Samstag, 7. Februar 2009

Traurige Zuchthengste, Darwinsche Bärte und Steinzeitmenschen unter uns

Nein, beim Thema Steinzeitmenschen meine ich nicht die Pius-Bruderschaft, da denke ich nur bis zum Mittelalter zurück. Aber dieses ärgerliche Thema lassen wir heute mal weg (jedoch finden Sie ein paar aktuelle Nachträge, etwa zum erforderlichen Wahlverhalten der Katholiken hier).

Aber der Reihe nach:
Es gibt immer noch sehr schöne neue Medienartikel, die uns Neues zu Darwin verraten. So publizierte Julia Voss (- die ja schon faszinierende Zusammenhänge der Evolutionstheorie mit Jim Knopf herstellte -) heute einen spannenden und wiederum neue Facetten von Darwins Leben aufzeigenden Bericht unter dem Titel "Eine Art Versteck" (FAZ, 7.2.09, S. 40, nicht online verfügbar). Im Magazin der heutigen Berliner Zeitung (7.2.09) zeichnet Kerstin Viering unter dem Titel "Der zögerliche Revolutionär" ebenfalls ein differenziertes Bild von Darwin (online siehe hier).
Weitere aktuelle Artikel finden Sie über unsere Google-News-Palette rechts oder unseren Medienclip-Service am Ende dieser Seite.


Besonders erfreulich ist aber, dass die Überzeichnungen Darwins bzw. insbesondere die Überinterpretation der biologischen Evolutionswissenschaften auf andere gesellschaftliche Bereiche zunehmend im Fokus bzw. in der Kritik stehen und dies auch noch überaus lesenswert geschildert wird. Hier einige Beispiele:

DER SPIEGEL bringt in seiner aktuellen Ausgabe (2.2.09, SPIEGEL 6/2009) einen Artikel namens "Im Bann der Steinzeit" von Jörg Blech (Nachtrag: inzwischen online verfügbar). Der Untertitel sagt, worum es genau geht: "Sportwagen, Maßanzüge, Luxusreisen - ist Konsumfreude ein Erbe des Urmenschen? Experten streiten darüber, ob sich der Homo sapiens auch biologisch der modernen Welt angepasst hat." Hier werden aktuelle Ansätze der Übertragungsmöglichkeit soziobiologischer Befunde auf den Menschen umfassend an Hand eingängiger Beispiele diskutiert. Der Autor fasst diesen Teil des Artikels folgendermaßen zusammen: "Das Konsumverhalten ist das neueste Feld, das die sogenannte
Evolutionspsychologie zu erklären versucht. Ob Seitensprung, Eifersuchtsanfall oder Mord - 200 Jahre nach Charles Darwins Geburt macht sie sich immer phantasievoller daran, dessen Theorie von der Evolution auf den menchlichen Geist zu übertragen. Evolutionär verdrahtete Motive steuern dieser Forschergemeinde zufolge das tun und Lassen, das Sinnen und Trachten des modernen Menschen. Letztlich gelte all sein Gebaren nur einem einzigen Zweck: möglichst viele und hochwertige Nachkommen zu zeugen". Danach diskutiert der Autor jedoch die Umstrittenheit dieeser Betrachtungen des menschlichen Verhaltens. "Gerade sein komplexes Gehirn habe es dem Menschen erlaubt, sich von der Biologie zu emanzipieren", so die Gegenseite. Und weiter: ".... wecken auch biologische Befunde Zweifel daran, dass es ausreicht, den Menschen als ein in die Moderne katapultiertes Steinzeitwesen zu verstehen: die Evolution der menschlichen Psyche .... ist weitaus rasanter und vielgestaltiger verlaufen ....., dass dem Menschen durchaus genug Zeit blieb, sich auch biologisch der modernen Welt anzupassen." Verwiesen wird dabei unter anderem auf den Philosophen David Buller, der in der Darwinausgabe von Scientific American schrieb, dass das Feld der Evolutionspsychologie nicht mehr als "großspurige und umfassende Behauptungen über die menschliche Natur für den Massengebrauch" biete (den Artikel gibt es online hier).

Auch Molekularbiologen haben zwischenzeitlich herausgefunden, dass die Evolution das menschliche Erbgut gerade in den vergangenen 10.000 Jahren viel stärker verändert hat als angenommen. Seit 10.000 Jahren verläuft danach die menschliche Evolution schneller als je zuvor, und zwar wohl ca. 100 x schneller, als jemals zuvor in der Geschichte der Menschheit. Der SPIEGEL schreibt "Mit der Erfindung der Landwirtschaft und dem Aufkommen von größeren Siedlungen vor 10.000 Jahren bekamen es die Menschen auf einmal mit vielen neuen Dingen zu tun: mit engen Behausungen voller Fäkalien, ungewohnten Nahrungsmitteln und mit Krankeitserregern, die von Rindern, Schweinen und anderen domestizierten Tierarten übertragen wurden. Wie im Rest des Körpers, so hat die sich schnell verändernde Umwelt auch im Gehirn zu einer Fülle von Anpasssungen geführt. .... Bulller [resumiert, es] sei abwegig zu glauben, dass 'unsere ganzen psychologischen Eigenschaften noch immer an das Leben der Jäger und Sammler im Pleistozän angepasst sind'. ... So weit ist die Psyche evolviert, dass sie sich um den reproduktiven Imperativ nicht weiter zu scheren scheint."
Dieser Artikel ist also erfreulich differenziert und kritisiert die sich auf die biologische Evolution berufenden soziobiologischen Befunde auch aus biologischer Sicht, ohne den großen Einfluss des biologischen Erbes zu negieren.

Eine der "klassisch" soziobiologischen Sichtweisen, die auch nach Meinung des Bloggers viel zu einseitig sind, hat der Spiegel vor kurzem online publiziert: ein Interview mit dem Soziobiologen und Biophilosophen Eckard Voland unter dem Titel "Wir können uns von unseren Genen nicht emanzipieren".

Sehr differenziert ist dann aber wieder ein anderer SPIEGEL-Artikel (vom 26.1.09, 5/2009) von Johann Grolle zum Thema "Suche nach der Menschformel". Dieser spannende Artikel ist inzwischen auch
online verfügbar, daher sei nur kurz darauf eingegangen. Zuerst porträtiert Grolle psychologische Intelligenzversuche mit Schimpansen und Kleinkindern, dann geht es um genetische Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Schimpansen und Mensch, dabei insbesondere um die Rolle des FOXP2-Schaltergens, welches möglicherweise am Sprachvermögen des Menschen beteiligt ist, zum dritten um die Befunde, die sich zur Menschwerdung aus der Paläontologie ableiten lassen, etwa aus dem Zahnschmelz. Prädikat äußerst lesenswert, denn hier wird exemplarisch aufgezeigt, dass auch die biologische Menschwerdung interdisziplinär erforscht werden muss.

Auch im ersten Teil der SPIEGEL-Reihe (19.1.09, 4/2009) hat Johann Grolle eine sehr lesenwerte Übersicht insbesondere zur heutigen Evolutionsforschung geschrieben: "Grammatik des Lebens", ebenfalls inzwischen
online verfügbar.


Genug des SPIEGEL-Lobs, ich hab noch zwei weitere Artikel in meiner heutigen Auswahl:


"Die Verdrehung der Arten". Von Richard Dawid Precht, im SZ-Magazin der Süddeutschen von gestern. Erfreulicherweise auch online. Auch hier sagt der Untertitel alles: "Vor 200 Jahren wurde Charles Darwin geboren - und seit 150 Jahren wird er falsch verstanden: Seine Theorie der natürlichen Auslese war nie dazu gedacht, das Verhalten des Menschen zu erklären. Trotzdem missbrauchen Wissenschaftler und Ideologen sie bis heute dazu." Grundsätzlich recht lesenswert und das zugehörige Bart-Bild ist einfach köstlich (unser Bild oben). Sicherlich auch ein starker Fitness-Vorteil dieses Herrn, wenn ich da an sexuelle Selektion denke.
Ein paar Zitate kann ich mir daraus nicht verkneifen. Wie wäre es mit: "Wer schützt Darwin vor dem tief religiösen Atheisten Dawkins? In seinem Buch über den »Gotteswahn« versucht er auf gleichsam alttestamentliche Weise die Welt zu überzeugen, dass er einen besseren Gott hat als das Christentum oder der Islam, nämlich einen Gott in den Genen: Sie sind allmächtig, allgewaltig und für alles verantwortlich. Ihr Wille geschehe, wie im Tierreich, so im Menschen. " oder:
"Haben meine Gene eine Fehlzündung, wenn ich darauf verzichte, jedes attraktive Weibchen zu begatten, oder wenn ein Weibchen darauf verzichtet, die maximale Anzahl an Kindern zu gebären? Freiwilligen Verzicht auf Paarung und Reproduktion gibt es nicht nur bei Menschen, von Homosexualität bei Menschen und Tieren ganz zu schweigen. "
Und noch eins:
"Das komplizierte Zusammenspiel zwischen Umwelteinflüssen und Erbgut ist noch immer nicht befriedigend erklärt. Noch jubeln die Wissenschaftsressorts der großen Zeitungen und Zeitschriften über jede vermeintlich biologische Erklärung unserer menschlichen Natur und motzen sie zu Realitäten auf. Dass Männer anders denken als Frauen, weil die einen in der Steinzeit Mammuts jagten und die anderen Eintopf kochten, ist inzwischen mehr als ein weitverbreitetes Gerücht. Tatsächlich aber war unsere Gehirnentwicklung lange abgeschlossen, als der erste Homo sapiens seinen Speer auf ein Mammut schleuderte."

Allerdings kann man Precht nicht in allem folgen, insbesondere ist seine Argumentation zum Überleben des Glücklichsten nun wirklich missverständlich. Natürlich kann das "feige Mickermännchen" durch Glück im Unterschied zum alpha-Pavian bei einem Erdbeben zufällig überleben (auch Stürme, Meteoriteneinschläge, Flutwellen, Vulkanausbrüche könnte man da nennen), das alles ist natürlich bekannt, reduziert jedoch die generelle Gültigkeit eines "survival of the fittest" allerdings nun wirklich nicht, so wie man es aus Prechts Artikel verstehen könnte. "Erschreckend unklar" seien viele Details der Evolutionstheorie, schreibt nämlich Precht in diesem Zusammenhang. Dass Details noch unklar sind, hat nichts Erschreckendes, sondern Herausforderndes. Und dass Darwin erst von der "natürlichen Auslese" gesprochen hat und diese später für höhere Wirbeltiere durch die "geschlechtliche Auslese" ersetzt hat, stimmt so auch nicht. Zwar hat Darwin in seinem Buch von 1871 zur Abstammung des Menschen die hohe Bedeutung der sexuellen Selektion für höhere Wirbeltiere herausgearbeitet, dies hat aber die natürliche Selektion nicht ersetzt, sondern ergänzt. So schreibt Darwin zum Beispiel: "Da das Männchen das Weibchen aufzusuchen hat, so braucht es für diesen Zweck Sinnes- und Locomotionsorgane. Wenn aber diese Organe für die anderen Zwecke des Lebens nothwendig sind, wie es meistens der Fall ist, so werden sie durch natürliche Zuchtwahl entwickelt worden sein" (aus Charles Darwin "Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, deutsche Übersetzung der 2. englischen Aufl. von 1874, von 1902, S. 235).

So, zum Schluss noch eine nette Glosse aus der heutigen Berliner Zeitung (7.2.09) . Titel: "Der traurige Zuchthengst" von Maxim Leo. Aus dem Text: "Bisher dachte ich, die unerklärlichen Wege der Liebe würden Mann und Frau dazu bringen, besinnungslos übereinander herzufallen, Kinder zu zeugen und bis ans Lebensende glücklich miteinander zu sein. Jetzt weiß ich, dass es nur um genetische Codes geht. Wenn ich das richtig verstanden habe, verfügen die Frauen über ein Sensorium, das es ihnen ermöglicht, aus einer riesigen Männerherde den herauszupicken, der ihr Erbmaterial optimal veredelt und den Nachkommen eine solide Fortpflanzungsbasis sichert. Das heißt, meine Frau Catherine hat mich nur benutzt, um ihren Genpool aufzumöbeln. Es ging ihr gar nicht um mich. Ich bin nur ein trauriger Zuchthengst, eine Gen-Hure. .... Ich wüsste gern, welche Kriterien Catherine wichtig waren, als sie mich ausgewählt hat. Sieht sie mich eher als Ruderente oder als Graueule?" (
ganzen Artikel lesen)



In diesem Sinne, ach Du lieber Darwin, schönes Wochenende!


Reinhold Leinfelder




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