Sonntag, 18. Oktober 2009

Evolution in Natur, Technik und Kultur

Ein Hinweis von Reinhold Leinfelder

Der Tageszeitung "Der Tagesspiegel" liegt in ihrer Sonntagsausgabe vom 18.10.2009 eine Beilage der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und ihrer Partner zum Thema "Evolution in Natur, Technik und Kultur bei.

Links sowie kurze Auszüge zu den auch online verfügbaren Artikeln finden Sie nachfolgend:
(Foto: Wikimedia Commons, Nicolas Peres, Licence GFDL -cc-by-2.5, see here)

EDITORIAL. Evolution in Natur, Technik und Kultur.
Von Günter Stock

"
Die Akademie als ein Ort des interdisziplinären Dialogs hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Themenfeld „Evolution“ aus verschiedenen Blickwinkeln kontrovers zu diskutieren. Dabei waren wir uns von Anfang an der Tatsache bewusst, dass die besondere Berücksichtigung kulturwissenschaftlicher und technischer Aspekte und deren Übertragung auf den genuin biologischen Begriff "Evolution" auf Widerspruch stoßen würden.....
Auf den folgenden Seiten möchten wir einen Einblick in die Vielgestaltigkeit der wissenschaftlichen Disziplinen, der Perspektiven und künstlerischen Positionen geben, mittels derer die Akademie den Brückenschlag zwischen Wissenschaft und Kunst wagt. ..."
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Was den Menschen macht.

Von Mammutjägern und Brillenträgern: Wie in unserer Spezies Natur und Kultur zusammenkommen.
Von Hartmut Wewetzer

"... Darwins revolutionäre Idee öffnete viele neue Türen der Erkenntnis. Aber etliches konnte er noch nicht wissen, allenfalls erahnen. Vor allem war ihm unklar, auf welchen Prozessen die Vererbung beruht. Gene, gewissermaßen der Nährboden der Evolution, waren vor 150 Jahren unbekannt. Doch alle wesentlichen Erkenntnisse späterer Forschergenerationen fügten sich fast nahtlos zu Darwins Gedanken hinzu, ergänzten und komplettierten sein Werk.
„Licht wird fallen auf den Ursprung des Menschen und seine Geschichte“, schrieb Darwin im „Ursprung der Arten“. Es ging ihm um mehr als Tauben, und er sollte mehr als Recht behalten. ...
150 Jahre nach dem Erscheinen von Darwins Hauptwerk ist diese Prophezeiung zu einem Gutteil in Erfüllung gegangen. Aber die „Evolution in Natur, Technik und Kultur“, wie das Jahresthema der Berlin-Brandenburgischen Akademie für 2009 und 2010 lautet, hat so viele Facetten, dass sie noch mindestens 150 weitere Jahre für anregende Diskussionen sorgen wird."
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Noch vor dem ersten Wort.
Haben Affen eine Sprache? Das fragen sich Forscher seit mehr als 100 Jahren. Die Lösung ist nahe.
Von Julia Fischer

"... Wie ist Sprache während der Evolution entstanden? .... „Sprache“ ist jedoch kein Merkmal, dessen An- oder Abwesenheit wir so einfach festlegen könnten, wie es zum Beispiel bei Federn möglich ist. Sprache lässt sich als ein Symbolsystem begreifen, dessen Elemente (zum Beispiel Wörter) regelhaft (durch Syntax oder Grammatik) zu neuen bedeutungsvollen Einheiten (wie Sätzen) zusammengesetzt werden können. Nun ist offensichtlich, dass keines der uns bekannten Tiere in einer Weise kommuniziert, die unserer eigenen Sprache entspricht. Aber vielleicht lassen sich einfachere Formen finden, die zumindest einige der basalen Kriterien erfüllen?
Einen ersten Hinweis, dass Affenlaute vielleicht mehr sind als nur ein „Ausdruck der Gemütsbewegungen“ (um den Titel eines Darwin-Werkes zu zitieren), ergab eine Studie der Alarmrufe von Grünen Meerkatzen im Amboseli Nationalpark in Kenia. Grüne Meerkatzen sind etwa katzengroße Tiere, die von Leoparden ebenso gejagt werden wie von Raubvögeln. ...
Stehen wir also nun mit leeren Händen da? Was die Ursprünge der menschlichen Sprache angeht – vielleicht. Die Kommunikation der Affen zeigt kaum Gemeinsamkeiten mit den verbalen Aspekten der menschlichen Sprache. Die Kontinuität in der Evolution zeigt sich vielmehr im Nonverbalen, da sich gemeinsame Prinzipien im Ausdruck von Erregung und Gefühl finden lassen. Selbst wenn uns die Suche nach dem Ursprung der Sprache vielleicht nie zum Ziel führen wird, so gewinnen wir auf dem Weg doch viele wertvolle Erkenntnisse. ..."
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Vom Feuerstein zur Mondfähre.
Werkzeuge zu schaffen, liegt seit jeher in der Natur des Menschen. Der technische Fortschritt hat auch die biologische Evolution beeinflusst.
Von Hans-Günther Wagemann

Technik begleitet den Menschen seit seiner Urgeschichte. Erste tastende Versuche waren darauf gerichtet, Werkzeuge zu schaffen und zu benutzen. Dazu gehörten die Bewahrung des Feuers, die Herstellung von Speeren zur Jagd und zur Verteidigung sowie das Schärfen der Feuersteinklingen und das Gerben der Tierfelle.
Diese ersten technischen Leistungen wurden von Familienverbänden erbracht, da Kinder, Alte und Frauen versorgt und geschützt werden mussten. Dabei war Kommunikation von entscheidender Bedeutung. So entstand vor fast einer Million Jahren eine einfache Sprache, um sich über Bedürfnisse abzustimmen und Erfahrungen auszutauschen. Das Sprechen veränderte Gehirn und Sprachorgan der Urmenschen. Technische und körperliche Entwicklung gingen dabei Hand in Hand....
..... Die Technik erfand neue „Medien“ zur Speicherung von Informationen. Zunächst den papierenen Lochstreifen und die Lochkarten, danach die Magnetbänder aus Kunststoff, dann die Magnetscheiben als „Floppy Disc“ und schließlich die optisch-lesbare CD. Im Rechner ist heute neben der Magnetplatte ein Halbleiterspeicher eingebaut, der riesige Informationsmengen aufnimmt. Im Memory-Stick lassen sich auf kleinstem Raum ganze Bibliotheken speichern. Aber wie lange noch? Das technische Prinzip beinhaltet, dass sich mit der Zeit Fehler einschleichen können, bis irgendwann alles unlesbar ist. Werden künftige Generationen die Berichte unserer Zeit lesen können?
Solche Vorgänge wie der Verlust einmal erworbener Fähigkeiten finden aber auch in der biologischen Evolution statt. So büßte der Vogel Dronte seine Flugfähigkeit ein, weil er auf den Inseln im Indischen Ozean genügend Nahrung am Boden fand. Dadurch war er neuen Verfolgern wie eingeschleppten Ratten schutzlos bis zu seiner Ausrottung ausgesetzt.
Der augenscheinlich parallele Ablauf von biologischer Evolution und technischer Entwicklung begründete die kulturelle Evolution des Menschen. Wenn sich der Mensch in seinen vielfältigen Fähigkeiten evolutionär entwickelt hat, dann gilt dies auch für die vom Menschen gemachte Technik.
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Wie das Federkleid zum Vogel.
Natur und Zivilisation sind keine Gegensätze. Die Entwicklung des Menschen in seiner Kultur hängt auch von seinem biologischen Erbe ab.
Von Volker Gerhardt

"Erkennen heißt unterscheiden. Wer die Eigenart der Natur erkennen will, muss sie von dem, was nicht Natur ist, abgrenzen können. Also wird man das, was ursprünglich gegeben ist, und das, was daraus gemacht worden ist, auseinander halten. Angesichts der Differenz zwischen dem „Gegebenen“ und dem „Gemachten“ kann man dann die Technik, die Kunst oder die Gesellschaft der Natur gegenüberstellen. Nach diesem Verfahren steht auch die Kultur der Natur gegenüber. Denn es macht offenkundig einen Unterschied, ob Menschen in Höhlen oder in Häusern leben, ob sie aus der hohlen Hand trinken oder sich einer Tasse bedienen. Problematisch aber wird es, wenn aus dem begrifflichen Kontrast unvereinbare Gegensätze werden. Denn was bliebe von Technik, Kunst, Gesellschaft und Kultur, wenn ihnen die Natur nicht zugrunde läge? Die Natur hingegen kommt allemal auch ohne diese Bereiche aus. ....
So zeigt die kulturelle Evolution, wie sich die Gattung des Menschen in technisch-materiellen Formen eingerichtet hat. Deren Produktivität entscheidet über den Lebenserfolg des Homo sapiens; das Kriterium der Nachkommenschaft ist relativiert. Nun ist es die Kultur, der es gelingen muss, gleichzeitig stabil, flexibel und produktiv zu sein, damit sich die Menschheit erhalten und entfalten kann. Das Individuum wird dadurch nicht an den Rand gedrängt. Im Gegenteil: Wenn der Imperativ des puren Überlebens nicht mehr im Zentrum stehen muss, wächst die Herausforderung an jeden Einzelnen, sich in seiner kulturellen Existenz zu profilieren."
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„Verstehen, woher wir kommen“
Svante Pääbo vergleicht unser Erbgut mit dem des Neandertalers – und rekonstruiert so die Geschichte der Menschwerdung.
Interview mit Svante Pääbo

"Wir wollen verstehen, was mit dem Menschen passiert ist, seit sich sein Weg vor über 400 000 Jahren von dem des Neandertalers trennte. Wir suchen nach den genetischen Spuren, die unseren frühen Vorfahren einen Überlebensvorteil verschafften. Weil der Neandertaler enger mit uns verwandt ist als jeder noch lebende Menschenaffe, klärt der Vergleich zwischen beiden Genomen vielleicht, welche genetischen Veränderungen uns zu dem gemacht haben, was wir sind. Wir wollen versuchen, die Geschichte der Menschwerdung zu rekonstruieren....
... Wenn wir uns anschauen, wie viele Unterschiede es zwischen zwei zufällig ausgewählten Menschen gibt, ist die Zahl viel geringer als bei Gorillas oder Schimpansen. Das deutet darauf hin, dass wir von einer ursprünglich kleinen Population auf die heutige Zahl von fast sieben Milliarden gewachsen sind. Im Grunde ist die Menschheit in den letzten 50 000 Jahren fast immer gewachsen, es passiert also nicht mehr viel im menschlichen Erbgut. Natürlich verändert sich auch weiterhin das Genom des Menschen durch Mutationen. Aber Evolution im Sinne der Selektion eines genetischen Vorteils gibt es eher nicht. Wir haben inzwischen kulturelle Möglichkeiten, einen genetischen Nachteil zu kompensieren. Heute sind zum Beispiel Verkehrsunfälle eine große Gefahr. Aber wir warten deshalb nicht auf eine Mutation, die uns vorsichtiger oder reaktionsschneller macht, sondern wir machen Zebrastreifen auf die Straße, um Fußgänger zu schützen. Wir passen uns heute kulturell an neue Lebensbedingungen an. Gegenüber der kulturellen Evolution spielt die biologische praktisch keine Rolle mehr. Den genetischen Hintergrund für diese schnelle kulturelle Entwicklung würden wir gern finden....."
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Starke Meinungen und drei Leidenschaften-
Ernst Mayr verbrachte fast sein ganzes Leben damit, über die Evolutionstheorie nachzudenken – aus biologischer, historischer und philosophischer Sicht.
Von Kärin Nickelsen

"„Bakterien haben keine Arten“, stellte Ernst Mayr einmal in einem Interview fest. Und fügte hinzu: „Warum man einen Zellkern braucht, um eine Art sein zu können, weiß ich auch nicht.“ Dass viele Mikrobiologen in diesem Punkt anderer Meinung sind, kümmerte ihn wenig. Mayr verstand eine Art als Gruppe von Populationen, die sich untereinander fruchtbar kreuzen, und von anderen ähnlichen Gruppen reproduktiv isoliert ist. Wer Arten im traditionellen Sinne anhand von Merkmallisten definierte, beging in Mayrs Augen die Sünde des „typologischen Denkens“, das er zeitlebens bekämpfte – und dabei auch ab und an über das Ziel hinausschoss. ... Mayr gab offen zu, dass er eine Schwäche für kategorische, gar polemische Aussagen hegte – und sei es nur, um Widerspruch auf den Plan zu rufen. Er hatte starke Meinungen, die er nicht müde wurde zu verteidigen, und machte sich damit nicht nur Freunde. Ernst Mayr hat in jeder seiner drei Karrieren mehr geleistet als die meisten in einer einzigen Laufbahn, und noch lange wird sich die Evolutionsbiologie, die Geschichte und Philosophie der Biologie mit seinen Arbeiten auseinandersetzen. Viele werden vielem widersprechen, sei es in Bezug auf Artkonzept oder Artbildung, sei es in Bezug auf die adäquate Geschichte der Evolutionstheorie; aber kaum jemand wird unbeeindruckt bleiben."
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Der Wandel des Göttlichen.
Religionsgeschichte als evolutionärer Prozess – gegen die These werden rasch Bedenken laut. Zu Recht?
Von Hans Joas

Schon vor dem Darwin-Jahr sind die US-amerikanischen Debatten über das Verhältnis von Schöpfungsmythos und biologischer Wissenschaft auch nach Deutschland hereingeschwappt. Hierzulande haben diese Debatten allerdings etwas Künstliches an sich. Denn in Deutschland winken Christen in der Regel müde ab, wenn man ihnen unterstellt, sie hätten etwas gegen die Evolutionslehre und glaubten an die Bibel als überlegene wissenschaftliche Theorie.
Intellektuell viel attraktiver als die Beschäftigung mit diesen Fragen ist ein ganz anderer Versuch, Evolution und Religion miteinander in Beziehung zu setzen. Man kann ja auch fragen, ob die Evolutionstheorie, wenn sie überhaupt auf soziale und kulturelle Prozesse übertragen werden darf, nicht auch auf dem Gebiet der Religionsgeschichte neue Erkenntnisse erzeugen kann. Lässt sich die Entstehung von Religion als evolutionärer Prozess beschreiben? ...
Die enorm angeschwollene Literatur zum Thema macht den Versuch, einen Überblick zu gewinnen, wünschenswert. So ist zu fragen, ob die psychologische Theorie kognitiver Evolution das Potential hat, Stufen der Religionsgeschichte aufzuschlüsseln. Wie ändert sich unser Bild von Stammesreligionen und den Religionen unter Bedingungen früher Staatlichkeit, wenn die Achsenzeit-These zutrifft? Was ist mit nach-achsenzeitlichen „Stufen“ der Religionsentwicklung, etwa der Entstehung des Christentums oder des Islam? Wie nehmen sich Reformation und sogenannte Gegenreformation in diesem Lichte aus? Lässt sich diese Theorie überzeugend auch auf die Entwicklung der Religion in Asien anwenden? Verschwindet die Vorstellung von Transzendenz, wenn ihre räumliche Deutung unhaltbar wird? Welche Rolle spielt eine de-transzendentalisierte Religiosität in der Gegenwart? ..."
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Ein Konzept, das Karriere machte.
Der Begriff der Vererbung bahnte sich seinen Weg von den Rechtswissenschaften in die Biologie – und weiter in viele andere Lebensbereiche.
Von Hans-Jörg Rheinberger

"... Der Begriff der Vererbung kommt ursprünglich aus dem Bereich des Rechtswesens. Im deutschen Sprachraum war es Immanuel Kant, der sich in seinen anthropologischen Schriften aus den 1770er und 1780er Jahren seiner erstmals bediente, um einen biologischen Sachverhalt auszudrücken. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren es dann zunächst französische Mediziner, die dafür sorgten, dass eine biologisch-medizinische Verwendung des Wortes Vererbung gängig wurde. Ab dem späten 19. Jahrhundert wanderte der Begriff seinerseits wiederum aus der Biologie in alle möglichen Bereiche des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens aus, in denen es um Tradition und Tradierung geht. ...
... Dieser epistemische Raum war es, der auch den Bezugspunkt für eine neue Biopolitik des Nationalstaates bot, in deren Mittelpunkt nicht mehr das einzelne Individuum, sondern ein „Volkskörper“ stand, für den das gleiche galt: In ihm stellte sich ein eng mit dem „Erbgut“ verknüpftes „Gut“ dar, das von Generation zu Generation weitergegeben wurde, und das vor verderblichen Einflüssen geschützt werden musste. Diese Koppelungen und diese Resonanzen muss man sehen, wenn man verstehen will, warum genetische Phantasien in Gestalt der Eugenik, die zunehmend die Individualhygiene überformte, um die Wende zum 20. Jahrhundert politisch so wirkmächtig werden konnten. Vererbungswissen ließ sich in dem Maße als zentraler Bestandteil eines biopolitischen Dispositivs betrachten, als sein Gegenstand über die Zeugung individueller Lebewesen hinauswies und die Verhältnisse und Kräfte einschloss, die in und auf Populationen wirkten und für deren Leben ausschlaggebend waren. ..."
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Mit Charles Darwin auf Weltreise.
Im Naturkundemuseum kann jeder zum Forscher werden. Spekulationen à la Hollywood sollte man allerdings an der Garderobe abgeben.
Von Reinhold Leinfelder

"Heutzutage genügt es nicht mehr, Wissen zu generieren und darauf zu vertrauen, dass Politik und Zivilgesellschaft dieses dankbar aufnehmen und in konkretes Handeln umsetzen. Klima-, Umwelt- und Energiedebatten, Diskussionen um Gentechnologie und nicht zuletzt die Kontroversen zur Evolutionstheorie werden selten konstruktiv und ergebnisorientiert geführt, sondern verflachen vielfach als unergiebige Schwarz-Weiß-Polemiken. Um Erkenntnisse zu vermitteln, die Verhaltensänderungen herbeiführen, bedarf es neuer Kommunikationsformen, die gesichertes Wissen verbreiten, Akzeptanz schaffen und vor allem Partizipation ermöglichen. Gerade naturkundliche Museen als Forschungs- und Bildungseinrichtungen haben hier eine besondere Aufgabe, da sie Wissenschaft authentisch und faszinierend darstellen können.....
.... Von der persönlichen Entdeckungsreise in entsprechend gestalteten Ausstellungen über partizipative Filmfestivals bis hin zu Kooperationen zwischen Laien und Wissenschaftlern: Eine derartige Beteiligung und eigenes Engagement sind der wohl wichtigste Weg, Wissen nicht nur zu erwerben, sondern auch einen emotionalen Zugang zur Wissenschaft zu finden. So kann Wissen zu Umdenken und letztlich zu Handeln führen.
Eine größere Aufgeschlossenheit der Wissenschaft gegenüber, die als spannende Bereicherung und selbstverständlicher Teil des Alltags betrachtet wird, erlaubt den Übergang in eine nachhaltige globale Gesellschaft, die nicht als Bedrohung, sondern als positive, sinnhafte Herausforderung empfunden wird. Noch ist ein langer Weg zu gehen, aber genauso wie Darwin sollten wir nicht aufhören, diesen konsequent weiterzuverfolgen."
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„Ein abscheuliches Geheimnis“
Die Anfänge der Blütenpflanzen blieben Wissenschaftlern lange rätselhaft. Heute gewährt ein Blick in ihre DNA neue Erkenntnisse.
Von H. Walter Lack

"... Darwin argumentiert kaum mit Befunden aus dem Pflanzenreich, und zwanzig Jahre später heißt es in einem seiner Briefe: „Die rasche Entwicklung – soweit wir dies beurteilen können – aller höherer Pflanzen innerhalb der jüngeren geologischen Zeit ist ein abscheuliches Geheimnis“. ...
Ob damit das letzte Wort gesprochen ist, darf bezweifelt werden: die Suche nach den Anfängen der Blütenpflanzen, sowie die Beschäftigung mit Biodiversität überhaupt, lässt sich mit der Arbeit von Sisyphus vergleichen, denn so wie immer wieder sein Stein in die Tiefe rollt, so müssen immer wieder neue Befunde in das vorhandene Gedankengebäude der Botanik eingebracht werden: Und niemand weiß, wann der nächste Umbau fällig ist."
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Wer im Kopf die Strippen zieht.
Viele unserer Handlungen sind buchstäblich in das neuronale Netz des Hirns eingeschrieben. Diesen Mustern ist die Kulturwissenschaft auf der Spur.
Von Sigrid Weigel

"Aus der Perspektive der Kulturwissenschaften, die den historischen Wandel von Vorstellungen, Gefühlen und Verhaltensweisen erforschen, wirkt die Debatte um die Willensfreiheit wie der Streit um ein Phantom. Das heißt nicht, dass der freie Wille eine „bloße“ Konstruktion sei. Denn ohne den Willen zum „freien Willen“ sähe die menschliche Kultur ganz anders aus, wäre die Ausbildung von Sittlichkeit und der Idee von Selbstbestimmung und Verantwortung nicht möglich gewesen. Zumindest die Produkte des menschlichen Willens sind real: in der Art und Weise, mit der soziale, moralische und kulturelle „Gesetze“ von den einzelnen Subjekten inkorporiert werden. Doch weiß man nicht erst seit der Erforschung des Unbewussten durch die Psychoanalyse, dass der Wille keineswegs vollständig frei ist. Menschliches Handeln und Denken unterliegt nicht nur vielfältigen äußeren Begrenzungen, sondern auch den Bedingungen der psycho-physiologischen Existenz. Sie werden durch körperliche Bedürfnisse, Ängste und Lüste, durch Träume und Traumata motiviert und gelenkt. Aber sie werden ebenso durch Vorstellungen geprägt, die durch Sprache, Gebärden, Bilder und Schriften überliefert sind. Der Streit darum, ob einzelne Handlungen entweder durch einen bewussten Willensakt gesteuert oder durch neuronale Prozesse festgelegt, das heißt kausal verursacht oder determiniert werden, gründet in Gegensätzen, deren Begriffe spekulativ und anachronistisch sind wie Wille- Neuronen, mind-matter, Bewusstsein-Gehirn, in älterer Diktion: Seele-Leib. Solche Konzepte missachten....
.... Die angewandte Forschung kann von solchen Erkenntnissen enorm profitieren, etwa bei der Entwicklung von Prothesen und Brain-Machine-Interfaces. Wenn aufgrund der empirischen Forschung aber ein Menschenbild konstruiert wird, in dem die „menschliche Natur“ allein als System genetischer, neuronaler und hormoneller Vorgänge beschrieben wird – womöglich noch ergänzt um die Forderung rechts- und sozialpolitischer Konsequenzen – dann wünschte man sich nicht nur mehr erkenntnistheoretische Reflexion, sondern auch mehr Willen zur Verantwortung. Und über diesen Willen zu verfügen, werden Wissenschaftler wohl nicht ablehnen wollen."
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Medikamente aus dem Setzkasten.
Forscher am Berliner Leibniz-Institut für Molekulare Pharmakologie suchen Wirkstoffe mit neuen Methoden.
Von Kai Kupferschmidt

Medizinische Chemiker sind Suchende. Sie suchen nach Wirkstoffen, die Bakterien, Viren oder Tumoren angreifen und dabei das gesunde Gewebe möglichst wenig schädigen. Meistens geht es darum, wichtige Eiweiße der Krankheitserreger oder Krebszellen zu hemmen. Um dafür einen passenden Wirkstoff zu finden, tauchen medizinische Chemiker in die unendlichen Weiten des chemischen Raumes ein. ..."
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„Tanz wird überall verstanden“ Modelliert von Menschenhand.
Ein Gespräch über Bienen, Ballett, angeborene Ursignale und kulturell erworbenes Wissen Reiner Maria Matysiks „postevolutionäre“ Wesen.
Von Ingeborg Reichle

Auszug: "Neurobiologe und Bienenforscher Randolf Menzel und Christiane Theobald, die stellvertretende Intendantin des Staatsballetts Berlin haben ein gemeinsames Interesse: den Tanz. Doch was verbindet den „Schwänzeltanz“ der Bienen mit einem klassischen Ballett? Das fragte Bettina Mittelstraß.
Wenn die Honigbiene tanzt, vermittelt sie ihren Stockgenossinnen genau das, was alle Honigbienen interessiert: das Wissen über Entfernung oder Flugrichtung zu einer ertragreichen Blütenpracht. Was erzählt der Tanz der Ballerina?
CHRISTIANE THEOBALD: Klassisches Ballett kann Geschichten erzählen, es kann aber auch ausschließlich Emotionen ausdrücken. Wir unterscheiden da zwischen Handlungsballett und abstraktem Ballett. Beides sind aber Inhalte, die ohne Worte kommuniziert werden. Man muss als Zuschauer keine bestimmte Sprache sprechen um zu verstehen. So stelle ich mir auch den Schwänzeltanz der Bienen vor: Er wird immer und überall, wo er getanzt wird, verstanden."
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