Mittwoch, 28. Oktober 2009

Neues von Archie 8 und 10 - Neue Art dazu, alte Art weg und neue Besuchsrechte?

von Reinhold Leinfelder
(mit Nachtrag vom 5.11.09, am Ende des Artikels)

Nun wird es erfreulicher: endlich steht mehr die Wissenschaft rund ums Archaeopteryx-Treffen, weniger die Fossilhändler im Vordergrund (> AdlD Bericht vom 26.10.). Wollen wir hoffen das dies so bleibt.

Sehr positiv ist, dass nun die Wissenschaft die Möglichkeit hat, die sechs derzeit in München befindlichen Archaeopteryx-Exemplare seit Montag bis morgen (29.10.09) wissenschaftlich direkt zu vergleichen. Ab Freitag sind die Urvögel dann auf den eigentlichen Mineralientagen zu sehen (> PM Mineralientage)

Auch in dem Medien wird nun die Wissenschaft stärker betont, etwa in der WELT online vom 27.10.09 oder - generell zu Archaeopteryx - in der FAZ vom 28.10.09. Ein paar Beispiele seien genannt.

Abbildung: Wissenschaftler untersuchen die Archaeopteryx-Exemplare an der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie. Screenshot aus BR-Rundschau vom 26.10.09

Wieviele Archaeopteryx-Arten gibt es?
Ist Archie 7 keine eigene Art? Der Münchner Merkur vom 27.10.09 zitiert den US-amerikanischen Paläontologen. Zitat aus dem Artikel:
"Mark Norell, Chef-Paläontologe des Amerikanischen Naturhistorischen Museums in New York, ist bereits angereist. „Wie schnell wuchsen diese Tiere und wie lange lebten sie?“, will er wissen. Dafür entnimmt er den Skeletten mikroskopisch kleine Proben. Kürzlich hat er so das Exemplar untersucht, das seit 1999 im Besitz der Bayerischen Staatsammlung für Paläontologie ist und von dem ein täuschend echter Abguss im Museum ausgestellt wird. Heraus kam: Es war ein Jungtier und keine neue Art, wie lange angenommen wurde." (> ganzer Artikel).

Norell bezieht sich auf das 7. Urvogel-Exemplar, das Münchner Exemplar, welches ja im Unterschied zu den anderen Urvogel-Exemplaren, die als Art Archaeopteryx lithographica bezeichnet werden, als eigene Art, nämlich Archaeopteryx bavarica definiert wurde. Hier gab es immer wieder unterschiedliche wissenschaftliche Auffassungen. Es könnte durchaus sein, wie die FAZ heute (28.10.09) generell zu Archaeopteryx schreibt, dass es sich bei allen Exemplaren um Jungexemplare handelt, damit wären insbesondere Größenunterschiede der Exemplare, aber auch gewisse Verknöcherungsstadien im Brustbereich kein gutes Artunterscheidungskriterium. Der Artnamenwechsel ist übrigens auch früher schon einem anderen Archaeopteryx-Fund passiert. Das 2. Exemplar, das Berliner Exemplar wurde ebenfalls ursprünglich als eigene Art geführt, nämlich Archaeopteryx siemensii. Die meisten Wissenschaftler waren sich später allerdings einig, dass A. siemensii mit A. lithographica identisch ist, wenn auch wieder einmal Größenunterschiede vorhanden sind. Aber es gibt weiterhin Wissenschaftler, die an der Art A. siemensii festhalten. Und da Archie 10 auch eng mit Archie 2 in Verbindung gebracht wurde, könnte das sogar für Archie 10 gelten (> siehe Literaturverzeichnis hier, sowie auch Synonymieliste zum 10. Exemplar hier). Ob A. bavarica nun auch zu A. lithographica wird, bleibt den Spezialisten zur weiteren Untersuchung überlassen.

Archie 8 eine neue Art? Es mag erste Hinweise dafür geben, dass der nun im Original präsentierte mehrere 100.000 Jahre jüngere, sehr fragmentarische Fund eines 8. Archaeopteryx-Exemplars eine neue Art sein könnte. Dies gilt zumindest gemäß einer gestrigen dpa-Meldung, die in ZEIT online und einigen weiteren Pressemedien publiziert wurde: Die Meldung lautet:

"München (dpa) - Bei einem lange verschollenen Archaeopteryx- Fossil handelt es sich möglicherweise um eine neue Art. Das habe ein erster Vergleich des nun wiedergefundenen Fossils mit anderen Urvögeln ergeben.
Die Urvögel befänden sich derzeit für eine Ausstellung in München, sagte der neue Besitzer des Fossils, Raimund Albersdörfer aus Schnaittach bei Nürnberg am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur dpa. Mehrere Forscher hatten das Fossil in der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie inspiziert. Die genaueren Untersuchungen, ob es sich um eine neue Art handele, werden allerdings mehrere Wochen oder sogar Monate dauern, wie der stellvertretende Direktor der Staatssammlung, Winfried Werner, und der Paläontologe Oliver Rauhut sagten. «Es steht noch nicht fest - es bedarf detaillierter Untersuchungen», betonte Werner. Weltweit sind zehn Exemplare der Urvögel bekannt. Zwei davon, die Nummern 3 und 8, waren jahrzehntelang verschollen, Nummer 8 tauchte jetzt wieder auf. «Es zeichnet sich beim 8. Exemplar schon ab, dass es sich um eine neue, der Wissenschaft noch nicht bekannte Art handelt», sagte der Besitzer, der selbst Geologe und Fossilienhändler ist. Er habe vorgeschlagen, das neue Fossil als Daiting-Exemplar zu bezeichnen, das es in Daiting südwestlich von Solnhofen gefunden wurde." (aus ZEIT-newsticker)

Tatsächlich wäre eine eventuelle neue Art jedoch erst begründet, wenn die wissenschaftlichen Untersuchungen abgeschlossen und publiziert sind. Immer wieder auch kann auch der Wunsch der Vater des Gedankens sein. Auch die generellen bekannten Schwierigkeiten der Artabgrenzung bei der Gattung Archaeopteryx (siehe oben) sind zu berücksichtigen. Dennoch: Oliver Rauhut von der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie meinte in der BR-Rundschau vom 26.10., es gelte zu untersuchen, ob es auf den Inseln der Oberjura-Welt vor 150 Jahren tatsächlich bereits Anpassungsvielfalt wie etwa bei den berühmten Galapagos-Finken gab. Auf den Galapagos-Inseln kommen ja auch auf engem Raum viele unterschiedliche Arten vor, die sich insbesondere in ihrer Schnabelausbildung unterscheiden. Auch AdlD wies ja schon darauf hin, dass die "perlenförmigen" Zähnchen des Archie 8 durchaus Unterschiede etwa zum Berliner Exemplar aufweisen könnten. Warten wir also auf gut fundierte neue Ergebnisse. Auf alle Fälle ist zu vermeiden, dass ein "Ida"-Effekt eintritt: zuerst wissenschaftlich als Bindeglied in der Ahnenreihe zum Menschen hochgejubelt, nun doch sehr "entzaubert" und schlichtweg vermutlich "nur" ein lemurartiger Affe auf einer ganz anderen evolutionären Linie. Dass Darwinius, aka "Ida" dennoch ein wunderbar erhaltenes und wichtiges wissenschaftliches Zeugnis ist, ging dabei leider unter.

Archies mit Besuchserlaubnis
Aber noch weiteres Positives gibt es zu berichten. Endlich scheint es im Fall von Archie 10 zu einer tragfähigen "Besucherregelung" für Wissenschaftler zu kommen (zur Vorgeschichte siehe AdlD vom 26.10.).

WELT online vom 27.10.09 thematisierte das Problem des fehlenden Fossilschutzgesetzes. Allerdings stimmt der dort gegebene Hinweis so nicht, dass die dauerhafte Zugänglichkeit von Archie 10 für die Wissenschaft bereits geregelt worden sei und Archie 10 in regelmäßigen Abständen zu den Wissenschaftlern nach Frankfurt gebracht werden müsse. Eine derartige Regelung war zwar vielleicht einmal geplant, allerdings ist es offensichtlich nie dazu gekommen.

Nun aber hat sich das Bayerische Wissenschaftsministerium hinter die Sache geklemmt. Die Anzeichen dafür mehrten sich, dass hier eine Regelung erzielt wurde, aber eine offizielle Bestätigung des Ministeriums stand noch aus. Diese liegt nun aber offensichtlich vor, wie die Süddeutsche heute (28.10.09) berichtet. So schreibt dies Süddeutsche:
"Als Bedingung dafür, dass er (Anm, der Besitzer Dr. Burkhard Pohl)" das Stück in den Freistaat ein- und wieder ausführen darf, verlangte die Staatsregierung von Pohl die Zusicherung, den Archaeopteryx dauerhaft "für Forschungs- und Ausstellungszwecke" zugänglich zu machen. Mit Erfolg: Pohl hat eine entsprechende Vereinbarung unterschrieben, die auch für eventuelle Rechtsnachfolger gelten soll."

Die kleine Verballhornung des Volksliedes "Kommt ein Vogerl geflogen" (AdlD vom 26.10.) können wir damit durch eine weitere Strophe ergänzen:

Liebes Vogerl, sei nicht traurig,
statt dem Frust gibt's nun den Kuss
denn nun könn' wir dich besuchen
jedesmal, wenn dies sein muss.

(Abb. Archaeopteryx-Modell von Dennis Wilson aus dem Aathal-Museum, dpa)


Ende gut alles gut? Immerhin, obige Regelung klingt erst einmal zufriedenstellend, sofern sie auch umgesetzt und eingelöst werden kann. Außerdem kann die Regelung nur bedeuten, dass auch das bayerische Wissenschaftsministerium nicht nur die wissenschaftlich-kulturelle Bedeutung derart herausragender Fossilien, sondern auch die Notwendigkeit der Verfügbarkeit für die Wissenschaft erkannt hat. Hoffen wir auf den konsequenten nächsten Schritt: ein bayerisches Fossilschutzgesetz, dann gäbe es so richtig Grund zum Jubeln!

Dennoch: auch heute besteht bereits Anlass zur Freude. Und wenn der Besitzer von Archie 8 seine Ankündigung (u.a. im TV) auch wahr macht und das Objekt nicht nur einem Museum ausleiht, sondern dieses Museum auch ein öffentlich-rechtlich verankertes Forschungsmuseum ist und die Leihgabe eine Dauerleihgabe, dann hätte die Fossilhändlerveranstaltung zu den Archaeopteryxen tatsächlich auch nachhaltigere positive Auswirkungen für die Wissenschaft.
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Nachtrag vom 5.11.09: hier nochmals die Meldung, dass das bayerische Staatsministerium für Wissenschaft erfolgreich bzgl. der wissenschaftlichen Zugangsrechte für Archie 10 verhandelt hat. Auch dass die "Artfrage" für Archie 8 und die anderen noch nicht wissenschaftlich geklärt werden konnte, wird bemerkt: alles im Münchner Wochenanzeiger zu finden.

Im Weißenburger Tagblatt vom 4.11.09 (online 3.11.09) wird berichtet, dass Archie 8 und 10 nun nach Solnhofen weitergeflattert sind und dort kurz zu sehen sein werden. Außerdem wird der CSU-Landtagsabgeordnete Gerhard Wägemann genannt, der für Archie 10 "einen Diplomatenstatus" herausgehandelt habe. Weiterhin wird die Meinung eines Archaeopteryx-Kenners, Helmut Tischlingers wiedergegeben, der auf neuere Forschungsergebnisse hinweist, die alle Archaeopteryx-Funde eher zu einer Art rechnen.

Ach ja, und das neue "Humboldt-Ring"-Konsortium naturwissenschaftlicher Sammlungen und Museen wurde von Archaeopteryx auch beflügelt - die großen Mitgliedssammlungen in Stuttgart, Karlsruhe, München, Bonn und Berlin beschlossen eine ggf. gemeinsame und gegenseitig transparente Erwerbspolitik für herausragende Sammlungen und Objekte. Vergebliche Bemühungen um den Erhalt nationalen Kulturguts wie Archaeopteryx 10 oder Darwinius, die offensichtlich der Sammlung in Frankfurt am Main angeboten wurden, von dort aber aus Kostengründen nicht erstanden werden konnten, sollten damit hoffentlich der Vergangenheit angehören.
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Montag, 26. Oktober 2009

Kommt ein Urvogerl geflogen.... Archaeopteryx-Originale auf einer Fossilhändlermesse

von Reinhold Leinfelder, 26.10.09, 13:15 Uhr

Teil 1: Kommt ein Urvogerl geflogen, oder sogar sechs!

Nun kommt also die Archaeopteryx-Vollversammlung (na ja, Dreiviertelversammlung)! Sind wir mitten im nächsten Medien-Hype der Paläontologie? Ist doch wunderbar! Oder könnte dies doch eher eine Luftblase werden wie bei Darwinius aka "Tante Ida", die als "The Link", als achtes Weltwunder bezeichnet wurde und zwischenzeitlich ziemlich zerplatzt ist? Hat man daraus nicht gelernt, wie sehr durch Übertreibungen die Wissenschaft beschädigt werden kann? Oder ist es doch eine sensationelle Angelegenheit, dass nun sechs der zehn bekannten Archaeopteryx-Exemplare hier gezeigt werden, eines sogar zum ersten Mal im Original?

(Abbildung: Das 10. Archaeopteryx-Exemplar, es ist im Privatbesitz und befindet sich in der Regel in einem kleinen Privatmuseum im 3000-Seelen-Nest Thermopolis in Wyoming, USA)

Nun, den Münchner Kollegen ist von ganzem Herzen zu wünschen, dass diese am nächsten Wochenende auch der Öffentlichkeit zugängliche Schau nicht nur eine Blase ist oder gar bitter aufstößen könnte, sondern dass das Zusammentreffen der sechs Urvögel und einer Urfeder tatsächlich die Wissenschaft beflügeln möge - immerhin gibt es vorlaufend einen entsprechenden Workshop für die Wissenschaft in der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie. Leider verschwinden dieses 8. und 10. Exemplar hinterher ja wieder in privaten Gemächern.

Die Süddeutsche Zeitung berichtete am 24.10.09 unter dem Titel ">Stelldichein der Urvögel" ausführlich, darunter auch über die Passierscheinregelung für Archie 10, der ja an ein privates USA-Museum eines Fossilhändlers entfleucht ist und auch dorthin wieder verschwindet. Hierzu erst einmal ein kleiner emotionaler Einschub:

Lied eines verwunderten Paläontologen:

Kommt ein Urvogerl geflogen,
setzt sich kaum nieder auf mein' Fuß,
hat ein' Passierschein im Schnabel,
mit dem er zurückfliegen muss.

Lieber Urvogel, flieg weiter,
nimm' mein Gruß mit und mein' Frust,
denn wir könn' dich nicht erforschen
weil Du in Einzelhaft musst.

Ja, zugegeben, holprig, wie das Thema. Also lieber weiter in Prosa:

Das Familientreffen ist an sich eine schöne Sache, verwunderlich ist jedoch, dass diese Archaeopteryxe ausgerechnet von Fossilhändlern auf einer Mineralien-Messe zusammengetragen und gezeigt werden, auch noch in direkter Nachbarschaft etwa zu einer esoterischen Wellness-Show mit "Heilsteinen". Auf der Messe machen professionelle Fossilhändler in der Regel hervorragende Geschäfte.

Das Verhältnis zwischen Hobbyfossilsammlern und Wissenschaftlern ist zwar in der Regel ausgezeichnet und gegenseitig befruchtend. Unter den gewerblichen Fossilhändlern gibt es jedoch nach Insiderkreisen auch jede Menge schwarze Schafe - gezielte Raubgrabungen, teils mit schwerstem Gerät oder auch gefälschte Papiere sind keine Seltenheit - wundersam ist auch, dass viele angebotene Objekte angeblich vor sehr vielen Jahren bereits gesammelt wurden. Dies scheint besonders dann der Fall zu sein, wenn sie aus Ländern stammen, im dem es entsprechende Fossilschutzgesetze zu dieser angeblichen Zeit noch nicht gab (siehe auch >> Fundgeschichte zu Darwinius auf diesem Blog). Dort, wo wie in Bayern auch heute noch keine Fossilschutzgesetze gelten, werden schon mal ganze Steinbrüche aufgekauft - manche vermuten gar, um bereits andernorts gemachte bzw. zukünftige Funde, die illegal dem Grundbesitzer vorenthalten werden, zu kaschieren.

Tatsächlich sträuben sich aber sogar etliche Wissenschaftler gegen Fossilschutzgesetze, mit dem fadenscheinigen Argument, dass die Objekte dann alle in den Untergrund gehen würden. Die Geschichte der Archaeopteryx-Funde zeigt jedoch, dass dies ja gerade ohne Fossilschutzgesetze passiert. Rechtsstreitigkeiten mit Grundbesitzern sind allemal ärgerlicher und vom Ausgang her unklarer, als wenn eindeutige Regelungen in einem Fossilschutzgesetz vorhanden sein würden. So haben Länder, wie etwa Baden-Württemberg oder Rheinland-Pfalz mit Fossilschutzgesetzen sehr gute Erfahrungen gemacht und wohl gerade wegen der klaren, pragmatischen Regelungen ein gutes Verhältnis mit Hobbyfossilsammlern erarbeitet.

Trotz so manchem Verständnis für Fossilhandel war der >Aufschrei der Wissenschaft groß, als Archie 10 im Jahr 2005 bzw. früher aus Bayern über die Schweiz nach USA geflattert ist und dort in einem Privatmuseum eines Fossilsammlers gelandet ist. Die >ZEIT berichtete 2006, dieses Wochenende berichtete die >Süddeutsche auch hierzu nochmals ausführlich. Nun also ist der edle Fossilkäufer sogar so edel, Archie 10 für einige Tage nach Deutschland zurückzubringen. Vergelt's Gott, wir verneigen uns.

(Abb.: Das private Wyoming Dinosaur Center in Thermopolis, USA, dort befindet sich der normale Aufenthalt von Archaeopteryx 10)

Noch unverständlicher ist der Hype um ein Archaeopteryx-Fragment, welches angeblich völlig unbekannt ist, der Archaeopteryx 8. >Die WELT am Sonntag spricht am 24.10.09 von einer "Weltsensation", seit 25.10.09, 10.00 Uhr sind nun auch bis dato unbekannte Bilder des Originals in WELT-Online zu sehen. Nur aus ein paar Knochen bestehend, wurde ein Abguss bereits früher einem Wissenschaftler übergeben, der einen Bericht veröffentlichte, den Abguss für kurze Zeit in seinem Museum ausstellen durfte, insbesondere aber dem verunsicherten Finder bestätigt hat, dass es sich tatsächlich um ein Archaeopteryx-Fragment handelt. Sozusagen eine kostenlose Expertise, die den Wert des Objekts dramatisch gesteigert haben dürfte. Das Objekt ist trotz sehr unvollständiger Erhalten wohl schon deshalb von wissenschaftlichen Interesse, weil sein Fundpunkt etwas entfernter von den anderen Archaeopteryx-Funden ist und wohl auch einige 100.000 Jahre jünger sein könnte. Die Bilder des Abgusses stehen auch im Internet, die des Originals, wie gesagt, seit heute u.a in WELT-Online . Spannend scheint etwa die Erhaltung der "perlenförmigen" Zähne im Schädel zu sein.

(Abb. Bild des Abgusses des 8. Archaeopteryx-Exemplars. Zu sehen sind insbesondere die beiden Unterarmknochen eines Flügels sowie ein teils zerdrückter Schädel, oben, > Quelle).

Die Wissenschaftler sind gerade wegen des fehlenden Fossilschutzgesetzes in einer Zwickmühle. Sie können meist nicht frei graben, und wenn sie wissenschaftlich bedeutende Objekte untersuchen wollen, müssen sie mit den professionellen Fossilhändlern kooperieren. Diese wahrlich steinzeitliche "Jäger und Sammler"-Mentalität sollten wir in einer modernen, wissenschafts- und kulturbasierten Gesellschaft längst überwunden haben. Wichtige Fossilfunde müssen wie auch archäologische Funde endlich auch als Gemeingut von öffentlichem Interesse angesehen werden können - ein neu gefundenes Römerschiff darf doch auch nicht einfach einkassiert und meistbietend verkauft werden!

Um das ganz klar zu sagen: Fossilhandel ist nicht verboten und in Bayern eben auch das Sammeln nicht, sofern man sich an die Grundbesitzerregel hält. Auch ist die Messeleitung seit Jahren bemüht, schwarze Schafe herauszufinden und nicht zuzulassen. 2004 erfolgte sogar auf Anregung des Autors eine Kontrolle durch die Zollbehörden. Besonders peinlich ist dann allerdings schon, wie sich die professionellen Fossilsammler und - händler nun als ganz besondere Gutmenschen und Wissenschaftsförderer gerieren. Ein paar Beispiele gefällig?

Zu Archie 10: ""Alle Bemühungen, genügend Mittel für den Erwerb des wertvollen, nationalen Kulturguts aufzubringen, scheiterten. Der Betreiber des Wyoming Dinosaur Center in Thermopolis (USA), Burkhard Pohl, erklärte sich darauf hin bereit, sich um den Ankauf zu bemühen und sicherte zu, dass das Stück auch in Zukunft der Wissenschaft zugänglich bleibt." (Aus der offiziellen Pressemeldung: >www.mineralientage.de/sonderschau-fossilpark.html)

Tatsächlich wird auch dies in einer offiziellen Pressemeldung berichtet:
"“Ich freue mich sehr, dass wir so viele Museen für die größte bislang gezeigte Ausstellung von Archaeopteryx-Originalen gewinnen konnten. Es handelt sich hier um ein national wertvolles und sehr faszinierendes Kulturgut. Dafür wollen wir auch die Öffentlichkeit begeistern”, betont Christoph Keilmann, der sich als Geschäftsführer und Veranstalter von Europas größter Mineralienmesse dafür eingesetzt hat, dass die wertvollen Fossilien in München drei Tage lang öffentlich zu sehen sind." (siehe hier)

Archie 10 ist eben leider kein nationales Kulturgut, weil das Land Hessen vorzeitig eine Wiederausfuhrgenehmigung erstellte. Der Ankauf durch das Senckenberg scheiterte übrigens wohl nur daran, dass nicht allgemein in der Community der Naturkundemuseen bekannt war, dass das Stück zum Ankauf bereit stand. Die Deutschen Naturwissenschaftlichen Forschungssammlungen (DNFS) hatten sich danach besprochen, derartige Objekte ggf. in konzertierten Aktionen zu sichern. Das funktioniert allerdings nur, wenn das auch der Wissenschaftscommunity wirklich bekannt ist - auch bei Darwinius ist das leider wieder ohne Kooperationsversuch abgelaufen - leider ohne Not eine weitere Chance verpasst. Dass sich allerdings Burkhard Pohl nur deshalb um den Ankauf bemühte, um das Objekt für die Wissenschaft zu sichern, lassen wir mal unkommentiert. Dass er das Stück auch in Zukunft der Wissenschaft zugänglich machen möchte, entspricht erfreulicherweise meiner Anregung von Anfang 2006 im >Science-Magazin. Es würde ihn überaus ehren, dies nun auch tatsächlich zuzusichern und zwar auch schriftlich und testamentarisch verbrieft.

Leider springen auch einige wenige Wissenschaftler mit auf dieses Trittbrett und klopfen sich auf die Schulter, weil man so gut mit Fossilhändlerkreisen kooperiert: "Der Leiter des Solnhofener Bürgermeister-Müller-Museums hat maßgeblichen Anteil daran, dass das «Thermopolis»-Exemplar (benannt nach dem Ausstellungsort im US-Bundesstaat Wyoming) nach Bayern kommt – quasi als besonderes Highlight im Darwinjahr 2009." Ja, richtig, nach Solnhofen flattert Archie 10 auch noch weiter (aus dem >Weißenburger Tagblatt)


Und zu Archie 8, dem alten neuen?

Hier ist ein anderer Fossilhändler im Fokus. Die >WELT berichtete am 24.10.:

""Da ich in der Fossilienszene gute Kontakte habe, können wir nun sechs der zehn Urvögel nach München holen." Als Leihgaben, versteht sich. Albersdörfer und Keilmann ... hatte ... der Ehrgeiz gepackt. Die beiden Fossilienfans wollten für die Münchner Ausstellung eine Sensation - sie wollten einen der verschollenen Urvögel finden.
Also forschte Albersdörfer nach Nummer acht. ,..... Nur wer gut verdrahtet ist und schweigen kann, kommt an die nötigen Informationen. Raimund Albersdörfer kennt die Szene und er kann schweigen. ... Albersdörfer... sieht neben dem oft irrsinnig hohen Marktwert von Fossilien auch ihren wissenschaftlichen Wert. Als er Nummer acht ausfindig gemacht hatte, als es nur die Alternative gab, den Urvogel zu kaufen oder ihn weiter in einer Privatsammlung vor den Augen der Wissenschaft zu verbergen, entschied er sich, das Fossil zu kaufen. Für sich und die Forschung - wie er sagt. Handeln will er Nummer acht nicht."

Nehmen wir auch hier den Händler beim Wort - wie wäre es mit einer Dauerleihgabe z.B. ans Museum Mensch und Natur in München? Aber bitte auch testamentarisch für die Zukunft garantiert. Und natürlich einer Eintragung als Nationales Kulturgut, sofern der wissenschaftlich-kulturelle Wert dazu gegeben ist.

Um aber aus der Zwickmühle zwischen gewerblichem Fossilhandel und Wissenschaft herauszukommen, müssen klare Regelungen, d.h. ein Fossilschutzgesetz her. Besteht Anlass zur Hoffnung, dass die Bayerische Staatsregierung dies inzwischen genauso sieht? Gründe genug wären nun doch wirklich beisammen!

Aber auch die Naturkundemuseen, und da nehme ich keines, also auch das von mir geleitete nicht aus, müssen ebenfalls konsequent sein. Sie mahnen Authentizität in den Wissenschaften an, deshalb seien die Sammlungen eben auch so wichtige wissenschaftliche Belegarchive, weil sie die wissenschaftlichen Ergebnisse authentifizieren und jederzeit nachprüfbar machen. Diese Verantwortung und Authentizität muss sich jedoch auch in der entsprechenden Sammlungs- und Ankaufspolitik ausdrücken. Das bedeutet natürlich auch im Gegenzug, wissenschaftliche paläontologische Objekte nicht selbst mit Schatzgräber- und Trutzburgmentalität an Museen zu verwalten, sondern allen Wissenschaftlern weltweit zugänglich zu machen. Insbesondere müssen die Zeiten vorbei sein, in denen Fossilien auf teils zweifelhaften Wegen in die Archive gelangten und dort wie ein Geheimnis gehütet wurden, etwa weil sie ein Kollege spätestens im Ruhestand noch selbst bearbeiten wollte. Fossilien können für öffentlich bedienstete Wissenschaftler kein Privateigentum oder Quasi-Eigentum darstellen, und keinesfalls können Sammlungen, die in Zusammenhang mit der Diensttätigkeit privat zusammengestellt wurden, später gewerblich veräußert werden.

Bedenklich sind auch Funde, die auf unergründlichen Wegen, möglicherweise sogar vorbei an Finanzbehörden und anderen Regularien aus ihren Ländern in andere verfrachtet werden. Ärger gab es hierbei nicht nur um Archie 10, >sondern auch um Darwinius, die ja beide ins Ausland gelangten - übrigens ist die Gegenplatte von Darwinius ebenfalls im Thermopolis-Museum in Wyoming gelandet.

Genauso wenig tolerierbar wäre aber auch, wenn Objekte aus dem Ausland nach Deutschland illegal eingeführt werden und dies alles angeblich nur der Wissenschaft wegen getan wird. Die Paläontologengemeinschaft sollte hier zusammenstehen und sich auch klar und distanziert gegenüber kommerziellen Fossiliensammlern verhalten. Gemeinsames Arbeiten zwischen Hobbysammlern und Wissenschaftlern ist erfreulich, dies hilft nicht nur der Wissenschaft direkt, sondern fördert auch die Freude an der paläontologischen Wissenschaft (>Leinfelder et al. 2004). Ganz anders ist es, professionellen Sammlern, die mit dem unersetzlichen und häufig durch Gesetze geschützten Kultur- und Wissenschaftsgut „Fossilien“ hervorragende Geschäfte machen, auch noch durch Expertisen und sonstige enge Kooperationen direkt zu unterstützen. Dies passt nicht zu einer notwendigen Strategie der Öffnung, weiteren Internationalisierung und methodischen Modernisierung der Paläontologie. Erfreulicherweise haben sich fünf große deutsche Naturkundemuseen (Berlin, Bonn, Karlsruhe, München, Stuttgart), die sich vor wenigen Wochen im Humboldt-Ring zusammengeschlossen haben, mit der zugehörigen Vereinbarung verpflichtet, auch ihre Ankaufs- und Sammlungsregelungen zu harmonisieren. Ein wichtiger Schritt.


Teil 2: Ein kleiner Überblick zur Fundgeschichte und Eigentumsverhältnissen der zehn Archaeopteryx-Funde.

Archaeopteryx - das Zwitterwesen mit Merkmalen gleichermaßen von Dinosauriern und Vögeln ist vermutlich das berühmteste Fossil der Welt, stellt es doch sozusagen den versteinerten Beweis dafür dar, dass Darwin recht hatte - und Diskussionen, ob Archaeopteryx nun ein bisschen mehr Vogel oder ein bisschen mehr Dinosaurier ist unterstreichen gerade diese verbindende Bedeutung. Darwin postulierte in seinem 1859 erstmals erschienenen Buch "On the Origin of species" das Vorhandensein von "missing links" und wunderte sich, dass diese so selten zu finden waren. Ein Jahr später wurde eine erste Feder des Archaeopteryx gefunden, zwei Jahre später, also 1861, das erste Exemplar, inzwischen gibt es 10 Funde, von denen etliche nur aus wenigen Knochen bestehen (z.B. das 9. Exemplar mit Spitznamen "Chicken Wing"), zwei verschollen sind (eines davon nun also wieder aufgetaucht ist) und die allerwenigsten im Besitz öffentlich-rechtlicher Institutionen gelandet sind, so das 1. Exemplar (das Londoner Exemplar), das 2. Exemplar (Berliner Exemplar), das 6. Exemplar (Solnhofener Exemplar) und das 7. Exemplar (Münchner Exemplar). Selbst das Eichstätter Exemplar gehört nicht dem Land Bayern (sondern der katholischen Kirche), das Haarlemer Exemplar der (wohl auch öffentlich geförderten) Privatstiftung und Gesellschaft Teylers Museum. Um das Solnhofener Exemplar wurde über 14 Jahre lang prozessiert - Bürgermeister Müller, nach dem das Gemeindemuseum benannt ist, war sogar lange dem Verdacht der Hehlerei ausgesetzt, bis der Bundesgerichtshof als letzte Instanz das Verfahren abwies. Der "Chicken Wing" (das 9., aus nur wenigen Knochenrelikten bestehende Exemplar) befindet sich als private Leihgabe ebenfalls im Bürgermeister-Müller Museum, das 10. Exemplar ging nach vergeblichen Ankaufsbemühungen und nach überaus unklarer Fund- und Wandergeschichte in das kleine Privatmuseum des Fossilhändlers Pohl nach Thermopolis, Wyoming (siehe Abbildung oben), das wissenschaftlich überaus wichtige 3. Exemplar, das Maxberg-Exemplar ist seit dem Tod des privaten Besitzers verschollen und das 8. Exemplar wurde vom Besitzer nur als Abguss kurz der Wissenschaft zur Verfügung gestellt, um herauszufinden, ob es sich wirklich um ein wertvolles Objekt handelt. Nach kurzer öffentlicher Präsentation dieses Abgusses wurde selbst dieser wieder vom Besitzer eingezogen. Auf den Mineralientagen werden offensichtlich 6 Exemplare (sowie ggf. die Feder) gezeigt, das Londoner, Berliner und Haarlemer Exemplar wurden nicht zur Verfügung gestellt.

Die Geschichten, die sich um die Archaeopteryx-Funde ziehen, sind derart umfassend, dass bereits viele Bücher, teilweise sogar Krimis dazu geschrieben wurden. Die wohl umfassendste und wissenschaftlich aktuellste Zusammenstellung stammt vom bekannten Archaeopteryx-Spezialist Peter Wellnhofer (>Wellnhofer 2008). Warum dies alles? Wenn die Objekte wissenschaftlich eine derart hohe Bedeutung haben, müsste doch ihre Verfügbarkeit gewährleistet sein?

Nun, alle 10 Funde stammen aus Bayern und zwar aus der Region von Eichstätt-Solnhofen, alle entstammen ziemlich genau der gleichen Fundschicht, nur das 8. Exemplar könnte einige 100.000 Jahre jünger sein und stammt von einer etwas entfernteren Lokalität. Es ist damit trotz seiner sehr fragmentarischen Erhaltung von wissenschaftlich großem Interesse. Bayern hat aber, wie oben bereits erwähnt, im Unterschied zu vielen anderen Bundesländern kein eigenes Fossilschutzgesetz, was die Wissenschaft seit langem anprangert. Damit gehört ein Fund, wenn er sich komplett im Gestein befindet, dem Besitzer des Grundes, sollte es lose aufgefunden werden, kann es als Schatzfund behandelt werden und gehört dann zur Hälfte dem Grundbesitzer, zur Hälfte dem Finder. Archaeopteryxe liegen aber nicht einfach so als lose Funde herum, sondern stecken fest im Gestein und müssen herauspräpariert werden, also trifft hier in der Regel die Grundbesitzerregelung zu, es sei denn die Platte wäre als sog. Abraum (Abfallstück) auf einer Halde gelegen, was ebenfalls unwahrscheinlich ist.

Aber auch diese Regelungen werden umgangen, die Herkunft von in Privatbesitz befindlichen Objekten wird oft verschleiert, so sollten ursprünglich sowohl das 10. Exemplar, wie auch das nun wieder aufgetauchte 8. Exemplar einem Besitzer gehören, der nicht genannt werden wollte, immer treten Mittelsmänner in Form von Händlern auf und ob beim An-/Verkauf von Archaeopteryx-Objekten auch tatsächlich anfallende Steuern gezahlt werden, sollten die Finanzbehörden am besten wissen.

Die meisten Wissenschaftler klagen seit langem über die fehlenden Fossilschutzgesetze. Wären die Archaeopteryx-Funde in Baden-Württemberg gemacht worden, wären sie wegen des dort geltenden Fossilschutzgesetzes automatisch in Staatsbesitz. Baden-Württemberg arbeitet mit diesem Gesetz nicht dogmatisch, sondern sehr pragmatisch, keinem Hobbysammler wird das Sammeln verboten, aber wenn es sich um wissenschaftlich wichtige Objekte handelt, sind die entsprechenden Regularien vorhanden. Schon 1984, anlässlich der Eichstätter Archaeopteryx-Konferenz forderten 66 Wissenschaftler aus 12 Ländern in einer an die Bayerische Staatsregierung gerichteten Resolution: "... The participants of this conference find it extremely frustrating that a palaeontological object of such extraordinary scientific importance should not be available to the scientific community. They sign this resolution in urging the Bavarian Government to improve the legal situation with regards to cases like this, allowing the State to give preference to the public interest against the egoism of private individuals" (fide Wellnhofer 2008). Dieser Resolution war kein Erfolg beschieden. Immerhin wurden ab 1995 auch die in Bayern befindlichen, damals bekannten Archaeopteryxe als nationales Kulturgut geschützt, genossen also gewissen Bundesschutz, aber keinen Landesschutz. Der sog. 8. Archaeopteryx tauchte 1996 als Abguss auf und verschwand dann sehr bald wieder (siehe oben).

Auch als der Autor die Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns von 2003 bis 2005 leitete, konnte er zwar Gespräche über die Notwendigkeit eines Fossilschutzgesetzes führen, jedoch keinen Erfolg in dieser Sache verbuchen. Tatsächlich tauchte dann aber Ende 2005 der 10. Archaeopteryx auf, und damit eines der am besten erhaltenen, für die Wissenschaft überaus wertvollen Exemplare. Das Exemplar wurde, obwohl aus Bayern stammend, zuerst bekannt, als es sich in Hessen zur wissenschaftlichen Untersuchung am Senckenberg-Museum befand, und flatterte dann von dort nach USA weiter. Das Land Hessen hatte eben keinen Status als Nationales Kulturgut beantragt, sondern eine Unbedenklichkeitsbescheinigung für den Wiederexport erstellt (denn zuvor war das Exemplar schon gen USA entfleucht). Der Autor schrieb einen publizierten >Brief an das Science-Magazin, da Science die wissenschaftliche Arbeit zum 10. Archaeopteryx veröffentlichte und sich dafür von der Wissenschaftscommunity, insbesondere der renommierten Society of Vetebrate Paleontologists mit USA-Sitz den Vorwurf einhandelte, ein derart wichtiges Stück könne nur wissenschaftlich bearbeitet werden, wenn die Ergebnisse auch dauerhaft überprüfbar seien. Dies sei nur gesichert, wenn sich das Objekt in einem Museum der öffentlichen Hand befände und nicht in einem kleinen Privatmuseum in Nirgendwo. Auch die >ZEIT kritisierte unter Bezugnahme auf diesen Brief kräftig. In Bayern regte sich politischer Unmut, die bayerische >SPD-Opposition forderte 1996, "Fossilschutz muss auch in Bayern gelten -Fossilien wie der Urvogel Archaeopterix dürfen keine Handelsware sein".

2007 mischte sich ein weiterer Fossilhändler ein, der behauptete, dass Archie 10 aus seinem Steinbruch stamme und illegal dort ausgegraben wurde. Laut eines Artikels des >Münchner Merkurs vom 4.6.2007 ging er davon aus, "dass seine Arbeiter in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche wertvolle Fossilien hinter seinem Rücken weiterverkauft haben". Weiterhin berichtet der Merkur: "Auch der Ingolstädter Oberstaatsanwalts Helmut Walter sagt, ein "schwunghafter Handel" mit unterschlagenen Fossilien in der Region sei "nicht mehr wegzudiskutieren". "Bis heute mahnen die "Chefwissenschaftler", so der derzeitige >Generaldirektor der Staatlichen naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns, aber auch viele andere, auch außerhalb Bayerns die Verabschiedung eines Fossilschutzgesetzes an.

Auch wenn Bayern noch kein eigenes Fossilschutzgesetz hat - der Bund ist bereits weiter. Inzwischen wurde die Möglichkeit zum Schutz nationaler Kulturgüter erweitert. Seit Mai 2007 ist es möglich, dies auch für Objekte zu beantragen, die sich außerhalb des Landes befinden, denn das neue "Kulturgüterrückgabegesetz vom 18. Mai 2007 (BGBl. I S. 757)" trat in Kraft. Damit hätte theoretisch auch Archie 10 geschützt werden können, aber wegen der diversen Unbedenklichkeitsbescheinigungen sowohl von Hessen als nun auch von Bayern erscheint dies nicht möglich.


Fazit:

Es ist sicherlich erfreulich, dass Archie 8 und Archie 10 derzeit, wenn auch nur sehr kurz der Wissenschaft zur Verfügung stehen. Bleibt zu hoffen, dass die beiden nun nicht nur kurz auftauchen, sondern tatsächlich der Wissenschaft auf dauerhafte Weise zur Verfügung gestellt werden, vielleicht haben die Fossilhändler hier tatsächlich umgedacht. Freuen wir uns darüber, aber bleiben wir bezüglich Verzückung doch lieber auf dem Teppich. Die Händler sollten sich dafür nicht gleich den Bayerischen Verdienstorden erwarten, sondern sie lösen bestenfalls ihre gesellschaftlich-moralische Verpflichtung damit ein.

Oder könnte es vielleicht doch nur darum gehen, sich ein hehres Anstandsmäntelchen über die auf Kosten der Natur und Wissenschaft gehenden Geschäfte zu hängen? Dieser Verdacht könnte sich zumindest aus dem >Artikel in der Süddeutschen leider ebenfalls aufdrängen. Der Artikel endet nämlich mit folgender Passage: "Nun stellt er es als eines der sechs Exemplare dem Münchner Treffen zur Verfügung, damit die Wissenschaftler es untersuchen können. Irgendwann, da ist Albersdörfer sicher, wird auch das sagenumrankte Maxberg-Exemplar auftauchen, "in dem Grab liegt es jedenfalls nicht". Das sagt auch Christoph Keilmann. Er deutet sogar an zu wissen, wer das Fossil hat. "Die Szene ist so klein", sagt Keilmann, "da kennt jeder jeden.""

Es ist zu befürchten, dass man dies aufs Wort glauben kann. Und droht mal wieder die Errichtung eines Fossilschutzgesetzes, könnte dank riesiger Anstrengungen tatsächlich auch das Maxberg-Exemplar genau ge-timed wieder auftauchen. Vielleicht sogar schon morgen? Aber liebe Besitzer, falls nicht bekannt - das Maxberg-Exemplar ist bereits als Nationales Kulturgut geschützt und darf nur mit Genehmigung weiterverkauft werden. Das lässt doch etwas hoffen.

Kurzvita: Prof. Dr. Reinhold Leinfelder, Geologie, Paläontologe und Geobiologe, war von 1998 bis 2005 Direktor der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie, von 2003 - 2005 zusätzlich Generaldirektor der Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns. Im Dezember 1999 gelang der Erwerb des 7. Archaeopteryx-Exemplars für die Bayerischen Sammlungen vom ehemaligen Besitzer, dem Solenhofener Aktienverein, der ein vieljähriges Vorkaufsrecht sowie eine beachtliche Preisreduktion gewährte. Der Ankauf wurde durch umfassende Beteiligung privater Sponsoren, Beiträge von Stiftungen sowie durch Sondergelder des Bayerischen Staates möglich.
Seit 2006 ist Reinhold Leinfelder Generaldirektor des Museums für Naturkunde Berlin, welches den 2. Archaeopteryx beherbergt und im Original ausstellt. Seit 2007 ist er zusätzlich Vorsitzender der Deutschen Naturwissenschaftlichen Forschungssammungen e.V., derzeit ist er auch Gründungssprecher des Humboldt-Rings.


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> Alle Archaeopteryx-Exemplare mit Bild: www.fossilien-solnhofen.de/archfunde
> weitere Bilder und Erklärungen: www.trilobita.de/archie.htm
> Archaeopteryx auf Wikipedia (u.a. mit Literaturliste): de.wikipedia.org/wiki/Archaeopteryx

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Nachtrag vom 26.10.09, 15:30:
Sehr erfreulich, dass nun die Wissenschaft die Möglichkeit hat, die 6 Archaeopteryx-Exemplare von heute bis Donnerstag wissenschaftlich direkt zu vergleichen. Ab Freitag sind sie dann auf den eigentlichen Mineralientagen zu sehen.
>> PM vom 26.10.09

weitere Nachträge:
BR-Online, 26.10.09 : Archaeopteryx - Sieben Flugsaurier in München
(mhm, das sind natürlich keine Flugsaurier, sondern Urvögel)
BR-Rundschau-Video, 26.10.09, 16:45 Uhr

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>> zur Fortsetzung der Geschichte rund um die Archaeopteryxe auf AdlD
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Freitag, 23. Oktober 2009

Dienstagsnachrichten zu Charles Darwin in Bayern alpha

Ein Hinweis von Reinhold Leinfelder


Darwin bleibt im Darwin-Jahr in der Öffentlichkeit und den Medien aktuell. Darwin- und Evolutionsausstellungen sind weiterhin sehr gut besucht, auch kürzlich eröffnete, wie etwa in Stuttgart oder Wien werden gut angenommen. Weiterhin erscheinen auch interessante Bücher rund um die Evolutionstheorie.


Die Medienberichterstattung ist - nach einem gewissen Rückgang im Sommer, wieder kräftig am Zunehmen. Zwischenzeitlich gibt es eine Fülle ausgezeichneter Artikel zur Evolutionstheorie und zum Leben Darwins (siehe Einträge auf diesem Blog sowie die zeitsortierten Darwin-Google-News rechts unten auf dieser Seite). Bereits zu Anfang des Darwin-Jahrs wurden allerdings auch viele Versuche gemacht, die biologische Evolutionstheorie auf alle möglichen anderen Bereiche anzuwenden. So wurde Darwin teils als Begründer des "Machismus" angesehen, sollte der Finanzkrise mit Mitteln der Evolutionstheorie begegnet werden oder wurde die angeblich durch Darwin erfolgte Abschaffung der Religionen gefeiert. Zunehmend sind jedoch auch die Berichterstattungen zu möglichen Wechselbeziehung zwischen biologischer Evolution und kultureller Evolution substanzieller geworden - ein gutes Beispiel hierfür ist die Beilage des Tagesspiegels vom 18.10.2009.


Je näher der 150. Jahrestag des Erscheinens von Darwins "On the Origin of Species" rückt (24.11.2009), desto mehr Medien berichten also. Herausgreifen möchte ich wegen des interessanten Formats eine Reihe zu Charles Darwin in Bayern alpha. Hier wird Darwins Leben und Wirken unter Beteiligung etlicher Wissenschaftler dargestellt und in sechs Folgen ausgestrahlt. Die Folgen sind jedoch nicht etwa abendfüllend, sondern nur jeweils 15 Minuten lang. Die Serie könnte damit auch diejenigen interessieren, die sich Darwin lieber "wohldosiert" zuführen wollen. Bleibt also zu hoffen, dass dieses innovative Format, die über 6 Wochen laufenden jeweils 15-minütigen "Dienstagsnachrichten zu Darwin" trotz eines recht späten Sendetermins eine große Zuschauerzahl findet.


6-teilige Reihe in BR-alpha

Charles Darwin

Charles Darwin hat mit seiner Theorie der natürlichen Selektion die Biologie revolutioniert und das moderne Denken entscheidend geprägt. Sein weltbekanntes Werk "On the Origin of Species" erschien vor 150 Jahren, am 24. November 1859.

Darwin gewann seine Erkenntnisse nicht am Schreibtisch, sondern bei der leidenschaftlichen und akribischen Beobachtung der Natur. Er sammelte, ordnete und analysierte unzählige Pflanzen und Tiere. Die Vielfalt der Arten und deren hervorragende Anpassung an ihren jeweiligen Lebensraum führten Darwin zu seiner bahnbrechenden Erkenntnis: Es muss eine natürliche Selektion geben, die für das Werden und Vergehen der Arten auf der Erde verantwortlich ist.


Die 6-teilige Reihe "Charles Darwin" vermittelt die Grundlagen des Darwinschen Gedankengutes und gibt damit den Zuschauern das biologische Basiswissen zum Thema Evolution. Darauf aufbauend wird die Weiterentwicklung seiner Theorie bis in unsere Gegenwart verständlich.


Die jeweils 15-minütigen Folgen begleiten Charles Darwin in Spielszenen bei seinen Beobachtungen und Erkenntnissen. Licht ist das filmische Element, das Darwins Erkenntnis visuell verdeutlicht, denn Darwin selbst schreibt in seiner "Entstehung der Arten": "Licht wird fallen auf den Ursprung des Menschen und seine Geschichte."


Die Folgen im Überblick:

Dienstag, 27. Oktober 2009, 22.45 Uhr
1. Charles Darwin – Die Suche nach dem Ursprung des Lebens

Dienstag, 3. November 2009, 22.45 Uhr
2. Charles Darwin – Ein Forscherleben auf dem Schiff

Dienstag, 10. November 2009, 22.45 Uhr
3. Charles Darwin – Erkenntnisse über die Vielfalt der Arten

Dienstag, 17. November 2009, 22.45 Uhr
4. Charles Darwin – Veröffentlichung der Evolutionstheorie

Dienstag, 24. November 2009, 22.45 Uhr
5. Charles Darwin – Die Evolutionstheorie auf dem Vormarsch

Dienstag, 1. Dezember 2009, 22.45 Uhr
6. Charles Darwin – Darwins Erkenntnisse wirken bis heute


>> zur Meldung von Bayern alpha, mit näheren Inhaltsangaben zu den einzelnen Folgen.

(Abbildungen © Bayern alpha, used with permission)

Afradapis und Darwinius - weder Onkel noch Tante

Darwinius massilae, fast besser bekannt als "Tante Ida" scheint nicht in der direkten Reihe der Primatenvorfahren des Menschen zu stehen und ist damit auch keine "Tante" der Menschheit. Dies zumindest scheint ein Fund eines anderen, verwandten, aber jüngeren Primaten, namens Afradapis longicristatus zu zeigen. Beide scheinen zu den sogenannten Adapoiden zu gehöre, die keine lebenden Nachfahren haben und nichts mit der Ahnenreihe des Menschen zu tun haben. "Ardi" (Ardipithecus ramidus) hat da schon ganz andere Qualitäten, ist allerdings natürlich wesentlich jünger (> wir berichteten)

Abbildung: "Tante Ida" wird zwischenzeitlich auch als Plüschmaskottchen vermarktet.

Lesen Sie den Bericht der Süddeutschen Zeitung zu "Ida" und Afradapis vom 22.10.2009.

Eine entfernte Verwandte - Fossil Ida
von Patrick Illinger, Süddeutsche Zeitung

Forscher streichen Ida aus dem menschlichen Stammbaum. Entdecker Jörn Hurum, der das Fossil unter großem Aufsehen präsentiert hatte, reagiert diplomatisch.

Manchmal muss ein Backenzahn über den Verwandtschaftsgrad zweier Lebewesen entscheiden. Im aktuellen Fall geht es um den Unterkiefer eines rund 37 Millionen Jahre alten Primaten namens Afradapis und die Frage, ob das Fehlen markanter Backenzähne ihn als Vorfahr des modernen Menschen qualifiziert.

Auf den ersten Blick ja, meinen Wissenschaftler, die Afradapis in der aktuellen Ausgabe von Nature erstmals vorstellen (Bd.461, S. 1118, 2009). Dessen Gebiss zeige typische Merkmale höherer Primaten.

Doch bei genauer Begutachtung erweise sich der modern wirkende Kiefer als Beispiel für konvergente Evolution. Dieser Begriff beschreibt das Entstehen von Eigenschaften, die mehrere Lebewesen gemein haben, obwohl sie genetisch nicht verwandt sind. >> zum Artikel der Süddeutschen Zeitung


Weitere Berichte zu Afradapis und seiner Beziehung zu "Tante Ida" u.a. hier:

> Spektrum direkt vom 21.10.09: Verwandter von Ida entdeckt.
> WELT.de vom 21.10.09: Enger Verwandter von "Ida" gefunden.
> Web.de vom 22.10.09: "Ida" ist doch kein Vorfahr des Menschen.
> ScienceBlogs/Laelaps, vom 21.10.09: "Afradapis" and Ida, sittin' in a tree...


Mittwoch, 21. Oktober 2009

Streit um Darwin - Öffentliche Tagung, Berlin, 14.11.2009



Streit um Darwin

Kreationismus und Szientismus aus biologischer, wissenschaftstheoretischer und theologischer Sicht.


Öffentliche Tagung im Audimax der Humboldt-Universität
Samstag, 14.11.2009, freier Eintritt

Eine Veranstaltung des Museums für Naturkunde Berlin - Leibniz-Institut für Evolutions-und Biodiversitätsforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin, gefördert von der Friedrich Stiftung. In Kooperation mit der Humboldt-Universität zu Berlin

"Geht es in der Welt mit rechten Dingen zu?"

Der methodische Naturalismus ist die Grundlage für die modernen Naturwissenschaften. Unter Verwendung minimaler metaphysischer Annahmen und der Hypothese maximalen Realismus, versuchen Naturwissenschaften möglichst transparent den evolutionären Charakter der Natur zu erklären. Mithilfe einiger Sparsamkeitsprinzipien und der strikten Anwendung des kritischen Rationalismus hat sich damit ein für alle zugängliches Programm entwickelt, das sowohl die Entwicklung des Kosmos als Ganzes als auch seiner Teilbereiche immer besser und besser versteht.

Harald Lesch ist seit 1995 Professor für theoretische Astrophysik am Institut für Astronomie und Astrophysik an der Ludwig-Maximilians-Universität München und unterrichtet Naturphilosophie an der Hochschule für Philosophie München. Einer breiten Öffentlichkeit ist er durch die Moderation der ZDF-Wissensreihe »Abenteuer Forschung« und der BR-Sendereihe alpha-Centauri bekannt. Prof. Lesch ist Autor zahlreicher Bücher und wurde vielfach für seine wissenschaftliche und publizistische Arbeit ausgezeichnet.

Prof.Dr.Harald Lesch, Einführungsvortrag 10.15 –11.00 Uhr



"Unser Menschenbild heute"

Die biologische Revolution des 19. Jahrhunderts hat unser Menschenbild tief erschüttert. Der Mensch steht nicht länger frei über der Natur, sondern er ist ein Teil von ihr. Und die Geschichte des Menschen und seiner Psyche muss von der Bakterie an aufwärts erzählt werden. Doch lässt sich all unser menschliches Verhalten rein naturwissenschaftlich erklären? In welchem Verhältnis stehen Physis und Psyche, Biologie und Kultur? Auch 150 Jahre nach Darwins »Entstehung der Arten« herrscht über diese Frage große Unklarheit. Der Philosoph und Publizist Richard David Precht vermisst das Terrain der konkurrierenden Deutungen über die Natur des Menschen und zieht seine eigenen Schlussfolgerungen.

Richard David Precht ist Philosoph, Publizist und Schriftsteller und als Autor von erfolgreichen Büchern zu philosophischen Themen bekannt geworden. Er promovierte 1994 an der Universität Köln und arbeitet seitdem für nahezu alle großen deutschen Zeitungen und Sendeanstalten, sowie als Fellow bei der »Chicago Tribune«. Im Jahr 2000 wurde er mit dem Publizistikpreis für Biomedizin ausgezeichnet. Seinen bislang größten Erfolg erlangte er mit dem Buch »Wer bin ich – und wenn ja wie viele?«, einer Einführung in die Philosophie mit Verbindungen zur Hirnforschung, Psychologie und Anthropologie.

Dr. Richard David Precht, Vortrag 13.15 –14.00 Uhr



Die auf Charles Darwin zurückgehende Evolutionstheorie hat die Biologie revolutioniert. Sie wurde seither mit neuen Methoden enorm weiterentwickelt und vielfältig abgesichert. Kein einziges Ergebnis der Biologie widerspricht der Evolutionstheorie. Dennoch wird die Evolutionstheorie seit ihrer erstmaligen Veröffentlichung teilweise angefeindet und zweckentfremdet. Kreationisten bezweifeln sie nach wie vor und kreieren eigene pseudowissenschaftliche Thesen.

Dagegen ist strikt zu trennen zwischen nachprüfbaren naturwissenschaftlichen Aussagen der Evolutionstheorie über die Entstehung und allmähliche Veränderung der Lebewesen und nicht nachprüfbaren theologischen Aussagen über den Sinn und das Ziel des menschlichen Lebens. Biologische und theologische Argumente geraten bei strikter Trennung nicht in Widerspruch. Dementsprechend lassen die großen Kirchen in Deutschland in der Regel keinen Zweifel an der Gültigkeit der Evolutionstheorie aufkommen.

Die Aussage, dass Naturwissenschaften und Gottesglaube sich nicht ausschließen, ist allerdings auch in der Biologie umstritten. Eine Gruppe Evolutionsbiologen im Gefolge von Richard Dawkins glaubt aus der Evolutionstheorie Atheismus ableiten zu können. Gemäß dieser biologistisch-szientistischen Auffassung lassen sich alle Fragen mit Hilfe naturwissenschaftlicher Methoden beantworten. Auf der Tagung setzen sich Biologen, Fachdidaktiker, Journalisten, Theologen und Wissenschaftstheoretiker mit dem Kreationismus und szientistischen Positionen auseinander und wagen den Versuch, ein Resümee sowie didaktische Empfehlungen aus den vielfältigen Diskussionen und Diskursen des laufenden Darwin-Jahrs zu erarbeiten.

Prof. Dr. Horst Bayrhuber
ehemaliger Direktor am Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften an der Universität Kiel

Prof. Dr. Reinhold Leinfelder
Generaldirektor des Museums für Naturkunde Berlin


Klick auf das nachstehende Programm vergrößert dieses:


Ausstellung:


> nähere Infos und Tagungsflyer als pdf:
www.naturkundemuseum-berlin.de/streit-um-darwin

Grafiken: Nils Hoff, © Museum für Naturkunde Berlin (kann im Kontext mit obiger Tagung bzw. der Darwin-Ausstellung des Museums für nicht kommerzielle Zwecke unter Copyrightangabe verwendet werden)

Sonntag, 18. Oktober 2009

Evolutionäre Medizin - den Globus heilen

Von Reinhold Leinfelder

Vom 14. - 18. Oktober 2009 fand unter der Schirmherrschaft der Bundeskanzlerin sowie des französischen Staatspräsidenten der World Health Summit an der Charité in Berlin statt. Im Rahmen dieses Gipfels organisierte die Charité mit der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Volkswagenstiftung ein hochrangiges Arbeitssymposium zum neuen Forschungsfeld "Evolutionäre Medizin" unter dem Thema "Diseases of Civilisation", welches am 13. und 14. Oktober 2010 unter der Leitung von Prof. Dr. Randolph Nesse stattfand.
(Bild aus theobservershunch.blogspot.com/2007/02/evolution-cartoons.html)

Der Tagesspiegel schreibt hierzu (16.10.09): "... das Anliegen des amerikanischen Biologen Randolph Nesse, der ebenfalls an der Eröffnungspressekonferenz teilnahm, .... Er hoffe, dass alle von dem Kongress mitnähmen, wie wichtig Darwin für die Medizin sei, sagte er. „Um zu verstehen, warum unser Körper von bestimmten Erkrankungen bedroht ist, müssen wir die Gründe für die natürliche Selektion verstehen.“ Nesse gilt als einer der Begründer der evolutionären Medizin. Forscher auf diesem Gebiet versuchen, Krankheiten im Rahmen der Evolution zu erklären.
Man könne die Regeln der Evolutionstheorie auch auf das Gesundheitssystem anwenden, sagte Nesse und verwies auf das Motto des Gipfels „Evolution der Medizin“. Auch das Gesundheitssystem sei etwas, das gewachsen und von äußeren Kräften geformt worden sei. Das Ergebnis sei genauso fehlerhaft wie der menschliche Körper. So sei es ein offensichtlicher Makel, dass manche Länder wichtige Medikamente nicht hätten, weil sie sich diese nicht leisten können. „Wir müssen endlich verstehen, warum das so ist, und es ändern.“ (> zum Artikel).

Am Abend des 13.10. fand im Dinosauriersaal des kooperierenden Museums für Naturkunde Berlin ein Abendempfang für die Symposiumsteilnehmer zur Evolutionären Medizin statt. Natürlich wurde auch die Darwin-Ausstellung besichtigt. Das Grußwort des Generaldirektors finden Sie nachstehend. (> mehr Infos zu evolutionärer Medizin)

---- Welcome Address by Reinhold Leinfelder ----

Dear Dr. Detlev Ganten, dear Dr. Randolph Nesse, dear colleagues, ladies and gentlemen,

After you have had a first fruitful day at the symposium „Evolutionary Medicine“, which is an integral part of the World Health Summit here in Berlin, it is a pleasure to welcome you here to a "night at the museum", the Museum für Naturkunde. You are here in the midst of these old guys, actually they are very old, about 150 Million years old, but as you might know, you are not in a exhibition temple but rather in a vivid research museum which houses - as our major research infrastructure - more than 30 million objects. However, I won’t tell you about all these objects tonight, I’d rather tell you a bit, how this museum, with its main focus on evolution, also has its, partly unexpected, relations to medicine.

Here are a few examples:

As the Charité, the museum also celebrates an important anniversary next year, but whereas the Charité will have its 300. anniversary, we are only 200 years old (and this building is even younger, namely from 1889). However our collections are partially much older, dating back in some cases to the 16th century, and a lot of material is from the 18th century.

Actually, one of the oldest and culturally as well as scientifically most important collections which we house is from a physician from Berlin, Marcus Elesier Bloch who collected this material in the 18th century. He is considered the founder of ichthyology, the science of fishes. Being a physician, his scientific work is really special. It is amazing, how he described the anatomy of known and new species, including their ecological behaviour, and how he added very fine copperplate prints - but he went further: To each and every of the described species, he added the best cooking recipe, and not only this - he even suggested variations. If you have a weak stomach, he suggests a different cooking style than if you can have it more spicy. And he even gave, let’s say, pyschotheological advice: Although the cat fish is delicious, it is, in his eyes, so ugly that it would be a sin to eat and relish this devilish fish. However, he still gives advise how those who eat it, should cook it.

Or another example: Actually, it were the Humboldt brothers who convinced the prussian King that all these very distributed collections, housed at the King’s palace, at various academies and so forth would be lost for research and eductiation if they would not be gathered. Hence, geological, palaeontological, zoological and anatomical collections were gathered and transferred to the newly founded Berlin University (founded in 1810). This was the start of what is now called Museum für Naturkunde, but Virchow who became Ordinarius Professor in 1856 wanted his own museum, and the other collection professors wanted theirs, too. Virchow got his museum in 1899, and we got ours 10 years earlier, which is this very building. By the way, not only Virchow, but also we have meanwhile left university - since the beginning of this year we are an independant foundation and belong to the prestigious Leibniz Association.

In a way it was consequent to split at that time, because Virchow was not really a fan of Darwin, whereas the Museum für Naturkunde always was and continues to be. But as we see, nowadays, physicians are also fans of evolution :-)

This is why today we very fruitfully work together with physicians, such as Dr. Hanns Christian Gunga, from the Charité, who helps us to find out how lungs, heart, blood vessels and stomach must have worked to get this guy (Brachiosaurus brancai) going. By working together with anatomists and physicians, we also know that some dinosaurs must have had strong backaches.

We could add many more examples demonstrating how medicinical aspects and evolution tie together. For instance, we know that several pathways of evolution, such as in some ammonites went through pathogenic traits which were positively selected.

Thus, medicine does help us to understand evolution.
Now it is about time that evolution helps us to understand medicine.

Let me add another thought in this respect.
We here at the museum do not only focus on evolutionary processes, but we also study the product of evolution, biodiversity and selective parameters such as climate change. We believe we know a lot about such complex systems, but we also are aware of the fact that we still know too little. Hence, it appears even more puzzling to us when some geotechnicians come up with ideas of „geoengineering“ in order to „manage“ the climate of the world. They are thinking about fertilising the sea to cause artificial plankton blooms (hoping these nifty critters might use up carbon dioxide), or to continuously blow dust into the atmosphere to shade the world from the sun and hence avoid further heating up.

Well, if we would do the latter, we might have a „nice“ grey sky without sun - and again I see an impact to medicine. Probably there would be less skin cancer, so less dermatologists would be needed, but don’t worry about your profession. We would need much more psychotherapists because I would assume a strong increase of depressions owing to lack of sunlight.

Dear colleagues, as scientists we know that simply curing symptoms by, say, technical treatment is no sustainable solution. We are very glad that a similar view is increasingly been adopted in medicine.

Theodosius Dhobzansky, a famous evolutionary biologist said a wise and frequently cited word in 1970: "Nothing makes sense in biology except in the light of evolution".
I think time is ripe to extend this and also say: "Nothing makes sense in medicine except in the light of evolution".

We hope you will proceed rapidly with this new process-based research. Our collections are a research infrastructure open to all researchers. So if you would like to check our moskitos, bats or apes preserved in alcohol, our fur collections, or any other objects for viruses, bugs or any other so-called pests, feel free to do so.

However, we might not have to start this today, this evening is to celebrate and talk together. Once again, nice having you here, enjoy your night at the museum!

Reinhold Leinfelder, 13. Oct 2009, Museum für Naturkunde, Dinosaur Hall.
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Nachtrag vom 21.10.09: Artikel zu World Health Summit und evolutionärer Medizin in heutiger Ausgabe der FAZ: "Durch den Geburtskanal in die Praxis".

Evolution in Natur, Technik und Kultur

Ein Hinweis von Reinhold Leinfelder

Der Tageszeitung "Der Tagesspiegel" liegt in ihrer Sonntagsausgabe vom 18.10.2009 eine Beilage der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und ihrer Partner zum Thema "Evolution in Natur, Technik und Kultur bei.

Links sowie kurze Auszüge zu den auch online verfügbaren Artikeln finden Sie nachfolgend:
(Foto: Wikimedia Commons, Nicolas Peres, Licence GFDL -cc-by-2.5, see here)

EDITORIAL. Evolution in Natur, Technik und Kultur.
Von Günter Stock

"
Die Akademie als ein Ort des interdisziplinären Dialogs hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Themenfeld „Evolution“ aus verschiedenen Blickwinkeln kontrovers zu diskutieren. Dabei waren wir uns von Anfang an der Tatsache bewusst, dass die besondere Berücksichtigung kulturwissenschaftlicher und technischer Aspekte und deren Übertragung auf den genuin biologischen Begriff "Evolution" auf Widerspruch stoßen würden.....
Auf den folgenden Seiten möchten wir einen Einblick in die Vielgestaltigkeit der wissenschaftlichen Disziplinen, der Perspektiven und künstlerischen Positionen geben, mittels derer die Akademie den Brückenschlag zwischen Wissenschaft und Kunst wagt. ..."
> zum Artikel


Was den Menschen macht.

Von Mammutjägern und Brillenträgern: Wie in unserer Spezies Natur und Kultur zusammenkommen.
Von Hartmut Wewetzer

"... Darwins revolutionäre Idee öffnete viele neue Türen der Erkenntnis. Aber etliches konnte er noch nicht wissen, allenfalls erahnen. Vor allem war ihm unklar, auf welchen Prozessen die Vererbung beruht. Gene, gewissermaßen der Nährboden der Evolution, waren vor 150 Jahren unbekannt. Doch alle wesentlichen Erkenntnisse späterer Forschergenerationen fügten sich fast nahtlos zu Darwins Gedanken hinzu, ergänzten und komplettierten sein Werk.
„Licht wird fallen auf den Ursprung des Menschen und seine Geschichte“, schrieb Darwin im „Ursprung der Arten“. Es ging ihm um mehr als Tauben, und er sollte mehr als Recht behalten. ...
150 Jahre nach dem Erscheinen von Darwins Hauptwerk ist diese Prophezeiung zu einem Gutteil in Erfüllung gegangen. Aber die „Evolution in Natur, Technik und Kultur“, wie das Jahresthema der Berlin-Brandenburgischen Akademie für 2009 und 2010 lautet, hat so viele Facetten, dass sie noch mindestens 150 weitere Jahre für anregende Diskussionen sorgen wird."
> zum Artikel

Noch vor dem ersten Wort.
Haben Affen eine Sprache? Das fragen sich Forscher seit mehr als 100 Jahren. Die Lösung ist nahe.
Von Julia Fischer

"... Wie ist Sprache während der Evolution entstanden? .... „Sprache“ ist jedoch kein Merkmal, dessen An- oder Abwesenheit wir so einfach festlegen könnten, wie es zum Beispiel bei Federn möglich ist. Sprache lässt sich als ein Symbolsystem begreifen, dessen Elemente (zum Beispiel Wörter) regelhaft (durch Syntax oder Grammatik) zu neuen bedeutungsvollen Einheiten (wie Sätzen) zusammengesetzt werden können. Nun ist offensichtlich, dass keines der uns bekannten Tiere in einer Weise kommuniziert, die unserer eigenen Sprache entspricht. Aber vielleicht lassen sich einfachere Formen finden, die zumindest einige der basalen Kriterien erfüllen?
Einen ersten Hinweis, dass Affenlaute vielleicht mehr sind als nur ein „Ausdruck der Gemütsbewegungen“ (um den Titel eines Darwin-Werkes zu zitieren), ergab eine Studie der Alarmrufe von Grünen Meerkatzen im Amboseli Nationalpark in Kenia. Grüne Meerkatzen sind etwa katzengroße Tiere, die von Leoparden ebenso gejagt werden wie von Raubvögeln. ...
Stehen wir also nun mit leeren Händen da? Was die Ursprünge der menschlichen Sprache angeht – vielleicht. Die Kommunikation der Affen zeigt kaum Gemeinsamkeiten mit den verbalen Aspekten der menschlichen Sprache. Die Kontinuität in der Evolution zeigt sich vielmehr im Nonverbalen, da sich gemeinsame Prinzipien im Ausdruck von Erregung und Gefühl finden lassen. Selbst wenn uns die Suche nach dem Ursprung der Sprache vielleicht nie zum Ziel führen wird, so gewinnen wir auf dem Weg doch viele wertvolle Erkenntnisse. ..."
> zum Artikel


Vom Feuerstein zur Mondfähre.
Werkzeuge zu schaffen, liegt seit jeher in der Natur des Menschen. Der technische Fortschritt hat auch die biologische Evolution beeinflusst.
Von Hans-Günther Wagemann

Technik begleitet den Menschen seit seiner Urgeschichte. Erste tastende Versuche waren darauf gerichtet, Werkzeuge zu schaffen und zu benutzen. Dazu gehörten die Bewahrung des Feuers, die Herstellung von Speeren zur Jagd und zur Verteidigung sowie das Schärfen der Feuersteinklingen und das Gerben der Tierfelle.
Diese ersten technischen Leistungen wurden von Familienverbänden erbracht, da Kinder, Alte und Frauen versorgt und geschützt werden mussten. Dabei war Kommunikation von entscheidender Bedeutung. So entstand vor fast einer Million Jahren eine einfache Sprache, um sich über Bedürfnisse abzustimmen und Erfahrungen auszutauschen. Das Sprechen veränderte Gehirn und Sprachorgan der Urmenschen. Technische und körperliche Entwicklung gingen dabei Hand in Hand....
..... Die Technik erfand neue „Medien“ zur Speicherung von Informationen. Zunächst den papierenen Lochstreifen und die Lochkarten, danach die Magnetbänder aus Kunststoff, dann die Magnetscheiben als „Floppy Disc“ und schließlich die optisch-lesbare CD. Im Rechner ist heute neben der Magnetplatte ein Halbleiterspeicher eingebaut, der riesige Informationsmengen aufnimmt. Im Memory-Stick lassen sich auf kleinstem Raum ganze Bibliotheken speichern. Aber wie lange noch? Das technische Prinzip beinhaltet, dass sich mit der Zeit Fehler einschleichen können, bis irgendwann alles unlesbar ist. Werden künftige Generationen die Berichte unserer Zeit lesen können?
Solche Vorgänge wie der Verlust einmal erworbener Fähigkeiten finden aber auch in der biologischen Evolution statt. So büßte der Vogel Dronte seine Flugfähigkeit ein, weil er auf den Inseln im Indischen Ozean genügend Nahrung am Boden fand. Dadurch war er neuen Verfolgern wie eingeschleppten Ratten schutzlos bis zu seiner Ausrottung ausgesetzt.
Der augenscheinlich parallele Ablauf von biologischer Evolution und technischer Entwicklung begründete die kulturelle Evolution des Menschen. Wenn sich der Mensch in seinen vielfältigen Fähigkeiten evolutionär entwickelt hat, dann gilt dies auch für die vom Menschen gemachte Technik.
> zum Artikel

Wie das Federkleid zum Vogel.
Natur und Zivilisation sind keine Gegensätze. Die Entwicklung des Menschen in seiner Kultur hängt auch von seinem biologischen Erbe ab.
Von Volker Gerhardt

"Erkennen heißt unterscheiden. Wer die Eigenart der Natur erkennen will, muss sie von dem, was nicht Natur ist, abgrenzen können. Also wird man das, was ursprünglich gegeben ist, und das, was daraus gemacht worden ist, auseinander halten. Angesichts der Differenz zwischen dem „Gegebenen“ und dem „Gemachten“ kann man dann die Technik, die Kunst oder die Gesellschaft der Natur gegenüberstellen. Nach diesem Verfahren steht auch die Kultur der Natur gegenüber. Denn es macht offenkundig einen Unterschied, ob Menschen in Höhlen oder in Häusern leben, ob sie aus der hohlen Hand trinken oder sich einer Tasse bedienen. Problematisch aber wird es, wenn aus dem begrifflichen Kontrast unvereinbare Gegensätze werden. Denn was bliebe von Technik, Kunst, Gesellschaft und Kultur, wenn ihnen die Natur nicht zugrunde läge? Die Natur hingegen kommt allemal auch ohne diese Bereiche aus. ....
So zeigt die kulturelle Evolution, wie sich die Gattung des Menschen in technisch-materiellen Formen eingerichtet hat. Deren Produktivität entscheidet über den Lebenserfolg des Homo sapiens; das Kriterium der Nachkommenschaft ist relativiert. Nun ist es die Kultur, der es gelingen muss, gleichzeitig stabil, flexibel und produktiv zu sein, damit sich die Menschheit erhalten und entfalten kann. Das Individuum wird dadurch nicht an den Rand gedrängt. Im Gegenteil: Wenn der Imperativ des puren Überlebens nicht mehr im Zentrum stehen muss, wächst die Herausforderung an jeden Einzelnen, sich in seiner kulturellen Existenz zu profilieren."
> zum Artikel

„Verstehen, woher wir kommen“
Svante Pääbo vergleicht unser Erbgut mit dem des Neandertalers – und rekonstruiert so die Geschichte der Menschwerdung.
Interview mit Svante Pääbo

"Wir wollen verstehen, was mit dem Menschen passiert ist, seit sich sein Weg vor über 400 000 Jahren von dem des Neandertalers trennte. Wir suchen nach den genetischen Spuren, die unseren frühen Vorfahren einen Überlebensvorteil verschafften. Weil der Neandertaler enger mit uns verwandt ist als jeder noch lebende Menschenaffe, klärt der Vergleich zwischen beiden Genomen vielleicht, welche genetischen Veränderungen uns zu dem gemacht haben, was wir sind. Wir wollen versuchen, die Geschichte der Menschwerdung zu rekonstruieren....
... Wenn wir uns anschauen, wie viele Unterschiede es zwischen zwei zufällig ausgewählten Menschen gibt, ist die Zahl viel geringer als bei Gorillas oder Schimpansen. Das deutet darauf hin, dass wir von einer ursprünglich kleinen Population auf die heutige Zahl von fast sieben Milliarden gewachsen sind. Im Grunde ist die Menschheit in den letzten 50 000 Jahren fast immer gewachsen, es passiert also nicht mehr viel im menschlichen Erbgut. Natürlich verändert sich auch weiterhin das Genom des Menschen durch Mutationen. Aber Evolution im Sinne der Selektion eines genetischen Vorteils gibt es eher nicht. Wir haben inzwischen kulturelle Möglichkeiten, einen genetischen Nachteil zu kompensieren. Heute sind zum Beispiel Verkehrsunfälle eine große Gefahr. Aber wir warten deshalb nicht auf eine Mutation, die uns vorsichtiger oder reaktionsschneller macht, sondern wir machen Zebrastreifen auf die Straße, um Fußgänger zu schützen. Wir passen uns heute kulturell an neue Lebensbedingungen an. Gegenüber der kulturellen Evolution spielt die biologische praktisch keine Rolle mehr. Den genetischen Hintergrund für diese schnelle kulturelle Entwicklung würden wir gern finden....."
> zum Artikel


Starke Meinungen und drei Leidenschaften-
Ernst Mayr verbrachte fast sein ganzes Leben damit, über die Evolutionstheorie nachzudenken – aus biologischer, historischer und philosophischer Sicht.
Von Kärin Nickelsen

"„Bakterien haben keine Arten“, stellte Ernst Mayr einmal in einem Interview fest. Und fügte hinzu: „Warum man einen Zellkern braucht, um eine Art sein zu können, weiß ich auch nicht.“ Dass viele Mikrobiologen in diesem Punkt anderer Meinung sind, kümmerte ihn wenig. Mayr verstand eine Art als Gruppe von Populationen, die sich untereinander fruchtbar kreuzen, und von anderen ähnlichen Gruppen reproduktiv isoliert ist. Wer Arten im traditionellen Sinne anhand von Merkmallisten definierte, beging in Mayrs Augen die Sünde des „typologischen Denkens“, das er zeitlebens bekämpfte – und dabei auch ab und an über das Ziel hinausschoss. ... Mayr gab offen zu, dass er eine Schwäche für kategorische, gar polemische Aussagen hegte – und sei es nur, um Widerspruch auf den Plan zu rufen. Er hatte starke Meinungen, die er nicht müde wurde zu verteidigen, und machte sich damit nicht nur Freunde. Ernst Mayr hat in jeder seiner drei Karrieren mehr geleistet als die meisten in einer einzigen Laufbahn, und noch lange wird sich die Evolutionsbiologie, die Geschichte und Philosophie der Biologie mit seinen Arbeiten auseinandersetzen. Viele werden vielem widersprechen, sei es in Bezug auf Artkonzept oder Artbildung, sei es in Bezug auf die adäquate Geschichte der Evolutionstheorie; aber kaum jemand wird unbeeindruckt bleiben."
> zum Artikel

Der Wandel des Göttlichen.
Religionsgeschichte als evolutionärer Prozess – gegen die These werden rasch Bedenken laut. Zu Recht?
Von Hans Joas

Schon vor dem Darwin-Jahr sind die US-amerikanischen Debatten über das Verhältnis von Schöpfungsmythos und biologischer Wissenschaft auch nach Deutschland hereingeschwappt. Hierzulande haben diese Debatten allerdings etwas Künstliches an sich. Denn in Deutschland winken Christen in der Regel müde ab, wenn man ihnen unterstellt, sie hätten etwas gegen die Evolutionslehre und glaubten an die Bibel als überlegene wissenschaftliche Theorie.
Intellektuell viel attraktiver als die Beschäftigung mit diesen Fragen ist ein ganz anderer Versuch, Evolution und Religion miteinander in Beziehung zu setzen. Man kann ja auch fragen, ob die Evolutionstheorie, wenn sie überhaupt auf soziale und kulturelle Prozesse übertragen werden darf, nicht auch auf dem Gebiet der Religionsgeschichte neue Erkenntnisse erzeugen kann. Lässt sich die Entstehung von Religion als evolutionärer Prozess beschreiben? ...
Die enorm angeschwollene Literatur zum Thema macht den Versuch, einen Überblick zu gewinnen, wünschenswert. So ist zu fragen, ob die psychologische Theorie kognitiver Evolution das Potential hat, Stufen der Religionsgeschichte aufzuschlüsseln. Wie ändert sich unser Bild von Stammesreligionen und den Religionen unter Bedingungen früher Staatlichkeit, wenn die Achsenzeit-These zutrifft? Was ist mit nach-achsenzeitlichen „Stufen“ der Religionsentwicklung, etwa der Entstehung des Christentums oder des Islam? Wie nehmen sich Reformation und sogenannte Gegenreformation in diesem Lichte aus? Lässt sich diese Theorie überzeugend auch auf die Entwicklung der Religion in Asien anwenden? Verschwindet die Vorstellung von Transzendenz, wenn ihre räumliche Deutung unhaltbar wird? Welche Rolle spielt eine de-transzendentalisierte Religiosität in der Gegenwart? ..."
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Ein Konzept, das Karriere machte.
Der Begriff der Vererbung bahnte sich seinen Weg von den Rechtswissenschaften in die Biologie – und weiter in viele andere Lebensbereiche.
Von Hans-Jörg Rheinberger

"... Der Begriff der Vererbung kommt ursprünglich aus dem Bereich des Rechtswesens. Im deutschen Sprachraum war es Immanuel Kant, der sich in seinen anthropologischen Schriften aus den 1770er und 1780er Jahren seiner erstmals bediente, um einen biologischen Sachverhalt auszudrücken. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren es dann zunächst französische Mediziner, die dafür sorgten, dass eine biologisch-medizinische Verwendung des Wortes Vererbung gängig wurde. Ab dem späten 19. Jahrhundert wanderte der Begriff seinerseits wiederum aus der Biologie in alle möglichen Bereiche des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens aus, in denen es um Tradition und Tradierung geht. ...
... Dieser epistemische Raum war es, der auch den Bezugspunkt für eine neue Biopolitik des Nationalstaates bot, in deren Mittelpunkt nicht mehr das einzelne Individuum, sondern ein „Volkskörper“ stand, für den das gleiche galt: In ihm stellte sich ein eng mit dem „Erbgut“ verknüpftes „Gut“ dar, das von Generation zu Generation weitergegeben wurde, und das vor verderblichen Einflüssen geschützt werden musste. Diese Koppelungen und diese Resonanzen muss man sehen, wenn man verstehen will, warum genetische Phantasien in Gestalt der Eugenik, die zunehmend die Individualhygiene überformte, um die Wende zum 20. Jahrhundert politisch so wirkmächtig werden konnten. Vererbungswissen ließ sich in dem Maße als zentraler Bestandteil eines biopolitischen Dispositivs betrachten, als sein Gegenstand über die Zeugung individueller Lebewesen hinauswies und die Verhältnisse und Kräfte einschloss, die in und auf Populationen wirkten und für deren Leben ausschlaggebend waren. ..."
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Mit Charles Darwin auf Weltreise.
Im Naturkundemuseum kann jeder zum Forscher werden. Spekulationen à la Hollywood sollte man allerdings an der Garderobe abgeben.
Von Reinhold Leinfelder

"Heutzutage genügt es nicht mehr, Wissen zu generieren und darauf zu vertrauen, dass Politik und Zivilgesellschaft dieses dankbar aufnehmen und in konkretes Handeln umsetzen. Klima-, Umwelt- und Energiedebatten, Diskussionen um Gentechnologie und nicht zuletzt die Kontroversen zur Evolutionstheorie werden selten konstruktiv und ergebnisorientiert geführt, sondern verflachen vielfach als unergiebige Schwarz-Weiß-Polemiken. Um Erkenntnisse zu vermitteln, die Verhaltensänderungen herbeiführen, bedarf es neuer Kommunikationsformen, die gesichertes Wissen verbreiten, Akzeptanz schaffen und vor allem Partizipation ermöglichen. Gerade naturkundliche Museen als Forschungs- und Bildungseinrichtungen haben hier eine besondere Aufgabe, da sie Wissenschaft authentisch und faszinierend darstellen können.....
.... Von der persönlichen Entdeckungsreise in entsprechend gestalteten Ausstellungen über partizipative Filmfestivals bis hin zu Kooperationen zwischen Laien und Wissenschaftlern: Eine derartige Beteiligung und eigenes Engagement sind der wohl wichtigste Weg, Wissen nicht nur zu erwerben, sondern auch einen emotionalen Zugang zur Wissenschaft zu finden. So kann Wissen zu Umdenken und letztlich zu Handeln führen.
Eine größere Aufgeschlossenheit der Wissenschaft gegenüber, die als spannende Bereicherung und selbstverständlicher Teil des Alltags betrachtet wird, erlaubt den Übergang in eine nachhaltige globale Gesellschaft, die nicht als Bedrohung, sondern als positive, sinnhafte Herausforderung empfunden wird. Noch ist ein langer Weg zu gehen, aber genauso wie Darwin sollten wir nicht aufhören, diesen konsequent weiterzuverfolgen."
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„Ein abscheuliches Geheimnis“
Die Anfänge der Blütenpflanzen blieben Wissenschaftlern lange rätselhaft. Heute gewährt ein Blick in ihre DNA neue Erkenntnisse.
Von H. Walter Lack

"... Darwin argumentiert kaum mit Befunden aus dem Pflanzenreich, und zwanzig Jahre später heißt es in einem seiner Briefe: „Die rasche Entwicklung – soweit wir dies beurteilen können – aller höherer Pflanzen innerhalb der jüngeren geologischen Zeit ist ein abscheuliches Geheimnis“. ...
Ob damit das letzte Wort gesprochen ist, darf bezweifelt werden: die Suche nach den Anfängen der Blütenpflanzen, sowie die Beschäftigung mit Biodiversität überhaupt, lässt sich mit der Arbeit von Sisyphus vergleichen, denn so wie immer wieder sein Stein in die Tiefe rollt, so müssen immer wieder neue Befunde in das vorhandene Gedankengebäude der Botanik eingebracht werden: Und niemand weiß, wann der nächste Umbau fällig ist."
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Wer im Kopf die Strippen zieht.
Viele unserer Handlungen sind buchstäblich in das neuronale Netz des Hirns eingeschrieben. Diesen Mustern ist die Kulturwissenschaft auf der Spur.
Von Sigrid Weigel

"Aus der Perspektive der Kulturwissenschaften, die den historischen Wandel von Vorstellungen, Gefühlen und Verhaltensweisen erforschen, wirkt die Debatte um die Willensfreiheit wie der Streit um ein Phantom. Das heißt nicht, dass der freie Wille eine „bloße“ Konstruktion sei. Denn ohne den Willen zum „freien Willen“ sähe die menschliche Kultur ganz anders aus, wäre die Ausbildung von Sittlichkeit und der Idee von Selbstbestimmung und Verantwortung nicht möglich gewesen. Zumindest die Produkte des menschlichen Willens sind real: in der Art und Weise, mit der soziale, moralische und kulturelle „Gesetze“ von den einzelnen Subjekten inkorporiert werden. Doch weiß man nicht erst seit der Erforschung des Unbewussten durch die Psychoanalyse, dass der Wille keineswegs vollständig frei ist. Menschliches Handeln und Denken unterliegt nicht nur vielfältigen äußeren Begrenzungen, sondern auch den Bedingungen der psycho-physiologischen Existenz. Sie werden durch körperliche Bedürfnisse, Ängste und Lüste, durch Träume und Traumata motiviert und gelenkt. Aber sie werden ebenso durch Vorstellungen geprägt, die durch Sprache, Gebärden, Bilder und Schriften überliefert sind. Der Streit darum, ob einzelne Handlungen entweder durch einen bewussten Willensakt gesteuert oder durch neuronale Prozesse festgelegt, das heißt kausal verursacht oder determiniert werden, gründet in Gegensätzen, deren Begriffe spekulativ und anachronistisch sind wie Wille- Neuronen, mind-matter, Bewusstsein-Gehirn, in älterer Diktion: Seele-Leib. Solche Konzepte missachten....
.... Die angewandte Forschung kann von solchen Erkenntnissen enorm profitieren, etwa bei der Entwicklung von Prothesen und Brain-Machine-Interfaces. Wenn aufgrund der empirischen Forschung aber ein Menschenbild konstruiert wird, in dem die „menschliche Natur“ allein als System genetischer, neuronaler und hormoneller Vorgänge beschrieben wird – womöglich noch ergänzt um die Forderung rechts- und sozialpolitischer Konsequenzen – dann wünschte man sich nicht nur mehr erkenntnistheoretische Reflexion, sondern auch mehr Willen zur Verantwortung. Und über diesen Willen zu verfügen, werden Wissenschaftler wohl nicht ablehnen wollen."
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Medikamente aus dem Setzkasten.
Forscher am Berliner Leibniz-Institut für Molekulare Pharmakologie suchen Wirkstoffe mit neuen Methoden.
Von Kai Kupferschmidt

Medizinische Chemiker sind Suchende. Sie suchen nach Wirkstoffen, die Bakterien, Viren oder Tumoren angreifen und dabei das gesunde Gewebe möglichst wenig schädigen. Meistens geht es darum, wichtige Eiweiße der Krankheitserreger oder Krebszellen zu hemmen. Um dafür einen passenden Wirkstoff zu finden, tauchen medizinische Chemiker in die unendlichen Weiten des chemischen Raumes ein. ..."
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„Tanz wird überall verstanden“ Modelliert von Menschenhand.
Ein Gespräch über Bienen, Ballett, angeborene Ursignale und kulturell erworbenes Wissen Reiner Maria Matysiks „postevolutionäre“ Wesen.
Von Ingeborg Reichle

Auszug: "Neurobiologe und Bienenforscher Randolf Menzel und Christiane Theobald, die stellvertretende Intendantin des Staatsballetts Berlin haben ein gemeinsames Interesse: den Tanz. Doch was verbindet den „Schwänzeltanz“ der Bienen mit einem klassischen Ballett? Das fragte Bettina Mittelstraß.
Wenn die Honigbiene tanzt, vermittelt sie ihren Stockgenossinnen genau das, was alle Honigbienen interessiert: das Wissen über Entfernung oder Flugrichtung zu einer ertragreichen Blütenpracht. Was erzählt der Tanz der Ballerina?
CHRISTIANE THEOBALD: Klassisches Ballett kann Geschichten erzählen, es kann aber auch ausschließlich Emotionen ausdrücken. Wir unterscheiden da zwischen Handlungsballett und abstraktem Ballett. Beides sind aber Inhalte, die ohne Worte kommuniziert werden. Man muss als Zuschauer keine bestimmte Sprache sprechen um zu verstehen. So stelle ich mir auch den Schwänzeltanz der Bienen vor: Er wird immer und überall, wo er getanzt wird, verstanden."
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