Dienstag, 22. November 2011

Anthropozän zieht um

Liebe Blogleser,  meine Bloggeraktivitäten bezüglich des Anthropozäns ziehen um. Bei SciLogs/WissensLogs gibt es nun meinen Blog "Der Anthropozäniker - Unswelt statt Umwelt". Ich würde mich freuen, wenn Sie mich auch dort besuchen. Dieser "Ach-du-lieber-Darwin"-Blog bleibt bestehen, wird sich aber v.a. auf die Verlinkung spannender Artikel beschränken sowie weiterhin gelegentlich zu Themen rund um die Evolution berichten.

Auf dem "Anthropozäniker" gibt es mit Stand dieses Schreibens zwei Blogbeiträge:
Das Anthropozän - von der Umwelt zur Unswelt
Das Anthropozän - jetzt wächst zusammen, was zusammengehört

Viel Spaß beim Lesen, wo auch immer

Ihr/Euer Reinhold Leinfelder

Sonntag, 6. November 2011

Globale Ernährungssicherheit im Anthropozän

Aus Public Security News: Energie und Rohstoffe, vom 3.11.2011

Landwirtschaft in Almeria/Spanien. Foto
aus National Geographic, via
architectsandartisans.com/blog
Für und wider konventioneller und ökologischer Landwirtschaft für die Ernährung der nun offiziell auf sieben Milliarden Menschen angewachsenen Weltbevölkerung standen im Mittelpunkt der diesjährigen Herbsttagung des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) in Berlin. „Wir werden einen ‚food crash’ erleben, warnte BÖLW-Geschäftsführer Dr. Alexander Gerber.

Der BÖLW-Vorstandsvorsitzende Dr. Felix Prinz zu Löwenstein hatte kürzlich ein Buch mit diesem Titel veröffentlicht. Auch die rheinland-pfälzische Umweltministerin Ulrike Höfken setzte entsprechende Prioritäten. Sie wolle der „Ernährungssicherheit einen hohen Stellenwert einräumen, weil das eben letztendlich über allem steht.“ Seit etwa 1950 hätten sich alle dafür negativen Faktoren extrem beschleunigt, so Prof. Dr. Reinhold Leinfelder. Als Mitglied des „Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen“ (WBGU) vertritt er die These vom „Anthropozän“, einem irreversibel vom Menschen dominierten Erdzeitalter. Die mittlere Bodenerosionsrate habe seit 500 Millionen Jahren bei 24 Metern pro einer Million Jahre gelegen, so Leinfelder. Heute seien es bereits 700. Daran sei die Landwirtschaft besonders beteiligt.

Ökologischer Landbau; Bild via
celotajs.lv/cont/tour/tours/images/Cukas.jpg
Der WBGU schätzt, dass der weltweite Nahrungsbedarf bis 2050 um bis zu 70 Prozent ansteigt. Dazu trügen die sich in Schwellenländern verändernden Ernährungsgewohnheiten bei. Auch die durch die zunehmende Nutzung von Bioenergie verursachte „Teller-Tank"-Problematik“ existiere tatsächlich. Das Kyoto-Protokoll habe hier sogar noch Fehlanreize gesetzt, so Leinfelder. Der Wissenschaftler plädiert allerdings für einen systemischen Ansatz. Bei allen Versuchen umzusteuern müssten immer die sozialen Folgen berücksichtigt werden. .....

>> im Originalartikel weiterlesen

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Forschung und Bildung für das Anthropozän

Mexiko-City ( National Geographic)
Am 12.10.2011 erschien in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein Artikel zur Notwendigkeit der Verstärkung interdisziplinärer und transdisziplinärer Forschung für das Anthropozän bzw. für die notwendige Transformation zu einer nachhaltigen Gesellschaft aus der Feder des Blogautors. Der Artikel war bislang nicht online verfügbar, ist aber nun für Interessierte im FAZ-Archiv online erhältlich. Hier Titel und Vorspann:

Von der Umweltforschung zur Unsweltforschung - von Reinhold Leinfelder

Der Mensch erscheint im Anthropozän: Zwischen Natur und Zivilisation zu unterscheiden ist angesichts der gesellschaftlichen Eingriffe ins Klima, in die Pflanzen- und Tierwelt, die Meere und Landschaften nicht sinnvoll. Was aber bedeutet das für die universitäre Forschung? Wie kann sie sich auf das Anthropozän einstellen?  .....

Der annähernd ganzseitige Artikel ist erschienen in der FAZ vom Mittwoch, den 12.10.2011, Nummer 237, Seite N5,  Forschung und Lehre. Er ist (kostenpflichtig) erhältlich im FAZ-online-Archiv unter:
http://tinyurl.com/6jv5noj
bzw. unter: http://www.seiten.faz-archiv.de/faz/20111012/fd1n201110123262818.html
(Hinweis: der Artikel kostet über den ersten Link 1Euro, über den zweiten Link 2 Euro).

(Foto von Mexico-City © und eingelesen von https://ngm.nationalgeographic.com/2011/03/age-of-man/anthropocene-photography)

Nachtrag: Den oben erwähnten Artikel gibt es inzwischen in etwas erweiterter Form unter https://scilogs.spektrum.de/der-anthropozaeniker/unsweltforschung/

Mittwoch, 19. Oktober 2011

Archaeopteryx-Fossil entdeckt: Urvogel Nummer elf

Vor 150 Jahren wurde im bayerischen Kalkgestein bei Solnhofen das erste Fossil des Urvogels Archaeopteryx entdeckt. Weltweit sind seither nur zehn Exemplare aufgetaucht. Nun zeigt sich: Es gibt ein elftes, nach Ansicht von Wissenschaftlern äußerst gut erhaltenes Fossil jenes Tieres, das wahrscheinlich den Übergang zwischen Dinosauriern und Vögeln markiert (Bild). Experten vergleichen das neu entdeckte Fossil sogar mit dem im Berliner Museum für Naturkunde ausgestellten, viel beachteten dritten Exemplar. Zwar fehlt bei Nummer elf der Schädel, doch seien das Federkleid und die Knochen ausgesprochen gut erhalten, sagt Oliver Rauhut, Konservator an der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie. Unter seiner Leitung hat ein internationales Gutachterteam bereits eine erste Expertise über das elfte Exemplar angefertigt. Zur Freude der Wissenschaftler hat der private Besitzer, dessen Name ebenso wie der Fundort geheim gehalten wird, das Fossil als Deutsches Kulturgut offiziell ...

Weiter zum vollständigen Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom 19.10.2011 ...

(Aus Newsticker der Süddeutschen: http://newsticker.sueddeutsche.de/list/id/1220351
Artikel der Süddeutschen Zeitung unter http://www.sueddeutsche.de/wissen/archaeopteryx-fossil-entdeckt-urvogel-nummer-elf-1.1168184
obiges, verlinktes Bild © : http://polpix.sueddeutsche.com/polopoly_fs/1.1167813.1319002675!/image/image.jpg_gen/derivatives/536x301/image.jpg 
Ein großes Archaeopteryx-Bild des 11. Exemplars gibt es unter http://polpix.sueddeutsche.com/polopoly_fs/1.1167813.1319002675!/image/image.jpg_gen/derivatives/860x860/image.jpg
Hinweis: Das Berliner Exemplar wird allgemein als 2. Skelett-Exemplar bezeichnet. Der erste Nachweis von Archaeopteryx, ein Federfund wird in der Regel hier nicht gezählt. 1. (Skelett-)Exempar ist damit das Londoner Exempar, 2. das Berliner Exemplar, der Neufund ist nach dieser Zählung dann das 11. Exemplar)

Nachtrag vom 19.10.2011: Pressemitteilung der Mineralientage:
http://www.presseportal.de/pm/102988/2132113/ein-elfter-kronzeuge-fuer-die-abstammungslehre-von-charles-darwin-wird-deutsches-kulturgut

Nachtrag vom 6.11.2011:
Hinweis in eigener Sache: im aktuellen GEO (Nov. 2011) findet sich ein Artikel zum verschollenen Maxberg-Exemplar des Archaeopteryx. Außerdem wird auch der neue Archaeopteryx-Fund (11. Exemplar) erwähnt. Insgesamt wird versucht, die Fossilhandelproblematik in einer Art Krimigeschichte zu beleuchten. Auch ich, Reinhold Leinfelder, werde hierbei angeblich zitiert bzw. es werden mir Aussagen indirekt in den Mund gelegt. Nur eines der "Zitate" wurde von mir freigegeben. Basis für meine angeblichen Aussagen ist ein Hintergrundgespräch aus dem Jahr 2009 des Autors mit mir. Ich lege Wert auf die Feststellung, dass ich die im Artikel genannten Personen nie als "hässliches Gesicht des Fossilhandels" oder als "gierige Nutznießer" bezeichnet habe. Außerdem habe ich nie gesagt, dass ich grundsätzlich nicht mit einem dieser Personen reden würde. Auch habe ich die Mineralientage München nie generell als Esoterik-Show bezeichnet. Statt dessen habe ich in diesem Blog folgendes anlässlich einer Fossil-Show von Archaeopteryx-Exemplaren 2009 geschrieben: "Das Familientreffen ist an sich eine schöne Sache, verwunderlich ist jedoch, dass diese Archaeopteryxe ausgerechnet von Fossilhändlern auf einer Mineralien-Messe zusammengetragen und gezeigt werden, auch noch in direkter Nachbarschaft etwa zu einer esoterischen Wellness-Show mit "Heilsteinen" (>siehe hier).  Das darauffolgende Treffen der Archaeopteryxe im Institut für Paläontologie habe ich in diesem Blog übrigens als positiv bezeichnet (> siehe hier).  
Der Schluss des GEO-Artikels ist, gelinde gesagt, sehr missverständlich. Der Artikel endet damit, dass  "wie aus dem Nichts ... ihre Sammlung um eines der begehrtesten Fossilen der Welt reicher geworden [ist]. Und sie müssen nicht einmal dafür bezahlen." Dies entspricht nicht den Tatsachen. Archaeopteryx 11 ist den Staatlichen Naturwiss. Sammlungen Bayerns nicht geschenkt worden. Er verbleibt in Privatbesitz bei einem Besitzer offensichtlich unbekannten Namens. Einzig der Antrag auf Bezeichnung als Nationales Kulturgut läuft, außerdem kann der neue Archaeopteryx von Wissenschaftlern untersucht werden. Beides wird von mir sehr begrüßt.
 

Dienstag, 19. Juli 2011

Darwin und kein Ende?

Heute einmal in eigener Sache. Basierend auf dem an der Humboldt-Universität durchgeführten Symposium "Streit um Darwin" sind nun die  Ergebnisse in überarbeiteter, stark ergänzter und reich bebilderter Form in Buchform erschienen. Das Buch richtet sich insbesondere an Biologie- und Theologielehrer, ist aber auch für alle anderen am Thema interessierten Leser geeignet.

Aus der Verlagsinformation:

Herausgegeben von Horst Bayrhuber, Astrid Faber, Reinhold Leinfelder

Darwin und kein Ende?
Kontroversen zu Evolution und Schöpfung

Die auf Charles Darwin zurückgehende Evolutionstheorie hat die Biologie revolutioniert. Sie wurde seit dem 19. Jahrhundert enorm weiterentwickelt und vielfältig abgesichert, hat aber das menschliche Welt- und Selbstverständnis so nachhaltig beeinflusst, dass sie bis heute Gegenstand heftiger Diskussionen und Kontroversen ist. Von religionsfundamentalistischer Seite wird die Evolutionstheorie abgelehnt; von szientistischer Seite wird sie oft zur Widerlegung des religiösen Glaubens angeführt.
In diesem Buch setzen sich Biologen und Theologen in 12 Beiträgen mit dem Thema „Evolution und Schöpfung“ auseinander, wobei kein Widerspruch zwischen naturwissen- schaftlichen Aussagen zur Evolution und theologischen Aussagen zur Schöpfung gesehen wird. Die lebendigen Kontroversen zu Evolution und Schöpfung, zu Atheismus und Intelligent Design sind auch im Unterricht Thema. Lehrkräfte erhalten in diesem Buch profunde Hintergrundinformationen, wobei auch aktuelle Untersuchungen zu Einstellungen und Vorstellungen von SchülerInnen dargestellt werden. Das umfangreiche Bild- und Textmaterial unterstützt eine fächerverbindende Bearbeitung des Themas.

Die Herausgeber:
Prof. Dr. Horst Bayrhuber ist Biologiedidaktiker und Herausgeber des Schulbuches Linder Biologie. Er war bis 2007 Direktor am IPN in Kiel.
Astrid Faber ist Diplom-Biologin und arbeitet im Bereich Museumspädagogik am Museum für Naturkunde, Berlin.
Prof. Dr. Reinhold Leinfelder ist Paläontologe und Geobiologe an der Humboldt Universität zu Berlin und war bis 2010 Generaldirektor des Museums für Naturkunde, Berlin.



Die Autoren: Roman Asshoff, Horst Bayrhuber, Dirk Evers, Marcus Hammann, Hansjörg Hemminger, Uwe Hoßfeld, Britta Klose, Martina Kölbl-Ebert, Reinhold Leinfelder, Harald Lesch, Martin Rothgangel, Richard Schröder, Annette Upmeier zu Belzen


Textsammlung, mit Texten von Charles Darwin, Ernst Haeckel, Jostein Gaarder, Albert Einstein, Karl Barth, Stephen Jay Gould, Richard David Precht, Tycho Brahe, William Paley, Daniel Dennett, Bertrand Russell, Richard Dawkins, Monika Maron, Genesis, Joseph Haydn, Heinrich Heine und weiteren.


Horst Bayrhuber, Astrid Faber, Reinhold Leinfelder, 2011, Darwin und kein Ende? Kontroversen zu Evolution und Schöpfung. 21,5 x 23 cm, 240 Seiten, vierfarbig, Hardcover, mit Lesebändchen, Friedrich-Verlag (Klett-Gruppe), ISBN 978-3-7800-1078-0 € 27,95

Weitere Informationen:

> Verlagsseite
> Inhaltsverzeichnis (pdf, 444 kb)
> Vorwort (pdf, 1033 kb)

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Korrektur / Update zum Anthropozän (Stand 9. Aug. 2011): Auf S. 33 des Buchs wurde bzgl. des Beginns des Anthropozäns leider nicht exakt formuliert. Korrekt ist, dass mit dem Beginn der menschlichen Kultur die teils sehr starken menschlichen Einflüsse auf die Umwelt begannen. Steffen, Crutzen & McNeil (2007) sprechen hierbei jedoch von präanthropozänen Ereignissen innerhalb des Pleistozäns und Holozäns. Das eigentliche Anthropozän lassen die Autoren erst etwa um das Jahr 1800, also mit dem ersten Industrialisierungsschub beginnen. Dies basiert auf dem  Originalvorschlag von Paul Crutzen und Eugene Stoermer (2000) bzw. Paul Crutzen (2002). Allerdings wird der Beginn des Anthropozäns nach wie vor sehr kontrovers diskutiert und ist bislang noch nicht verbindlich festgelegt. So schlug Ruddiman (2003) in einer umfassenden, gut dokumentierten Stellungnahme zu Crutzen & Stoermer (2002) vor, den Anthropozän-Beginn auf mehrere Tausend Jahre (bis zu 8000 Jahre vor heute) zurückzuverlegen (Early Anthropocene sensu Ruddiman). Doughty et al (2010) griffen dies nochmals auf und sehen gute Argumente dafür, den Beginn des Anthropozäns tatsächlich ins Pleistozän zurückzuverlegen.  Zur aktuellen Diskussion siehe u.a. Steffen et al. (2011) und Ellis (2011). Weitere Infos zum Anthropozän unter http://en.wikipedia.org/wiki/Anthropocene (Abfrage am 9.8.2011) sowie demnächst unter http://www.anthropocene.de.

Zitierte Literatur:
Crutzen, P. & Stoermer, E. (2000): The 'Anthropocene'". Global Change  Newsletter 41, S. 17-18, IGBP ((Royal Swedish Academy of Sciences, Stockholm)
Crutzen, P.  (2002) Geology of mankind. Nature 415 (6867): 23. doi:10.1038/415023a
Doughty, C. E.; Wolf, A.; Field, C. B. (2010): "Biophysical feedbacks between the Pleistocene megafauna extinction and climate: The first human-induced global warming?". Geophysical Research Letters 37 (L15703): 1–5. doi:10.1029/2010GL043985.
Ellis, E.C. (2011): Anthropogenic transformation of the terrestrial biosphere. Philosophical Transactions of the Royal Society A: Mathematical, Physical and Engineering Sciences, 369(1938), S.1010 -1035. doi: 10.1098/rsta.2010.0331
Ruddiman, William F. (2003): The anthropogenic greenhouse era began thousands of years ago.- Climatic Change 61 (3): 261–293. doi:10.1023/B:CLIM.0000004577.17928.fa
Steffen, W., Crutzen, P.J. & McNeill, J.R. (2007): The Anthropocene: Are Humans Now Overwhelming the Great Forces of Nature. AMBIO: A Journal of the Human Environment, 36(8), S.614-621. doi: 10.1579/0044-7447(2007)36[614:TAAHNO]2.0.CO;2
Steffen, W., Grinevald J, Crutzen P &  McNeill J. (2011): The Anthropocene: conceptual and historical perspectives. Philosophical Transactions of the Royal Society A: Mathematical, Physical and Engineering Sciences, 369(1938), S.842 -867. doi: 10.1098/rsta.2010.0327
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Mittwoch, 29. Juni 2011

WBGU mahnt Evolution des Wissenschaftssystems an

Ach du lieber Darwin, nicht nur die Natur, auch das Wissenschaftssystem muss evolvieren! Prof. Dr. U. Schneidewind, Präsident des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie zu den Vorschlägen des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) für Forschung und Bildung zur Transformation.

Für die „große Transformation“ muss sich das Wissenschaftssystem neu aufstellen

Von Prof. Dr. Uwe Schneidewind, Präsident und wissenschaftlicher Geschäftsführer, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie

Forschung und Bildung zur Unterstützung der
Transformation der Gesellschaft zur Nachhaltigkeit
aus dem aktuellen WBGU-Hauptgutachten (Abb. 8.1-3)
Bonn, Wuppertal 27.06.2011. Seit Mitte Juni 2011 liegt das Hauptgutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Globale Umweltveränderungen (WBGU) der deutschen Bundesregierung vor. Es trägt den Titel „Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation" und zeichnet die Epochenherausforderung der Transformation zu einer globalen Nachhaltigen Gesellschaft eindrucksvoll nach. Dabei gefällt die sozial- und kulturwissenschaftlich aufgeklärte Herangehensweise, in die die technologischen, politischen und ökonomischen Transformationspfade eingebettet sind. Schon der Kern des Gutachtens überzeugt durch seinen differenzierten interdisziplinären Blick. Es wird deutlich, dass der notwendige Umbau mehr ist als eine technologische Revolution. Deswegen erfolgt im Gutachten der Ruf nach einem „neuen Gesellschaftsvertrag“.

Neuer Vertrag zwischen Wissenschaft und Gesellschaft nötig
Das Besondere am WBGU-Gutachten ist sein wissenschaftspolitischer Teil. Er umfasst über 40 Seiten und analysiert schonungslos die fehlende Eignung der aktuellen Wissenschaftspolitik und des Wissenschaftssystems für die Flankierung der „großen Transformation“. Der WBGU macht klar, dass ein Teil eines neuen Gesellschaftsvertrages auch ein neuer „Vertrag zwischen Wissenschaft und Gesellschaft“ sein muss. Nur wenn wir einen relevanten Teil wissenschaftlicher Erkenntnisarbeit auf die Bewältigung der großen globalen Herausforderungen hin ausrichten, werden diese durch die Menschheit beherrschbar sein. In dieser Deutlichkeit wurden bisher von keinem umwelt- und nachhaltigkeitspolitischen Beratergremium der Bundesregierung wissenschaftspolitische Konsequenzen eingefordert.

Es geht um mehr als nur um neue Forschungsprogramme
Dabei geht es um mehr als nur das Auflegen einzelner neuer Forschungsprogramme. Natürlich benötigt z. B. die Umsetzung einer globalen und nationalen Energiewende auch neue Schwerpunktsetzungen in der Energieforschung (siehe „Die aktuelle Kolumne“ vom 13.06.2011: Die Energie(kehrt)wende wird nur mit einer Kurskorrektur der Energieforschung erfolgreich sein). Die im WBGU-Gutachten geleistete umfassende Analyse bestehender Forschungsprogramme auf europäischer und auf nationaler Ebene macht indes deutlich, dass es in der Forschung auch strukturelle Defizite gibt. Und diese liegen nicht nur in falschen inhaltlichen Priorisierungen.

Zu disziplinär, zu Technologie-orientiert
Die teilweise mit viel Geld ausgestatteten Programme im Bereich der Klima- und Nachhaltigkeitsforschung, aber auch der Energie- und Stadtforschung erweisen sich fast in allen Fällen als zu disziplinär und zu Technologie-orientiert: So entsteht zwar ein Flickenteppich an einzelnen Lösungsbausteinen, aber kein besseres Verständnis der komplexen Transformationsprozesse für eine nachhaltige Entwicklung. Um es an einem Beispiel plastisch auszudrücken: Wir schaffen mit viel Mitteln Wissen über immer neue Elektro-Batteriekonzepte, bleiben aber weiterhin naiv bei der Gestaltung grundlegend neuer Mobilitätsmuster. Hier fordert der WBGU ein Umdenken.

Transformationsforschung und transformative Forschung unerlässlich
Der WBGU zielt sowohl auf eine „Transformationsforschung“, das heißt eine Forschung, die Zusammenhänge von umfassenden gesellschaftlichen Transformationsprozessen versteht als auch eine „transformative Forschung“, d. h. eine Forschung, die transformative Prozesse aktiv befördert. Diese Forderungen greifen die Idee einer transdisziplinären Nachhaltigkeitswissenschaft auf, wie sie seit Ende der 1990er Jahren formuliert ist. Deren Ziel ist es, neben System- auch Ziel- und Transformationswissen zu schaffen und sich mit der Forschung an gesellschaftlichen Schlüsselfragen auszurichten. Die Generierung neuen wissenschaftlichen Wissens soll dabei nicht nur über Disziplinen hinweg passieren, sondern auch das Erfahrungs- und Kontextwissens betroffener Akteure einbeziehen. Nur so ist „robustes Wissen“ (Michael Gibbons) für Transformationsprozesse zu gewinnen, das sowohl in das Wissenschaftssystem als auch zu den Akteuren außerhalb der Wissenschaft hin anschlussfähig ist. Das WBGU-Gutachten zeigt viele Beispiele für eine erfolgreiche partizipative Forschung auf. Sie machen deutlich, wie die Zivilgesellschaft aktiv in Wissenschaftsprozesse eingebunden werden kann.


Falsche Strukturen und Anreize im Wissenschaftssystem
Dennoch finden wir solche Formen der transformativen Forschung bisher nur in Nischen. Verantwortlich dafür sind die Strukturen und die Anreizsysteme im Wissenschaftssystem. Inter- und insbesondere transdisziplinär arbeitende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fallen heute in aller Regel durch die Raster der Förderungs-, Publikations- und Karrierelogiken des Wissenschaftssystems. Die etablierten Qualitätssicherungssysteme sind im Wesentlichen auf disziplinäre Forschung hin ausgelegt.

Deswegen macht der WBGU konkrete institutionelle Vorschläge zur Weiterentwicklung des Wissenschaftssystems: Neben einer systematischen Evaluation der bisherigen Forschungsprogramme empfiehlt er u. a. die Einrichtung einer Bundesuniversität, die „schwerpunktmäßig Forschung und Bildung für die Transformation zur Nachhaltigkeit betreibt“, eine Runde der Exzellenzinitiative, die vollständig der Transformation für eine Ressourcen schonende, nachhaltige und lebenswerte Gesellschaft gewidmet ist, aber auch transformationsrelevante Sabbaticals oder die Einführung eines freiwilligen Gesellschaftsjahres „Bildung und Wissenschaft“.

Mit seinem Vorstoß will der WBGU weder die Grundlagenforschung noch die klassische disziplinäre Forschung oder gar die Wissenschaftsfreiheit abschaffen. Aber er fordert neue Gleichgewichte im Wissenschaftssystem ein, um eine stärkere Ausrichtung künftiger Forschung auf die bestehenden gesellschaftlichen Herausforderungen hin zu erreichen.

Den Impuls des WBGU gilt es aufzugreifen
Den wissenschaftspolitischen Impuls des WBGU-Gutachtens gilt es jetzt aktiv aufzugreifen: durch eine bessere Vernetzung der Vorreitereinrichtungen einer transdisziplinären Nachhaltigkeitswissenschaft, die heute schon existieren, durch das Lernen von internationalen Best-Practices sowie durch aktive Mitgestaltung der forschungspolitischen Weichenstellungen auf EU-, Bundes- und Länderebene. Viele Initiativen der letzten Monate stimmen hier optimistisch (vgl. www.nachhaltigewissenschaft.blog.de).
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Dieser Blog wurde im Original auf der Seite des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) gepostet und von dort übernommen. Hier eingestellt von Reinhold Leinfelder

Der Forschung- und Bildungsteil findet sich im WBGU-Gutachten ab S. 341 (im pdf ab Folie 367).
> Direktdownload des WBGU-Gutachtens (5,1 MB)
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Montag, 27. Juni 2011

Glauben und Naturwissenschaft - ein Schülerartikel

Ein Artikel basierend auf Schülerinterviews (Berliner Morgenpost, online Version. Samstag, 25. Juni 2011):

Das schwierige Verhältnis zwischen Glauben und Naturwissenschaft

Bild aus mitteldeutsche-kirchenzeitungen.de
Von Kilian Eissenhauer, Pascal Klose und Benjamin Langner, Kl. 7b, Canisius-Kolleg, Tiergarten

Lassen sich Naturwissenschaften und Glauben miteinander verbinden? Oder gibt es einen Konflikt zwischen beiden? Darüber gibt es immer wieder heftige Diskussionen. Wir haben zum Thema zwei Experten befragt, die aus verschiedenen Lagern kommen: den Berliner Geologen Prof. Reinhold Leinfelder sowie Pater Tobias Zimmermann SJ, den Rektor des Canisius-Kollegs Berlin.

„Wenn die Naturgesetze göttlich sind und die Spielregeln einmal aufgestellt wurden, damit die Welt sich so entwickeln kann, wie sie sich entwickelt hat, dann wäre es ja nicht perfekt, wenn man immer wieder nachjustieren müsste,“ sagt Prof. Leinfelder. Erstaunlicherweise ist Pater Zimmermann als Theologe ähnlicher Meinung: „Ich glaube, wenn man irgendwo in der Schöpfung einen Punkt sucht, den man nicht erklären kann und dann sagt, da muss Gott gehandelt haben, dann macht man einen Fehler.“ Es gibt allerdings einige Menschen, die genau das machen. Heute nennt man diese Leute Kreationisten, also Menschen, die der Meinung sind, dass die wörtliche Auslegung der Heiligen Schriften, insbesondere das 1. Buch Mose, die tatsächliche Entstehung von Leben und Universum beschreiben. Sie glauben, alles wäre Gottes Schaffenswerk, naturwissenschaftliche Erklärungsmodelle haben in ihrer Welt keinen Platz.

Genau so ein Kreationist war zunächst auch Charles Darwin (1809-1862), .... (weiterlesen im Originalartikel)

Sonntag, 22. Mai 2011

Vulkanausbruch führte zur Erfindung des Fahrrads (na ja, indirekt)


Tambora-Ausbruch 1815 (Update: aus Tageswoche)


Mal wieder ist ein Vulkan auf Island ausgebrochen, und wieder ist der Luftverkehr dadurch (zumindest ein bisschen) beeinträchtigt. Soweit bekannt. Vielleicht weniger bekannt ist, dass der Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora im Jahre 1815 auf der nördlichen Hemisphäre zu einem "Jahr ohne Sommer" führte, was zu Missernten und erhöhter Sterblichkeit von Nutztieren führte, und letztendlich wohl die schlimmste Hungersnot des 19. Jahrhunderts zur Folge hatte. Der Vulkanausbruch war übrigens der größte Vulkanausbruch weltweit seit etwa 25.000 Jahren. Seither hat es ebenfalls keinen vergleichbaren Ausbruch mehr gegeben. (> gute Kurzinfo auch auf Wikipedia zum Tamboraausbruch, mit weiteren Literaturangaben).

War auch bekannt? Gut, aber vielleicht ist das hier einigen neu:
Die Einführung zur Geschichte der nach wie vor stark agrarwissenschaftlich geprägten Universität Hohenheim (Stuttgart) beginnt folgendermaßen:

 "1815 explodierte in Indonesien der Vulkan Tambora. Die Eruption löste eine globale Klimaveränderung aus und gilt als eine der Ursachen für die große Hungersnot in Württemberg zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Um die Ernährung im Land radikal zu verbessern, gründete König Wilhelm I. in Hohenheim 1818 eine Landwirtschaftliche Versuchs- und Lehranstalt. Er legte damit den Grundstein der Universität Hohenheim."
(Update 2019: obiger Link funktioniert nicht mehr, aber siehe hier)

Interessant, nicht wahr? Übrigens war das "Jahr ohne Sommer" auch ein zusätzlicher Beweggrund für viele damals, Europa zu verlassen und nach Nordamerika auszuwandern.

Draisine (aus Wikipedia)
Und nachdem heute in Berlin ein gigantisches Marathonfahrradrennen läuft, ist vielleicht folgendes auch nett zu wissen (bin drübergestolpert, weil ich ein bisschen TV-gezappt habe):

Das Fahrrad  wurde 1817 (in seiner archaischen Form, dem Laufrad, Draisine) von Karl Freiherr von Drais erfunden. Und wie kam es dazu? Schon wieder der Tambora-Ausbruch 1815, genauer, die dadurch verursachte Hungersnot, mit der Folge, dass auch kein Hafer für die Pferde verfügbar war und diese stark dezimiert wurden. Das gab der Draisine als Alternative zu Pferd und Pferdekutsche erst einmal Auftrieb (später wurde sie allerdings wegen zu hoher Unfallgefahr vorübergehend verboten (update, siehe hier) ). Nett ist auch der englische Name für die Fahrraddraisine: The Dandy Horse. Fahrradfreaks ist dies sicherlich alles bekannt, mir war es neu (siehe auch hier).

Ein Vulkanausbruch war also indirekt dafür verantwortlich, dass es zu einer Universitätsgründung sowie der Erfindung des Fahrrads kam! Ein gutes Beispiel, wie geologische Vorgänge Katastrophen auslösen können, aber auch, wie der Mensch aus solchen Katastrophen lernen kann. Übrigens, wird ein anderer, früherer Vulkanausbruch (1783, Laki, Island) vom Guardian mitverantwortlich für den Ausbruch der Französischen Revolution gemacht. Vulkanausbrüche als Katastrophen für die Menschen, aber auch als Treiber für Technologie und Gesellschaft.

Nachtrag: die Fahrrad-Draisine kommt wieder, als High-Tech-Gerät.

(Nachtrag Juli 2019: obiger Beitrag ist 2011 geschrieben. Einige inzwischen tote Links wurden soeben geupdatet. Mehr zum Tambora-Ausbruch 1815 und dem Jahr ohne Sommer 1816 erschien 2016 hier: https://boris.unibe.ch/83607/1/tambora_d_web.pdf )

Freitag, 15. April 2011

Eine neue Kultur(r)evolution: die Große Transformation

von Reinhold Leinfelder

Der AdlD-Blog beschäftigt sich besonders gerne auch mit Themen der kulturellen Evolution. Heute wollen wir's da gleich mal ganz groß haben (sorry, bisschen kleiner geht nicht): Um die Erde auch weiterhin für alle nutzen zu können, ist Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit der globalen Weltgesellschaft maßgeblich. Unabdingbare (aber nicht hinreichende) Voraussetzung zur Nachhaltigkeit ist das Verhindern eines globalen mittleren Temperaturanstiegs um mehr als 2 Grad Celsius. Dies ist jedoch nicht allein mit politischen "top down"-Regelungen erreichbar, sondern insbesondere durch ein Umdenken und Übernehmen von globaler und generationenüberschreitender Verantwortung durch alle gesellschaftlichen Gruppen und jeden einzelnen. Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) hat vergangenen Donnerstag der Bundesregierung sein Gutachten mit dem Titel "Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation" übergeben und sieht diese als einen zielorientierten global-gesellschaftlichen, teils evolutionären Suchprozess an. Nach der neolithischen und industriellen (R)Evolution ist nun also erstmalig eine Nachhaltigkeits-(R)Evolution notwendig. Es wird sich zeigen, ob es dem Menschen als Produkt aus biologischer und kultureller Evolution gelingt, diese gigantische Aufgabe noch dazu unter Zeitdruck zu meistern. Nachfolgend finden Sie die Presseerklärung zum Gutachten. Die Zusammenfassung für Entscheidungsträger finden Sie unter www.wbgu.de (ab Juni wird dort auch die finale Version des Gutachtens in einigen Wochen hinterlegt werden).


Presseerklärung

Klimaverträgliches Wirtschaften und nachhaltige Entwicklung:

Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation
 

Berlin, den 7. April 2011. Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) übergibt heute sein neues Hauptgutachten „Welt im Wandel: Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“, an Bundesforschungsministerin Annette Schavan und Bundesumweltminister Norbert Röttgen. Der WBGU begründet in diesem Bericht die dringende Notwendigkeit einer post-fossilnuklearen Wirtschaftsweise, zeigt zugleich die Machbarkeit der Wende zur Nachhaltigkeit auf und präsentiert zehn konkrete Maßnahmenbündel zur Beschleunigung des erforderlichen Umbaus. Damit die Transformation tatsächlich gelingen kann, muss ein Gesellschaftsvertrag zur Innovation durch einen neuartigen Diskurs zwischen Regierungen und Bürgern innerhalb und außerhalb der Grenzen des Nationalstaats geschlossen werden. Nur mit einem tiefen gemeinsamen Verständnis von klimaverträglicher Wertschöpfung und nachhaltiger Entwicklung lässt sich die globale Krise der Moderne überwinden. Mit dem Gutachten zeigt der WBGU Perspektiven für die Zukunft nachhaltigen Wirtschaftens auf, die nach dem atomaren Desaster von Fukushima erst Recht auf der Agenda der nationalen und internationalen Politik stehen müssen.

Die Welt im Umbruch
 Die Demokratiebewegungen, die gegenwärtig die Machtstrukturen der arabischen Welt erschüttern und die in kürzester Zeit zu kaum vorstellbaren Umwälzungen geführt haben, zeugen – wie etwa auch der Fall der Berliner Mauer im Jahre 1989 – von der Wirkungsmacht transformativer Kräfte, welche sich mitunter lange im Verborgenen aufbauen. Aus diesen Entwicklungen lassen sich vor allem zwei Lehren ziehen: Erstens ist die Zeit oft bereits reif für einschneidende Veränderungen, auch wenn die Oberfläche einer Gesellschaft noch den Eindruck von Stabilität vermittelt. Dies gilt nicht nur für das verstärkte Streben nach Selbstbestimmung und Teilhabe in vielen Regionen der Erde, sondern zeigt sich auch am klar belegten globalen Wertewandel in Richtung Nachhaltigkeit. Zweitens wirft das Taumeln der auf Öl- und Gasförderung gestützten autokratischen Systeme ein grelles Licht auf die immensen ökonomischen, politischen und sozialen Kosten einer Weltwirtschaft, welche fast ausschließlich von fossilen Energieträgern angetrieben wird – von den ökologischen Schäden ganz zu schweigen. Überdies verdeutlicht die atomare Tragödie in Japan, dass schnelle Wege in eine klimaverträgliche Zukunft ohne Kernenergie beschritten werden müssen. Das herkömmliche industrielle Modell zeigt international bereits Erosionserscheinungen. In vielen Ländern erleben die erneuerbaren Energien ein stürmisches Wachstum. Zahlreiche Regierungen, Städte und Unternehmen setzen klimaverträgliche Zukunftskonzepte in die Praxis um. In allen Bereichen der Gesellschaft gibt es Pioniere des Wandels, die sich aktiv für Dekarbonisierung und Ressourcenschutz einsetzen. Der WBGU bezeichnet diesen kraftvoll einsetzenden Strukturwandel als die „Große Transformation“ von der fossilen zur post-fossilen Gesellschaft – vergleichbar mit dem Übergang von der Agrargesellschaft zur kohlegestützten Mechanisierung im 18. Jahrhundert.

Eine Zukunft ohne Nuklearenergie
Nach Einschätzung des WBGU ist anspruchsvoller globaler Klimaschutz auch ohne Kernenergie möglich. Dies zeigen nicht zuletzt die Analysen des WBGU in seinem neuesten Gutachten. Im Zentrum jeder Dekarbonisierungsstrategie muss der massive Ausbau der erneuerbaren Energien und der dafür erforderlichen Infrastruktur stehen. Die Energiewende zur Nachhaltigkeit kann jedoch nur dann gelingen, wenn zugleich die gewaltigen Potenziale zur Effizienzsteigerung ausgeschöpft werden und die Änderung verschwenderischer Lebensstile, insbesondere in den Industrie- und Schwellenländern, kein Tabu mehr sind.
In einer Reihe von Ländern ist derzeit ein Ausbau der Kernenergie geplant. Davon rät der WBGU dringend ab, insbesondere wegen der nicht vernachlässigbaren Risiken schwerster Schadensfälle, der ungeklärten Endlagerungsproblematik und dem Risiko unkontrollierter Proliferation. Bestehende Kapazitäten sollten so rasch wie möglich durch nachhaltige Energietechnologien ersetzt und bei erkennbaren Sicherheitsmängeln umgehend stillgelegt werden. Der Ausstieg aus der Kernenergie darf aber nicht durch den Wiedereinstieg oder die Verstärkung von Energieerzeugung aus Braun- und Steinkohle kompensiert werden.

Blockaden überwinden und Wandel beschleunigen
Soll die Transformation zur klimaverträglichen Gesellschaft gelingen, müssen wir nicht nur das Innovationstempo forcieren, sondern auch aufhören, den Wandel zu blockieren. Das ist eine der zentralen Botschaften des WBGU. Eine zureichende Investitionsdynamik für eine zukunftsfähige Weltwirtschaft kann sich nur dann entfalten, wenn Subventionen für fossile Energieträger abgebaut werden, die weltweit im hohen dreistelligen Milliardenbereich liegen. Zudem müssen die externen Kosten des kohlenstoffbasierten Wachstums berücksichtigt werden, um Preissignale und dadurch Anreize für klimafreundliche Unternehmungen zu setzen.
Klimaschutz ist unbestritten eine notwendige Grundbedingung für eine global nachhaltige Entwicklung. Der WBGU hat mehrfach aufgezeigt, dass die Weichen für die weltweite Dekarbonisierung noch in diesem Jahrzehnt gestellt werden müssen. Nachhaltige Entwicklung bedeutet aber mehr als Klimaschutz, denn die Lebensgrundlagen der Menschheit umfassen viele weitere Naturgüter wie fruchtbare Böden und biologische Vielfalt.

Neuer Gesellschaftsvertrag
Die Transformation zur nachhaltigen Gesellschaft erfordert einen modernen Orientierungsrahmen für ein „gutes Zusammenleben“ von bald neun Milliarden Menschen mit sich und der Natur - einen neuen „Contrat Social“. Ein solcher, weitgehend virtueller Gesellschaftsvertrag beruht nicht zuletzt auf dem Selbstverständnis jedes Einzelnen als verantwortungsbewusstem Erdenbürger. Dieser Kontrakt wird auch zwischen Generationen geschlossen. Die Wissenschaft spielt hierbei eine essentielle Rolle, da ein tiefgreifender Wandel in historisch einmaliger Weise nicht aus unmittelbarem Zwang, sondern vorsorglich und aus wohlbegründeter Einsicht erfolgen muss. Insofern umfasst dieser Gesellschaftsvertrag auch eine besondere Übereinkunft zwischen Wissenschaft und Gesellschaft; dies ist eine weitere zentrale Botschaft des WBGU.
Ebenso geht es um eine neue Kultur demokratischer Teilhabe. Dafür werden im Gutachten zahlreiche Möglichkeiten vorgeschlagen, beispielsweise die Ernennung von Ombudsleuten zur Wahrung von Zukunftsinteressen. Mit der Aufnahme eines Staatsziels „Klimaschutz“ im Grundgesetz und einem Klimaschutzgesetz kann diese Nachhaltigkeitsorientierung konkret abgesichert werden. Der WBGU macht auch deutlich, dass eine klimaverträgliche Transformation nur erfolgreich sein kann, wenn sie in vielen Regionen der Welt zugleich vorangetrieben wird. Der Gesellschaftsvertrag umfasst daher auch neue Formen globaler Willensbildung und Kooperationen jenseits des Nationalstaats. In diesem Kontext empfiehlt der WBGU unter anderem die Schaffung eines dem Weltsicherheitsrat ebenbürtigen Rates für Nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen und die Bildung von Klima-Allianzen zwischen Staaten, Städten und Unternehmen.

Zehn Maßnahmenbündel
Der Ausstoß von Treibhausgasen erfolgt überwiegend durch die Energiewirtschaft und die Landnutzung, wobei die dramatische globale Urbanisierung eine entscheidende Rolle spielt. Damit sind drei zentrale Transformationsfelder benannt, wo Strategien zur Senkung von Emissionen schnell und umfassend greifen müssen. In diesem Zusammenhang empfiehlt der WBGU detailliert beschriebene Maßnahmenbündel, die besonders für die Beschleunigung und Verbreiterung des Übergangs zur Nachhaltigkeit geeignet sind:

  1. Um eine Dekarbonisierung weltweit voranzutreiben, sollte der Staat seine Rolle als Gestalter bewusst wahrnehmen. Dies ist jedoch nur zu legitimieren, wenn gleichzeitig den Bürgerinnen und Bürgern bessere Partizipationsmöglichkeiten eingeräumt werden.
  2. Das Treibhausgas CO2 sollte möglichst rasch und global mit einem angemessenen Preis belegt werden.
  3. Eine europäische Energiepolitik, die auf eine vollständige Klimaverträglichkeit des Energiesystems bis spätestens 2050 zielt, sollte schleunigst entwickelt und umgesetzt werden. Sie muss Partnerschaften mit Nordafrika gezielt fördern.
  4. Einspeisevergütungen für erneuerbare Energien sollten weltweit eingeführt werden.
  5. Entwicklungspolitik sollte insbesondere darauf zielen, dass die 2,5 bis 3 Mrd. Menschen, die heute in Energiearmut leben, Zugang zu nachhaltigen Energien bekommen.
  6. Große Anstrengungen sollten unternommen werden, um die sich beschleunigende weltweite Urbanisierung nachhaltig zu gestalten.
  7. Die Landnutzung sollte klimaverträglich gestaltet werden, insbesondere die Agrikultur und die Waldwirtschaft.
  8. Zur Finanzierung der Transformation und der erforderlichen massiven Investitionen sollten verstärkt neue Geschäftsmodelle herangezogen werden, die helfen, vorhandene Investitionsbarrieren abzubauen.
  9. In der internationalen Klimapolitik sollte weiterhin auf ein ambitioniertes globales Abkommen hingearbeitet werden. Zugleich muss die multilaterale Energiepolitik die weltweite Verbreitung klimaverträglicher Technologien fördern.
  10. Die Vereinten Nationen sollten in die Lage versetzt werden, wirksame Beiträge zur Transformation zu leisten. Entwicklungsorganisationen sollten zu Transformationsagenturen für Nachhaltigkeit umgebaut werden. Die G 20 sollten einen Fahrplan für wirtschaftliche Entwicklung innerhalb der Grenzen des planetarischen Systems erarbeiten. Die Rio+20-Konferenz im Jahr 2012 bietet eine einmalige Gelegenheit, um weltweit die Weichen in Richtung Klimaverträglichkeit zu stellen.

Wissen und Gesellschaft
Trotz der breit akzeptierten Ziele und der bereits verfügbaren zukunftsfähigen Technologien ist die Transformation ein gesellschaftlicher Suchprozess. Forschung und Bildung kommt die Aufgabe zu, gemeinsam mit Politik und Bürgerschaft nachhaltige Visionen zu entwickeln, geeignete Entwicklungspfade zu identifizieren sowie klimaverträgliche und ressourcenschonende Innovationen zu verwirklichen. Aus diesem Grund empfiehlt der WBGU, die Forschung national und international stärker auf die Große Transformation auszurichten und die dafür notwendigen Mittel bereit zu stellen. Die relevanten wissenschaftlichen Erkenntnisse müssen überdies jedermann zugänglich und verständlich gemacht werden, damit die Menschen den Wandel akzeptieren und demokratisch mitgestalten können.

Hauptschauplätze der Transformation
Speziell beim Aufbau klimaverträglicher Energiesysteme besteht die Herausforderung darin, die Energiearmut in den Entwicklungsländern zu beenden und gleichzeitig die globalen CO2-Emissionen aus der Nutzung fossiler Energieträger rasch und drastisch zu mindern. Damit dies gelingt, darf die globale Endenergienachfrage nur noch unwesentlich steigen – sie liegt heute bei etwa 350 Exajoule (EJ) pro Jahr und sollte 2050 nicht mehr als 400–500 EJ pro Jahr betragen. Effizienzverbesserungen und Lebensstiländerungen sind daher in vielen Alltagsbereichen erforderlich. Aufgrund der großen Energienachfrage in Städten bildet die rasche Urbanisierung einen besonderen Brennpunkt. Für den Aufbau klimaverträglicher Energiesysteme gibt es aus technologischer Sicht verschiedene realistische Möglichkeiten. Der WBGU empfiehlt eine Strategie, die primär auf den beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien setzt. Der WBGU rät von einem Ausbau der Kernenergienutzung ab. CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS) ist dagegen eine notwendige Klimaschutzoption für Länder, die übergangsweise weiterhin fossile Energien einsetzen. CO2-Sequestrierung könnte später auch eine wichtige Technologie darstellen, der Atmosphäre aktiv CO2 zu entziehen. In der Landnutzung liegt das Hauptaugenmerk auf der raschen Beendigung von Waldrodung und Walddegradation sowie auf der Förderung von klimaverträglicher Landwirtschaft und Ernährung. Der WBGU zeigt, dass die Kosten der Transformation signifikant gesenkt werden können, wenn in Europa gemeinsame Dekarbonisierungsstrategien umgesetzt werden. Auch stellt die Transformation für Europa eine große Chance dar, innovationsgetriebene Beiträge zu einer zukunftsfähigen Globalisierung zu leisten.

Das neue Gutachten
Die Zusammenfassung für Entscheidungsträger ist bereits öffentlich verfügbar. Die jetzt vorliegende Übergabefassung des gesamten Gutachtens für die Bundesregierung wird noch abschließend editiert. Die zitierfähige gedruckte Buchausgabe in Deutsch erscheint im Juni und wird im April in elektronischer Form veröffentlicht.

Der WBGU
Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) wurde 1992 im Vorfeld der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung („Erdgipfel von Rio“) von der Bundesregierung als unabhängiges wissenschaftliches Beratungsgremium eingerichtet. Er hat neun Mitglieder, die für jeweils vier Jahre von der Bundesregierung berufen werden.

(Die Mitglieder des WBGU:

v.l.n.r: Nebojsa Nakicenovic, Hans Joachim Schellnhuber (Vorsitzender), Inge Paulini (Generalsekretärin), Claus Leggewie, Sabine Schlacke, Stefan Rahmstorf, Renate Schubert, Jürgen Schmid, Reinhold Leinfelder, Dirk Messner (stellv. Vorsitzender).

Sonntag, 10. April 2011

Evolution und Biodiversität als Comic

Comics und Cartoons erleben nicht nur eine Renaissance, sie sind offensichtlich auch ganz besonders geeignet, um neue Übersetzungswege und neue Interessenten für Wissenschaftsthemen zu finden. Einer der renommiertesten Comiczeichner ist sicherlich Jens Harder. Sein Buch Alpha directions, ein Band einer Trilogie zur Darstellung der Entwicklung der Erdgeschichte und der Evolution, hat Maßstäbe gesetzt, viele Fans fiebern bereits dem nächsten Band entgegen. Alpha directions wurde im Museum für Naturkunde Berlin vorgestellt, die Medien berichteten eifrig, etwa die Berliner Morgenpost (vom 26.5.2010):

"Das Jahrhundertwerk entsteht mit Blick auf den Fußballplatz. Jens Harder beugt sich tief über den Glastisch, wenn er zeichnet, dann taucht er in Epochen mit Namen wie Kryptozoikum oder Känozoikum ein. Und das ist ein gewaltiger Schritt zurück, denn das Känozoikum, die Erdneuzeit, begann vor gut 65 Millionen Jahren. Lange her! Momentan ist Jens Harder mit dem Paläolithikum beschäftigt, der Altsteinzeit, in der der Mensch sich in Wäldern und Savannen herausbildet.
Er stellt dar, wie der Mensch den aufrechten Gang lernt, wie er Nahrung sucht und Werkzeuge entdeckt. Wenn der Zeichner den Stift beiseite legt und hochschaut, sieht er homo sapiens in kurzen Hosen, die im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark trainieren. Alle Menschheitsgeschichte ist zugleich auch Gegenwart. Und umgekehrt.  ..." (> ganzen Artikel lesen).
Eine Rezension mit Bildstrecke aus Alpha directions gibt es auf Spiegel online.
 
Nun hat es auch mich erwischt. Der ebenfalls cartoon-o-phile Illustrator Jan Feindt, der auch das wunderschöne Buch "Tiefsee: Von Schwarzen Rauchern und blinkenden Fischen" von Dagmar Röhrlich (Mareverlag, 2010) illustrierte,  hat nun ein von mir gegebenes Interview zur Bedeutung der Biodiversität zusammen mit Autorin Alexandra Hamann in einen Cartoon umgesetzt. Wer Interesse hat, kann ja mal schauen. Das Museum für Naturkunde ist mit Dinosauriersaal und Biodiversitätswand sehr gut zu erkennen. Meine Person wurde vom Zeichner aus "künstlerischen Gründen" allerdings bewusst deutlich verfremdet. So sollte man auch meinen erhobenen Zeigefinger nicht als zu realistisch betrachten ;-)
Das Cartoon-Interview ist unter dem Namen "Diversity Inaction" auf der US-amerikanischen Cartoon-Movement-Website veröffentlicht und thematisiert insbesondere den Bienentod, der insbesondere in den USA massenhaft auftritt.

(zur aktuellen Diskussion um den massenhaften Bienentod siehe auch Focus online-Artikel)


Buchempfehlung:
"Tiefsee: Von Schwarzen Rauchern und blinkenden Fischen" von Dagmar Röhrlich, mit Illustrationen von Jan Feindt (Mareverlag, 2010)
Rezension u.a. auf NDR

Samstag, 12. Februar 2011

Erdbebengrollen in der Darwin-Lücke, am 202. Geburtstag von Charles Darwin

 von Reinhold Leinfelder

Nein, lieber Charles Darwin, wir haben deinen heutigen 202. Geburtstag nicht vergessen, auch wenn uns derzeit die Ereignisse in Ägypten (Evolution? Revolution? Intelligent Design?) oder die Berlinale (Survival of the Prettiest? Survival of the Wittiest?) ein bisschen ablenken. Allzuviel findet man zu deinem heutigen Geburtstag tatsächlich nicht im Netz. Immerhin, etliche Birthday Dinners und sonstige Feierlichkeiten, insb. an US-Museen, auch eine Darwin-Resolution gibt es nochmals, außerdem einige Berichte zum Leben und Wirken Darwins, sogar einen Hinweis auf die DNA-Untersuchung des Enkels von Charles Darwin, sowie das Übliche sonstige: ein bisschen was zum Kreationismus, sowie die übliche Instrumentalisierung Darwins zum Diskreditieren jeglicher Religion.



Aber wir freuen uns mit dir insbesondere über die vielen Geburtstagskuchen, die du heute bekommen hast. Was? Gar nicht bekannt? Also, der Bake-A-Cake-For-Darwin-Contest des Beaty Biodiversity Museums in Vancouver ist doch wirklich etwas ganz Feines. Guten Appetit und Alles Gute für die nächsten 98 Jahre.


Die Darwin-Cakes gibt es hier:
http://www.flickr.com/photos/beatymuseum/sets/72157625873558025/
http://www.flickr.com/photos/beatymuseum/
(übrigens gefunden via http://www.macnotes.de/2011/02/12/kolumne-rumble-in-the-jungle/ . Apple verwendet ja im Betriebssystem den Darwin-Core). 

Das wichtigste und erfreulichste ist jedoch, dass das Thema Evolution nach dem 200. Geburtstag von Charles Darwin nicht wieder verschwunden ist, sondern dass die Evolutionsthemen des Darwin-Jahrs 2009 ins UN-Biodiversitätsjahr 2010 übergingen und hierbei auch immer wieder betont wurde, dass die Biodiversität nichts anderes als das Produkt der Evolutionsfaktoren Variabilität, Anpassung und Selektion darstellt (wobei jedoch der menschengemachte Selektionsdruck der Anpassungsfähigkeit und der Variabilität heute zu starke Grenzen setzt). Nun begehen wir das Internationale Jahr der Wälder 2011, auch dies gewissermaßen ein Thema Charles Darwins, denn seine erste Station nach der Überfahrt über den Atlantik war der Besuch des brasilianischen Regenwalds hinter Salvador da Bahia. Er fand ihn so faszinierend, dass er sicherlich auch daraus die Kraft schöpfte, möglichst vieles zu erkunden.

Also, lieber Darwin, spätestens seit dir wissen wir ja, dass alles in der Natur mit rechten Dingen zugeht.

Aber wir wissen auch, dass du damals beim gigantischen Erdbeben in der Region Conceptíon/Chile vom 20.2.1835, als du selbst in Valdivia/Chile warst sehr erschrocken bist.
Obwohl die Region der Anden und ihres Vorlandes enorm erdbebenaktiv ist, hat es gerade dort dann so lange nicht mehr gebebt, dass Geologen die 200 km lange Zone zwischen Concéption und Constitucíon nach dir sogar "Darwin-Lücke" genannt haben.

Diese Lücke ist extrem gefährlich, wie die Welt am 27.2.2010 erfahren musste, denn es stauten sich gefährliche Spannungen auf, die sich im Februar 2010 wiederum in einem sehr schweren Beben der Magnitude 8.8 entluden, dem 700 Menschen zum Opfer fielen. Wissenschaftler warnten danach, dass sich nicht die gesamte Darwin-Lücke entspannt habe. Sie hatten recht, denn nicht nur zum Jahresbeginn 2011 gab es ein weiteres schweres, jedoch glimpflich ausgehendes Beben. Nein, ausgerechnet heute an deinem Geburtstag gab es gleich zwei weitere schwere Beben in der Region von Conceptíon. Wir wissen also auch dank dir und deines Geologie-Mentors Charles Lyell, dass sich Erdbeben ganz natürlich erklären lassen, dass auch die Koninzidenz deines Geburtstags mit dem Beben in der nach dir benannten Region nichts anderes als eine Zufälligkeit innerhalb einer statistischen Wahrscheinlichkeit für weitere Beben dieser Region ist, dass also alles mit natürlichen Dingen zuging und keinesfalls ein Attentat fundamentalistischer Wissenschaftsleugner auf deinen Geburtstag war. Immerhin dies ist doch beruhigend.

Montag, 7. Februar 2011

Archaeopteryx wird 150

von Reinhold Leinfelder

Im Jahr 2011 gibt es schon wieder einen Evolutionsgeburtstag zu feiern: Archaeopteryx, der Urvogel, selbst etwa 150 Millionen Jahre alt, wurde vor 150 Jahren erstmalig gefunden. Diesen Anlass greifen die Medien bereis auf und berichten wieder verstärktüber den Urvogel. Seit seiner Entdeckung kommt er also aus den Schlagzeilen kaum raus.

  • Im Darwin-Jahr 2009 berichtete ADLD erst einmal, wie Kreationisten den Evolutions-Paradebeleg Urvogel aus "von mysteriösen Fundumständen begleitet" abzuqualifizieren versuchten, aber dabei vergeblich waren (> AdlD). 
  • Dann gab es aber ganz real nicht nur ein Stelldichein der meisten Exemplare in München, sondern insbesondere die überfällige Regelung, das 10. Urvogel-Exemplar dauerhaft für Forschungs- und Ausstellungszwecke zugänglich zu machen (AdlD berichtete hier und hier). 
  • 2010 wurden faszinierende neue Ergebnisse zu den (eher geringen) Flugkünsten von Archie bekannt (> AdlD) und dieses Jahr nun also Jubiläum.
Die neue Archaeopteryx-Münze (von der
Webseite des Bundesfinanzministeriums)

Der Höhepunkt wird die Herausgabe einer 10-Euro-Gedenkmünze Archaeopteryx sein, die am 11. August 2011 ausgegeben wird und online bereits zu bewundern ist, abgebildet ist das bekannteste, das Berliner Exemplar. Außerdem gibt es gleich noch eine Sonderbriefmarke Archaeopteryx 55 Cent, die ebenfalls am 11.8. 2011 herauskommt. Einige Entwürfe gibt es online zu sehen:

Aber die Medien warten nicht bis dahin, hier also ein paar aktuelle Berichte zu Archaeopteryx:

Neue Zürcher Zeitung, 6.2.2011 

Darwins Kronzeuge. Bis heute ist das Fossil des Archäopteryx eines der wichtigsten Beweisstücke der Evolutionstheorie

"Fossilien sind spannende Zeugen der Erdgeschichte, und manchmal ist auch die Geschichte der Funde selbst alles andere als langweilig. Dies trifft besonders auf das wohl bekannteste versteinerte Tier überhaupt zu, den Urvogel Archäopteryx, der 1861, vor genau 150 Jahren, im Solnhofener Plattenkalk gefunden wurde.
Dabei sind es nicht nur wissenschaftliche Aspekte, mit denen Archäopteryx die Fachwelt und Öffentlichkeit gleichermassen in Atem hält. Eine Mischung aus persönlichen Befindlichkeiten, knallhartem Faktenstreit und finanziellen Forderungen hat seit der Entdeckung des Urvogels einigen Wirbel verursacht. Die 10 bekannten Archäopteryx-Exemplare sorgen auch heute immer wieder für Gelehrtenstreit und Schlagzeilen in der Tagespresse, was über einen so langen Zeitraum wohl keiner anderen Tierart gelungen sein dürfte..."(> weiterlesen)


Neue Zürcher Zeitung, 6.2.2011

Gute Geschäfte mit einem Fossil

"Nachdem der erste Fund eines Archäopteryx nach London verkauft worden war, wollten deutsche Zoologen wenigstens das zweite Exemplar im eigenen Land behalten.
Der stolze Besitzer war Ernst Otto Häberlein. Mit dem Verkauf des ersten Archäopteryx hatte bereits sein Vater viel Geld verdient. Die Preisvorstellungen waren auch dieses Mal so horrend, dass die Bayerische Staatssammlung passen musste. Auch die Yale University konnte nicht mithalten, und selbst eine Bittschrift an den Kaiser Wilhelm I. führte nicht zum Erfolg, was den deutschstämmigen Genfer Zoologieprofessor und späteren Nationalrat Carl Vogt zu der Bemerkung bewegte, der Kaiser hätte sich wohl für einen Ankauf entschieden, wenn es sich um ein versteinertes Gewehr gehandelt hätte. Der von Vogt eingefädelte Ankauf für das Genfer Museum platzte zwar, aber immerhin durfte er das Fossil wissenschaftlich beschreiben und dessen erstes Foto publizieren. ..." (> weiterlesen)


Spiegel Online, 6.2.2011

Wie die Natur die Feder erfand

"Wie wurden aus Dinosauriern Vögel? Unter Evolutionsforschern ist die Frage seit Jahren umstritten. Eine zentrale Rolle spielt die Entwicklung der Feder. "National Geographic"-Autor Carl Zimmer über ein Wunderwerk der Natur, das Wissenschaftler bis heute vor Rätsel stellt. ..." (> weiterlesen)


PaloAltoPatch, 26.1.2011

SLAC Scientist Uncovers Secrets of 150 Million-Year-Old Bird

"Using powerful X-rays from Stanford's synchrotron, SLAC National Accelerator Laboratory scientist Uwe Bergmann has analyzed the chemistry within an archaeopteryx fossil and feather and found a unique relation to the modern bird. ..." (> weiterlesen)
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