Montag, 26. Oktober 2009

Kommt ein Urvogerl geflogen.... Archaeopteryx-Originale auf einer Fossilhändlermesse

von Reinhold Leinfelder, 26.10.09, 13:15 Uhr

Teil 1: Kommt ein Urvogerl geflogen, oder sogar sechs!

Nun kommt also die Archaeopteryx-Vollversammlung (na ja, Dreiviertelversammlung)! Sind wir mitten im nächsten Medien-Hype der Paläontologie? Ist doch wunderbar! Oder könnte dies doch eher eine Luftblase werden wie bei Darwinius aka "Tante Ida", die als "The Link", als achtes Weltwunder bezeichnet wurde und zwischenzeitlich ziemlich zerplatzt ist? Hat man daraus nicht gelernt, wie sehr durch Übertreibungen die Wissenschaft beschädigt werden kann? Oder ist es doch eine sensationelle Angelegenheit, dass nun sechs der zehn bekannten Archaeopteryx-Exemplare hier gezeigt werden, eines sogar zum ersten Mal im Original?

(Abbildung: Das 10. Archaeopteryx-Exemplar, es ist im Privatbesitz und befindet sich in der Regel in einem kleinen Privatmuseum im 3000-Seelen-Nest Thermopolis in Wyoming, USA)

Nun, den Münchner Kollegen ist von ganzem Herzen zu wünschen, dass diese am nächsten Wochenende auch der Öffentlichkeit zugängliche Schau nicht nur eine Blase ist oder gar bitter aufstößen könnte, sondern dass das Zusammentreffen der sechs Urvögel und einer Urfeder tatsächlich die Wissenschaft beflügeln möge - immerhin gibt es vorlaufend einen entsprechenden Workshop für die Wissenschaft in der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie. Leider verschwinden dieses 8. und 10. Exemplar hinterher ja wieder in privaten Gemächern.

Die Süddeutsche Zeitung berichtete am 24.10.09 unter dem Titel ">Stelldichein der Urvögel" ausführlich, darunter auch über die Passierscheinregelung für Archie 10, der ja an ein privates USA-Museum eines Fossilhändlers entfleucht ist und auch dorthin wieder verschwindet. Hierzu erst einmal ein kleiner emotionaler Einschub:

Lied eines verwunderten Paläontologen:

Kommt ein Urvogerl geflogen,
setzt sich kaum nieder auf mein' Fuß,
hat ein' Passierschein im Schnabel,
mit dem er zurückfliegen muss.

Lieber Urvogel, flieg weiter,
nimm' mein Gruß mit und mein' Frust,
denn wir könn' dich nicht erforschen
weil Du in Einzelhaft musst.

Ja, zugegeben, holprig, wie das Thema. Also lieber weiter in Prosa:

Das Familientreffen ist an sich eine schöne Sache, verwunderlich ist jedoch, dass diese Archaeopteryxe ausgerechnet von Fossilhändlern auf einer Mineralien-Messe zusammengetragen und gezeigt werden, auch noch in direkter Nachbarschaft etwa zu einer esoterischen Wellness-Show mit "Heilsteinen". Auf der Messe machen professionelle Fossilhändler in der Regel hervorragende Geschäfte.

Das Verhältnis zwischen Hobbyfossilsammlern und Wissenschaftlern ist zwar in der Regel ausgezeichnet und gegenseitig befruchtend. Unter den gewerblichen Fossilhändlern gibt es jedoch nach Insiderkreisen auch jede Menge schwarze Schafe - gezielte Raubgrabungen, teils mit schwerstem Gerät oder auch gefälschte Papiere sind keine Seltenheit - wundersam ist auch, dass viele angebotene Objekte angeblich vor sehr vielen Jahren bereits gesammelt wurden. Dies scheint besonders dann der Fall zu sein, wenn sie aus Ländern stammen, im dem es entsprechende Fossilschutzgesetze zu dieser angeblichen Zeit noch nicht gab (siehe auch >> Fundgeschichte zu Darwinius auf diesem Blog). Dort, wo wie in Bayern auch heute noch keine Fossilschutzgesetze gelten, werden schon mal ganze Steinbrüche aufgekauft - manche vermuten gar, um bereits andernorts gemachte bzw. zukünftige Funde, die illegal dem Grundbesitzer vorenthalten werden, zu kaschieren.

Tatsächlich sträuben sich aber sogar etliche Wissenschaftler gegen Fossilschutzgesetze, mit dem fadenscheinigen Argument, dass die Objekte dann alle in den Untergrund gehen würden. Die Geschichte der Archaeopteryx-Funde zeigt jedoch, dass dies ja gerade ohne Fossilschutzgesetze passiert. Rechtsstreitigkeiten mit Grundbesitzern sind allemal ärgerlicher und vom Ausgang her unklarer, als wenn eindeutige Regelungen in einem Fossilschutzgesetz vorhanden sein würden. So haben Länder, wie etwa Baden-Württemberg oder Rheinland-Pfalz mit Fossilschutzgesetzen sehr gute Erfahrungen gemacht und wohl gerade wegen der klaren, pragmatischen Regelungen ein gutes Verhältnis mit Hobbyfossilsammlern erarbeitet.

Trotz so manchem Verständnis für Fossilhandel war der >Aufschrei der Wissenschaft groß, als Archie 10 im Jahr 2005 bzw. früher aus Bayern über die Schweiz nach USA geflattert ist und dort in einem Privatmuseum eines Fossilsammlers gelandet ist. Die >ZEIT berichtete 2006, dieses Wochenende berichtete die >Süddeutsche auch hierzu nochmals ausführlich. Nun also ist der edle Fossilkäufer sogar so edel, Archie 10 für einige Tage nach Deutschland zurückzubringen. Vergelt's Gott, wir verneigen uns.

(Abb.: Das private Wyoming Dinosaur Center in Thermopolis, USA, dort befindet sich der normale Aufenthalt von Archaeopteryx 10)

Noch unverständlicher ist der Hype um ein Archaeopteryx-Fragment, welches angeblich völlig unbekannt ist, der Archaeopteryx 8. >Die WELT am Sonntag spricht am 24.10.09 von einer "Weltsensation", seit 25.10.09, 10.00 Uhr sind nun auch bis dato unbekannte Bilder des Originals in WELT-Online zu sehen. Nur aus ein paar Knochen bestehend, wurde ein Abguss bereits früher einem Wissenschaftler übergeben, der einen Bericht veröffentlichte, den Abguss für kurze Zeit in seinem Museum ausstellen durfte, insbesondere aber dem verunsicherten Finder bestätigt hat, dass es sich tatsächlich um ein Archaeopteryx-Fragment handelt. Sozusagen eine kostenlose Expertise, die den Wert des Objekts dramatisch gesteigert haben dürfte. Das Objekt ist trotz sehr unvollständiger Erhalten wohl schon deshalb von wissenschaftlichen Interesse, weil sein Fundpunkt etwas entfernter von den anderen Archaeopteryx-Funden ist und wohl auch einige 100.000 Jahre jünger sein könnte. Die Bilder des Abgusses stehen auch im Internet, die des Originals, wie gesagt, seit heute u.a in WELT-Online . Spannend scheint etwa die Erhaltung der "perlenförmigen" Zähne im Schädel zu sein.

(Abb. Bild des Abgusses des 8. Archaeopteryx-Exemplars. Zu sehen sind insbesondere die beiden Unterarmknochen eines Flügels sowie ein teils zerdrückter Schädel, oben, > Quelle).

Die Wissenschaftler sind gerade wegen des fehlenden Fossilschutzgesetzes in einer Zwickmühle. Sie können meist nicht frei graben, und wenn sie wissenschaftlich bedeutende Objekte untersuchen wollen, müssen sie mit den professionellen Fossilhändlern kooperieren. Diese wahrlich steinzeitliche "Jäger und Sammler"-Mentalität sollten wir in einer modernen, wissenschafts- und kulturbasierten Gesellschaft längst überwunden haben. Wichtige Fossilfunde müssen wie auch archäologische Funde endlich auch als Gemeingut von öffentlichem Interesse angesehen werden können - ein neu gefundenes Römerschiff darf doch auch nicht einfach einkassiert und meistbietend verkauft werden!

Um das ganz klar zu sagen: Fossilhandel ist nicht verboten und in Bayern eben auch das Sammeln nicht, sofern man sich an die Grundbesitzerregel hält. Auch ist die Messeleitung seit Jahren bemüht, schwarze Schafe herauszufinden und nicht zuzulassen. 2004 erfolgte sogar auf Anregung des Autors eine Kontrolle durch die Zollbehörden. Besonders peinlich ist dann allerdings schon, wie sich die professionellen Fossilsammler und - händler nun als ganz besondere Gutmenschen und Wissenschaftsförderer gerieren. Ein paar Beispiele gefällig?

Zu Archie 10: ""Alle Bemühungen, genügend Mittel für den Erwerb des wertvollen, nationalen Kulturguts aufzubringen, scheiterten. Der Betreiber des Wyoming Dinosaur Center in Thermopolis (USA), Burkhard Pohl, erklärte sich darauf hin bereit, sich um den Ankauf zu bemühen und sicherte zu, dass das Stück auch in Zukunft der Wissenschaft zugänglich bleibt." (Aus der offiziellen Pressemeldung: >www.mineralientage.de/sonderschau-fossilpark.html)

Tatsächlich wird auch dies in einer offiziellen Pressemeldung berichtet:
"“Ich freue mich sehr, dass wir so viele Museen für die größte bislang gezeigte Ausstellung von Archaeopteryx-Originalen gewinnen konnten. Es handelt sich hier um ein national wertvolles und sehr faszinierendes Kulturgut. Dafür wollen wir auch die Öffentlichkeit begeistern”, betont Christoph Keilmann, der sich als Geschäftsführer und Veranstalter von Europas größter Mineralienmesse dafür eingesetzt hat, dass die wertvollen Fossilien in München drei Tage lang öffentlich zu sehen sind." (siehe hier)

Archie 10 ist eben leider kein nationales Kulturgut, weil das Land Hessen vorzeitig eine Wiederausfuhrgenehmigung erstellte. Der Ankauf durch das Senckenberg scheiterte übrigens wohl nur daran, dass nicht allgemein in der Community der Naturkundemuseen bekannt war, dass das Stück zum Ankauf bereit stand. Die Deutschen Naturwissenschaftlichen Forschungssammlungen (DNFS) hatten sich danach besprochen, derartige Objekte ggf. in konzertierten Aktionen zu sichern. Das funktioniert allerdings nur, wenn das auch der Wissenschaftscommunity wirklich bekannt ist - auch bei Darwinius ist das leider wieder ohne Kooperationsversuch abgelaufen - leider ohne Not eine weitere Chance verpasst. Dass sich allerdings Burkhard Pohl nur deshalb um den Ankauf bemühte, um das Objekt für die Wissenschaft zu sichern, lassen wir mal unkommentiert. Dass er das Stück auch in Zukunft der Wissenschaft zugänglich machen möchte, entspricht erfreulicherweise meiner Anregung von Anfang 2006 im >Science-Magazin. Es würde ihn überaus ehren, dies nun auch tatsächlich zuzusichern und zwar auch schriftlich und testamentarisch verbrieft.

Leider springen auch einige wenige Wissenschaftler mit auf dieses Trittbrett und klopfen sich auf die Schulter, weil man so gut mit Fossilhändlerkreisen kooperiert: "Der Leiter des Solnhofener Bürgermeister-Müller-Museums hat maßgeblichen Anteil daran, dass das «Thermopolis»-Exemplar (benannt nach dem Ausstellungsort im US-Bundesstaat Wyoming) nach Bayern kommt – quasi als besonderes Highlight im Darwinjahr 2009." Ja, richtig, nach Solnhofen flattert Archie 10 auch noch weiter (aus dem >Weißenburger Tagblatt)


Und zu Archie 8, dem alten neuen?

Hier ist ein anderer Fossilhändler im Fokus. Die >WELT berichtete am 24.10.:

""Da ich in der Fossilienszene gute Kontakte habe, können wir nun sechs der zehn Urvögel nach München holen." Als Leihgaben, versteht sich. Albersdörfer und Keilmann ... hatte ... der Ehrgeiz gepackt. Die beiden Fossilienfans wollten für die Münchner Ausstellung eine Sensation - sie wollten einen der verschollenen Urvögel finden.
Also forschte Albersdörfer nach Nummer acht. ,..... Nur wer gut verdrahtet ist und schweigen kann, kommt an die nötigen Informationen. Raimund Albersdörfer kennt die Szene und er kann schweigen. ... Albersdörfer... sieht neben dem oft irrsinnig hohen Marktwert von Fossilien auch ihren wissenschaftlichen Wert. Als er Nummer acht ausfindig gemacht hatte, als es nur die Alternative gab, den Urvogel zu kaufen oder ihn weiter in einer Privatsammlung vor den Augen der Wissenschaft zu verbergen, entschied er sich, das Fossil zu kaufen. Für sich und die Forschung - wie er sagt. Handeln will er Nummer acht nicht."

Nehmen wir auch hier den Händler beim Wort - wie wäre es mit einer Dauerleihgabe z.B. ans Museum Mensch und Natur in München? Aber bitte auch testamentarisch für die Zukunft garantiert. Und natürlich einer Eintragung als Nationales Kulturgut, sofern der wissenschaftlich-kulturelle Wert dazu gegeben ist.

Um aber aus der Zwickmühle zwischen gewerblichem Fossilhandel und Wissenschaft herauszukommen, müssen klare Regelungen, d.h. ein Fossilschutzgesetz her. Besteht Anlass zur Hoffnung, dass die Bayerische Staatsregierung dies inzwischen genauso sieht? Gründe genug wären nun doch wirklich beisammen!

Aber auch die Naturkundemuseen, und da nehme ich keines, also auch das von mir geleitete nicht aus, müssen ebenfalls konsequent sein. Sie mahnen Authentizität in den Wissenschaften an, deshalb seien die Sammlungen eben auch so wichtige wissenschaftliche Belegarchive, weil sie die wissenschaftlichen Ergebnisse authentifizieren und jederzeit nachprüfbar machen. Diese Verantwortung und Authentizität muss sich jedoch auch in der entsprechenden Sammlungs- und Ankaufspolitik ausdrücken. Das bedeutet natürlich auch im Gegenzug, wissenschaftliche paläontologische Objekte nicht selbst mit Schatzgräber- und Trutzburgmentalität an Museen zu verwalten, sondern allen Wissenschaftlern weltweit zugänglich zu machen. Insbesondere müssen die Zeiten vorbei sein, in denen Fossilien auf teils zweifelhaften Wegen in die Archive gelangten und dort wie ein Geheimnis gehütet wurden, etwa weil sie ein Kollege spätestens im Ruhestand noch selbst bearbeiten wollte. Fossilien können für öffentlich bedienstete Wissenschaftler kein Privateigentum oder Quasi-Eigentum darstellen, und keinesfalls können Sammlungen, die in Zusammenhang mit der Diensttätigkeit privat zusammengestellt wurden, später gewerblich veräußert werden.

Bedenklich sind auch Funde, die auf unergründlichen Wegen, möglicherweise sogar vorbei an Finanzbehörden und anderen Regularien aus ihren Ländern in andere verfrachtet werden. Ärger gab es hierbei nicht nur um Archie 10, >sondern auch um Darwinius, die ja beide ins Ausland gelangten - übrigens ist die Gegenplatte von Darwinius ebenfalls im Thermopolis-Museum in Wyoming gelandet.

Genauso wenig tolerierbar wäre aber auch, wenn Objekte aus dem Ausland nach Deutschland illegal eingeführt werden und dies alles angeblich nur der Wissenschaft wegen getan wird. Die Paläontologengemeinschaft sollte hier zusammenstehen und sich auch klar und distanziert gegenüber kommerziellen Fossiliensammlern verhalten. Gemeinsames Arbeiten zwischen Hobbysammlern und Wissenschaftlern ist erfreulich, dies hilft nicht nur der Wissenschaft direkt, sondern fördert auch die Freude an der paläontologischen Wissenschaft (>Leinfelder et al. 2004). Ganz anders ist es, professionellen Sammlern, die mit dem unersetzlichen und häufig durch Gesetze geschützten Kultur- und Wissenschaftsgut „Fossilien“ hervorragende Geschäfte machen, auch noch durch Expertisen und sonstige enge Kooperationen direkt zu unterstützen. Dies passt nicht zu einer notwendigen Strategie der Öffnung, weiteren Internationalisierung und methodischen Modernisierung der Paläontologie. Erfreulicherweise haben sich fünf große deutsche Naturkundemuseen (Berlin, Bonn, Karlsruhe, München, Stuttgart), die sich vor wenigen Wochen im Humboldt-Ring zusammengeschlossen haben, mit der zugehörigen Vereinbarung verpflichtet, auch ihre Ankaufs- und Sammlungsregelungen zu harmonisieren. Ein wichtiger Schritt.


Teil 2: Ein kleiner Überblick zur Fundgeschichte und Eigentumsverhältnissen der zehn Archaeopteryx-Funde.

Archaeopteryx - das Zwitterwesen mit Merkmalen gleichermaßen von Dinosauriern und Vögeln ist vermutlich das berühmteste Fossil der Welt, stellt es doch sozusagen den versteinerten Beweis dafür dar, dass Darwin recht hatte - und Diskussionen, ob Archaeopteryx nun ein bisschen mehr Vogel oder ein bisschen mehr Dinosaurier ist unterstreichen gerade diese verbindende Bedeutung. Darwin postulierte in seinem 1859 erstmals erschienenen Buch "On the Origin of species" das Vorhandensein von "missing links" und wunderte sich, dass diese so selten zu finden waren. Ein Jahr später wurde eine erste Feder des Archaeopteryx gefunden, zwei Jahre später, also 1861, das erste Exemplar, inzwischen gibt es 10 Funde, von denen etliche nur aus wenigen Knochen bestehen (z.B. das 9. Exemplar mit Spitznamen "Chicken Wing"), zwei verschollen sind (eines davon nun also wieder aufgetaucht ist) und die allerwenigsten im Besitz öffentlich-rechtlicher Institutionen gelandet sind, so das 1. Exemplar (das Londoner Exemplar), das 2. Exemplar (Berliner Exemplar), das 6. Exemplar (Solnhofener Exemplar) und das 7. Exemplar (Münchner Exemplar). Selbst das Eichstätter Exemplar gehört nicht dem Land Bayern (sondern der katholischen Kirche), das Haarlemer Exemplar der (wohl auch öffentlich geförderten) Privatstiftung und Gesellschaft Teylers Museum. Um das Solnhofener Exemplar wurde über 14 Jahre lang prozessiert - Bürgermeister Müller, nach dem das Gemeindemuseum benannt ist, war sogar lange dem Verdacht der Hehlerei ausgesetzt, bis der Bundesgerichtshof als letzte Instanz das Verfahren abwies. Der "Chicken Wing" (das 9., aus nur wenigen Knochenrelikten bestehende Exemplar) befindet sich als private Leihgabe ebenfalls im Bürgermeister-Müller Museum, das 10. Exemplar ging nach vergeblichen Ankaufsbemühungen und nach überaus unklarer Fund- und Wandergeschichte in das kleine Privatmuseum des Fossilhändlers Pohl nach Thermopolis, Wyoming (siehe Abbildung oben), das wissenschaftlich überaus wichtige 3. Exemplar, das Maxberg-Exemplar ist seit dem Tod des privaten Besitzers verschollen und das 8. Exemplar wurde vom Besitzer nur als Abguss kurz der Wissenschaft zur Verfügung gestellt, um herauszufinden, ob es sich wirklich um ein wertvolles Objekt handelt. Nach kurzer öffentlicher Präsentation dieses Abgusses wurde selbst dieser wieder vom Besitzer eingezogen. Auf den Mineralientagen werden offensichtlich 6 Exemplare (sowie ggf. die Feder) gezeigt, das Londoner, Berliner und Haarlemer Exemplar wurden nicht zur Verfügung gestellt.

Die Geschichten, die sich um die Archaeopteryx-Funde ziehen, sind derart umfassend, dass bereits viele Bücher, teilweise sogar Krimis dazu geschrieben wurden. Die wohl umfassendste und wissenschaftlich aktuellste Zusammenstellung stammt vom bekannten Archaeopteryx-Spezialist Peter Wellnhofer (>Wellnhofer 2008). Warum dies alles? Wenn die Objekte wissenschaftlich eine derart hohe Bedeutung haben, müsste doch ihre Verfügbarkeit gewährleistet sein?

Nun, alle 10 Funde stammen aus Bayern und zwar aus der Region von Eichstätt-Solnhofen, alle entstammen ziemlich genau der gleichen Fundschicht, nur das 8. Exemplar könnte einige 100.000 Jahre jünger sein und stammt von einer etwas entfernteren Lokalität. Es ist damit trotz seiner sehr fragmentarischen Erhaltung von wissenschaftlich großem Interesse. Bayern hat aber, wie oben bereits erwähnt, im Unterschied zu vielen anderen Bundesländern kein eigenes Fossilschutzgesetz, was die Wissenschaft seit langem anprangert. Damit gehört ein Fund, wenn er sich komplett im Gestein befindet, dem Besitzer des Grundes, sollte es lose aufgefunden werden, kann es als Schatzfund behandelt werden und gehört dann zur Hälfte dem Grundbesitzer, zur Hälfte dem Finder. Archaeopteryxe liegen aber nicht einfach so als lose Funde herum, sondern stecken fest im Gestein und müssen herauspräpariert werden, also trifft hier in der Regel die Grundbesitzerregelung zu, es sei denn die Platte wäre als sog. Abraum (Abfallstück) auf einer Halde gelegen, was ebenfalls unwahrscheinlich ist.

Aber auch diese Regelungen werden umgangen, die Herkunft von in Privatbesitz befindlichen Objekten wird oft verschleiert, so sollten ursprünglich sowohl das 10. Exemplar, wie auch das nun wieder aufgetauchte 8. Exemplar einem Besitzer gehören, der nicht genannt werden wollte, immer treten Mittelsmänner in Form von Händlern auf und ob beim An-/Verkauf von Archaeopteryx-Objekten auch tatsächlich anfallende Steuern gezahlt werden, sollten die Finanzbehörden am besten wissen.

Die meisten Wissenschaftler klagen seit langem über die fehlenden Fossilschutzgesetze. Wären die Archaeopteryx-Funde in Baden-Württemberg gemacht worden, wären sie wegen des dort geltenden Fossilschutzgesetzes automatisch in Staatsbesitz. Baden-Württemberg arbeitet mit diesem Gesetz nicht dogmatisch, sondern sehr pragmatisch, keinem Hobbysammler wird das Sammeln verboten, aber wenn es sich um wissenschaftlich wichtige Objekte handelt, sind die entsprechenden Regularien vorhanden. Schon 1984, anlässlich der Eichstätter Archaeopteryx-Konferenz forderten 66 Wissenschaftler aus 12 Ländern in einer an die Bayerische Staatsregierung gerichteten Resolution: "... The participants of this conference find it extremely frustrating that a palaeontological object of such extraordinary scientific importance should not be available to the scientific community. They sign this resolution in urging the Bavarian Government to improve the legal situation with regards to cases like this, allowing the State to give preference to the public interest against the egoism of private individuals" (fide Wellnhofer 2008). Dieser Resolution war kein Erfolg beschieden. Immerhin wurden ab 1995 auch die in Bayern befindlichen, damals bekannten Archaeopteryxe als nationales Kulturgut geschützt, genossen also gewissen Bundesschutz, aber keinen Landesschutz. Der sog. 8. Archaeopteryx tauchte 1996 als Abguss auf und verschwand dann sehr bald wieder (siehe oben).

Auch als der Autor die Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns von 2003 bis 2005 leitete, konnte er zwar Gespräche über die Notwendigkeit eines Fossilschutzgesetzes führen, jedoch keinen Erfolg in dieser Sache verbuchen. Tatsächlich tauchte dann aber Ende 2005 der 10. Archaeopteryx auf, und damit eines der am besten erhaltenen, für die Wissenschaft überaus wertvollen Exemplare. Das Exemplar wurde, obwohl aus Bayern stammend, zuerst bekannt, als es sich in Hessen zur wissenschaftlichen Untersuchung am Senckenberg-Museum befand, und flatterte dann von dort nach USA weiter. Das Land Hessen hatte eben keinen Status als Nationales Kulturgut beantragt, sondern eine Unbedenklichkeitsbescheinigung für den Wiederexport erstellt (denn zuvor war das Exemplar schon gen USA entfleucht). Der Autor schrieb einen publizierten >Brief an das Science-Magazin, da Science die wissenschaftliche Arbeit zum 10. Archaeopteryx veröffentlichte und sich dafür von der Wissenschaftscommunity, insbesondere der renommierten Society of Vetebrate Paleontologists mit USA-Sitz den Vorwurf einhandelte, ein derart wichtiges Stück könne nur wissenschaftlich bearbeitet werden, wenn die Ergebnisse auch dauerhaft überprüfbar seien. Dies sei nur gesichert, wenn sich das Objekt in einem Museum der öffentlichen Hand befände und nicht in einem kleinen Privatmuseum in Nirgendwo. Auch die >ZEIT kritisierte unter Bezugnahme auf diesen Brief kräftig. In Bayern regte sich politischer Unmut, die bayerische >SPD-Opposition forderte 1996, "Fossilschutz muss auch in Bayern gelten -Fossilien wie der Urvogel Archaeopterix dürfen keine Handelsware sein".

2007 mischte sich ein weiterer Fossilhändler ein, der behauptete, dass Archie 10 aus seinem Steinbruch stamme und illegal dort ausgegraben wurde. Laut eines Artikels des >Münchner Merkurs vom 4.6.2007 ging er davon aus, "dass seine Arbeiter in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche wertvolle Fossilien hinter seinem Rücken weiterverkauft haben". Weiterhin berichtet der Merkur: "Auch der Ingolstädter Oberstaatsanwalts Helmut Walter sagt, ein "schwunghafter Handel" mit unterschlagenen Fossilien in der Region sei "nicht mehr wegzudiskutieren". "Bis heute mahnen die "Chefwissenschaftler", so der derzeitige >Generaldirektor der Staatlichen naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns, aber auch viele andere, auch außerhalb Bayerns die Verabschiedung eines Fossilschutzgesetzes an.

Auch wenn Bayern noch kein eigenes Fossilschutzgesetz hat - der Bund ist bereits weiter. Inzwischen wurde die Möglichkeit zum Schutz nationaler Kulturgüter erweitert. Seit Mai 2007 ist es möglich, dies auch für Objekte zu beantragen, die sich außerhalb des Landes befinden, denn das neue "Kulturgüterrückgabegesetz vom 18. Mai 2007 (BGBl. I S. 757)" trat in Kraft. Damit hätte theoretisch auch Archie 10 geschützt werden können, aber wegen der diversen Unbedenklichkeitsbescheinigungen sowohl von Hessen als nun auch von Bayern erscheint dies nicht möglich.


Fazit:

Es ist sicherlich erfreulich, dass Archie 8 und Archie 10 derzeit, wenn auch nur sehr kurz der Wissenschaft zur Verfügung stehen. Bleibt zu hoffen, dass die beiden nun nicht nur kurz auftauchen, sondern tatsächlich der Wissenschaft auf dauerhafte Weise zur Verfügung gestellt werden, vielleicht haben die Fossilhändler hier tatsächlich umgedacht. Freuen wir uns darüber, aber bleiben wir bezüglich Verzückung doch lieber auf dem Teppich. Die Händler sollten sich dafür nicht gleich den Bayerischen Verdienstorden erwarten, sondern sie lösen bestenfalls ihre gesellschaftlich-moralische Verpflichtung damit ein.

Oder könnte es vielleicht doch nur darum gehen, sich ein hehres Anstandsmäntelchen über die auf Kosten der Natur und Wissenschaft gehenden Geschäfte zu hängen? Dieser Verdacht könnte sich zumindest aus dem >Artikel in der Süddeutschen leider ebenfalls aufdrängen. Der Artikel endet nämlich mit folgender Passage: "Nun stellt er es als eines der sechs Exemplare dem Münchner Treffen zur Verfügung, damit die Wissenschaftler es untersuchen können. Irgendwann, da ist Albersdörfer sicher, wird auch das sagenumrankte Maxberg-Exemplar auftauchen, "in dem Grab liegt es jedenfalls nicht". Das sagt auch Christoph Keilmann. Er deutet sogar an zu wissen, wer das Fossil hat. "Die Szene ist so klein", sagt Keilmann, "da kennt jeder jeden.""

Es ist zu befürchten, dass man dies aufs Wort glauben kann. Und droht mal wieder die Errichtung eines Fossilschutzgesetzes, könnte dank riesiger Anstrengungen tatsächlich auch das Maxberg-Exemplar genau ge-timed wieder auftauchen. Vielleicht sogar schon morgen? Aber liebe Besitzer, falls nicht bekannt - das Maxberg-Exemplar ist bereits als Nationales Kulturgut geschützt und darf nur mit Genehmigung weiterverkauft werden. Das lässt doch etwas hoffen.

Kurzvita: Prof. Dr. Reinhold Leinfelder, Geologie, Paläontologe und Geobiologe, war von 1998 bis 2005 Direktor der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie, von 2003 - 2005 zusätzlich Generaldirektor der Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns. Im Dezember 1999 gelang der Erwerb des 7. Archaeopteryx-Exemplars für die Bayerischen Sammlungen vom ehemaligen Besitzer, dem Solenhofener Aktienverein, der ein vieljähriges Vorkaufsrecht sowie eine beachtliche Preisreduktion gewährte. Der Ankauf wurde durch umfassende Beteiligung privater Sponsoren, Beiträge von Stiftungen sowie durch Sondergelder des Bayerischen Staates möglich.
Seit 2006 ist Reinhold Leinfelder Generaldirektor des Museums für Naturkunde Berlin, welches den 2. Archaeopteryx beherbergt und im Original ausstellt. Seit 2007 ist er zusätzlich Vorsitzender der Deutschen Naturwissenschaftlichen Forschungssammungen e.V., derzeit ist er auch Gründungssprecher des Humboldt-Rings.


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> Alle Archaeopteryx-Exemplare mit Bild: www.fossilien-solnhofen.de/archfunde
> weitere Bilder und Erklärungen: www.trilobita.de/archie.htm
> Archaeopteryx auf Wikipedia (u.a. mit Literaturliste): de.wikipedia.org/wiki/Archaeopteryx

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Nachtrag vom 26.10.09, 15:30:
Sehr erfreulich, dass nun die Wissenschaft die Möglichkeit hat, die 6 Archaeopteryx-Exemplare von heute bis Donnerstag wissenschaftlich direkt zu vergleichen. Ab Freitag sind sie dann auf den eigentlichen Mineralientagen zu sehen.
>> PM vom 26.10.09

weitere Nachträge:
BR-Online, 26.10.09 : Archaeopteryx - Sieben Flugsaurier in München
(mhm, das sind natürlich keine Flugsaurier, sondern Urvögel)
BR-Rundschau-Video, 26.10.09, 16:45 Uhr

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>> zur Fortsetzung der Geschichte rund um die Archaeopteryxe auf AdlD
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