Mittwoch, 28. Oktober 2009

Neues von Archie 8 und 10 - Neue Art dazu, alte Art weg und neue Besuchsrechte?

von Reinhold Leinfelder
(mit Nachtrag vom 5.11.09, am Ende des Artikels)

Nun wird es erfreulicher: endlich steht mehr die Wissenschaft rund ums Archaeopteryx-Treffen, weniger die Fossilhändler im Vordergrund (> AdlD Bericht vom 26.10.). Wollen wir hoffen das dies so bleibt.

Sehr positiv ist, dass nun die Wissenschaft die Möglichkeit hat, die sechs derzeit in München befindlichen Archaeopteryx-Exemplare seit Montag bis morgen (29.10.09) wissenschaftlich direkt zu vergleichen. Ab Freitag sind die Urvögel dann auf den eigentlichen Mineralientagen zu sehen (> PM Mineralientage)

Auch in dem Medien wird nun die Wissenschaft stärker betont, etwa in der WELT online vom 27.10.09 oder - generell zu Archaeopteryx - in der FAZ vom 28.10.09. Ein paar Beispiele seien genannt.

Abbildung: Wissenschaftler untersuchen die Archaeopteryx-Exemplare an der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie. Screenshot aus BR-Rundschau vom 26.10.09

Wieviele Archaeopteryx-Arten gibt es?
Ist Archie 7 keine eigene Art? Der Münchner Merkur vom 27.10.09 zitiert den US-amerikanischen Paläontologen. Zitat aus dem Artikel:
"Mark Norell, Chef-Paläontologe des Amerikanischen Naturhistorischen Museums in New York, ist bereits angereist. „Wie schnell wuchsen diese Tiere und wie lange lebten sie?“, will er wissen. Dafür entnimmt er den Skeletten mikroskopisch kleine Proben. Kürzlich hat er so das Exemplar untersucht, das seit 1999 im Besitz der Bayerischen Staatsammlung für Paläontologie ist und von dem ein täuschend echter Abguss im Museum ausgestellt wird. Heraus kam: Es war ein Jungtier und keine neue Art, wie lange angenommen wurde." (> ganzer Artikel).

Norell bezieht sich auf das 7. Urvogel-Exemplar, das Münchner Exemplar, welches ja im Unterschied zu den anderen Urvogel-Exemplaren, die als Art Archaeopteryx lithographica bezeichnet werden, als eigene Art, nämlich Archaeopteryx bavarica definiert wurde. Hier gab es immer wieder unterschiedliche wissenschaftliche Auffassungen. Es könnte durchaus sein, wie die FAZ heute (28.10.09) generell zu Archaeopteryx schreibt, dass es sich bei allen Exemplaren um Jungexemplare handelt, damit wären insbesondere Größenunterschiede der Exemplare, aber auch gewisse Verknöcherungsstadien im Brustbereich kein gutes Artunterscheidungskriterium. Der Artnamenwechsel ist übrigens auch früher schon einem anderen Archaeopteryx-Fund passiert. Das 2. Exemplar, das Berliner Exemplar wurde ebenfalls ursprünglich als eigene Art geführt, nämlich Archaeopteryx siemensii. Die meisten Wissenschaftler waren sich später allerdings einig, dass A. siemensii mit A. lithographica identisch ist, wenn auch wieder einmal Größenunterschiede vorhanden sind. Aber es gibt weiterhin Wissenschaftler, die an der Art A. siemensii festhalten. Und da Archie 10 auch eng mit Archie 2 in Verbindung gebracht wurde, könnte das sogar für Archie 10 gelten (> siehe Literaturverzeichnis hier, sowie auch Synonymieliste zum 10. Exemplar hier). Ob A. bavarica nun auch zu A. lithographica wird, bleibt den Spezialisten zur weiteren Untersuchung überlassen.

Archie 8 eine neue Art? Es mag erste Hinweise dafür geben, dass der nun im Original präsentierte mehrere 100.000 Jahre jüngere, sehr fragmentarische Fund eines 8. Archaeopteryx-Exemplars eine neue Art sein könnte. Dies gilt zumindest gemäß einer gestrigen dpa-Meldung, die in ZEIT online und einigen weiteren Pressemedien publiziert wurde: Die Meldung lautet:

"München (dpa) - Bei einem lange verschollenen Archaeopteryx- Fossil handelt es sich möglicherweise um eine neue Art. Das habe ein erster Vergleich des nun wiedergefundenen Fossils mit anderen Urvögeln ergeben.
Die Urvögel befänden sich derzeit für eine Ausstellung in München, sagte der neue Besitzer des Fossils, Raimund Albersdörfer aus Schnaittach bei Nürnberg am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur dpa. Mehrere Forscher hatten das Fossil in der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie inspiziert. Die genaueren Untersuchungen, ob es sich um eine neue Art handele, werden allerdings mehrere Wochen oder sogar Monate dauern, wie der stellvertretende Direktor der Staatssammlung, Winfried Werner, und der Paläontologe Oliver Rauhut sagten. «Es steht noch nicht fest - es bedarf detaillierter Untersuchungen», betonte Werner. Weltweit sind zehn Exemplare der Urvögel bekannt. Zwei davon, die Nummern 3 und 8, waren jahrzehntelang verschollen, Nummer 8 tauchte jetzt wieder auf. «Es zeichnet sich beim 8. Exemplar schon ab, dass es sich um eine neue, der Wissenschaft noch nicht bekannte Art handelt», sagte der Besitzer, der selbst Geologe und Fossilienhändler ist. Er habe vorgeschlagen, das neue Fossil als Daiting-Exemplar zu bezeichnen, das es in Daiting südwestlich von Solnhofen gefunden wurde." (aus ZEIT-newsticker)

Tatsächlich wäre eine eventuelle neue Art jedoch erst begründet, wenn die wissenschaftlichen Untersuchungen abgeschlossen und publiziert sind. Immer wieder auch kann auch der Wunsch der Vater des Gedankens sein. Auch die generellen bekannten Schwierigkeiten der Artabgrenzung bei der Gattung Archaeopteryx (siehe oben) sind zu berücksichtigen. Dennoch: Oliver Rauhut von der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie meinte in der BR-Rundschau vom 26.10., es gelte zu untersuchen, ob es auf den Inseln der Oberjura-Welt vor 150 Jahren tatsächlich bereits Anpassungsvielfalt wie etwa bei den berühmten Galapagos-Finken gab. Auf den Galapagos-Inseln kommen ja auch auf engem Raum viele unterschiedliche Arten vor, die sich insbesondere in ihrer Schnabelausbildung unterscheiden. Auch AdlD wies ja schon darauf hin, dass die "perlenförmigen" Zähnchen des Archie 8 durchaus Unterschiede etwa zum Berliner Exemplar aufweisen könnten. Warten wir also auf gut fundierte neue Ergebnisse. Auf alle Fälle ist zu vermeiden, dass ein "Ida"-Effekt eintritt: zuerst wissenschaftlich als Bindeglied in der Ahnenreihe zum Menschen hochgejubelt, nun doch sehr "entzaubert" und schlichtweg vermutlich "nur" ein lemurartiger Affe auf einer ganz anderen evolutionären Linie. Dass Darwinius, aka "Ida" dennoch ein wunderbar erhaltenes und wichtiges wissenschaftliches Zeugnis ist, ging dabei leider unter.

Archies mit Besuchserlaubnis
Aber noch weiteres Positives gibt es zu berichten. Endlich scheint es im Fall von Archie 10 zu einer tragfähigen "Besucherregelung" für Wissenschaftler zu kommen (zur Vorgeschichte siehe AdlD vom 26.10.).

WELT online vom 27.10.09 thematisierte das Problem des fehlenden Fossilschutzgesetzes. Allerdings stimmt der dort gegebene Hinweis so nicht, dass die dauerhafte Zugänglichkeit von Archie 10 für die Wissenschaft bereits geregelt worden sei und Archie 10 in regelmäßigen Abständen zu den Wissenschaftlern nach Frankfurt gebracht werden müsse. Eine derartige Regelung war zwar vielleicht einmal geplant, allerdings ist es offensichtlich nie dazu gekommen.

Nun aber hat sich das Bayerische Wissenschaftsministerium hinter die Sache geklemmt. Die Anzeichen dafür mehrten sich, dass hier eine Regelung erzielt wurde, aber eine offizielle Bestätigung des Ministeriums stand noch aus. Diese liegt nun aber offensichtlich vor, wie die Süddeutsche heute (28.10.09) berichtet. So schreibt dies Süddeutsche:
"Als Bedingung dafür, dass er (Anm, der Besitzer Dr. Burkhard Pohl)" das Stück in den Freistaat ein- und wieder ausführen darf, verlangte die Staatsregierung von Pohl die Zusicherung, den Archaeopteryx dauerhaft "für Forschungs- und Ausstellungszwecke" zugänglich zu machen. Mit Erfolg: Pohl hat eine entsprechende Vereinbarung unterschrieben, die auch für eventuelle Rechtsnachfolger gelten soll."

Die kleine Verballhornung des Volksliedes "Kommt ein Vogerl geflogen" (AdlD vom 26.10.) können wir damit durch eine weitere Strophe ergänzen:

Liebes Vogerl, sei nicht traurig,
statt dem Frust gibt's nun den Kuss
denn nun könn' wir dich besuchen
jedesmal, wenn dies sein muss.

(Abb. Archaeopteryx-Modell von Dennis Wilson aus dem Aathal-Museum, dpa)


Ende gut alles gut? Immerhin, obige Regelung klingt erst einmal zufriedenstellend, sofern sie auch umgesetzt und eingelöst werden kann. Außerdem kann die Regelung nur bedeuten, dass auch das bayerische Wissenschaftsministerium nicht nur die wissenschaftlich-kulturelle Bedeutung derart herausragender Fossilien, sondern auch die Notwendigkeit der Verfügbarkeit für die Wissenschaft erkannt hat. Hoffen wir auf den konsequenten nächsten Schritt: ein bayerisches Fossilschutzgesetz, dann gäbe es so richtig Grund zum Jubeln!

Dennoch: auch heute besteht bereits Anlass zur Freude. Und wenn der Besitzer von Archie 8 seine Ankündigung (u.a. im TV) auch wahr macht und das Objekt nicht nur einem Museum ausleiht, sondern dieses Museum auch ein öffentlich-rechtlich verankertes Forschungsmuseum ist und die Leihgabe eine Dauerleihgabe, dann hätte die Fossilhändlerveranstaltung zu den Archaeopteryxen tatsächlich auch nachhaltigere positive Auswirkungen für die Wissenschaft.
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Nachtrag vom 5.11.09: hier nochmals die Meldung, dass das bayerische Staatsministerium für Wissenschaft erfolgreich bzgl. der wissenschaftlichen Zugangsrechte für Archie 10 verhandelt hat. Auch dass die "Artfrage" für Archie 8 und die anderen noch nicht wissenschaftlich geklärt werden konnte, wird bemerkt: alles im Münchner Wochenanzeiger zu finden.

Im Weißenburger Tagblatt vom 4.11.09 (online 3.11.09) wird berichtet, dass Archie 8 und 10 nun nach Solnhofen weitergeflattert sind und dort kurz zu sehen sein werden. Außerdem wird der CSU-Landtagsabgeordnete Gerhard Wägemann genannt, der für Archie 10 "einen Diplomatenstatus" herausgehandelt habe. Weiterhin wird die Meinung eines Archaeopteryx-Kenners, Helmut Tischlingers wiedergegeben, der auf neuere Forschungsergebnisse hinweist, die alle Archaeopteryx-Funde eher zu einer Art rechnen.

Ach ja, und das neue "Humboldt-Ring"-Konsortium naturwissenschaftlicher Sammlungen und Museen wurde von Archaeopteryx auch beflügelt - die großen Mitgliedssammlungen in Stuttgart, Karlsruhe, München, Bonn und Berlin beschlossen eine ggf. gemeinsame und gegenseitig transparente Erwerbspolitik für herausragende Sammlungen und Objekte. Vergebliche Bemühungen um den Erhalt nationalen Kulturguts wie Archaeopteryx 10 oder Darwinius, die offensichtlich der Sammlung in Frankfurt am Main angeboten wurden, von dort aber aus Kostengründen nicht erstanden werden konnten, sollten damit hoffentlich der Vergangenheit angehören.
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