Sonntag, 15. November 2009

Leopold von Buch - moderne Evolutionsforschung vor Darwin

von Reinhold Leinfelder

Schon vor Charles Darwin beschäftigte sich der deutsche Geologe und Paläontologe Leopold von Buch mit überaus modern anmutenden evolutionären Gedanken, die nicht nur die Veränderlichkeit der Arten konstatierten, sondern bereits Variabilität, geographische Isolation und - in Ansätzen - Adaptation als Evolutionsprozesse erkannte. Er sah auch Beziehungen zwischen heutigen Lebewesen und früheren Formen etwa von Brachiopoden. Leopold von Buch wurde 1774 in der Uckermark geboren und studierte gemeinsam mit Alexander von Humboldt an der Bergakademie Freiberg. Er arbeitete viele Jahre am Museum für Naturkunde Berlin und verstarb 1853. Die nebenstehende Statue von Leopold von Buch befindet sich an der Fassade de Berliner Museums.

Zu seinem 200. Geburtstag im Jahr 1974 formulierte Helmut Hölder, selbst ein großer Paläontologe zu Leopold von Buchs Werk u.a.:


(Zitat aus Hölder): "Stammesgeschichtliche Aussagen dagegen -- können wir sie bei v. Buch auch schon erwarten? Wir sind geneigt, das zu verneinen, wenn wir daran denken, daß DARWIN in jenen Jahren, als er sich erstmals Rechenschaft über die Veränderung der Arten gab und dem Dogma von ihrer Unveränderlichkeit entgegentrat, in sein Tagebuch die Worte schrieb: ,,Es war als gestehe ich einen Mord ein." v. Buch berichtet dagegen 1841 ohne solche Gewissensbedenken von Crinoiden (Anm. adld: Seelilien) im baltischen Silur,
,,welche offenbar den Ausgangspunkt bilden, aus welchem die späteren Crinoidenformen hervorgehen".

Und er spricht im gleichen Jahr von Brachiopoden des Erdaltertums als von
,,Gestalten .... durch welche häufig ... die Geschichte der inneren Organisation erst begreiflich und anschaulich wird"!

Daß hier von echter Blutsverwandtschaft gesprochen, ohne daß davon viel Aufhebens gemacht wird, dürfte sicher sein. v. Buch gehörte zu jenen ganz empirischen, zunächst untheoretischen Paläontologen jener Zeit, denen der Zusammenhang der Lebensformen aufgrund stammesgeschichtlicher Evolution schon selbstverständlich war, ehe er - nach Verschüttung früherer Quellen wie LAMARCKS -- durch DARWINS Theorie ins Bewußtsein der Wissenschaft und der Öffentlichkeit trat." (Zitat Hölder Ende).

Aber Leopold von Buch war noch viel früher der Evolution auf der Spur. Spannend sind hier insbesondere seine botanischen Arbeiten auf den kanarischen Inseln, die er bereits 1825 publizierte. Wir zitieren wieder die Rede von Helmut Hölder aus dem Jahr 1974:

(Zitat aus Hölder) „v. Buch war auch ein vorzüglicher Botaniker, wie seine Abhandlung einer ,,Übersicht der Flora auf den canarischen Inseln" (1825) beweist. Hier findet sich eine Erkenntnis, die man als ,,geistige Leitmuschel" sicher erst in unserem Jahrhundert erwarten würde. Es heißt dort nämlich bei Betrachtung der Verschiedenheit der einzelnen Inselfloren und ihrer Beziehungen zum benachbarten Festland:
,,Die Individuen der Gattungen auf Continenten breiten sich aus, entfernen sich weit, bilden durch Verschiedenheit der Standörter, der Nahrung und des Bodens Varietäten, welche, in ihrer Entfernung nie von anderen Varietäten gekreuzt und dadurch zum Haupttypus zurückgebracht, endlich constant und zur eigenen Art werden. Dann erreichen sie vielleicht auf anderen Wegen auf das Neue die ebenfalls veränderte vorige Varietät, beide nun als sehr verschiedene und sich nicht wieder miteinander vermischende Arten."

Hier haben wir das Prinzip der Isolation bei der Artbildung, also die Rassenkette, wie wir heute sagen, die sich differenziert, immer weiter ausbreitet und endlich vielleicht gar wieder Berührung mit ihrem Ausgangspunkt gewinnt, wo nun aber ihre Endglieder als neue Art erscheinen. Wenn auch nicht zu erkennen ist, daß v. Buch dieses Prinzip in der Paläontologie schon bewußt angewandt hätte, so kann doch kein Zweifel darüber bestehen, daß er auch die Evolution der fossilen Lebewelt in diesem Sinne sah -- also doch nicht nur als Empiriker, sondern auch bereits als hochbedeutender Theoretiker der Faktorenfrage. Als solcher
zeigt er sich auch im Hinblick auf das Erlöschen der Ammoniten in der Kreide (1849):
"Die Art dieses Verschwindens hat jedoch etwas sehr Auffallendes. Die meisten Ammoniten scheinen schon anfangs an der Schwäche zu leiden, welche sie endlich ganz aus der Schöpfung vertreibt. Die Windungen stehen bei vielen nicht vollständig in einer Ebene... Bald fehlt ihnen sogar die Kraft, sich den vorigen Windungen fest anzulegen; diese stehen frei, es bildet sich der nur in der Kreide vorkommende Crioceras... endlich die (Gestalten) der Hamiten und die der ganz wie ein Stab gerade und senkrecht in die Höhe gerichteten Baculiten, und das ist der letzte Versuch des Thieres, sein Dasein zu sichern. Seitdem erscheint nichts wieder, was an diese Art der Cephalopoden erinnern könnte..... es sind Leitformen."

Es berührt uns erneut, ein bis heute lebhaft diskutiertes Problem schon damals in einer Weise beantwortet zu sehen, wie wir sie erst in einem späteren Stadium der Forschung erwartet hätten." (Zitat Hölder Ende)

Aus: Hölder, Helmut (1975): Leopold von Buch - Gedenkwort zu seinem 200. Geburtstag (vorgetragen bei der Jahresversammlung 1974 der Paläontologischen Gesellschaft).- Paläontologische Zeitschrift, 49, 5-10, Stuttgart.
(online unter >http://www.springerlink.com/content/03164k8926826477/fulltext.pdf )


(Helmut Hölder, Jahrgang 1915, Professor für Geologie und Paläontologie war bis zu seinem Ruhestand an der Universität Münster tätig. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich mit der Geschichte der Geologie und Paläontologie in Deutschland. Sein bibliothekarischer Nachlass befindet sich an der Universität Freiburg, siehe hier:
>http://www.ub.uni-freiburg.de/xopac/ub_freiburg/hoelder.html
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