Ansprache des Generaldirektors des Museums für Naturkunde Berlin, anlässlich der Vorbesichtigung der Ausstellung „Darwin – Reise zur Erkenntnis“ am Abend des 11. Februar 2009
Sehr geehrter Herr Staatssekretär Rachel, sehr geehrte... (### Begrüßungsliste ###), liebe Freunde,
herzlich willkommen im Museum für Naturkunde am Vorabend des 200. Geburtstags von Charles Darwin.
Aber mal ehrlich: Weiß man nun eigentlich nicht schon genug über Darwin und seine Evolutionstheorie? Waren die Medien in den letzten Wochen nicht voll davon, gibt es nicht zwei Meter neue Bücher? Wir wissen doch jetzt, dass Darwin Zauderer und Revolutionär, Theologe und Gotteslästerer, Familienmensch und Macho, Geologe und Biologe war, und natürlich auch derjenige, der den Mensch zum Affen machte. Wir wissen, dass er Taubenzuchtversuche durchführte, dass er überlegte, ob es mehr Sinn macht zu heiraten oder doch nur einen Haushund zu haben, und dass er am Schluss neben seiner Frau und seiner Familie vor allem Regenwürmer liebte. Ach ja, und als Augsburger, der die Augsburger Puppenkiste liebt, freut es mich besonders, dass wir nun auch wissen, dass Jim Knopf mit Darwin auf der Beagle war (was man einem wirklichwunderschönen Artikel von Julia Voss entnehmen kann). Eigentlich ist das doch schon mehr als genug, oder?
Nun, diese kleine Überzeichnung zeigt vielleicht schon, wie wichtig es ist, sich Darwin und seiner Evolutionstheorie authentisch zu nähern. Das geht mit gut recherchierten Büchern, Presse- und Medienartikel, aber besonders gut geht es in forschenden Naturkundemuseen.
Wir wollen und können Forschung nämlich besonders authentisch vermitteln, denn für uns sind Ausstellungen schlichtweg ein andersartiges Publikationsformat für Wissenschaft. Wir wollen damit auch den Unterschied zwischen Wissenschaftsgläubigkeit und glaubwürdiger, weil nachvollziehbarer Wissenschaft aufzeigen. In den neuen Konzepten der Naturkundemuseen, und natürlich auch ganz speziell hier im Berliner Museum soll man Wissenschaft erfahren und auch testen können.
Unser Credo ist, dass Ausstellungen funktionieren sollten, wie Forschung funktioniert: unser Publikum soll neugierig werden, fasziniert werden und zwar über den Bezug zu authentischen Objekten. Das Wissen soll man sich selbst erarbeiten und auf Wunsch vertiefen können. Insgesamt wollen wir nicht nur wissenschaftliche Ergebnisse, sondern auch die Gewinnung dieser Ergebnisse, also Forschung selbst nachvollziehbar machen.
Im Falle von Charles Darwin und der Evolutionstheorie erscheint uns dies ganz besonders wesentlich, denn die Evolutionstheorie wird angefeindet und teils zweckenfremdet, seit es sie gibt. Daran hat auch die enorme Weiterentwicklung der Theorie, mit neuen Methoden und vielfältiger Absicherung nichts geändert. Kreationisten und sogenannte Intelligent Design-Anhänger bezweifeln sie nach wie vor und kreieren eigene pseudowissenschaftliche Thesen. Manche gehen sogar soweit, dass sie in der Evolutionstheorie die Wurzel fast aller Übel sehen.
Das alles hat verschiedene Ursachen, aber es liegt sicherlich vor allem auch daran, dass das Menschenbild seit Darwin ein anderes ist und manche sich bis heute damit schwer tun.
Allerdings wurde die Evolutionstheorie auch schon früh in anderer Weise missbraucht, für die Pseudobegründung von Rassenlehre genauso wie die stalinistische Umsetzung der Lehre vom neuen, materialistischen Menschen, und auch der Turbokapitalismus berief sich gerne auf Darwin.
Auch heute gibt es wieder teilweise Überinterpretationen: einseitige, rein biologische Interpretation unseres Menschenbilds und Verhaltens, aber auch wieder Vereinnahmung für ökonomische Konzepte, als ob Darwin die Weltformel gefunden hätte. Das hat er nicht, aber er hat die Biologie revolutioniert, als ob das nicht schon genug für ein Menschenleben wäre!
Zwischenzeitlich haben sich übrigens nicht nur die Evolutionswissenschaften 150 Jahre weiterentwickelt, sondern auch die Theologie, mit Ausnahme kreationistisch religiöser Gruppen.
Damit steht, sofern keine Grenzüberschreitungen gemacht werden, Religion heute nicht mehr gegen Evolution, und aus den Evolutionswissenschaften kann man weder auf die Existenz noch auf die Nichtexistenz eines Gottes schließen, denn beides liegt auf verschiedenen Ebenen.
Das wusste übrigens schon der Kirchenvater Augustinus im Jahr 408 nach Christus, und ich glaube, so manchem sollte man dies ins Stammbuch schreiben:
„Durch Einsicht oder Erfahrung kann man sehr sichere Erkenntnis über die Erde erfahren, und über den Himmel oder aus was die Welt sonst besteht. Auch über die Bewegung, Drehung ja selbst die Größe und die Entfernung der Sterne, über Finsternisse, Jahreszeiten, die Nature der Tiere, Früchte oder Steine - und dazu muß man gar kein Christ sein. Allerdings ist es wirklich schändlich und schädlich wenn ein Christ (...) über diese Dinge Unsinn erzählt weil das angeblich so in der christlichen Überlieferung stehe“.
Auch heute ist Evolution in unserem Leben allmächtig, denn ob es nun evolutionäre Abhärtung unseres Immunsystems ist oder der Heißhunger, der uns ab und an auf Süßes oder Fettes befällt, all dies sind Auswirkungen der biologischen Evolution, denn unser Verhalten ist, im einzelnen noch unerforscht, teils ein Zusammenspiel, teils ein ständiges Hin und Her zwischen biologischer und kultureller Evolution.
Dies wird meines Erachtens eine der besonders faszinierenden Zukunftsaufgaben sein. Wie spielen biologische und kulturelle Evolution zusammen, inwieweit ist die kulturelle Evolution verlängerter Arm der biologischen Evolution, inwieweit ist sie Kontrollmechanismus unseres biologischen Erbes? Und tragen wir wirklich noch soviel biologisches Erbe aus der Steinzeit in unserem Verhalten mit herum, oder gab es nicht doch - worauf neuere Ergebnisse hinweisen - noch einen biologischen Evolutionsschub seit wenigen 10.000 Jahren. Nur durch diesen interdisziplinären Ansatz aus Natur- und Kulturwissenschaften können wir ein realistisches Menschenbild entwickeln.
Aber noch in einem ganz anderen Zusammenhang ist Evolution wichtig. Die heutige Artenvielfalt, von der wir ja auch ökonomisch abhängen, ist natürlich ein Produkt der Evolution. Wir exerzieren derzeit den größten Selektionsversuch, der je stattfand. Nur die Evolutionsforschung wird uns, in Verbindung mit der damit verbundenen taxonomischen und ökologischen Forschung, der Klimaforschung, den Geowissenschaften, aber auch den Geisteswissenschaften ermöglichen, zu bewerten, wie sich unsere biologische Umwelt ändern wird und wie wir die Natur in Zukunft nachhaltig nutzen können. Aber hier muss Erkenntnis, auch weitere Erkenntnis, die wir noch nicht haben, dazu kommen.
Unsere Ausstellung, Darwins Reise zur Erkenntnis, soll natürlich einerseits dazu beitragen, nachvollziehbar zu machen, was Darwin wirklich gemacht hat und wie er es gemacht hat. Sie soll damit aber insbesondere auch ein aktueller Beitrag gegen Wissenschaftsfeindlichkeit sein. Denn wir brauchen Wissenschaftsakzeptanz für die Bewältigung der Zukunft. Dazu bekennt sich übrigens nicht nur unser Haus, sondern gestern veröffentlichten die deutschen Naturkundemuseen und botanischen Gärten eine gemeinsame Verpflichtung zu authentischer Wissenschaft und gegen Wissenschaftsfeindlichkeit.
Dazu bieten wir mit unserer Darwin-Ausstellung eine zweiteilige Reise. Wir fahren erst einmal mit auf der Beagle, also dem ersten Teil der Reise zur Erkenntnis.
Charles Darwin begann seine Reise mit ganz spezifischen Vorstellungen. Er war als Theologe Anhänger der Physikotheologie, die aus der Natur und deren Ordnung und Sinnhaftigkeit die Existenz Gottes ableiten möchte. Er dachte wohl auch bereits an die Veränderlichkeit der Arten, denn vor ihm gab es Lamarck oder seinen Großvater Erasmus Darwin, die bereits in diese Richtung dachten. Er war dann bald besonders beeinflusst von Charles Lyell, dem großen Geologen, der nachwies, dass sich die Geologie in der Regel ebenfalls nicht in Sprüngen, sondern graduell ändert, nämlich durch Sedimentation, Erosion und Untergrundhebungen bzw. Senkungen als wesentliche Prozesse.
Darwin war mit offenen Augen unterwegs und hat Belege und Fakten gesammelt. Immer wieder hatte er Aha-Erlebnisse auf der Reise, aber es gab noch kein ganz großer Durchbruch in Richtung seiner späteren Theorie. Insgesamt hat er über 5000 Objekte gesammelt. An dieser Objektliste orientieren wir uns, wir zeigen über 350 im Beagle-Saal und viele weitere im Evolution-in-Aktions-Saal. Die Objekte stammen von den Originalplätzen, an denen Darwin gearbeitet hat. Wir lassen Darwin, seine Briefpartner und Mitfahrer auf der Beagle ganz authentisch mit Originalzitaten sprechen und als große Highlights haben wir auch Originalobjekte, die Darwin selbst gesammelt hat, darunter ein Originalchronometer (vom Deutschen Technikmuseum in Berlin), vier Gesteinsproben (die erst heute mittag hochbewacht aus Cambridge eintrafen) sowie etliche Originale aus unserem eigenen Bestand, insbesondere Sedimentproben, in denen Darwin Kleinstorganismen vermutete und die er an den Spezialisten für Mikroorganismen am Naturkundemuseum, Christian Gottfried Ehrenberg schickte. Wir zeigen 13 Originalproben, die teils aus vielen Einzelproben bestehen. Als Korallenriffforscher gefällt mir natürlich Korallensand von den Cocos Inseln besonders gut. Sedimentmaterial zwischen Korallenkelchen und natürlich auch der Staub der Beagle sind ebenfalls dabei, aber auch ein Originalzahn eines Mastodon, eines Urelefanten.
Lassen Sie sich bei den an Darwins Stationen aufgesammelten Tieren von Gürteltieren, Riesenfaultieren, Darwin-Nandus, Fliegenden Fischen und Pampashirschen faszinieren!
Im zweiten Teil der Ausstellung verbinden wir unsere Dauerausstellung im Saal "Evolution in Aktion" mit neuen biografischen und weiteren Elementen zu Darwin und seiner Evolutionstheorie. so dass sich die Besucher ein genaueres Bild von Darwin machen können, von seinem Leben in Down und wie er dort gearbeitet hat. Er wertete Material aus, bildete Hypothesen, ließ sich durch andere Theorien, insbesondere einer ökonomischen Theorie anregen, machte Zuchtversuche bzw. berücksichtigte diese, wurde zum Spezialisten für bestimmte Organismengruppen, etwa die Rankenfußkrebse , weil er sich nicht nachsagen lassen wollte, dass er zuwenig von seinem Fach verstünde. So entwickelte er nach und nach seine Evolutionstheorie. Er wird als zaudernd beschrieben, aber er hinterfragte eben seine Ergebnisse selbst immer wieder, war sich der gesellschaftlichen Relevanz seiner Ergebnisse bewusst, baute in sein berühmtes Buch auch Falsifizierungsmöglichkeiten ein, schlichtweg, er war ein Wissenschaftlervorbild par Excellence.
Darwin hilft uns also in herausragender Weise zu vermitteln, wie Wissenschaft funktioniert oder funktionieren sollte. Authentisch, belegbasiert, hinterfragend, nachvollziehbar, diskussionsfähig und eben ggf. auch falsifizierbar.
Wie es nach Darwin weiterging, wie weit die Evolutionswissenschaften bis heute gekommen sind, kann man sich natürlich bei uns in den weiteren Dauerausstellungen ansehen, man kann aber auch in den Botanischen Garten Berlin-Dahlem gehen und dort Darwin als Botaniker erleben, übrigens mit unserem Darwin-Ticket. Insbesondere kann man nach Stuttgart zu unserem Kooperationspartner am Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart reisen und ich freue mich, dass die Direktorin, Frau Prof. Eder heute auch hier ist. Unsere Reise der Erkenntnis führt also nach Stuttgart weiter, die Beagle schwimmt dorthin auf dem Fluss des Lebens und wird im Herbst, also rund um den 150. Jahrestag der Veröffentlichung Darwins Buch dort im Zentrum einer Ausstellung ankommen, die sozusagen als Fortsetzung der Berliner Ausstellung zeigt, wie es schrittweise mit der Evolutionstheorie weiter geht.
Dies ist eine Novität. Die Naturkundemuseen und Botanischen Gärten haben sich zum Darwinjahr abgestimmt, jeder fokussiert auf andere Zugänge oder Schwerpunkte zu Darwin und der Evolution. Wir wollen eben auch zeigen, dass die Vielfalt der Naturkundemuseen wie die notwendige Vielfalt in einem Ökosystem ist. Sie macht das System robust, eine gewisse Konkurrenz ist zwar vorhanden, insbesondere aber herrscht Kooperation. Würden die meisten Elemente hieraus verdrängt werden, gäbe es einen Kollaps des Systems. Ökosysteme sind aber eben auch dynamisch und optimieren sich. Auch hier sind wir kräftig am Optimieren und Weiterentwickeln.
Sie werden später noch ein paar nähere Erläuterungen durch unseren verantwortlichen Projektleiter, Uwe Moldrzyk zur Ausstellung hören, aber ich möchte nicht schließen, ohne meinen allerherzlichsten Dank an das ganze Ausstellungsteam sowie alle weiteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die seit etlichen Monaten bis heute, bis zu diesem Abend überaus aktiv waren und sind. Es gab noch ganz zum Schluss einige Beinahe-Kataströphchen, aber der Vergleich zum Beinahe-Schiffsbruch der Beagle vor Kap Horn wäre wohl doch zu weit hergeholt. Herzlichen Dank an alle!
Liebe Gäste, genießen Sie heute abend eine schöne Reise der Erkenntnis auf der Beagle und drumherum. Und wenn Sie vielleicht die Erkenntnis mit nach Hause nähmen, dass das Berliner Museum für Naturkunde immer wieder eine Reise wert ist und dass Erkenntnis nicht nur mühsam, sondern auch angenehm daher kommen kann, dann hätten wir schon schon viel erreicht. Vielen Dank.
> Grußwort des parlamentarischen Staatssekretärs Thomas Rachel zu Ausstellungseröffnung
> Ausstellungsfotos
> Videos der Ausstellung
Prof. Dr. Reinhold Leinfelder ist Geologe und Paläontologe, Generaldirektor des Museums für Naturkunde Berlin, Vorsitzender des Konsortiums "Deutsche Naturwissenschaftliche Forschungssammlungen" sowie Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderung.
(Passagen in kleiner Schrift wurden aus Zeitgründen bzw. wegen Abstimmung mit einem weiteren Grußwort weggelassen)
© R. Leinfelder, Feb. 2009, Foto ARD
Freitag, 13. Februar 2009
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