Samstag, 16. Mai 2009

Let's Talk about Sex (or research it) - die Darwin-Reihe der Süddeutschen ist exzellent

Zitate, Kommentare und Bewertungen zu den neuesten Artikeln der Serie
"200 Jahre Darwin" in der Süddeutschen Zeitung, zusammengestellt von Reinhold Leinfelder.


Über sexuelle Selektion, biologistische Sinnhuberei, Darwins Erkenntniswege und fehlende Zauberschlüssel für Welträtsel




Beitrag (16) Alles, was Sie noch nie über Sex wissen wollten und deshalb auch nie gefragt hätten, finden Sie heute in der Süddeutschen Zeitung.
Nein, dies ist keine Kritik am heutigen Artikel von Christopher Schrader zum Thema "Lohn der Pracht. Grotesker Schmuck und bizarre Vorlieben: Erst die sexuelle Selektion hat Farbe in die Evolution gebracht", sondern ganz im Gegenteil:

Christopher Schrader stellt das häufig viel zu plakativ und vereinfacht dargestellte Thema Sexuelle Selektion nicht nur äußerst gut lesbar, sondern auch sehr differenziert dar. Wussten Sie dass manche Entenvögel blind endende Schein-Vaginas besitzen, welche gewalttätige Erpel austricksen, dass eine Entenart eine spiralförmige Vagina besitzt, die genau zum spiralförmigen Penis des Erpels passt, wodurch das Entenweibchen durch notwendige Mithilfe alleine entscheidet, ob der Erpel zum Zuge kommt oder nicht? Schöne Beispiele für Koevolution (> mehr hierzu in der New York Times). Oder wussten Sie schon, dass manche Insekten ihrer Partnerin nach der Kopulation einen Keuschheitsgürtel verpassen, indem sie den Hinterleib des Weibchens mit einer Flüssigkeit verkleben?

Insbesondere aber ist Christopher Schrader dafür zu loben, dass er platte, biologistische Analogieschlüsse zum menschlichen Geschlechtsleben unterlässt, dennoch aber die biologische Dimension der sexuellen Selektion auch beim Menschen natürlich nicht außer acht lässt - wie könnte man auch, denn nichts ist biologischer als die Fortpflanzung, natürlich auch die menschliche, selbst wenn sie noch so kulturell überprägt und kontrollierbar geworden ist. Sein Fazit lautet:

"Eine Besonderheit der sexuellen Fortpflanzung hat auch beim Menschen wesentlich zum Erfolg der Spezies beigetragen. Weil Frauen im Gegensatz zu den Weibchen im Tierreich kein äußeres Zeichen geben, wann sie ihre fruchtbaren Tage haben, mussten sich Männer mit Kinderwunsch ständig um sie bemühen und immer wieder zum Sex überreden. Weil bei Homo sapiens beide Partner stark investieren, wählen die Paare einander aus: Die Männer achten auf die Fortpflanzungsfähigkeit der Frau, die das Schönheitsideal geprägt hat; sie unterstützt ihr Aussehen mit Kleidung und Schminke. Die Partnerin wiederum schätzt im Aussehen und Verhalten des Mannes vor allem seine Fähigkeit und Bereitschaft, für sie und das Kind zu sorgen.
So entstanden im Lauf der Evolution feste Partnerschaften, in denen Mann und Frau gemeinsam für die Aufzucht des im Vergleich zu anderen Tierarten extrem hilflosen Babys sorgten. Es war die Grundlage der menschlichen Kultur, die Homo sapiens ermöglicht hat, alle Kontinente zu erobern. Und kluge Fragen zu stellen.

(> kompletten Artikel von Christopher Schrader lesen)




Beitrag (15): Kulturkampf der Geschöpfe -
Kreationismus ist ein religiöser Gegenentwurf zu einem Wissenschaftsglauben, der durch Erkennen Lebenssinn gewinnen will.

Von Friedrich Wilhelm Graf.

Dies ist ein überaus differenzierter Artikel zum Thema Kreationismus, der insbesondere auch auf die politische Dimension des Kreationismus eingeht:

Zitat: "Die aktuellen Auseinandersetzungen um den modernen Kreationismus lassen sich nur mit Blick auf den fundamentalpolitischen Gehalt religiöser Schöpfungssprache angemessen deuten. Im Streit zwischen den Anhängern Darwins und den diversen Kreationisten geht es keineswegs nur um die Frage, wer Entstehung und Entwicklung des Lebens richtig versteht. Gekämpft wird um kulturelle Deutungsmacht. Zur Debatte steht erneut das spannungsreiche Verhältnis von wissenschaftlicher Rationalität und religiösem Glauben. Gestritten wird primär über die normativen Grundlagen des Gemeinwesens und verbindliche Ethik."

Graf geht ebenfalls auf die Beziehung zwischen den großen Kirchen und dem Kreationismus ein und beleuchtet hier sehr korrekt, dass es um moralische Deutungshoheiten geht, für die gerne auch mal ein Zweckbündnis geschlossen wird.

Zitat: "Zwar lehnen große protestantische Volkskirchen wie die EKD und die Church of England kreationistische Theorien ab. Doch lässt sich im evangelikalen Spektrum der europäischen Protestantismen viel kreationistisches Denken beobachten.
Die römisch-katholische Kirche nutzt die Kreationismus-Kontroversen gern zur religionspolitischen Profilierung. Sie lehrt Kreatianismus statt Kreationismus, also die Ansicht, dass Gott jede menschliche Seele durch einen je eigenen unmittelbaren Schöpfungsakt ins Leben ruft.
Kreationismus wird in Rom als biblizistischer Irrweg eines schriftfixierten protestantischen wie islamischen Fundamentalismus verworfen. Denn große Zustimmung finden Argumente westlicher protestantischer Kreationisten inzwischen auch im islamischen und jüdisch-orthodoxen Diskurs. In diesen interreligiösen Ursprungsdiskursen geht es um harte Moralpolitik: Kreationisten unterschiedlicher Couleur schließen etwa Zweckbündnisse im Kampf gegen die Akzeptanz von Homosexualität und lehnen gleichgeschlechtliche Partnerschaften als "schöpfungswidrig" ab."

Zur Rezeptionsgeschichte von Darwins Theorie schreibt Graf:

(Zitat) "Die diversen Kreationismen lassen sich nur historisch verstehen. Charles Darwins "Origin Of Species" hatte bei hohen Kirchenvertretern zunächst Begeisterung hervorgerufen. Um 1900 versteht sich die große Mehrheit der Universitätstheologen in den USA und in Großbritannien als Anhängerschaft Darwins. Vor allem im evangelikalen Protestantismus äußert eine Minderheit der Frommen aber lautstark Kritik. Seitdem werden die Religionsgeschichten der englischsprachigen Länder von immer neuen Wellen des Anti-Evolutionismus geprägt.
Eine erste weltweit beachtete Kreationismus-Debatte wird in den 1920er Jahren in den USA geführt. Für die aktuelle Diskussionslage ist die prononcierte Verwissenschaftlichung des Kreationismus seit 1960 entscheidend. Dieser sogenannte Scientific Creationism, der sich auf Außenseiterpositionen der frühen 1920er Jahre beruft, bricht mit den älteren Kreationismen."

Insbesondere gelingt es dem Autor, die gesellschaftspolitischen Ursachen des Kreationismus sowie die teils arroganten Gegenreaktionen konsequent darzustellen:

(Zitat) "Bei europäischen Intellektuellen lässt sich viel arrogante Abwehr des Kreationismus als eines Irrglaubens der unwissenschaftlich Bornierten beobachten. Geboten sind jedoch religionsanalytische Erklärungen seiner wachsenden Erfolge, auch bei Bildungsbürgern. .... Religiöse Fundamentalkritik moderner Zweckrationalität gehört von vornherein zum Projekt der Moderne. Je mehr die schnelle soziale, kulturelle und wissenschaftlich-technische Modernisierung als krisenhaft und zerstörerisch erlitten wird, desto stärker gewinnt die Suche nach neuem festen Halt an Gewicht."

Durchaus als Warnung darf man sein Fazit verstehen:

(Zitat) "In entschiedener Politisierung setzten die amerikanischen Fundamentalisten seit den 1970er Jahren nun umgekehrt darauf, über die Grenzen des eigenen Milieus hinaus antiliberale Zweckbündnisse von Kräften zu schmieden, die die freiheitsdienliche Entkoppelung von Religion und Politik als Wertverlust und verunsichernden Relativismus erfuhren. Man hofft auf neue Ordnung, klare Werte, bindende Orientierung - und genau dazu wird der Schöpfungsbegriff besetzt. Das ist nicht Regression ins Mittelalter, sondern ein höchst moderner religionskultureller Habitus: moderne Antimodernität und immer neue Verschärfung von Kulturkämpfen. ...
Kreationismus ist ein religiöser Gegenentwurf zu einem Wissenschaftsglauben, der Professoren zu Propheten stilisiert und durch besseres Erkennen Lebenssinn gewinnen will. Man muss nur Max Webers kantianische Polemik gegen solche wissenschaftliche Sinnhuberei ernst nehmen, um für Kreationisten partiell Verständnis aufbringen zu können: Sie setzen einer Naturwissenschaft, die sich als naturalistische "Weltanschauung" missversteht, nur eine andere moderne Ideologie entgegen, formuliert in religiösen Sprachspielen. So schreiben die Schöpfungsfundamentalisten, die unter dem modernen Pluralismus leiden, ihn nur auf ihre Weise fort."

Das sollten sich die "Sinnhuberer" unter den Biologen und Naturphilosophen unbedingt ins Stammbuch schreiben, bevor sie Naturwissenschaften wieder einmal zu einer allerklärenden Weltanschauung hochstilisieren.

(> zum kompletten Artikel von Friedrich Wilhelm Graf)






Beitrag (14): Route der Erkenntnis (von Richard Friebe)

Dieser Beitrag könnte eigentlich als Begleitprogramm der Darwin-Ausstellung am Berliner Museum für Naturkunde durchgehen, die sich ja "Charles Darwin - Reise zur Erkenntnis" nennt. Richard Friebe zeichnet in seiner Zusammenfassung nochmals sehr schön die Entwicklung von Charles Darwin vom Sammler zum Forscher nach, fokussiert auf den starken Einfluss, den die Geologie auf Charles Darwin und auf die Erarbeitung der biologischen Evolutionstheorie hatte und zeigt, wie gerade Darwins Untersuchung von Korallenriffen nicht nur in einer heute noch gültigen Rifftheorie mündete, sondern wie damit eigentlich bereits wesentliche Grundzüge der Evolutionstheorie gelegt waren (siehe auch hier). Richard Friebe betont auch nochmals, dass der Besuch der Galapagos-Inseln nur sehr verzögerte wissenschaftliche Auswirkungen bei Charles Darwin zeigte. Als Fazit schreibt Richard Friebe:

(Zitat) "Diese Wandlung Darwins vom Sammler zum Forscher hatte in Rio de Janeiro begonnen. Auf der Fazenda Itaocaia nördlich der Metropole steht seit vergangenem November eine Gedenktafel, die an die "Caminhos de Darwin" erinnern soll. Gemeint sind die Wege des Naturforschers in Brasilien, doch sie stellen den Anfang verstrickter Pfade vom Studenten zum Wissenschaftler dar. Wie die Veränderung der Arten war auch die "Entwicklung von meinem Geist und Charakter", wie Darwin es im Titel seiner Autobiographie formulierte, eine Akkumulation kleiner Schritte - die letztlich in etwas Großem endete."

Also eine sehr schöne Zusammenfassung von Darwins Reise der Erkenntnis - wer dazu Vertiefendes wissen will und auch die Objekte der Originalschauplätze (incl. echter Darwin-Originale) sehen möchte, kann sich ja gerne die Berliner Darwin-Ausstellung ansehen ;-)

(> zum kompletten Artikel von Richard Friebe)
(> zu einem früheren Artikel von Richard Friebe im Handelsblatt zur Rast von Charles Darwin auf der Fazenda Itaocaia)




Beitrag (13): Wie biologisch die Moral ist.
Moral kann doch nicht nach denselben Prinzipien erklärt werden wie die Körperbehaarung! Aber warum eigentlich nicht? Was uns die Biologie vorschreibt - und wo sie Spielraum lässt. (von Kurt Bayertz)

Ein sehr differenzierter und dadurch vorbildlicher Artikel zum Beitrag evolutionärer Aspekte zum Thema Moral und Ethik. Der Artikel sollte in Gänze gelesen werden, denn einzelne Zitate können den sehr gut gelegten roten Faden nicht unbedingt reflektieren. Einige Auszüge seien dennoch als Appetithäppchen nachfolgend wiedergegeben:

Bayertz zur Grundidee einer "evolutionären Ethik":

"Die Grundidee einer solchen "evolutionären Ethik" besteht darin, dass der Mensch kein übernatürliches, sondern ein biologisches Wesen ist, dessen Lebensäußerungen von biologischen Faktoren abhängt. Auch die Moral macht davon keine Ausnahme. Und wenn das so ist, dann kann für sie ebenso eine evolutionäre Erklärung gegeben werden, wie für alle anderen Verhaltensweisen oder körperlichen Merkmale des Menschen.

In ihrem Kern besteht eine solche Erklärung immer darin, die Vorteile zu identifizieren, die ein solches Verhalten oder Merkmal für die "Fitness", also den Fortpflanzungserfolg der betreffenden Organismen bietet. Auf lange Sicht, so die einleuchtende Grundthese, kann sich auch moralisches Verhalten nur dann durchsetzen, wenn es zu einer möglichst zahlreichen Nachkommenschaft beiträgt. ....

Aber was heißt hier Moral? Nehmen wir etwa einen Verhaltensforscher, der mit Schimpansen arbeitet und beobachtet, wie das eine Tier dem anderen zur Hilfe kommt oder es tröstet, nachdem dieses von einem Artgenossen angegriffen wurde.

Nehmen wir weiter an, dass sich die Beispiele für empathisches, dankbares oder altruistisches Verhalten als keineswegs selten erweisen. Daraus kann dann geschlossen werden, dass das moralische Handeln von Menschen nur ein spezieller Fall einer viel allgemeineren, auch unter Tieren verbreiteten Disposition zu moralischem oder proto-moralischen Verhalten ist. ...

Ähnlich ist es mit den Befunden der Soziobiologie, nach denen die Opfer, die (tierische ebenso wie menschliche) Eltern für ihre Kinder erbringen, eine solide genetische Basis haben. Da Fürsorge für die eigenen Kinder zweifellos eine moralische Norm ist, kann der Soziobiologe auf biologische Wurzeln dieser Norm verweisen.
"

Nun aber zeigt Bayertz die Erforschungsproblematik auf:

"Bevor wir uns über dieses Ergebnis allzu sehr freuen, sollten wir aber eine Frage stellen. Woher weiß der Verhaltensbiologe, dass gerade das Trösten eines angegriffenen Tieres (proto-)moralisch ist? Immerhin ist der getröstete Affe ja von einem Artgenossen angegriffen worden; warum gilt dieser Angriff nicht als (proto-)moralisch?"

Die Schlussfolgerung hieraus ist so einfach wie essenziell:

"Primaten, so sehen wir an diesem Beispiel, haben ein Verhaltensrepertoire, das Empathie ebenso einschließt wie Aggression. Beide Verhaltensweisen sind "natürlich" und beide, so nehmen wir an, haben eine biologische Funktion.
Wenn unser Verhaltensforscher nur die erste der beiden als Wurzel der menschlichen Moral charakterisiert, so geht er von einem kulturell geprägten Vorverständnis von dem aus, was "moralisch" ist und was nicht.
Allgemein ausgedrückt: Eine evolutionäre Ethik kann zwar ein bestimmtes Verhalten biologisch erklären, sie kann es aber nicht aus biologischen Gründen als (proto)moralisch charakterisieren.
Das heißt: Eine biologische Ethik kann ihren Gegenstand nicht aus sich selbst heraus bestimmen. Sie ist nicht voraussetzungslos, sondern muss sich von anderer Seite sagen lassen, was Moral überhaupt ist - und kann erst dann nach ihren biologischen Wurzeln fahnden. .. Dass es, wie wir hier sehen, kein biologisches Moralitätskriterium gibt, ist zwar kein Fehler der evolutionären Ethik. Es zeigt aber eine prinzipielle Grenze jeder Biologisierung der Ethik.
Die Relevanz dieses Punktes ist beträchtlich. Sie zeigt sich daran, dass um die Frage, was Moral eigentlich ist, ausgedehnte Debatten geführt werden: nicht nur in der Philosophie, sondern in modernen Gesellschaften allgemein."

Damit kommt Bayertz zur Bedeutung einer philosophischen Ethik:

"Denn die Moral ist zugleich enger und weiter als der Altruismus. Enger, weil nicht jedes altruistische Verhalten moralisch ist. (Wer Geld stiehlt, um es zu verschenken, handelt vielleicht altruistisch, aber nicht moralisch.) Weiter, weil die Moral unverzichtbarerweise Gerechtigkeit einschließt.
Diese ist nicht auf Altruismus reduzierbar, denn sie folgt einer ganz anderen "Logik": einer Logik der Unparteilichkeit, deren biologische Wurzeln mehr als dünn sind. ...

Beim Menschen ist das aber anders. Menschen verhalten sich nicht nur moralisch; sie verfügen auch über moralische Normen, nach denen sie ihr Handeln wechselseitig bewerten. Wenn im Alltag von "Moral" die Rede ist, meinen wir oft gerade die moralischen Normen.Und die philosophische Ethik nimmt das tatsächliche Verhalten von Menschen meist nur beiläufig in den Blick und konzentriert ihre Aufmerksamkeit auf einzelne Normen oder auch ganze Normengefüge.

Dieser Unterschied zwischen evolutionärer und philosophischer Ethik verdient festgehalten zu werden. Denn zwischen Verhalten und Normen besteht ein kategorialer Unterschied. Das erstere ist ein körperlicher Vorgang, der unmittelbar an die jeweilige biologische Konstitution des betreffenden Organismus gebunden bleibt und daher mit den Mitteln der Biologie gut untersucht werden kann. Normen hingegen lösen sich von dieser biologischen Konstitution mehr oder weniger ab. Sie entstehen als implizite verallgemeinerte Verhaltenserwartungen zwischen den Individuen. Sie können dann explizit versprachlicht und bisweilen auch verschriftlicht werden. In einigen Fällen werden sie darüber hinaus auch förmlich institutionalisiert, etwa im Recht. Auf diese Weise gewinnen sie ein außerbiologisches Dasein. Ähnlich wie Werkzeuge, können sie als Artefakte aufgefasst werden, die eine (relativ) selbständige Existenz haben. Ein Faustkeil ist zunächst nur eine Verlängerung der menschlichen Hand; im Unterschied zu ihr kann er aber von verschiedenen Personen benutzt, in der Generationenfolge vererbt und schrittweise verbessert werden.
Beispiel Faustkeil: Während die Hand als Organ eng an biologische Faktoren gebunden bleibt, entgleitet der Hammer diesen Faktoren und gerät unter den Einfluss anderer, die sich als "kulturell" charakterisieren lassen.
Ähnliches geschieht mit den moralischen Normen. Entstanden als verallgemeinerte und versprachlichte Verhaltenserwartungen, lösen sie sich von diesen biologischen Wurzeln. Sie können (wie der Faustkeil) von mehreren Individuen geteilt und in der Generationenfolge weitergegeben werden."

Hier das Fazit des Autors:

"Daraus lassen sich zwei Einsichten gewinnen. Die erste besteht darin, dass die Freilegung ihrer biologischen Wurzeln kein Anschlag auf die Moral ist. Eine wirkliche Provokation kann die evolutionäre Ethik nur für diejenigen sein, die daran festhalten wollen, dass die Menschheit die moralischen Normen auf dem Berg Sinai von höchster Stelle fix und fertig mitgeteilt bekommen hat.
Die zweite Einsicht besteht darin, dass mit der Freilegung ihrer biologischen Wurzeln noch lange nicht alles über die Moral gesagt ist. Selbst über Bäume gibt es mehr zu wissen, als die Biologie uns vermitteln kann. Die Zeiten eines Ernst Haeckel, der die Evolutionstheorie für den Zauberschlüssel zur Lösung aller Welträtsel hielt, sollten vorbei sein."

Der reflektierte Artikel von Kurt Bayertz zeigt, wie wichtig der konstruktive Dialog sowie das interdisziplinäre Arbeiten zwischen Natur- und Geisteswissenschaften ist.

(> zum kompletten Artikel von Kurt Bayertz).

Kurt Bayertz lehrt praktische Philosophie an der Universität Münster. Er veröffentlichte u.a. das Buch "Warum überhaupt moralisch sein?" (Verlag C.H. Beck, 2004)




Auf frühere Artikel der Serie 200 Jahre Charles Darwin möchte ich hier nicht weiter eingehen, sie sind jedoch ausnahmslos lesenswert und alle hier aufrufbar: www.sueddeutsche.de/darwin

Herzlichen Glückwunsch an die Redaktion Wissen der Süddeutschen Zeitung und ihre Mitarbeiter für diese exzellente Serie!

PS: Wie ich gerade bemerke, gibt es tatsächlich noch einen Blogeintrag einer amerikanischen Bloggerin mit demselben Titel ;-)

Abbildungen:
Mandrill aus Wikimedia Commons, > Autorin
Eva und die Dinosaurier aus DIE WELT
Schild an der Fazenda Itaocaia von Richard Friebe im Handelsblatt
Moral vom Dulcinea-Blog


Reinhold Leinfelder, 16.5.2009

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