolutionsforschung, es geht um Klimaforschung, Biodiversitätsforschung, Gen- und Nanotechnik, bis hin zur wissenschaftlichen Bewertung der Finanz- und Wirtschaftskrise. Ohne eine ehrliche Diskussion dessen, was Wissenschaft kann und was sie nicht leisten kann, bzw. welche (Natur- und Geistes-)Wissenschaften zur Erforschung welcher Thematiken zusammenarbeiten müssten, werden wir die notwendige Akzeptanz für Wissenschaft und Forschung nicht erhöhen, sondern erniedrigen. Reines Story-Telling und wissenschaftliche Kartenhäuser helfen uns dafür nicht., da sollten wir uns doch einig sein. Auch wissen doch alle Wissenschaftler, dass wissenschaftliche Ergebnisse in der Regel ebenfalls nicht notwendigerweise so ausfallen, wie wir sie vielleicht "gerne hätten", sie sind absolut wertneutral. Was wir brauchen, ist glaubwürdige, weil abgesicherte Wissenschaft. Dinge, die dem ggf. entgegen stehen, nicht diskutieren zu dürfen, wäre nun wirklich ein Bärendienst für die Wissenschaft.

    Reinhold Leinfelder, 29.3.2009, 3:56 (Änderung von Schreibfehlern sowie kleine stilistische und inhaltliche Änderungen am 30.3.09)

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  5. Herrn Leinfelders Ansicht, der "Darwin-Vortrag" der GBS hätte Darwins eigentliche Aussagen etwas überstrapaziert, teile ich zwar, allerdings sehe ich darin im gegebenen Zusammenhang nur eine relativ läßliche Sünde. Denn erstens werden die Zitate nicht verfälscht oder in ihr Gegenteil verkehrt, es wird nur Darwins eigene Meinung pointierter dargestellt, als er - der immer sehr sorgfältig und zurückhaltend argumentierte - es selbst getan hätte. Allerdings vermute ich, daß er bei manchen der prägnanten Zusatzformulierungen seine klammheimliche Freude gehabt hätte. Und zweitens gibt der Vortrag im Gesamten ein durchaus notwendiges humanistisches Signal. Da ich ihn bei der Darwin-Feier in Frankfurt im Original miterleben konnte, kann ich auch beruhigen: der Gesamteindruck war spritzig-nachdenklich, aber niemals aggressiv.

    Das bringt mich zur Kern-Problematik dieser Diskussion: das zunehmende Erstarken des Obskurantismus (das auch den nachdenklicheren Theologen und Gläubigen Sorge bereitet, u.a., weil es eine moderne, menschliche Interpretation der doch im Originaltext vielfach moralisch unverdaulichen Bibel-Inhalte behindert). Hier liegt die eigentliche Herausforderung, nicht in der gelegentlich etwas über die Stränge schlagenden Kommentierung von Evolutionsbiologen und -philosophen.

    Dazu haben Dawkins, Dennett, Hitchens und andere starke Signale gesetzt, die man über Jahrzehnte hinweg vermißt hat; Atheisten und Agnostiker haben viel zu lange die religiöse Propaganda gewähren lassen, ohne so deutlich wie es nötig gewesen wäre, zu widersprechen. Aber da gilt leider das Wort von Marie von Ebner-Eschenbach: wenn die Klügeren immer nachgeben, dann herrschen am Ende die Dummen.

    Das Problem mit Dawkins Buch ist ja nicht etwa, daß es zu aggressiv wäre. Sondern, daß es in einer Umgebung, die sich bisher nur im Flüsterton meldete, plötzlich mit normaler Lautstärke logisch und humanitär notwendige Kritik vorträgt. Und daß es ohne falsche Rücksichten den Finger auf die vielen Wunden der Religion legt, die, handelte es sich um Einstellungen einer radikalen politischen Partei, schon längst wegen Mißachtung der Menschenrechte zu deren Verbot geführt hätte.
    Natürlich hat es massenweise empörte Reaktionen gegeben, mit Schaum vor dem Mund geschriebene Anti-Dawkins-Pamphlete. Aber es war schon immer unmöglich, wie mein alter Kollege Georg Christoph Lichtenberg einmal bemerkte, die Fackel der Wahrheit durch ein Gedränge zu tragen, ohne jemandem den Bart zu versengen.

    Wer sich über Dawkins Polemik beschwert (Vorsicht ! Nicht alles, was deutlich formuliert ist, ist Polemik.), der soll doch bitte nicht vergessen, auf welchem Hintergrund er argumentiert: von religiöser Seite werden Atheisten seit Jahrhunderten als amoralische Verbrecher bezeichnet und für alles Übel der Welt verantwortlich gemacht. In früheren Zeiten wurden sie auf Scheiterhaufen verbrannt. Wer bitte, sagt dem Juden, er solle doch bitte nicht so polemisch gegen Nazis auftreten ?

    Wirklich empört bin ich deshalb über den Satz „Leute wie Richard Dawkins oder Daniel Dennett sollten endlich mal still sein". Das stinkt nach Maulkorb und Bücherverbrennung. Solche Äußerungen haben hier absolut nichts verloren. Offene Diskussion braucht keinen Blockwart.

    Wer etwas für ein besseres Verständnis der Evolutionsbiologie tun will, sollte vor allem einmal "dem Volk aufs Maul schauen": hier lese ich nämlich seit Monaten in Zeitungen und höre im Fernsehen, Evolution sei das Überleben der Stärkeren, und was dergleichen vorgestanzte Vorurteile mehr sind. Hier sind 150 Jahre versäumte Öffentlichkeitsarbeit aufzuholen. Und das kann man nicht im brav gesitteten Philosophenplausch am Kamin. Nehmen wir uns ruhig ein Beispiel an Thomas Henry Huxley. Der wußte, daß man manchmal auch mal bissig sein muß.

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