Nachdem wir im vorherigen Beitrag auf die sehr frühe paläontologische Evolutionsforschung in Deutschland eingingen, präsentieren wir nachfolgend einen kleinen, persönlichen Kommentar zur Situation der heutigen Paläontologie in Deutschland sowie ihrer möglichen Zukunft.
Die deutsche Paläontologie war und ist im Darwin-Jahr überaus aktiv, die meisten Sonderausstellungen zu Darwin und der Evolutionstheorie beinhalten paläontologische Aspekte, manche Sonderausstellungen, wie im Goldfuß-Museum in Bonn präsentieren Darwin als Geologen und Paläontologen (siehe Bild), und die 79. Jahrestagung der Paläontologischen Gesellschaft fand unter dem Rahmenthema „ Paläontologie - Schlüssel zur Evolution" statt (> Rückblick und Programm). Die Ausstellungen wurden überwiegend in abgestimmter und kooperierender Weise erstellt und sind in einem gemeinsamen Veranstaltungskalender dargestellt. Außerdem vereinbarten die Naturkundemuseen der Deutschen Naturwissenschaftlichen Forschungssammlungen e.V. eine gemeinsame Positionierung gegenüber pseudowissenschaftlichen Angriffen auf die Evolutionsforschung (AdlD berichtete), die gerade auch die paläontologische Evolutionsforschung betrifft. Im Darwin-Jahr fand auch ein Archaeopteryx-Klassentreffen in München statt (AdlD berichtete), aber im Anbetracht des Abwanderns des in Deutschland gefundenen und im Darwin-Jahr nach Norwegen verkauften Darwinius, aka "Tante Ida" (AdlD berichtete) wurden gemeinsame Anstrengungen zum Erwerb in zukünftigen Fällen zwischen verschiedenen großen Museen vereinbart. Erwähnenswert ist auch, dass der 2009 neu gewählte Präsident der Paläontologischen Gesellschaft, Dr. Michael Wuttke beruflich für den Fossilschutz eines Bundeslandes zuständig ist.
Der nachfolgende Auszug aus dem Fazit eines soeben erschienen Artikel fokussiert nun insbesondere auf der Aspekt der Forschung der deutschen Paläontologie:
Palaeontologia Quo Vadis?
Von Reinhold Leinfelder
Die Paläontologie war immer wieder der Pulsgeber der Naturwissenschaften. Nicolaus Steno war, als Begründer der Paläontologie im 17. Jahrhundert seiner Zeit weit voraus. Der Paläontologe Leopold von Buch formulierte bereits vor Darwin kohärente evolutionäre Gedanken. Auch Charles Darwin wäre ohne sein geologisches und paläontologisches Wissen, welches insbesondere auf seinen Mentor und Freund Charles Lyell zurückging, wohl deutlich langsamer vorangekommen. Darwin bezeichnete sich ja auch selbst gerne als Geologe, was die Paläontologie mit einschloss. Paläontologischer Forschung haftete also schon immer ein progressives Element an. Andererseits waren es immer wieder gerade auch Paläontologen, die neue wissenschaftliche Erkenntnisse leugneten und Evolutionsskeptiker waren. So hielt der große Paläontologe George Cuvier überhaupt nichts von den evolutionären Überlegungen eines Jean-Baptiste Lamarck, obwohl Cuvier selbst hervorragende Ergebnisse zur späteren Untermauerung der Evolutionstheorie Darwins erarbeitete. Im Unterschied zum Biologen Ernst Haeckel lehnten viele deutsche Paläontologen die darwinsche Evolutionstheorie lange ab, so etwa der Münchner Paläontologe Andreas Wagner, der den 1. Archaeopteryx-Fund als darwinistische Propaganda abtat und den Urvogel als ungewöhnliches Reptil ansah (Wagner 1861). Noch 1950, also schon über 90 Jahre nach Erscheinen der „Origin of Species“ von Charles Darwin formulierte O.F. Schindewolf seine Typostrophentheorie (Schindewolf 1950), eine eigenwillige Evolutionstheorie, die im Widerspruch zu Darwins Theorie steht (Korn 2003).
Auch heute gilt es wieder, sich zwischen Zweifel an neuen wissenschaftlichen Befunden und Überinterpretation von Wissenschaft zu positionieren. Die Geowissenschaften tun gut daran, weder bei einer unauthorisierbaren „Siebenmeilenstiefel“-Forschung mitzuarbeiten, noch grundsätzliche Vorbehalte gegenüber alternativen Ansätzen, wie Molekularbiologie, Systembiologie und physikalisch-mathematischer Klimaforschung zu hegen, sondern sich konstruktiv einzubringen und auch umgekehrt Kompetenz und Kooperation anzubieten. Sehr vieles davon geschieht auch bereits, es gilt dies allerdings noch besser sichtbar zu machen.
Die Paläontologie hat sich in den letzten Jahren zunehmend modularisiert. Dies ist kein Schaden, sondern ein allgemeiner Zug der Naturwissenschaften. Andere Fächer haben damit keinerlei Probleme. Disziplinäre Grenzen verschwinden häufig, die Forschungsprojekte sind stark fragenorientiert und basieren nicht mehr auf angehäuften, jedoch bis dato unbearbeiteten Objekten und Daten. Viele junge, aber auch ältere Paläontologen arbeiten heute selbstverständlich auch mit molekularen und geochemischen Methoden, wie auch umgekehrt molekular arbeitende Biologen und Geochemiker immer enger auch mit Paläontologen zusammenarbeiten. Die Vernetzung der Paläontologen und Geobiologen in die Umweltwissenschaften hinein ist ebenfalls als positiv anzusehen. Die klassische paläontologische Systematik und Taxonomie muss selbstverständlich ein starkes Modul bleiben, denn sie hat starken Service-Charakter für Evolutions-, Biodiversitäts- und sonstige Umweltforschung. Allerdings muss auch sie sich weiter öffnen. Gerade die Methodenvielfalt taxonomischen und phylogenetischen Arbeitens macht ihre Stärke aus. Und auch für die Taxonomie muss die Frage gestattet sein: warum mache ich gerade das, was ich hier untersuche, wem nützt es?
Integratives, ganzheitliches, auch quantitatives Arbeiten stellt die wesentliche, in Teilen jedoch bereits sehr gut angenommene Herausforderung für die Paläontologie dar. Qualitatives Wissen allein, etwa mit Aussagen, dass sich die Umwelt ja immer geändert hat, oder dass es bei Meeresspiegelanstieg zu Sauerstoffzehrung kommen kann, genügt heute nicht mehr. Gefragt ist, wie exakt sich derartige Änderungen quantifizieren sowie, ggf. auf der retrognostischen Methode aufbauend, genügend exakt vorhersagen lassen. Die Biologie zieht ihren Forschungsweg vom Gen zum Genom, von DNA-Expression zu EvoDevo, von Modellorganismen zum quantitativen Studium ganzer Ökosysteme. Die Paläontologie muss ähnliche Wege gehen. Palaeogenomics wird eine wichtige Bedeutung in der Paläontologie erlangen, aber auch datenbankbasiertes Arbeiten, insbesondere unter Benutzung von Sammlungen muss stärker zunehmen. Internationale Plattformen und Infrastrukturen sollten hier umfassend ausgebaut werden. Isolierte Elfenbeintürmchen sind also durch ein Leuchtfeuer aus der ganzen Community einzutauschen.
Gerade in der Öffentlichkeitsarbeit hat die Paläontologie ganz besonders gute Karten. Um den Dinosaurier-Faktor werden die Paläontologen von vielen anderen beneidet, auch wenn sich Paläontologen oft einmal wünschen würden, dass auch häufiger anderes aus ihrer Forschung im Vordergrund stehen möge. Um so besser, dass gerade in Deutschland die Dinosaurierforschung auch kräftig, innovativ und transdisziplinär mit modernsten Methoden weiter voran geht. Ob Dinos leicht Rückenschmerzen hatten, wie viel sie fressen mussten und warum sie es schafften, ihren langen Hals überhaupt zu halten, interessiert viele und findet oft sogar Einzug in Science oder Nature. Auch spektakuläre Neufunde in die Medien zu bringen, fällt nicht allzu schwer. Aber die Gemeinschaft sollte sich nicht darauf beschränken, sondern auch versuchen, Ergebnisse, welche für heutige Herausforderungen relevant sind, etwa zu Paläoklima, fossiler Ozeanversauerung oder Aussterben noch stärker öffentlich darzustellen. Die Trennung in durch Proben und Daten belegbares faktenbasiertes Wissen und hypothetischem Wissen muss dabei ebenfalls verbessert werden.
Ganz wesentlich erscheint mir, dass Geowissenschaftler, darunter insbesondere Paläontologen besser als alle anderen Naturwissenschaftler ein „inniges“ Verhältnis zu Zeitskalen und Zeitdynamik aufweisen. Dies gilt es besser herauszuarbeiten, besser zu beforschen. Die Welt ist nicht statisch, sondern dynamisch, das wussten die Geowissenschaftler als erste. Die Bedeutung dieser Dynamik besser in den Griff zu bekommen, über Verzögerungs- und Kumulationseffekte, nichtlineare, exponentielle oder kaskadenartige Prozesse genauere Aussagen machen zu können, ist eine anstehende wesentliche Aufgabe. Eine höhere Zeitauflösung aller dynamischen Abläufe und Prozesse der Erdgeschichte zu erreichen und damit ein besseres Verständnis für die Elastizität bzw. Reaktivität komplexer Natursysteme zu erarbeiten, ist wohl die größte Herausforderung, aber auch die größte Chance für die Paläontologie der nächsten Jahrzehnte.
Die deutsche Paläontologie verfügt insgesamt über ein weites Spektrum an Forschungsaktivitäten, auf die selbstbewusst geblickt werden kann, auch wenn viele davon tatsächlich nicht mehr ohne weiteres als „klassische“ Paläontologie bezeichnet werden können. Nicht scheuen solle man sich vor der selbstbewussten Verwendung des Begriffs „Paläontologie“, also der „Lehre vom alten Sein“, welche sich auf alle Aspekte und Prozesse des Lebens, sowie auf deren Relevanz für das Heute bezieht, genauso wie auch Politikwissenschaften den Bogen von früher zum heute spannen, um das heute und morgen zu verstehen.
Quelle: Leicht abgeänderter Auszug aus:
Leinfelder, R.R. (2009): Palaeontologia Quo Vadis? - Zur Situation und Zukunft der paläontologischen Forschung. - In: Kohring, R., Riedel, F. & Zobel, K. (eds), Zum 60. Geburtstag von Prof. Dr. Helmut Keupp, Berliner paläobiologische Abhandlungen, 10, 229-243, Berlin. (erschienen am 11.11.2009)
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Sonntag, 15. November 2009
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