Montag, 27. Juli 2009

Warum gefallen uns Blumen? - Die Wissenschaft muss die Natur nicht entzaubern

von Reinhold Leinfelder

Ein Vorschlag: Wollen wir für die Urlaubszeit mal die „schweren“ Themen nicht einmal etwas beiseite schieben und uns sommerlich lieber an der Natur erfreuen? Beim Bergwandern blühende Almwiesen bewundern, im Naturpark Wildblüten suchen, in einem Schlosspark Rosenschauen sehen, auf Madeira von der Blütenpracht eingelullt werden? Aber warum gefallen uns eigentlich Blumen? Wo bleibt unsere Rationalität? Selbst Naturwissenschaftler haben eine wirklich emotionale Beziehung zu Blumen, so hoffe ich wenigstens - oder schenken die ihren Liebsten, ihren Freunden oder ihren Verwandten keine Blumen, gärtnern nicht im Blumenbeet vor sich hin oder schnuppern an den Blüten eines Jasminstrauchs? Nur Pollenallergiker seien entschuldigt, wenn sie Blumen vielleicht nicht soviel abgewinnen können.

Blumen sind „natürlicherweise“ ein positives Zeichen für Freundschaft, dienen „natürlicherweise“ als Schmuck, Zeichen von Liebe und Ausdruck von Lebensfreude. Die Romantik, der Jugenstil zeugen davon, aber auch heute ist eine emotional meist positive Grundeinstellung zur natürlichen Schönheit und zur Natur aktuell. Ja, schon richtig, Kant scheint hier nicht mehr uneingeschränkt zu gelten, er sah hinter der Schönheit noch etwas, das „reines, interesseloses Wohlgefallen“ auslöse (1). Heute sind wir auf dem Wege, auch die Ästhetik der Natur etwas besser zu verstehen, indem auch hinter der Schönheit ein biologischer (Teil-?) Nutzen gesehen wird. Wir wissen, dass die Farbigkeit und der Duft von Blumen Bestäuber anziehen sollen. Das Farbsehen von Tieren ist häufig eingeschränkt, aber gelb können die Blütenbestäuber und auch andere besonders gut erkennen, weshalb die gelbe Farbe bei Blumen dominiert. Aber andere Bestäuber haben sich eben auf andere Farben spezialisiert und finden „ihre“ Blüte auch dadurch leichter. Ähnlich ist es mit den Blütendüften, die meist Lockstoffe beinhalten.

Ob allerdings Schmetterlinge oder Fledermäuse, die eine bestimmte Blume besuchen und damit bestäuben, diese als ästhetisch schön empfinden, darf bezweifelt werden. Dennoch gefallen dem Menschen Blumen auf ästhetischer und eben emotionaler Ebene. Warum finden wir sie schön, obwohl wir doch nicht einmal Blumenbestäuber sind? Ein junger Wissenschaftszweig, die evolutionäre Ästhetik versucht aufzuzeigen, wie Geometrien, hinter denen sich implizit mathematische Formelhaftigkeit verbirgt, als Zeichen für biologische Fitness verstanden werden kann.

Allerdings kommen wir auch hier nicht uneingeschränkt im Verständnis weiter: Dass ein Artgenosse von anderen aufgrund einer symmetriebehafteten Schönheit als besonders fit, also besonders gesund und fortpflanzungsfähig betrachtet wird, mag man als biologisches Erbe vermutlich akzeptieren können oder müssen, wobei allerdings auch erwähnt werden sollte, dass „bioästhetische Defizite“ kulturell durch Kleidung, Kopf- und Körperschmuck oder Betonung sekundärer Geschlechtsmerkmale einerseits betont, andererseits aber auch durch andere kulturelle Merkmale wie Charme, Eloquenz, Bildung, kommunikativem Sozialverhalten oder Verwendung von Statussymbolen kulturell kompensiert werden können. Aber warum empfinden wir dann andere biologische Arten, also eben auch Blumenarten, oder gar komplette Landschaften als schön? Ist die Lust am Symmetrischen einfach ubiquitär, sozusagen ein Abfallprodukt der biologischen Bedeutung der Symmetrie innerhalb der eigenen Art oder gibt es doch auch eine damit verbundene Zweckhaftigkeit? Falls es also wirklich eine evolutionär fixierte und nicht nur kulturell geprägte „Phytophyllie“, also eine biologisch bedingte „Blumenliebe“ gibt, was ist deren Funktion? Blumen könnten, so sehen es manche, Indikatoren für gesunde Lebensräume sein, also für gesunde Böden, sauberes Wasser und reine Luft (2). Der Haken daran ist allerdings, dass die blütenreichsten Biotope oft durch eher unfruchtbare, karge Böden gekennzeichnet sind, dort gedeiht die biologische Vielfalt am stärksten. Als Indikator für möglichst gut für Ackerbau und Viehzucht verwendbare Böden sind bunte Blumenwiesen also eher weniger geeignet, eher schon zeigen sie eine große Vielfalt von zu erwartenden Samen und Früchten an. Diese Urliebe ginge also, sofern diese Interpretation akzeptiert wird, bis in die Steinzeit zurück. Ähnliches gilt für die Signalwirkung von Farben. Der Mensch ist ein ausgezeichneter Farbenseher und insbesondere rote Farben signalisierten für ihn als urzeitlicher Jäger und Sammler reife Früchte. Auch das Erkennen von Warnfarben, die in der Natur insbesondere in der Kombination gelb-schwarz verwirklicht sind, und oft auf giftige Organismen hinweisen, war sicherlich hilfreich (3). Wenn also der Mensch zu seinem eigenen Vorteil mit offenen Augen durch die Urlandschaft gehen musste, war eine Registrierung und sinnhafte Verwertung von Farben durchaus notwendig. Allerdings können Signalfarben ja auch kulturell festgelegt werden – die ganze Welt versteht wohl inzwischen den Signal-Unterschied zwischen Rot, Gelb und Grün bei Verkehrsampeln, das Blaulicht der Polizeisirene oder das Orange als Warnfarbe, etwa bei Baustellen. Ästhetisch sind diese Farbsignale in ihrem Kontext allerdings nicht mehr unbedingt, ob rot nun erotisierend wirkt oder eben nur als Verbotsfarbe, kommt ganz auf den (kulturellen) Kontext an. Kehren wir also lieber zu den Blumen und zur Natur zurück.

Es wäre schade, wenn uns die Naturwissenschaften durch ihre Rationalität und der Entschlüsselung weiterer Rätsel der Natur der emotionalen Verbundenheit mit der Natur berauben würden, vielleicht lehnen auch deshalb manche neue wissenschaftliche Erkenntnis ab. Die Gefahr ist allerdings nicht unbedingt gegeben, sofern man trotz Naturwissenschaften auch weiterhin Faszination zulässt. Für manche bleibt, über das rationale Verständnis der Naturprozesse hinaus, die emotionale Beziehung zur Natur sogar noch mehr als Faszination, nämlich etwas Wunderbares und dagegen ist nichts Grundsätzliches einzuwenden. Natürlich weiß der Vorgebildete, dass wir selbst komplett aus organischen Molekülen bestehen, aber deswegen reduzieren wir doch unser Gegenüber, unseren Lebenspartner noch längst nicht auf einen biochemischen Reaktor, sondern schenken ihm eben, meist viel zu selten, Blumen.

Die Erforschung der Frage, warum und über welche Wege wir die Natur trotz aller angeblichen „darwinschen Grausamkeiten“, trotz des Fressens und Gefressen-Werdens, trotz des Überleben des Angepasstesten als positiv, ästhetisch und emotional beglückend empfinden können, ist längst nicht beendet. Auch hierüber sollten sich Natur- und Kulturwissenschaftler gemeinsam wundern und zwar so lange, bis sie diese Frage gemeinsam gelöst haben. Die Faszination und emotionale Freude an der Natur – und damit an den Blumen - wird dennoch bleiben. Wir müssen dies auch für alle anderen ungelösten naturwissenschaftlichen Fragen erreichen. Wenn wir uns über gar nichts mehr wundern, über gar nichts mehr freuen, also der Natur mit Gleichgültigkeit gegenüber treten, oder bestenfalls ausschließlich deren ökonomischen Nutzen akzeptieren, nehmen wir uns selbst eine emotionale Heimat, die gerade in Zeiten der Globalisierung nicht hoch genug zu schätzen ist. Wenn wir jedoch auch in einer Wissensgesellschaft nicht verlernen, uns auch weiterhin über die Natur freuen und wundern zu können und daraus Kraft für einen Forschungsprozess nehmen, werden wir die Natur auch in Zukunft nicht entzaubern, sondern sie uns durch unser besseres Verständnis sogar näher bringen. Mit einem ideologischen, teilweise esotherischen Zugang zur „Mutter Natur“ hat dies natürlich überhaupt nichts zu tun, sondern es fordert geradezu zum auch wissenschaftlichen Kennenlernen der Natur auf. Denn nur was man wirklich kennt, kann man auch lieben und schützen. Zum wirklichen Kennenlernen gehört jedoch auch eigene Aktivität – am besten sollte jeder selbst ein bisschen Naturforscher sein, wir müssen ja nicht gleich alle zu Darwins werden, es genügt schon, mit offenen Augen neugierig durch die Natur zu wandern oder einen botanischen Garten zu besuchen und sich Blumen selbst anzusehen, sich zu wundern, sich zu informieren und vor allem, sich darüber zu freuen.

In diesem Sinne wünsche ich eine emotional erholsame Sommerzeit.

Ihr
Reinhold Leinfelder


(1) Immanuel Kant (1790), Kritik der Urteilskraft, Suhrkamp, 2005

(2) Peter Sitte (2008): Evolutionäre Ästhetik und funktionale Schönheit. In: .Klose, J. , Oehler (Hrsg.), Gott oder Darwin?, S. 331-348, Berlin, etc. (Springer).

(3) siehe auch: Josef Reichholf, Warum lieben wir Blumen? Videoblog, siehe http://www.welt.de/wissenschaft/article3739980/Warum-lieben-wir-Blumen.html

2 Kommentare:

  1. Vielleicht als kleine Ergänzung zum obigen Artikel passend?
    Landschaftspsychologie - Das ist aber schön hier!
    Heimatliche Täler, Meeresblick oder Savanne: Warum uns eine Aussicht gefällt, untersuchen Landschaftspsychologen. Im Kern steht die Frage, wann eine Landschaft „schön“ ist. Ein Wissenschaftler behauptet, dass unsere Vorlieben im Erbgut gespeichert sind.
    Walter Schmidt, Kölner Stadtanzeiger vom 8.8.09 siehe hier
    (annähernd identisch im Neuen Deutschland vom 8.8.09, sowie in Kurzform in der Märkischen Allgemeinen (schon vom 20.7.)

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  2. Ich glaube nicht, dass die Wissenschaft die Welt für uns wirklich "entzaubert". Im Gegenteil. Es ist doch viel faszinierender zu sehen, was sich ohne das Einwirken eines Gottes entwickelt.

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